Michael Märzen, Arbeiter*innenstandpunkt Österreich, Fight, Revolutionäre Frauenzeitung Nr. 8, März 2020
In den letzten zwei Jahren haben millionenstarke Frauenstreiks ein großes Potential für den Kampf um Frauenbefreiung aufgezeigt. Die Arbeitsniederlegungen im produktiven und reproduktiven Bereich richten den politischen Fokus auf die Ungleichheit der geschlechtlichen Arbeitsteilung, welche die materiellen Grundlage für sexistische Ungerechtigkeit und Unterdrückung darstellt. Gleichzeitig kann der ökonomische Stillstand, der bei einem Streik angerichtet wird, den nötigen Druck erzeugen, damit die frauenpolitischen Forderungen auch ernst genommen und letztlich durchgesetzt werden. Doch die internationale Frauenbewegung hat diese proletarische Strategie noch nicht bewusst angenommen und verallgemeinert. Dazu braucht es nicht nur positive Bezugspunkte wie die Mobilisierungen in Spanien oder der Schweiz, sondern Organisation, Know-how und einen Kampf gegen andere, falsche Strategien.
Ein Streik ist im Normalfall kein spontanes Ereignis. Obwohl der Unmut über Missstände schon hoch sein mag, braucht es Strukturen, die ihn organisieren. Jene Kräfte, die bereit sind, einen Frauenstreik zu organisieren, müssen gesammelt werden. In der Regel sind das schon bestehende Organisationen der radikalen Linken oder der Frauenbewegung, aber auch eine Hand voll Einzelpersonen kann ein Komitee für die Organisierung des Streiks gründen und den Stein ins Rollen bringen. Kanäle wie soziale Medien müssen genutzt werden, um die Organisation auf eine kräftigere Grundlage zu stellen. Für die Mobilisierung braucht es klare und radikale Forderungen wie etwa eine Arbeitszeitverkürzung, die demokratisch bestimmt werden sollten und für die die beteiligten Kräfte frei nach innen und außen werben können. Dabei muss auch sehr gut abgewogen werden, welche in den Vordergrund gestellt und wie sie formuliert werden können, damit sie die bestmögliche Wirkung auf das politische Bewusstsein der Zielgruppen haben werden.
Zentral ist es lohnabhängige, aber auch erwerbslose Frauen und Männer für den Streik zu gewinnen. Dazu eignet sich der Aufbau von Aktionskomitees auf regionaler sowie betrieblicher Ebene bzw. in der Ausbildungsstätte. In diesen Komitees organisieren sich Aktivist*innen, um gemeinsame Aktivitäten für die Mobilisierung zu planen. Darüber hinaus sollten eigene Forderungen diskutiert und in die Bewegung getragen werden. Sie müssen als politische im Interesse der gesamten Arbeiter*innenklasse formuliert werden, die also nicht auf einzelne Branchen beschränkt bleiben. Als Ausgangspunkt zum politischen Ziel der Aufhebung der geschlechtlichen gesellschaftlichen Arbeitsteilung, der Sozialisierung der Haus- und Sorgearbeit kann z. B. die nach einer gesetzlichen Mindeststellenbesetzung in der Pflege dienen, wie in Deutschland aufgestellt. Die überregionale Vernetzung mittels wähl- und abwählbarer Delegierter ermöglicht den Aufbau von demokratischer Kontrolle über die Bewegung selbst und in weiterer Folge von Gegenmacht gegenüber den bürokratischen staatlichen Institutionen, über welche die herrschende Klasse ihre Interessen sichert. Das ist auch kein Widerspruch zu einer Bündnispolitik von politischen Organisationen. Aktionskomitees können solche Bündnisse ergänzen oder im besten Fall der Ausdruck einer demokratisch organisierten Bewegung sein.
Ein wesentlicher Erfolg von bisherigen Frauenstreiks war die Unterstützung durch Gewerkschaften in der Schweiz und in Spanien. Wenn diese Organisationen, die oft einen großen Anteil der lohnabhängigen Bevölkerung organisieren, für kämpferische Massenaktionen gewonnen werden können und die Mobilisierungen dafür ernst nehmen, dann hat das eine sehr große Wirkung. Viele Gewerkschaften haben auch frauenpolitische Abteilungen, die natürlich eine Anlaufstelle für die Mobilisierung sein können und wo sich womöglich auch schneller Unterstützer*innen finden lassen. Das Problem ist aber, dass die großen, reformistischen Gewerkschaften von einer konservativen Bürokratie geführt werden, die radikale Aktionen und die Einbeziehung der Massen mehr fürchten als fördern. Dies gilt für alle Gewerkschaften, die nicht von einer revolutionären Arbeiter*innenpartei geführt werden. Die reformistischen Parteien, die oft über großen Einfluss in den Gewerkschaften verfügen, haben längst ihren Frieden mit dem kapitalistischen System gemacht und verteidigen es letzten Endes gegen einen Ansturm durch die Lohnabhängigen. Dies gilt auch für reine Gewerkschaftspolitik, die sich nicht den Sturz des Kapitalismus auf die Fahnen geschrieben hat. Wir können uns also weder auf sie verlassen noch auf den Erfolg vehementer Aufforderungen hoffen, sondern müssen mit Basisorganisationen ein Gegengewicht zur abgehobenen Stellvertretungspolitik schaffen. Diesen Zweck können die schon angesprochenen Aktionskomitees zum Teil erfüllen, sie müssen sich dafür aber bewusst auch auf die Gewerkschaften ausrichten. Letztlich muss eine antibürokratische Gewerkschaftsopposition aber eigenständige Strukturen aufbauen, denn der Kampf gegen die reformistische Bürokratie ist allgemeiner als der für eine bestimmte politische Mobilisierung.
Wenn alle für einen starken Frauenstreik eintreten und eine proletarische Frauenbewegung aufbauen wollen würden, dann müssten wir die Frage nach der Umsetzung eines Streiks gar nicht so genau diskutieren. Aber so ist es leider nicht. Gerade auch im Feminismus gibt es bürgerliche und kleinbürgerliche Kräfte, die ganz andere Strategien als Sozialist*innen verfolgen und die die Organisierung und Mobilisierung der Arbeiter*innenklasse für die politischen Anliegen der Frauen sogar ablehnen. Oft beschränken sich diese Kräfte auf Forderungen wie Quoten in politischen Ämtern oder in Unternehmen, den ideologischen Kampf gegen Alltagssexismus oder eine gendergerechte Sprache, die dann von sozialliberalen Parteien umgesetzt werden sollen. Eine solche Politik hemmt natürlich die eigenständige Aktion der Ausgebeuteten und Unterdrückten und muss daher natürlich auch bekämpft werden. So wurde z. B. in den verschiedenen feministischen Bündnissen für den letztjährigen Frauenstreik in Deutschland zwar eine Liste unterstützenswerter Forderungen aufgestellt, aber über die Frage, wie ein Streik der gesamten Klasse gegen die Paragraphen zustande kommen kann, der auch den Namen verdient, kaum diskutiert. Debatten um Einbezug der Gewerkschaften und der Männer waren also von untergeordneter Bedeutung.
Es geht also nicht nur um einzelne Forderungen, sondern um eine zusammenhängende proletarische Strategie, die ihren klarsten Ausdruck in einem kommunistischen Übergangsprogramm findet. Darin stellt sich der Kampf für Frauenbefreiung und gegen Sexismus als integraler Teil des allgemeinen Klassenkampfs der gesamten Arbeiter*innenklasse dar, unabhängig von Geschlecht, Identität oder Herkunft. Deswegen halten wir es zum Beispiel auch für einen Fehler, wenn von feministischen Organisationen bei frauenpolitischen Aktionen der Ausschluss von Männern gefordert wird. Der Kampf gegen Frauenunterdrückung und die ganze sexistische Ideologie geht unsere männlichen Genossen genau so etwas an. Aber unsere Genossinnen sollten ganz klar im Vordergrund eines Frauenstreiks stehen.