Von Joseph M., Dezember 2025, 8 Minuten Lesezeit
Am 29. Oktober 2025 fanden in Tansania die Präsidentschaftswahlen statt. In dem von 68 Millionen Menschen bevölkerten Land im Osten Afrikas stand der Verkehr am Tag eines so wichtigen politischen Ereignisses jedoch vielerorts still. Aufgehalten wurde er von Straßenblockaden der Polizei. Schon am Vortag war der Internetzugang im Land und andere Kommunikation größtenteils lahmgelegt. Und schon Monate zuvor, im April, wurde der Vorsitzende der größten Oppositionspartei Chadema, Tundu Lissu, verhaftet. Vielen Tansaner:innen war klar: Diese Präsidentschaftswahl würde anders ablaufen als die vorigen.
Dieser Artikel befasst sich mit den Ereignissen um die Präsidentschaftswahl in Tansania, Gründen und möglichen Folgen der Geschehnisse, und was wir von ihnen über den aktuellen Stand der Neuaufteilung der Welt lernen können.
Im Vorlauf zur Wahl hatte sich in Teilen der Bevölkerung Unmut breit gemacht. Die Kandidat:innen der Oppositionsparteien Chadema und Alliance for Transparency and Change wurde der Antritt zur Wahl aufgrund von scheinbaren Verstößen gegen Wahlvorlagen untersagt, sie wurden verhaftet oder verschwanden spurlos. Vor allem die Chadema Partei hatte für eine Reform des intransparenten Wahlrechts in Tansania gekämpft, dass die seit Jahrzehnten regierende Partei Chama Cha Mapinduzi (CCM; dt. Partei der Revolution) zu ihrem Vorteil auslegt und nutzt. Daraus entstand die Kampagne “No Reforms, No Elections!”, die breiten Anklang fand und sich für die CCM zur Gefahr entwickelte. Aufgrund der starken Repression durch die Polizei und die Armee war jedoch unklar, ob sich Proteste entwickeln würden.
Am 29. Oktober war es soweit. Am Tag der Wahl gingen landesweit Menschen auf die Straße, um gegen die manipulierten Wahlen zu protestieren. Wahllokale, Parteibüros der CCM und die luxuriösen Eigentümer der hochrangigen Parteimitglieder waren Ziel der Proteste. Genaue Zahlen und Ausmaß der Bewegung sind aufgrund der Einschränkungen der Presse und sozialen Medien vor Ort schwer herauszufinden, es handelte sich aber definitiv um massive Aufstände, wie zuvor bereits in anderen Halbkolonien, so dem benachbarten Kenia, erlebt.
Die Reaktion folgte prompt. Am Tag der Proteste erwartete die Tansaner:innen eine selten zuvor gesehene Gewalt der Regierung. Die Polizei schoss scharf und tötete mehrere hundert, vllt sogar mehr als tausend, Demonstrierende im ganzen Land. Tausende weitere wurden verletzt, darunter viele Jugendliche. Dennoch dauerten die Proteste mehrere Tage an. Trotz der Repressionen, trotz der Kugeln, kämpften viele weiter.
Der Rauch hatte sich noch nicht gelegt und der kollektive Schock war noch nicht verarbeitet, da verkündete die neue (und alte) Präsidentin Samia Hassan das Wahlergebnis. Ihre Partei hat mit 98 Prozent der Stimmen die Wahl gewonnen.
Wer vorhin im Text auf die Übersetzung des Namens der seit 1977 regierenden Partei Chama Cha Mapinduzi geachtet hat, hat sich nicht verlesen. Tansania, nachdem es sich von der deutschen und danach der englischen Kolonialherrschaft befreit hat, begann als subjektiv revolutionäres und sozialistisches Projekt ostafrikanischer Prägung.
Nun massakriert die Regierung dieser Partei demonstrierende Teile der Arbeiter:innenklasse und der Bevölkerung. Ein Massaker, bei dem auch Kapitalinteressen eine Rolle spielen. Als Sozialist:innen müssen wir uns mit vergangenen sozialistischen Projekten auseinandersetzen, um von ihnen zu lernen. Und um die gegenwärtigen Ereignisse zu verstehen, machen wir einen kurzen Ausflug in die Vergangenheit Tansanias.
Das Land, in dem knapp hundert verschiedene Ethnien lebten und leben wurde zuallererst von Deutschland kolonialisiert. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde dann das siegreiche British Empire neuer Kolonialherr. Die Grenzen des heutigen Tansanias wurden damals willkürlich gezogen. Die Besatzer verübten über die Zeit ihrer Herrschaft schreckliche Verbrechen an der Bevölkerung. 1961 wurde Tansania formell unabhängig. Der Übergang verlief unter anderem friedlich, weil Britannien wenig ökonomische Vorteile gegenüber anderen Kolonien sah, und weil sich unter der Führung des ersten Präsidenten Julius Nyerere große Teile der Bevölkerung in einer Art Nationale Befreiungsfront formierten, gegen die Britannien keinen Krieg führen wollte. Als Abmachung mit England blieb Tansania formell Teil des Commonwealths. Nyerere war Vorsitzender der Tanganyika African National Union (TANU), besagter Befreiungsfront, und wurde so erster Regierungschef. Nyerere bezeichnete sich als Sozialist und eine seiner ersten Amtshandlungen war die Verstaatlichung von Banken und Betrieben. Er unterstützte antikoloniale Kämpfe in anderen afrikanischen Ländern und den Kampf gegen das Apartheidsregime in Südafrika. Er verfolgte jedoch eine eigene Version des Sozialismus: Ujamaa (Swahili: Familie, Gemeinschaft). Bei dieser lag die Organisation der weit verstreuten Bevölkerung auf dem Land in Dorfgemeinschaften, Ujamaas, im Vordergrund. Dazu sollten z.B. pastoralistische Teile der Bevölkerung in die Ujamaas umsiedeln. Diese Gemeinschaften sollten Land zugeteilt bekommen, sich teilweise selbst versorgen können und einfacher vom Staat Ressourcen und Angebote wie Bildung zugeteilt bekommen. Ujamaa verzeichnete einige Erfolge, zum Beispiel einen hohen Anstieg an Zugang zu Bildung und medizinischer Versorgung, der die Lebenserwartung und durchschnittliche Bildung in Tansania signifikant erhöhte. Allerdings war die Freiwilligkeit der Bevölkerung nicht immer gegeben, so wurden diese Umsiedlungen oft mit Zwang durchgesetzt. Die CCM und ihr Vorgänger, die TANU, entwickelten sich in eine autoritäre Richtung. Als Folge von Problemen mit dieser Wirtschaftsplanung, einem Krieg mit dem Nachbarland Uganda und dem resultierenden Chaos, musste Tansania nun Lebensmittel importieren. In den Folgejahren liberalisierte und privatisierte Tansania Teile seiner Wirtschaft, nahm aufgrund von Versorgungsengpässen Kredite des Weltwährungsfonds und anderer Länder und Institutionen an. Die Bedingungen für die Kredite waren an die Währungsabwertung und die weitgehende Privatisierung staatlicher Betriebe geknüpft.
Jahre später ist in Tansania nun die kapitalistische Produktionsweise vorherrschend. Zu den größten Firmen zählen die tansanischen Zweige von Coca-Cola und Vodafone. Die Vorsitzenden der Partei der Revolution, CCM, wohnen nun in Villen und fahren teure Autos, während die Vertreibung indigener Völker in Tansania nicht aufgehört hat. Zwischenzeitlich waren auch andere Parteien zur Wahl zugelassen, doch die CCM blieb immer regierende Partei, hat sich fest im Regierungsapparat verankert.
Julius Nyereres Plan der wirtschaftlichen Unabhängigkeit des Landes ist nicht aufgegangen.
Mit dem Einfluss ausländischer Firmen, Geldern und deren Kapitalinteressen geht auch politischer Einfluss einher. Ein prominentes Beispiel ist zum Beispiel die gewaltvolle Vertreibung der einheimischen Massai aus ihren Lebensräumen im Ngorongoro Gebiet, in dem Tourismusunternehmen der Vereinigten Arabischen Emirate und der USA ihre Hotels und Safariunternehmen betreiben wollen. Kapitalinteressen werden immer wieder gegenüber den Bedürfnissen der Bevölkerung priorisiert. Ausländische „Hilfen“ landen nicht selten in den Taschen der herrschenden Politiker:innen.
Mit der Zuspitzung der Krise des Kapitalismus suchen die Kapitalist:innen der Imperialistischen Länder immer skrupelloser nach neuen Möglichkeiten, ihr Kapital gewinnbringend zu investieren. Diese Geschäfte werden auf dem Rücken der arbeitenden Klasse und anderen beherrschten Teilen der Bevölkerung der halbkolonialen Ländern getätigt, die dadurch immer schlimmere Ausbeutung und Unterdrückung erfahren. Da sich diese Politik nicht dauerhaft demokratisch umsetzen lässt, greift die herrschende Klasse zu autokratischen Mitteln: Wahlbetrug- und Manipulation, brutale Niederschlagung von Protesten, wie wir sie jetzt auch in Tansania sehen. Den Nachbarländern Kenia und Uganda geht es ähnlich. Letztes Jahr in Kenia ordnete die Regierung eine Steuererhöhung auf Lebensmittel an, während gleichzeitig viele Menschen unter Ernährungsunsicherheit leiden. Dies geschah auf eine Empfehlung des Internationalen Währungsfonds. Proteste dagegen wurden mit scharfer Munition unterdrückt, es gab wie in Tansania zahlreiche Tote.
Die USA unterdessen bauen freudig ihre Militärpräsenz in Kenia aus. Bei guten Geschäften und erfolgreicher militärischer Kooperation werden Menschenrechtsverletzungen geflissentlich ignoriert. Wieder einmal zeigt sich, dass es den Imperialistischen Ländern nicht um ,,Demokratie”, sondern um Kontrolle geht.
Die gewaltvolle Unterdrückung und Ausbeutung in Tansania muss enden. Wir solidarisieren uns mit den Protestbewegungen in Tansania und Kenia! Es ist überaus positiv zu betrachten, dass in Kenia bereits große Teile der dort immer wieder kämpfenden Arbeiter:innenklasse und Jugend erkannt haben, dass der Kampf ihrer tansanischen Nachbar:innen der gleiche ist, wie ihrer, und sie in Solidarität mit ihnen auf die Straße gingen und u.a. versuchten einen Grenzübergang zu stürmen um den tansanischen Aufständen zur Hilfe zu eilen. Hier zeigte sich auch die enge Kooperation des tansanischen und kenianischen (sowie ugandischen) Staates, worauf wir in unserem Artikel zu den erneuten Protesten in Kenia diesen Sommer bereits eingegangen sind. Diese internationale Solidarität, die wir in der sogenannten Gen Z Bewegung der letzten Monate erleben durften, wo Jugendliche in allen Teilen der Welt sich positiv aufeinander beziehen und gegen die imperialistischen Stadthalter:innen aufbegehren, die sie unterdrücken, ist ein guter Anfang, auf dem es aufzubauen gilt! Es ist nötig, dass sich Arbeiter:innen und Jugendliche international zusammenschließen, und ganz besonders in ihrer jeweiligen Region! Das die tansanischen, kenianischen, ugandischen, und auch die teilweise siegreichen madagassischen Arbeiter:innen und Jugendlichen Seite an Seite kämpfen gegen ihren gemeinsamen Feind und für eine Lösung der Krise, für eine sozialistische Förderation der Staaten und Völker Ostafrikas! Und ihr Kampf ist auch unser!
Deutschland ist als imperialistisches Land an der Ausbeutung halbkolonialer Länder beteiligt. Indem wir die Macht des Inlandskapitals bekämpfen und der internationalen imperialistischen Institutionen wie des Weltwährungsfonds, können wir auch von hier aus die Kämpfe der Arbeiter:innen und Unterdrückten in den halbkolonialen Ländern unterstützen! Dabei ist zentral, dass wir das nicht bloß als Gesten der Solidarität alleine betrachten, sondern verstehen, dass der Kampf der Arbeiter:innen in den Halbkolonien mit unserem eng verbunden ist! Dass der Feind der sie erstrangig unterdrückt, und ihre Diktatoren als Stadthalter:innen einsetzt, der selber ist, der in unseren Ländern unsere Lebensgrundlagen kürzt, unsere Löhne drückt, unsere migrantisierten Genoss:innen und Freund:innen schikaniert oder gar abschiebt und uns für seine Machtinteressen in den Schützengraben schicken will! Nieder mit diesem Feind, nieder mit der imperialistischen Bourgeoisie!
Um die Kommunistischen Partei Kenias (Anmerkung: eine aus dem Stalinismus stammende, linksreformistische Partei), der Jawabu ni usoshialisti, in ihrem Statement zu Tansania zu zitieren:
Long live the workers and peasants of Tanzania.
Down with imperialist domination.
Down with fascist repression.
Long live African liberation.
Long live proletarian internationalism!