von Brokkoli Bittner, November 2025, 8 Minuten Lesezeit
Wie kein zweites Land steht Deutschland an der Seite Israels. Die bedingungslose Unterstützung für Vertreibung, Besatzung und Mord zieht sich durch alle Teile der deutschen Gesellschaft. So gehört sie auch zu unseren Schulen, so selbstverständlich wie rechte Lehrkräfte oder kaputte Toiletten. Doch auf welche Weise Schüler:innen zu Besatzungs-Fans erzogen werden, hat sich verändert und geschieht auf anderen Ebenen als an den Universitäten. Und genau wie die Geschichte der Unterdrückung Palästinas entstand diese Indoktrinierung lange vor dem 7. Oktober 2023.
Wenn es an Schulen um Palästina geht, dann nur unter dem Label „Nahostkonflikt“. Dieses Wort wird nicht zufällig verwendet: es soll suggerieren, es würde sich um eine Auseinandersetzung auf Augenhöhe handeln. Doch diese Erzählung ist falsch: Israel besetzt große Teile Palästinas. Palästinenser*innen sind in Israel Menschen zweiter Klasse. Diese Verharmlosung ist kein Zufall: sie dient dazu, die Unterdrückung Palästinas unsichtbar zu machen, um Israel von seinen Verbrechen reinzuwaschen. Über die Unterdrückung Palästinas selbst wird in der Schule nicht gesprochen.
Selbst unter dem Label des „Nahostkonflikts“ findet meist keine Auseinandersetzung statt: Bayern ist das einzige Bundesland, in dem sich damit beschäftigt werden muss. In Berlin und Brandenburg wird die Beschäftigung empfohlen, in den anderen Bundesländern wird das Thema nur als mögliches Beispiel für einen internationalen Konflikt genannt.
Dieses Schweigen ist nicht zufällig: vor dem 7. Oktober 2023 war es Deutschlands Taktik, Schweigen um die Unterstützung Israels zu legen, um nicht über das Leid reden zu müssen, an dem Deutschland bis heute gut verdient. Wenn kein:e Schüler:in das Thema aufbringt, wird auch nicht darüber gesprochen. Denn wenn keine:r von der Unterdrückung Palästinas weiß, gibt es auch keinen Widerstand. So wurde vor dem 7. Oktober 2023 an den meisten Schulen gar nichts zu Palästina unterrichtet.
In Bayern war das anders: Hier wurde auf eine andere Strategie gesetzt, die in anderen Bundesländern nach dem 7. Oktober noch wichtig wird. Der angebliche „Konflikt“ sei nur zu verstehen, wenn man ihn „unter der Berücksichtigung historischer Entwicklungen, Entscheidungen und Interessen“ sieht. Als geschichtliche Entwicklung werden im Lehrplan die Staatsgründung Israels und die sogenannten „Friedensprozesse“ in den 1990ern angeführt. Letztere verdienen den Namen „Friedensprozesse“ nicht, denn eine Zweistaatenlösung, wie sie damals diskutiert wurde, war nie realistisch und würde die Unterdrückung der Palästinenser:innen kein Ende bereiten. Die Geschichte wird hier vor allem aus der Perspektive Israels erzählt, denn das Wort Nakba fällt an keiner Stelle. Indem die Perspektive des Unterdrückers ins Licht der Aufmerksamkeit gerückt wird, soll vermittelt werden, dass Frieden nicht möglich wäre – das hätte man ja in der Geschichte gesehen. So wird die Unterdrückung gerechtfertigt.
Die deutsche Erzählung zu Palästina hat ein Lieblingswort: „komplex“. Die Lehrpläne aus Berlin, Bayern und Brandenburg können nicht aufhören, zu betonen, wie „komplex“ dieser Konflikt sei. Aber diese Behauptung stimmt nicht: Deutschlands Erzählung ist nur deshalb so „komplex“, weil es schwierig ist, die Unterdrückung Palästinas zu rechtfertigen. Zudem ist das Ziel, Überforderung bei den Schüler:innen auszulösen, so dass diese sich nicht mehr trauen, etwas zu sagen. Damit hält man Schüler:innen davon ab, sich zu positionieren und gegen Deutschlands Israelunterstützung aktiv zu werden. Wir sollen glauben, dass wir die Analysen lieber vermeintlichen „Expert:innen“ überlassen sollten. Zusätzlich werden Palästinenser:innen selbst zum Schweigen gebracht, weil auch diesen der Status als Expert:in grundsätzlich abgesprochen wird.
Die Gründung des Staates Israel war nur möglich durch die Unterdrückung des palästinensischen Volkes, durch Vertreibung, Besatzung und Mord. Das abzulehnen ist nicht komplex.
Alle, die sich gegen die Erzählungen Deutschlands zur Wehr setzen, werden mit Lügen bombardiert und als Antisemit:innen dargestellt. So heißt es in einem Text von Berlin und Brandenburg aus dem Jahr 2019 zur Erkennung von „Antisemit:innen“: „Auch eine Delegitimierung oder Dämonisierung Israels, mit der die Existenz Israels als Staat infrage gestellt würde, überschreitet nach diesem Verständnis die Grenze zu antisemitischen Argumentationen.“ Doch ohne ein Ende des israelischen Nationalstaates kann es keine Freiheit für Palästina geben, denn jeder Meter des israelischen Gebiets wurde von Israel zuvor geraubt und besetzt.
All diese Strategien spiegeln sich in unseren Schulbüchern wider, die den Konflikt kaum darstellen. Wenn sie es doch tun, dann wird so getan, als würde es sich um einen religiösen Konflikt handeln, oder es werden die Perspektiven der Besatzungsmacht abgedruckt. Um das zu gewährleisten, gibt es die Deutsch-Israelische Schulbuchkommission. Diese verfolgt das Ziel, Schulbücher in Deutschland und Israel zu analysieren, gemeinsame Empfehlungen zur Verfügung zu stellen und zu Korrekturen anzuregen. Die Besatzungsmacht Israel darf also in Deutschland Empfehlungen zu seiner eigenen Darstellung machen. Damit das auch alles klappt, gibt es dafür Geld vom Auswärtigen Amt und vom israelischen Erziehungsministerium. Die erste Empfehlung dazu kam bereits in den 1980ern: damals wurde kritisiert, dass Israel zu kurz kommt und die palästinensische Seite in den meisten Schulbüchern als Opfer dargestellt werde. Damit bestätigt die Kommission ihr Ziel: mehr israelische Propaganda in unsere Klassenzimmer zu holen. Erst 2015 hat die Kommission erneut Empfehlungen dieser Art abgegeben.
Der 7. Oktober 2023 stellte nicht nur den Beginn eines Genozids am palästinensischen Volk dar. Er stellt auch den Beginn einer massiven Repressionswelle gegen alle palästinasolidarischen Kräfte dar: auf der Straße schlugen uns Bullen die Fresse, weil wir Kufiya trugen, und auch an den Schulen änderte sich die Taktik. Das Schweigen, das bislang an fast allen deutschen Schulen geherrscht hatte, konnte nicht länger aufrechterhalten werden. Als am 9. Oktober ein Schüler in Berlin eine Palästina-Fahne zeigte, wurde er von einem seiner Lehrer angegriffen und geschlagen. Das Verfahren gegen den Lehrer wurde eingestellt. Dieser Tag markiert einen Wendepunkt in Deutschlands Schulen: nun wird nicht mehr nur geschwiegen, gelogen und vertuscht, sondern hier wird Palästina-Solidarität gezielt angegriffen.
Infolge des Angriffs wurde es Berliner Schulen gestattet, palästinensische Symbole zu verbieten, darunter auch die Kufiya. Ziel der Maßnahme ist, Palästina-Solidarität aus den Schulen fernzuhalten. Es ging aber auch darum, den rassistischen Angriff als gerechtfertigt dastehen zu lassen.
Wenig später folgte ein weiterer Angriff: die Berliner CDU wollte in Neukölln dafür sorgen, dass in den Schulen eine Broschüre mit dem Namen „Mythos Nakba“ behandelt wird. Diese Broschüre sollte die brutale Vertreibung und Auslöschung des palästinensischen Volkes seit 1948 als Mythos darstellen. Hier können wir die Durchsetzung israelischer Interessen an Schulen klar erkennen.
Solche Angriffe gab es nicht nur in Berlin: die Kultusministerkonferenz (KMK), die darüber entscheidet, was wir lernen, machte schon wenige Tage nach dem 7. Oktober klar, dass sie fest an der Seite Israels steht. Im März 2024, als der Genozid bereits in vollem Gange war, flogen Teile der KMK sogar nach Israel, um sich solidarisch zu zeigen. Außerdem begann die KMK damit, Lehrkräfte zu „schulen“. Unter anderem wurde eine Broschüre von „Demokratie leben“ empfohlen. Die Broschüre gibt Tipps dazu, wie man mit Schüler:innen umgehen sollte, die Aussagen wie „Free Palestine“ bringen. Laut der Broschüre gilt es, diese zu tolerieren, aber ihnen klarzumachen, dass das Existenzrecht Israels unverhandelbar ist. Außerdem schlug die KMK vor, Schüler:innenaustausche zwischen deutschen und israelischen Schulen zu fördern, die an manchen Schulen bereits Tradition haben – inklusive fröhlichen Klassenfotos an den Apartheidmauern.
Diese Verherrlichung Israels an Schulen ist kein Zufall. Die Funktion der Schule ist es, uns Schüler:innen auf die kapitalistische Gesellschaft vorzubereiten. Das heißt, wir sollen dafür bereit gemacht werden, uns auf dem Arbeitsmarkt ausbeuten zu lassen. Aber auch die kapitalistischen Werte wie Rassismus, Sexismus und Queerfeindlichkeit sollen uns beigebracht werden. Die Unterdrückung des palästinensischen Volkes ist Deutschland so wichtig, dass uns das schon in der Schule beigebracht wird. Gleichzeitig nimmt die Jugend in der palästinensischen Bewegung eine Schlüsselrolle ein: militant und konsequent kämpft sie für die Befreiung Palästinas. Diese Motivation kommt daher, dass sie noch nicht so viele Niederlagen erlitten hat wie ältere Bewegungen.
Um zu verhindern, dass wir weiter zu Zionist:innen erzogen werden, müssen wir deutlich hervorheben, wo konkret Genozidunterstützung passiert, auch wenn sie nicht auf den ersten Blick sichtbar ist. Die Unterstützung Deutschlands für den Genozid geschieht vor allem auf wirtschaftlicher, militärischer und ideologischer Ebene. Um den Genozid zu stoppen, müssen wir der Genozidunterstützung auf allen drei Ebenen den Kampf ansagen.
Wir Schüler:innen müssen uns zusammenschließen und Druck auf die Schule ausüben, bis über diesen Genozid und die Unterdrückung des palästinensischen Volkes aufgeklärt wird. Dabei dürfen wir uns nicht auf die Unterstützung der Schulleitung verlassen, denn ihre Aufgabe ist es, die Interessen des Staates an der Schule umzusetzen. Die Organisierung an jeder Schule ist das Wichtigste. Aber wir müssen uns auch schulübergreifend zusammentun, um gemeinsam mit Schulstreiks und -besetzungen für ein Ende deutscher Genozidunterstützung einzutreten.
Ein Ende der Genozid-Unterstützung heißt:
Quellen:
(1) https://www.kmk.org/aktuelles/artikelansicht/bildungsministerkonferenz-verabschiedet-erklaerung-zum-jahrestag-des-ueberfalls-auf-israel.html
(2) https://www.demokratie-leben.de/dl/projektpraxis/magazin/der-nahostkonflikt-im-unterricht-und-schulalltag-252124
(3) https://www.lehrplanplus.bayern.de/fachlehrplan/lernbereich/119140
(4) https://www.lto.de/recht/nachrichten/n/ag-berlin-tiergarten-246acs106224-gewalt-schulhof-lehrer-palaestina-flagge
(5) https://bildungsserver.berlin-brandenburg.de/fileadmin/bbb/unterricht/faecher/gesellschaftswissenschaften/ethik/Dossier_Der_Nahostkonflikt_in_Unterricht_und_Schule.pdf
(6) https://www.gei.de/wissenstransfer/internationale-schulbucharbeit/deutsch-israelisch
(7) https://de.wikipedia.org/wiki/Deutsch-Israelische_Schulbuchkommission