Stellungnahme zu den erneuten Vorwürfen des Jüdischen Forums für Demokratie und gegen Antisemitismus (JFDA)

Zuerst einmal begrüßen wir, dass sich das JFDA die Zeit genommen hat, auf unsere Stellungnahme zu reagieren. Leider tauchen in ihrer Antwort jedoch wieder eine Fülle von Vorwürfen und Anschuldigungen gegen uns auf, die wir im Sinne einer konstruktiven politischen Debatte für sehr unsolidarisch und zum Großteil für einfach falsch halten.
In diesem Antwortschreiben wollen wir den Blick jedoch vorerst weg vom sogenannten „Nahost-Konflikt“ und hin zu den aktuellen Geschehnissen in der BRD lenken: Hier haben wir es nämlich mit einer aufstrebenden rassistischen Bewegung zu tun, die sich mittlerweile zu einem riesigen Sammelbecken für Rassist_Innen, Antisemit_Innen, Sexist_Innen, Homophobe und sonstige reaktionäre Subjekte entwickelt hat. Im Schatten dieser Bewegung und der ökonomischen Verhältnisse aus denen sie entsprungen ist, durchzieht ein ideologischer Rechtsruck die gesamte Gesellschaft, der sich ganz praktisch in immer mehr rassistischen Gesetzen gegen Geflüchtete und täglichen Gewalttaten gegen Migrant_Innen, Geflüchtete und ihre Unterkünfte äußert. Diese Bewegung ist eine große Gefahr für uns alle, deshalb sollte es doch im Sinne von uns Jugendlichen, Lohnabhängigen, Linken und von Rassismus, Antisemitismus, Sexismus, Homophobie betroffenen Menschen sein, uns dieser Bewegung in den Weg zu stellen!


REVOLUTION setzt sich deshalb für den Aufbau einer bundesweiten Einheitsfront aller Unterdrückten ein, um den Rassist_Innen massenhaft und mit sozialen Forderungen entgegenzutreten. Als Jugendorganisation wollen wir dafür vor allem Schüler_Innen, Studierende und Azubis mobilisieren. Durch die konkrete Arbeit an unseren Schulen wollen wir über Rassismus aufklären, antirassistische Arbeit an die Schule tragen, uns gegenseitig bei unseren Projekten unterstützen und durch die Aktionsform des Schulstreiks Druck auf den Staat ausüben.


Was hat das JFDA dem aktuellen Rechtsruck und den daraus resultierenden Angriffen auf uns alle entgegenzusetzen? Anstatt unsere antirassistische Praxis zu begrüßen (die vergangenen Refugee Schul- und Unistreiks haben die größten bundesweit-koordinierten antirassistischen Mobilisierungen in diesem Jahr dargestellt) beleidigt uns das JFDA als Antisemit_Innen und stellt uns zusammen mit den Nazis in eine Ecke. Wir werden uns von solchen Anschuldigungen nicht einschüchtern lassen! Wo andere nur beleidigende Facebook-Posts und kruden Diskussionen verfassen, wollen wir massenhafte antirassistische Aktionen organisieren; zusammen mit allen Organisationen der Linken und der Arbeiter_Innenklasse!


Die Zeit, die wir in unsere antirassistische Arbeit stecken könnten, müssen wir nun in das Verfassen seitenlanger Stellungnahmen stecken, um uns gegen solche Angriffe zu verteidigen. Ihr findet also im Folgenden jeweils eine kurze Erörterung zu den einzelnen Vorwürfen des JFDA gegen uns (müsst ihr euch nicht geben, der erste Teil ist wichtiger):


  1. Zu allererst möchten wir klarstellen, dass wir uns sehr freuen, dass uns viele Menschen im Dialog mit dem JFDA verteidigt haben. Jedoch stellen lediglich die offiziellen Stellungnahmen vom REVOLUTION-Facebookaccount unsere Organisationsposition dar. Die Stellungnahme des JFDA bezieht sich in seiner Kritik in vielen Punkten auf Kommentare, die nicht von unserer Organisation verfasst wurden. Wir sehen ebenso davon ab, das JFDA für die vielen vor antimuslimischem Rassismus strotzenden Kommentare, die Unterstützer_Innen ihrer Position auf Facebook verfasst haben, anzugreifen.

  2. Revolution „missbraucht“ den Schulstreik nicht sondern hat diesen als eine der tragenden Kräfte mitorganisiert. Eine unserer Kernforderungen ist dabei die Bekämpfung von Fluchtursachen. Darunter verstehen wir vor allem einen Kampf gegen die bestehende Aufteilung der Welt unter den führenden Industrienationen, die in vielen Ländern Krieg, Armut und Ausbeutung produziert. Die Unterstützung nationaler Befreiungsbewegungen ist ein integraler Bestandteil dessen. Ebenso unterteilen wir Geflüchtete nicht in „gute“ und „schlechte“ Geflüchtete sondern lassen die Millionen palästinensischen Geflüchtete dabei nicht außer Acht.

  3. Den sogenannten „3-D-Test“ von Natan Scharanski (Politiker der rechts-nationalkonservativen Regierungspartei in Israel „Likud“) zur Identifizierung von Antisemitismus halten wir für ideologisch und nicht wissenschaftlich. Das JFDA wirft uns gemäß dieses „Tests“ vor, dass die Bezeichnung der sporadischen Unterkünfte palästinensischer Geflüchteter als Flüchtlingslager antisemitisch sei. Flüchtlingslager mit unmenschlichen Lebensbedingungen existieren nicht nur in den palästinensischen Gebieten und den umliegenden Staaten sondern mittlerweile überall auf der Welt. Die Bezeichnung dieser Orte als Flüchtlingslager stellt in unseren Augen keinerlei Bezug zum Nationalsozialismus her und sollte auch nicht so verstanden werden. Im Gegenteil: Eine Gleichsetzung zwischen israelischer Besatzung und dem Nationalsozialismus, wie sie uns das JFDA unterstellt, haben wir an keiner Stelle getätigt und würden diese aus verschiedenen Gründen auch für zutiefst falsch halten.
    Unsere Kritik am Zionismus enthält ferner keine Doppelstandards sondern ist Konsequenz unserer internationalistischen Ausrichtung und der Solidarität mit nationalen Befreiungsbewegungen (ob kurdisch, palästinensisch, belutschisch, in der Westsahara, …). Unser Schwerpunkt ist dabei übrigens die „Deutschland-Kritik“, denn für uns „steht der Hauptfeind stets im eigenen Land“. Das deutsche Kapital und der israelische Staat sind zudem dicke Investitionspartner_Innen (insbesondere wenn es um gemeinsame Rüstungsgeschäfte geht), schon deshalb sind sie Subjekte unserer Kritik.

  4. Im Statement des JFDAs findet sich keine einzige Erwähnung der israelischen Besatzung. Der Terror, der Rassismus und die Diskriminierung gegenüber der palästinensischen Bevölkerung in Westbank und Gaza wird hier hinter ausgesuchten Privilegien, die Palästinenser_Innen mit israelischer Staatsbürgerschaft genießen, versteckt. Dass „die einzige Demokratie im Nahen Osten“ 4,6 Millionen Palästinenser_Innen hinter Mauern und Sperranlagen einsperrt, Städte zerbombt, Atommacht ist, Häuser mit Panzern zerstört, so gut wie keine Geflüchteten aufnimmt und massive bürokratische Angriffe auf arabische und sozialistische Oppositionsparteien fährt, wird hier gekonnt ignoriert.

  5. Die Aussage, dass wir behaupten würden, Jüdinnen und Juden seien selbst am Antisemitismus schuld, ist ebenfalls eine böse Unterstellung. Antisemitismus betrachten wir, wie Rassismus im Allgemeinen auch, als Überbau der kapitalistischen Produktionsweise, welcher als ideologisches Spaltungsinstrument allein den Interessen der herrschenden Klasse dient. Der Kampf gegen Antisemitismus und Rassismus muss deshalb ein Kampf gegen den Kapitalismus sein! Diesen führen wir nicht wie das JFDA über Facebook oder krude Blogeinträge sondern ganz praktisch auf der Straße und durch den Aufbau von Basisstrukturen. Theoretisch berufen wir uns dabei insbesondere auf Kommunist_Innen mit jüdischen Wurzeln wie Leo Trotzki, Rosa Luxemburg oder Abraham Leon. So wie es diese bedeutenden Figuren der Arbeiter_Innenbewegung auch getan haben, treten wir ebenso für eine strikte analytische Trennung zwischen Judentum und Zionismus ein, wie im vorangegangen Statement und unseren Artikeln zu dieser Frage bereits mehrfach erläutert wurde.
  6. Die Gewalttaten im Zuge einer sogenannten „Messer-Intifada“ (Begriff ist der Stellungnahme des JFDA entnommen) finden wir auch schrecklich und unterstützen in keinem Fall Angriffe auf Zivilbevölkerung. Dennoch findet sich auch hier keine Erwähnung von den tausenden palästinensischen Zivilist_Innen, die durch die regelmäßigen israelischen Bombardements des Gaza-Streifens zu Tode kamen.

  7. Was die Rufe nach einer „Intifada“ vom Revo-Lauti auf dem Schulstreik angehen, scheint hier ein Missverständnis vorzuliegen: Der arabische Begriff „Intifada“ leitet sich vom Verb „intafada“ ab und bedeutet so viel wie „sich erheben“. Zumal wir den palästinensischen Widerstand gegen die Besatzung objektiv als legitim betrachten und solidarisch sind, ist unsere Perspektive einer Intifada ein sich Erheben im sozialistischen Sinne. So treten wir für den Aufbau einer Massenbewegung gegen die Besatzung aus jugendlichen und lohnabhängigen Palästinenser_Innen und Israelis ein. Ziel derer muss die Errichtung eines säkularen multi-ethnischen Arbeiter_Innenstaates sein, in dem Atheist_Innen, Muslime, Jüdinnen und Juden, Christen und Drusen friedlich, frei, gleich und ohne Angst miteinander leben können. Das ist kein Antisemitismus sondern die einzige Alternative! Wer den status quo verteidigt, beschützt keinen Schutzraum für Jüdinnen und Juden sondern tritt in letzter Konsequenz für Rassismus, Grenzen, Krieg, Terror und Ausbeutung ein.

  8. In der Antwort des JFDA wurde bereits angedeutet, dass in Israel insbesondere „Menschen aus ärmeren Schichten“ (Zitat) durch ihre stärkere Präsenz im öffentlichen Raum von tödlichen Angriffen betroffen sind. Der Grund dafür wird nicht genannt: auch der israelische Staat ist – wie jeder andere bürgerliche Nationalstaat auch – eine Klassengesellschaft. Auch die israelische Gesellschaft teilt sich in zwei Klassen, von denen sich die herrschende stetig an der Lohnarbeit der ausgebeuteten Klasse und gleichzeitig an der Besatzung der Palästinenser_Innen bereichert. Auch innerhalb der israelischen Gesellschaft findet sich ein massives Arm-Reich-Gefälle, welches zudem durch riesige staatliche Investitionen in Militär und Besatzung und eine Vernachlässigung sozialer Ausgaben verstärkt wird. Eine drastische Wohnraumknappheit und ein ausgeprägter Rassismus gegenüber den nicht-weißen jüdischen Migrant_Innengruppen
    „Mizrachim“ (aus den umliegenden arabischen Ländern) und „Falasha“ (aus Äthiopien) verschärfen die soziale Spaltung.

Der Zionismus dient also mit seiner antipalästinensischen Haltung und dem israelischen Nationalismus allein den Interessen der herrschende Klasse Israels (so wie jeder Nationalismus den Interessen des nationalen Kapitals dient), die Ausbeutung und Diskriminierung hinter dieser völkischen Ideologie verschleiern kann. Obwohl die israelische Arbeiter_Innenklasse aktuell ein anderes Volk unterdrückt, treten wir auch für ihre Befreiung von Ausbeutung und Unterdrückung ein (diese Frage scheint dem JFDA auch ziemlich egal zu sein). Um sich von der herrschende Klasse zu emanzipieren, muss das israelische Proletariat jedoch zuerst mit dem Zionismus brechen und erkennen, dass das palästinensische Proletariat und alle revolutionären Bewegungen in der Region seine natürlichen Verbündeten im Kampf für eine freie und gleiche Gesellschaft darstellen.


Zu den Vorwürfen des Antisemitismus

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