Wir müssen endlich im großen Stil Abschiebungen verhindern!

Gegen jede Abschiebung – Gegen Spaltung zwischen Geflüchteten!

von Jona Everdeen, Juli 2024

Drei geplante Abschiebungen sorgten letzte Woche für öffentliche Empörung und konnten durch Protest vorerst verhindert werden. So sehr wir uns darüber freuen: Wir müssen uns die Frage stellen, wie wir endlich alle Abschiebungen beenden können.

Abschiebungen durch Proteste gestoppt

Abschiebungen in den Iran, gerade von Oppositionellen, sind keine Ausnahme. Für besondere Wut sorgte die drohende Abschiebung einer 17-jährigen iranischen Kurdin und ihrer Großmutter durch ein Flughafenverfahren. Das ist ein Verfahren, bei dem innerhalb von zwei Tagen entschieden wird, ob eine Person einreisen darf oder nicht. Das geschieht auf willkürlicher Basis und dient dazu, längere rechtliche Asylverfahren zu unterbinden. Ein längeres Verfahren wurde abgelehnt, weil die zuständigen Beamt:innen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge meinten, der Anspruch auf Asyl sei „offensichtlich unbegründet“ und ihr würde „im Iran keine Gefahr drohen“.

Den Schreibtischtäter:innen war egal, dass die Jugendliche an den Protesten gegen das Mullah-Regime vor bald 2 Jahren beteiligt gewesen war. Im Iran drohen Aktivist:innen wie ihr schwere Strafen bis zur Hinrichtung. Deshalb protestierten Menschenrechtsaktivist:innen und Poliker:innen gegen die drohende Auslieferung an das Terrorregime. Am Ende musste das Innenministerium einschreiten und den beiden die Einreise gewähren.

Für Unverständnis sorgte auch der Fall von Robert A. Bevor seine aus Serbien stammenden Eltern nach Deutschland kamen, wurde er in den Niederlanden geboren. Der 31-jährige lebt seit 30 Jahren in Chemnitz. Dort ging er zur Schule und lernte einen Beruf. Arbeiten durfte er nicht, die Ausländerbehörde verweigerte es. Jetzt soll er nach Serbien abgeschoben werden, ein Land, in dem er nicht geboren wurde und dessen Sprache er nicht spricht. Zu Gute kam Robert, dass er sich in der Vergangenheit für die Grünen engagiert hatte. Diese organisierten gemeinsam mit dem Flüchtlingsrat Proteste in Dresden und Chemnitz und forderten, dass Robert bleiben darf. Das sächsische Innenministerium erfüllte die Forderungen vorerst und reichte einen Antrag bei der Härtefallkommission ein, um die Abschiebung zu stoppen.

Im Fall von Joel, einem 18-jährigen Abiturienten aus Hamburg, wurde bereits entschieden, dass er bleiben darf. Mit seiner Volljährigkeit war sein Aufenthaltstitel abgelaufen. Er sollte nach Ghana abgeschoben werden, getrennt von seinem Vater und seiner Schwester. Mitschüler:innen und eine Lehrerin protestierten dagegen und setzten eine Petition auf, die von 100.000 Menschen unterschrieben wurde. Größere Proteste hätten das Abschieberegime der rot-grünen Hamburger Regierung als Ganzes in Frage stellen können. Vermutlich aus Angst davor lenkte der Senat ein und empfahl einen Aufenthaltstitel gemäß der Härtefallregel. Die Begründung war, Joel sei so gut integriert, dass es falsch wäre, ihn abzuschieben.

Diese Fälle, in denen Abschiebung durch Proteste verhindert wurde, zeigen, was möglich ist, wenn Menschen sich zusammenschließen, um für ihre Mitschüler:innen, Kolleg:innen, Nachbar:innen und Freund:innen einzugestehen. Doch diese Siege dürfen nur der Anfang sein, um gegen die menschenfeindliche Asylpolitik von BRD und EU anzukämpfen. Auf die Unterteilung in „gute“ und „böse“ Ausländer:innen dürfen wir uns nicht einlassen. Jede Abschiebung ist falsch und muss gestoppt werden!

Es trifft immer „die Falschen“?

Die Fälle der letzten Woche haben eines gemeinsam: Es trifft Menschen, die sich in den Augen der deutschen Öffentlichkeit „gut integriert“ haben, oder die voraussichtlich „gut integrierbar“ sind. Klar gibt es zahlreiche ultra-reaktionäre Rassist:innen bei der AfD und beim Dritten Weg, die von Blut und Boden schwadronieren und für die keine Integration mustergültig genug sein kann. Doch die liberalen, sozialdemokratischen und Teile der konservativen Parteien lassen sich gnädigerweise zu Ausnahmen herab: Wer fließend Deutsch kann, einen guten Schulabschluss gemacht hat und brav arbeiten geht, der darf gerne bleiben.

Diese Logik folgt der Erkenntnis, dass Migrant:innen unabdingbar für die deutsche Wirtschaft sind: ohne migrantische Arbeitskräfte könnte sie ihre aktuelle Stärke unmöglich aufrechterhalten, geschweige denn weiterwachsen. Dass allzu viele wahllose Abschiebungen wirtschaftliche Interessen gefährden würden, ist der deutschen Bourgeoisie bewusst. Dementsprechend trugen große Teile der liberalen und konservativen Bourgeoisie die Empörung über die Deportationspläne der Potsdamer Konferenz mit.

Von der Bourgeosie werden Migrant:innen stets zu einem bestimmten Zweck eingesetzt: Als billige Arbeitskräfte, in Konkurrenz zu den gewerkschaftlich organisierten deutschen Arbeiter:innen. Für Migrant:innen ist es schwieriger als für Deutsche, sich über miese Arbeitsbedingungen zu beschweren und dagegen zu protestieren. Sobald sie das tun, sind sie keine „nützlichen“ Ausländer:innen mehr, keine „gut integrierten“. Mit der Abschiebung droht eine Repression, die für deutsche Arbeiter:innen von unbekannter Härte ist.

Bei wem die Ausbildung hin zur „nützlichen Arbeitskraft“ zu aufwändig wäre, oder wer die Anforderungen nicht erfüllt, der muss gehen. Dieser unmenschlichen Logik müssen wir aufs Schärfste widersprechen. Die Zwangsintegration in die Interessen des deutschen Kapitals zeigt deutlich, dass „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ nur eine hohle Phrase ist.

Offene Grenzen statt Überausbeutung!

Für das deutsche Kapital bedeutet „gute Integration“ die Disziplinierung zu braven Untertan:innen, die jeden Scheißjob widerspruchslos hinnehmen, egal wie scheiße die Bezahlung ist und wie viele Überstunden geleistet werden müssen. Wir halten mit noch so vielen Überstunden und noch so schlechter Bezahlung widerspruchslos hinnehmen.

Dieser knallharten Brutalität halten wir eine andere Perspektive entgegen: offene Grenzen und Staatsbürger:innenrechte für alle, dort wo sie leben! Diese Forderung steht im Widerspruch zum Kapitalismus, denn dieser ist in seinem höchsten Stadium, dem Imperialismus, darauf angewiesen, ärmere Länder auszupressen. Daraus werden Extraprofite abgeschöpft, die durch die Ausbeutung der eigenen nationalen Arbeitskraft nicht erreichbar sind.

Diese Extraprofite entstehen aus der Überausbeutung der Arbeiter:innen und kleinen Bäuer:innen halbkolonialer Länder in Afrika, dem „Nahen Osten“, Süd- und Südostasien und Lateinamerika. Diese Überausbeutung ist darauf angewiesen, dass die Grenzen dicht sind. Denn wenn Menschen, die in Nigeria von deutschen Konzernen überausgebeutet werden, ohne Probleme nach Deutschland gehen könnten, dann würde das ganze System nicht funktionieren.

Schluss mit Nützlichkeitsrassismus!

Wir wollen eine Welt frei von Ausbeutung, in Deutschland, in Nigeria, überall auf der Welt! Eine Welt in der jede:r frei von ökonomischen Zwängen entscheiden kann, wo er oder sie leben will. Doch wie kommen wir dahin?

Für uns gilt es, an bestehende Kämpfe anzuknüpfen, um Strukturen zu schaffen, die Abschiebungen verhindern können. Wir müssen die Selbstorganisation Geflüchteter unterstützen und diese mit den Kämpfen der Arbeiter:innenbewegung zu verknüpfen. An die Gewerkschaften müssen wir die Forderung richten, Geflüchtete aufzunehmen. Dadurch wird ihnen ermöglicht, für ihre eigenen Rechte zu kämpfen, und es wird verhindert, dass die Bourgeoisie sie weiterhin als Lohndrücker:innen gegen deutsche Arbeiter:innen einsetzt.

An unseren Schulen müssen wir uns für gerechte und inklusive Bildung für alle organisieren. Es braucht Antidiskriminierungsstellen, die rassistische Unterdrückung bekämpfen, sowie die Aufhebung der Segregation in sogenannte „Willkommensklassen“. Sorgen wir gemeinsam dafür, dass keine:r unserer Mitschüler:innen mehr abgeschoben wird!

Wir wollen nicht, dass irgendjemand sich in die bürgerliche Ideologie von Leistungszwang und deutscher Leitkultur integrieren muss. „Desintegriert euch!“ steht groß an einer Hausfassade in Neukölln geschrieben. Das ist es, was wir allen migrantischen Arbeiter:innen und Jugendlichen ans Herz legen: den gemeinsamen Klassenkampf!

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