Care-Sektor: Warum die, die uns am Leben erhalten trotzdem so schlecht bezahlt werden

Sani Meier (REVOLUTION, Deutschland)

Spätestens seit Beginn der Corona-Krise wurde uns allen noch einmal mehr verdeutlicht, wie sehr wir auf die Arbeiter_Innen im Gesundheitssektor angewiesen sind und wie schlimm es eigentlich um diesen ganzen Bereich steht: Überstunden, viel zu niedrige Löhne, privatisierte Kliniken und mangelndes Personal sind hier nur ein paar der unzähligen Baustellen. Doch warum werden gerade die Menschen, die uns buchstäblich am Leben erhalten so schlecht bezahlt?

Was ist Care-Arbeit eigentlich?

Um diese Frage beantworten zu können, müssen wir uns zunächst einmal anschauen, was genau Care-, oder Sorgearbeit, eigentlich ist, denn hierzu zählt noch viel mehr als die Arbeit in Krankenhäusern. Generell fällt hierunter alles, was dem Erhalt menschlichen Lebens dient. Das ist also auch die Versorgung und Erziehung von Kindern, alten Menschen sowie Pflege- und Haushaltstätigkeiten wie u. a. Kochen, Putzen, Waschen und emotionale Fürsorge. Hier findet zudem eine Unterscheidung zwischen bezahlter und unbezahlter Arbeit statt. In Kliniken, Schulen, Kindergärten, Altersheimen oder ambulanten Pflegediensten wird gegen Lohn gearbeitet, während der größte Anteil unbezahlt und mehrheitlich von Frauen im Haushalt geleistet wird. Weltweit werden ungefähr 2/3 dieser unbezahlten Sorgearbeit von Frauen getragen, durchschnittlich verbringen Frauen 3,2-mal mehr Zeit damit. Care-Arbeit im privaten Haushalt wird also nicht mal wirklich als Arbeit angesehen, während in öffentlichen oder privaten Einrichtungen die Ausbeutung der Arbeiter_Innen kontinuierlich wächst. Somit stellt die Tatsache, dass man überhaupt für bestimmte Care-Tätigkeiten entlohnt wird, oft nur eine minimale Verbesserung für die Beschäftigten dar.

Der Charakter von Care-Arbeit im Kapitalismus

Die Entscheidung über Löhne und Arbeitsbedingungen ist dabei aber keine moralische, sondern basiert auf den Funktionsweisen des Kapitalismus. Alle Menschen, die selbst nicht das Kapital besitzen, um Produktionsmittel wie Fabriken, Maschinen etc. zu kaufen (Arbeiter_Innen), müssen ihre Arbeitskraft gegen Lohn an diejenigen verkaufen, die über dieses verfügen (Kapitalist_Innen). Letztere kaufen Arbeitskraft für einen gewissen Zeitraum mit der Absicht, das Produkt bzw. die Dienstleistung zu einem höheren Preis zu verkaufen als deren Kosten einschließlich der zur Reproduktion der benötigten Arbeitskraft. Diese Differenz nennen wir Mehrwert (Profit( für die Kapitalist_Innen. Dieser entsteht dadurch, dass Arbeiter_Innen nicht dann Feierabend machen können, wenn sie den Gegenwert ihres Lohnes erzeugt haben, sondern darüber hinaus weiterarbeiten müssen. Ab diesem Zeitpunkt wird unbezahlte Mehrarbeit geleistet, deren Wert sich die Kapitalist_Innen aneignen. Um diesen Profit möglichst effektiv zu maximieren, versuchen sie natürlich, die Lohnkosten so gering wie möglich zu halten. Da die Löhne aber dennoch hoch genug sein müssen, um die Arbeiter_Innen am Leben zu halten und den weiteren Verkauf ihrer Arbeitskraft zu sichern, wird ein Großteil der dafür benötigten Tätigkeiten (Reproduktionsarbeit) in die private und unbezahlte Sphäre in der „Freizeit“ der Beschäftigten ausgelagert. Warum manche reproduktive Arbeiten in öffentliche und private Hand gegeben werden, hat unterschiedliche Gründe. Auf der einen Seite profitieren Kapitalist_Innen auch davon, weibliche Arbeitskraft ausbeuten zu können, und Dinge wie eine einheitliche (Aus-)Bildung sind auch für manche Wirtschaftsbereiche notwendig. Das ist nicht immer besonders profitabel. Deshalb schreitet der Staat ein, um für das Kapital bestimmte Dinge umzusetzen, wo sich Unternehmen keinen (großen) Profit erhoffen können. Aber auch in Kriegssituationen kommt es oft zu einer Verstaatlichung der meisten reproduktiven Aufgaben, da die Arbeitskräfte fehlen und entlastet werden müssen. Andererseits wurden auch viele Fortschritte in Klassenkämpfen errungen. Im Care-Sektor (also Kinderbetreuung, Krankenhäuser u. ä.) haben von Beginn an hauptsächlich Frauen gearbeitet und da man erwartet hatte, dass ihre Beschäftigung mit Beginn der Ehe enden oder lediglich Nebeneinkommen zu dem des Mannes erwirtschaften würde, wurden Frauen von Anfang an schlechter bezahlt und ein Aufstieg in besser bezahlte Positionen (z. B. von der Krankpflegerin zur Ärztin) war lange nicht denkbar.

Doch obwohl Frauen heute fast selbstverständlich erwerbstätig sind, auch wenn sie heiraten, und es immer mehr Ärztinnen gibt, hat sich an der schlechten Bezahlung und den miserablen Arbeitsbedingungen wenig geändert. Wie kann das sein?

Die Ursache liegt im grundlegenden Verhältnis dieser Arbeit zum Kapital. Solange Reproduktionsarbeit (wozu private Kindererziehung ebenso zählt wie die Betreuung in der Kita) in staatlichen Einrichtungen geleistet wird, entsteht durch sie kein Mehrwert für das Kapital. Wenn es sich also nicht vermeiden lässt, diese Arbeiten außerhalb der Familie und des privaten Haushaltes zu verrichten, muss es eine andere Möglichkeit geben, damit Profit zu generieren: Privatisierung!

Privatisierung und Prekarisierung

Spätestens seit Einführung der Fallpauschale 2004 in Deutschland, welche für jedes Krankheitsbild eine durchschnittliche Bezahlung für die Behandlung festlegt, womit alles, was darüber hinausgeht, ein Defizit für die Klinik oder enormen Bürokratieaufwand bedeutet, sahen sich viele Kommunen gezwungen, ihre Kliniken an private Unternehmen zu verkaufen. Seit 1991 ist die Zahl der privaten Klinken um 70 % gestiegen und über 320 % mehr privatisierte Betten sind seitdem entstanden. Das führt dazu, dass vor allem die Behandlungen durchgeführt werden, die am meisten Profit bringen und im Gegenzug möglichst viel Geld beim Personal eingespart wird, um konkurrenzfähig zu bleiben. Kein Wunder also, dass allein zwischen 2002 und 2006, also rund um die Einführung der Fallpauschalen und den Beginn der Privatisierungswelle, circa 33.000 Vollzeitstellen in der Pflege wegfielen. Aktuell fehlen rund 100.000 Vollzeitstellen. Pflegekräfte arbeiten momentan rund 10 Jahre lang in ihrem Beruf, bevor sie wegen Überlastung eine neue Beschäftigung suchen.

Was tun?

Es ist also vor allem der Druck, Profit im Care-Sektor zu generieren, welcher letztendlich sowohl den Beschäftigten schadet als auch den Patient_Innen und damit der gesamten Bevölkerung. Wir fordern deshalb, dass der Care-Sektor nach den Bedürfnissen derer ausgerichtet werden muss, die er versorgt und die darin arbeiten. Dazu braucht es auf der einen Seite die Entprivatisierung und Neuorganisierung öffentlicher Einrichtungen unter Arbeiter_Innenkontrolle wie auch die Vergesellschaftung der privaten Reproduktionsarbeit in Form von öffentlichen Wäschereien, Küchen, Kitas etc. Diese Forderungen können aber letztendlich nicht vollständig im Rahmen des kapitalistischen Systems realisiert und müssen deshalb immer als Teil einer revolutionären gesellschaftlichen Umwälzung gesehen werden, die das Ziel hat, den Kapitalismus zu überwinden. Bis dahin muss es aber auch unsere Aufgabe sein, für konkrete Verbesserungen im Hier und Jetzt zu kämpfen wie zum Beispiel: Die Offenlegung aller Geschäftsbücher und damit volle Einsicht der Beschäftigten in Kosten und Einnahmen ihrer Betriebe

  • Die Verstaatlichung und den Ausbau des gesamten Care-Sektors unter Kontrolle der Beschäftigten, Patient_Innen, Gewerkschaften und Arbeiter_Innen, finanziert durch die Besteuerung der Reichen!
  • Mehr Planungssicherheit und Wertschätzung für Care-Berufe! Das heißt: höhere Löhne, verringerte Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich und mehr Personal in sämtlichen Pflegebereichen!
  • Das Ende der Fallpauschalen! Für eine Behandlung, die an der Gesundheit und den Bedürfnissen der Patient_Innen ausgerichtet ist und nicht am Profit privater Konzerne!

Quellen:

https://www.ilo.org/wcmsp5/groups/public/—dgreports/—dcomm/—publ/documents/publication/wcms_633166.pdf

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