Frauen in China: die „Verliererinnen“ des Aufschwungs?

Resa Ludivien, Unterstützerin Revolution Deutschland, Fight, Revolutionäre Frauenzeitung Nr. 8, März 2020

Die Situation von und für Frauen in China hat sich in den letzten Jahren sehr verändert, was vor allem daran liegt, dass es eine Neuorientierung der chinesischen Politik mit der Wahl Xi Jinpings zum Staatspräsidenten gab. Doch schaut man sich die Entwicklungen der letzten 100 Jahre an, erscheinen die Veränderungen –Kämpferinnen im Krieg, wichtiger Teil der chinesischen Planwirtschaft, zurück an den Herd verdammt – besonders gravierend.

Gerade Frauen, die nach der neuen chinesischen Politik nicht (mehr) ins Weltbild passen, haben es in China immer schwerer. Dazu gehören nicht nur weiterhin Aktivist_Innen für Frauenrechte, solche, die der heteronormativen Norm entsprechen, sondern auch zunehmend muslimische Frauen sowie Frauen, die selbst über ihre Zukunft entscheiden wollen und deswegen keine Familie oder Kinder anstreben oder selbst einen Anteil am chinesischen Aufschwung einfordern. Man könnte daher glatt die Frage in den Raum stellen, ob sie nicht die „Verlierinnen“ des Aufschwungs und der Politik Xi Jinpings sind und zukünftig auch sein werden.

Doch zunächst muss geklärt werden, woher die heutigen Besonderheiten Chinas herrühren. Genauso wie in anderen (Groß-)Reichen, vor allem in Asien, gab es in China eine andere Form der vorkapitalistischen Wirtschaft als Antike bzw. Feudalismus. Marx und Engels nannten sie asiatische Produktionsweise, doch kam sie auch in anderen Erdteilen vor (z. B. Mittel- und Südamerika). Auffällig ist, dass der „Staat“, sprich der jeweilige Herrscher und seine Beamten, eine wichtige Rolle in Produktion und Handel spielte. Gründe für diese starke Stellung waren die Größe der damaligen Flächenstaaten, aber auch klimatische Verhältnisse, die stets zwischen Dürre und Überschwemmungen schwankten und deshalb eine zentrale Bewässerungswirtschaft erforderten. Um Anbau von Nahrung und Produktion anderer Güter zu ermöglichen, brauchte man zuverlässige Verantwortliche, die sich u. a. um das Bewässerungssystem des Landes kümmern. Kein Wunder also, dass sich in diesen Ländern eine starke bürokratische Elite entwickelt hat, die die Produktionsmittel verwaltete. Im alten Ägypten waren es die Pharaonen und die Priesterkaste und im vormodernen China der Kaiser und seine Beamten (Mandarine). Allerdings konnten dies nur Männer werden, genauer gesagt Männer aus reichen Familien. Ein solcher Posten bedeutete nicht nur sozialer Aufstieg, sondern natürlich auch Macht. In den Quellen aus der Vormoderne spielen Frauen in China nur eine geringe Rolle, weswegen wir heute vor allem die erniedrigende Praxis des Füße Bindens mit ihrer Stellung in Verbindung bringen. Allerdings ist gewiss, dass trotz des patriarchalen Systems Frauen aus der Klasse der Bäuerinnen und Bauern stark am Produktionsprozess in Haus und Hof sowie auf den Feldern beteiligt waren.

Zwischen Fortschritt und Rückschritt

Als 1949 die Volksrepublik China gegründet wurde, wurde die Gleichheit zwischen Männern und Frauen in der Verfassung niedergeschrieben. Nicht nur, weil jene, die sich selbst als Kommunist_Innen sehen, wissen, dass ein Sozialismus nur mit Frauenbefreiung einhergehen kann, sondern auch, weil sie beim Aufbau des neuen Staates gebraucht wurden. Natürlich war auch damals die Frau gesellschaftlich noch nicht gleichgestellt, sodass in der Verfassung mehr ein Ziel formuliert wurde, als es je unter der Herrschaft der KP Chinas Wirklichkeit wurde. Doch 70 Jahre später und nach der ab Ende der 1970er Jahre eingeleiteten wirtschaftlichen Neuorientierung, die zwar den Lebensstandard insgesamt gehoben hat, hat sich die Lage der Frau in den letzten Jahren verschlechtert.

Ab dieser Zeit wurde die Restauration des Kapitalismus in der VR China eingeleitet. Dieser spielte ab Beginn der 1990er Jahre wieder die bestimmende Rolle im Land. Schon vor der letzten Weltwirtschaftskrise war China in die Reihen der imperialistischen Großmächte aufgerückt, was sich heute im Hauptkonflikt zwischen China und den USA niederschlägt. Davor, seit dem Korea-Krieg, war die VR China ein von Beginn an bürokratisch degenerierter ArbeiterInnenstaat ähnlich der UdSSR, Osteuropa, Nordkorea und Kuba. Die Mehrheit der Bevölkerung stellte aber bei Weitem die Bauern- und Bäuerinnenschaft.

„Gender Pay Gap“, die Lohnschere zwischen Männern und Frauen, spielt auch in China eine Rolle. War China 2008 noch auf Platz 57, was diese Ungleichheit angeht, lag sie im Jahr 2017 nur noch auf Platz 100. Noch schlechter schnitten Frauen mit Kind in China ab. Ist der Negativmaßstab 42 % weniger Lohn für Mütter, beträgt er für kinderlose Frauen immerhin 37 %. Und dies, obwohl es mittlerweile eine Vielzahl von sehr gut ausgebildeten Frauen in China gibt. Diese Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt führt dazu, dass Frauen entweder in die ökonomische Abhängigkeit von ihrem Ehepartner gedrängt werden, der sie aufgrund fehlenden Geldes nur schwer wieder entfliehen können, oder aber in die Schwarzarbeit, zu menschenunwürdigen Bedingungen. Letzteres trifft gerade auf arme Frauen und den Großteil der weiblichen Landbevölkerung zu – eine Gruppe, die, wenn sie in die Städte geht, um Arbeit zu suchen, in China sowieso schon unabhängig vom Geschlecht kriminalisiert ist.

Die Restauration des Kapitalismus seit Mitte der 1970er Jahre hat sich also negativ ausgewirkt. Die Bestrebungen Xi Jinpings, China zur weltweit dominierenden imperialistischen Macht zu machen, also den USA ihren Rang abzulaufen, haben ihr Weiteres dazu getan. Sein nationalistisches und militärisches Programm ist dabei ebenso zu nennen wie seine neue Wirtschaftspolitik. Die chinesische Wirtschaft wird heute vor allem von Industrie und vom Dienstleistungsgewerbe dominiert. Allerdings verlagert China seine Produktion zunehmend in afrikanische Länder und nach Südostasien, nicht nur weil es dort lukrativer ist, sondern auch, um im Kampf um die Neuaufteilung der Welt sein Einflussgebiet zu vergrößern. Mittelfristig wird dies gerade jene Frauen treffen, die durch die Restaurationspolitik eine Arbeit in der kapitalistisch umstrukturierten Industrie annehmen mussten und deren Arbeitsplätze in China wegfallen werden.

Frauenbewegung in der VR China

Schaut man sich ein Bild vom letzten Parteitag der chinesischen Kommunistischen Partei an, sieht man…..Männer. Dieses Bild steht sinnbildlich für die Rolle der Frau in den Augen der KP im Jahr 2019.

Auch die offizielle Frauenorganisation kann dieses Missverhältnis nicht aufheben und möchte es auch nicht. Doch eine unabhängige Organisierung in China ist schwierig, da es weder Presse- noch Versammlungsfreiheit gibt, geschweige denn das Recht, sich legal zu organisieren.

In den letzten Jahren gab es immer wieder Proteste von Frauen. Insbesondere die Themen häusliche und sexualisierte Gewalt spielten dabei eine wichtige Rolle. Im Jahr 2017 rangierte China auf einem der letzten Plätze, wenn es um „Überleben und Gesundheit“ von Frauen geht. Kein Wunder, dass es die #Me-Too-Bewegung sogar bis nach China geschafft hat. Über Tausende beteiligten sich und Hunderte Millionen Menschen (Vergleich: Deutschland hat nicht einmal 100 Millionen Einwohner*innen) teilten die Beiträge von Frauen, die über ihr Erlebtes berichteten. Über 70 % der chinesischen Frauen gaben an, schon einmal sexuell belästigt worden zu sein. Dennoch geht man von einer noch höheren Dunkelziffer aus. Nach einer solchen Umfrage musste das zuständige Institut in Guangzhou (Kanton), das zu Gleichberechtigung forschte, seine Arbeit einstellen. Außerdem wurden in sozialen Medien die Accounts von Aktivist_Innen gesperrt. Daran erkennt man ,wie sehr dem Staat dieses Thema ein Dorn im Auge ist.

Auch die 37-tägige Inhaftierung der sog. „Feminist Five” Li Maizi, Zheng Churan, Wei Tingting, Wu Rongrong und Wang Man im Jahr 2015 bestätigt dies. Man versucht, durch solche Aktionen die Aktivist_Innen nicht nur zum Schweigen zu bringen, sondern auch durch das Abschneiden von der Öffentlichkeit in Vergessenheit geraten zu lassen. Doch gerade Aktivist_Innen wie Li Maizi macht man nicht so leicht mundtot. Sie engagiert sich nicht nur für Frauenrechte in China, sondern stellt auch ein Bindeglied zur kriminalisierten LGBTIQ-Community her. Diese wiederum hat viele weibliche Aktivist_Innen und nicht nur solche, die selbst Teil der Community sind. Auch viele Mütter, die sich gegen die Entkriminalisierung ihrer Kinder einsetzen, beteiligen sich am Protest.

Was tun die Gewerkschaften für chinesische Frauen?

Im Grunde kann man sagen, dass die einzige legale Gewerkschaft (Allchinesischer Gewerkschaftsbund; ACGB) mit über 300 Millionen offiziellen Mitgliedern keine Gewerkschaft im eigentlichen Sinne darstellt. Sie ist weder in den Betrieben verankert noch vertritt sie die Interessen der Arbeiter_Innen. Auch ist ihre Führung durch den Staat eingesetzt und somit nicht frei gewählt. Insgesamt besteht die Strategie Pekings darin, Protest zu entpolitisieren.

Dennoch gab es einen Anstieg von Arbeitskämpfen in China in den letzten 30 Jahren, was mit seiner Entwicklung zu einem wichtigen Player des kapitalistischen Systems zusammenhängt. Gerade der Südosten Chinas hat viele Kämpfer_Innen hervorgebracht. So gab es bspw. seit 2008 immer wieder Streiks im Reinigungsbereich. Angeführt wurden diese von Frauen. Auch in China ist dies ein Sektor, in dem gerade Menschen arbeiten, die sonst keine bessere Jobperspektive haben wie Alte, Arme, Migrant_Innen und Frauen. Im Jahr 2014 wurde das Guangzhou’s Higher Education Mega Center, das 200.000 Studierende umfasst, von den Arbeiter_Innen der Putzfirma bestreikt. Von Anfang an verbanden sie Migrant_Innen und Frauen durch Selbstorganisierung. Sie wählten sogar 18 Vertreter_Innen, von denen 5 zugelassen waren, für Gespräche mit der Firma. Ebenso solidarisierten sich Hunderte Studierende. Diese Arbeitskämpfe bilden einen wichtigen Pol, um den herum sich der Aufbau vom Staat unabhängiger, klassenkämpferischer und antibürokratischer Gewerkschaften vollziehen kann, die überdies weit mehr Schichten als die ArbeiterInnenaristokratie organisieren müssen und können.

Innere Widersprüche und die Stellung der Frau in China

Wie in allen anderen Kulturkreisen gibt es auch in China historische Begebenheiten und Vorstellungen, die die Stellung von Frauen sowie das Miteinander der Gesellschaft bis heute prägen. In Ostasien ist das u. a. die Philosophie des Konfuzianismus.

Allerdings war eines der einschneidendsten Erlebnisse für Frauen in der jüngeren Vergangenheit vor allem die Ein-Kindpolitik ab 1979, die vor ein paar Jahren abgeschafft wurde. Familien durften nur ein Kind bekommen (mit Ausnahmen u. a. auf dem Land, da dort die Arbeitskraft benötigt wurde) und Mädchen wurden in großer Zahl getötet. Gründe dafür sind  nicht nur das Prestige, dass ein Junge und späterer Erbe mit sich brachte, sondern auch die Tatsache, dass Mädchen, um zu heiraten, ihre Familien verlassen würden und sich somit nicht um die Eltern kümmern könnten. Heute kommen ca. 100 Frauen auf 121 Männer. Die Auswirkungen hiervon sind Raub an jungen Mädchen in China und angrenzenden Ländern sowie eine Konzentration unverheirateter Männer in armen Provinzen.

Am Beispiel Hongkong kann man viele Widersprüche innerhalb der chinesischen Gesellschaft ab der Phase der Restauration erkennen und beschreiben. Hier ist der Konflikt zwischen kapitalistischen Bestrebungen und Frauenbefreiung täglich sichtbar, die Probleme der doch nicht so gleichgestellten Frau treten offen zu Tage.

Hongkong ist für viele Chines_Innen das Ziel ihrer Träume. Die ehemalige britische Kronkolonie, heutige bedeutender Finanzstandort, verspricht der armen Bevölkerung auf dem Land Arbeit und ein besseres Leben. Doch kann die Stadt dieses Versprechen nicht halten. Dennoch ist dies eine Frage, die nur wenige von den immer wieder aufkeimenden und aktuell stattfindenden Protesten aufgreifen. Etwa die Hälfte aller Demonstrant_Innen bei den weiterhin anhaltenden Protesten sind Frauen. Unabhängige Frauengruppen- und -initiativen haben sich herausgebildet. Dennoch: Veraltete Rollenbilder von Frauen, die schweigen und sich gefälligst mit nichts außerhalb des privaten Raums beschäftigen sollen, gibt es natürlich nicht nur in Europa, sondern auch in Ostasien. Um Frauen daran zu erinnern, wo aus patriarchaler Sicht ihr Platz ist, greifen Polizist_Innen in Hongkong zu einer ganz besonderen Form der Gewalt: sexualisierter Gewalt. Ungefähr jede fünfte Frau, die festgenommen wurde, berichtet von sexueller Belästigung und Gewalt durch die Polizei. Die Bewegung reagierte mit Demonstrationen dagegen, die von Tausenden besucht wurden. Und nicht nur Frauen solidarisieren sich, auch Männer. Ein kleiner Anfang.

Proletarische Frauenbewegung jetzt!

Die #Me-Too-Bewegung hat den Bedarf, den es auch in China gibt, gezeigt. Jetzt gilt es, praktische Maßnahmen zu ergreifen. Es braucht nicht nur eine Selbstorganisierung, sondern aufgrund der hohen Zahlen an häuslicher und sexualisierter Gewalt organisierten Selbstschutz. Doch eine Organisierung der Frauen ist nur möglich, wenn man einerseits trotz all der Repression immer wieder Öffentlichkeit für die Themen schafft und andererseits die Herausforderung angeht, trotz überwachter sozialer Medien, Frauen über größere Entfernungen hinweg zu organisieren, egal ob in der Stadt oder auf dem Land. Hier kann allerdings von der Queerbewegung gelernt werden, die es seit Jahren immer wieder erfolgreich schafft, sich zu organisieren und auch Treffen zu abzuhalten. Der Gebrauch von dafür genutzten Tarninternetseiten sollte aber dabei dem Verkehr über WeChat vorgezogen werden.

Die Perspektive, die eine chinesische Frauenbewegung braucht sind nicht nur praktische Antworten auf Diskriminierung, sexualisierte Gewalt und Repression, sondern auch eine Verbindung der Kämpfe mit anderen Betroffenen der chinesischen Politik, sprich eine internationalistische Perspektive. Ebenso darf man nicht vergessen, dass derzeit viele der Aktivist_Innen aus der gebildeten Schicht in den Großstädten stammen. Auf die Interessen von proletarischen Frauen muss daher dringend eingegangen werden. Eine Verbindung einer chinesischen Frauenbewegung mit der von Peking stillgehaltenen Arbeiter_Innenbewegung ist unabdinglich. Alles andere als eine solche proletarische Frauenbewegung würde auch darüber hinwegtäuschen, dass die Auswirkungen der neuen Politik und der patriarchalen Gesellschaft Chinas gerade Arbeiterinnen trifft. Sie werden von ihren Familien getrennt und kriminalisiert, weil sie versuchen, in den Städten Arbeit zu finden. Sie sind es, die aufgrund schlechter Ausbildung und Jobs der häuslichen Gewalt nicht entfliehen können und auch zunehmend ihre Jobs verlieren werden, wenn China die Produktion weiter ins Ausland verlagert. Gleichzeitig sind nur sie zahlenmäßig und von ihrer Klassenstellung her im Unterschied zu (bildungs-)bürgerlichen und Mittelschichten dazu in der Lage, durch Streiks, v. a. gemeinsame mit ihren männlichen Kollegen, und weitere Mittel die chinesische Gesellschaft in Bewegung zu setzen und für die Befreiung der Frau einzutreten.

Kommunistinnen müssen an vorderster Front in den Massenorganisationen ihrer Klasse arbeiten, v. a. in Gewerkschaften und Frauenbewegung, um sie für revolutionär-sozialistische Ziele zu gewinnen, eine neue revolutionäre kommunistische Massenpartei und kommunistische Frauenorganisation aufzubauen.

  • Für eine internationale, proletarische Frauenbewegung und -internationale!
  • Für Frauenselbstorganisierung- und -selbstverteidigungsgruppen!
  • Bildet unabhängige Gewerkschaften!
  • Für den Aufbau einer revolutionären Fünften ArbeiterInneninternationale!
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