Was der Bundesligastart über den Zustand des Profifußballs aussagt:

Marcel Möbius

Seit dem 15. Mai wird in der 1. und 2. Bundesliga wieder Fußball gespielt. Seit dem 30. Mai auch in der 3. Liga. Das Alles ohne Zuschauer, als sogenannte „Geisterspiele“ und unter Einhaltung strenger Hygieneregeln. Damit nimmt die Deutsche Fußball-Liga (DFL) im internationalen Vergleich eine Vorreiterrolle ein. Nachdem dies sich als wirtschaftlich lukrativ herausgestellt hat, werden andere große europäische Ligen diesem Beispiel folgen. So wird in Spanien beispielsweise am 11. Juni der Spielbetrieb fortgesetzt. Um dies möglich zu machen, werden extra regelmäßige Tests auf das Coronavirus bei SpielerInnen und BetreuerInnen durchgeführt und diese in Quarantäne gesetzt, wenn nötig. Dies ist besonders international ein Hohn, wenn man betrachtet, dass in Italien und Spanien nicht einmal genügend Tests existieren, um die Zivilbevölkerung zu versorgen. Allerdings sollen für den Profisport hier massiv die Ressourcen locker gemacht werden. Dafür riskiert man eine fortschreitende Verschlechterung der Versorgung der Zivilbevölkerung und die Leben der ArbeiterInnenklasse. Dies alles tut man nur um den sportlichen Wettbewerb aufrechtzuerhalten? – Wohl kaum! Man muss sich vor Augen führen, dass der Profifußball ein riesiger Markt geworden ist, in dem es um hunderte Millionen Euro geht. Es ist eine Unterhaltungsindustrie, die sich durch Fernsehgelder, Werbekampagnen, Eintrittspreise und Merchandise finanziert.

Besonders deutlich wird die Entfremdung des Profifußballs vom ursprünglichen Gedanken des Sport, wenn man betrachtet, dass der gesamte Amateurfußball unverzüglich eingestellt wurde. Dies ist wiederum nachvollziehbar, wenn man bedenkt, dass die meisten Amateursportvereine sich ohnehin finanziell in miserablen Situationen befinden. Kaum ein Verein generiert Überschüsse, die den Zwecken der Erhaltung der eigenen Infrastruktur genügen. Zumeist ist man auf die finanzielle Unterstützung von Kleinunternehmen angewiesen, für die der Verein zur Werbefläche wird. So zeigt sich, dass auch bei Amateurvereinen die gleichen Mechanismen gelten wie im Profibereich. Lediglich die Summen und die Größen von Vereinen und Unternehmen variieren.

Noch mehr verdeutlicht sich die Entfremdung des Profifußballs vom Grundgedanken des Sports, wenn man betrachtet, welche Transfersummen und Gehälter im Profifußball fließen. Nicht selten werden hier Millionen als Jahresgehalt für Vollzeitsportler gezahlt. Das echt absurd, wenn man es in Relation zu durchschnittlichen ArbeiterInnenlöhnen setzt – schon allein im Vergleich, wenn man sieht, dass die Spieler vieler Vereine auf ihre Gehälter ganz oder teilweise verzichtet haben, um die Lohnzahlungen der ArbeiterInnen des Vereins zu sichern. Was wie eine große Geste wirkt, ist doch eher ein Akt der Selbsterhaltung für die kapitalistische Maschinerie der Fußballindustrie.

Darüber hinaus hat die ökonomische Betrachtung des Profifußballs auch einen sexistischen Aspekt, da im Frauenfußball die Gehälter und auch die gesamte Marketingindustrie drum herum um ein vielfaches kleiner sind, sodass es Vollprofifußballerinnen in Deutschland kaum gibt. Die Gehälter reichen nicht aus, um den Lebensunterhalt zu sichern. Daher müssen die Frauen neben dem zeitlich und körperlich ebenbürtigen Aufwand zum Männerfußball auch noch Lohnarbeit oder einem Studium nachgehen.

Dabei ist es doch nicht die gesamte Industrie und das Marketing, weshalb die meisten Menschen den Fußball mit Leidenschaft verfolgen – aktiv im Amateurbereich, als aktive Fans im Stadion oder auch als stille BeobachterInnen zu Hause. Fußball ist der beliebteste Sport der ArbeiterInnenklasse in Deutschland, doch er hat sein Gesicht verändert – er wurde bis zur Unkenntlichkeit von der Kommerzialisierung und der Vermarktung aus Profitinteressen verdreht. Diese haben dazu geführt, dass sich allen voran die Fußballverbände und FunktionärInnen daran bereichert haben. So ist es  auch kein Wunder, dass die Korruption floriert. Dies sind Effekte, die sowohl in Europa, in der UEFA, wie auch im Weltfußballverband FIFA, beobachtet werden können. Man sieht, dass auch die 50+1-Regel, die verbietet, dass ein Investor eine Entscheidungsmehrheit im Verein erhält, den Ausverkauf der Vereine nicht aufhalten kann. Dabei ist es nur eine Frage der Zeit, bis man in der Konkurrenz mit anderen Ligen, wo ganze Klubs großen Sponsoren gehören, mit diesem Grundsatz bricht und Martin Kind, Dietmar Hopp, Red Bull, Volkswagen, Bayer und anderen auch ganz offiziell den Besitz an ihren Promoklubs überlässt.

Warum also begeistern sich trotz all dieser Probleme so viele Menschen und besonders ArbeiterInnen und Jugendliche für diesen Sport? Für Fans ist besonders der Zusammenhalt wichtig, dass der Fußball ein soziales Event ist, welches Menschen verbindet. Gerade für Jugendliche, die durch den allgemeinen Leistungsdruck und die Abhängigkeit durch das Konzept der bürgerlichen Familie, unterdrückt werden, hat dieser soziale Aspekt des Sports eine besondere Bedeutung. Hier bilden sich Fanszenen, die man durchaus wie Subkulturen betrachten kann. Jeder ist gleich, wenn er in der Kurve das gleiche Team anfeuert. Dabei können Menschen ganz verschiedener Charaktere, Ideologien oder politischer Orientierungen zusammengebracht werden, auch wenn Fans sehr politisch werden können, indem sich zB. jetzt die Fans der eigentlich verfeindeten Vereine São Paulos im Kampf gegen die Angriffe Bolsonaros zusammenschließen. Doch abseits davon geht um Emotionen: Euphorie bis zur Ekstase, Trauer und auch Wut – all das leben Menschen im Stadion und auch auf kleineren Fußballplätzen aus, wenn der sonst so triste Alltag aus Arbeit, Schule oder Uni eine Auszeit bekommt. Probleme des Alltags können vergessen werden, wodurch diese Form der Unterhaltungsindustrie besonders betrachtet werden muss, da es nicht nur um Unterhaltung wie im Film geht, sondern darum, dabei zu sein und teilnehmen zu können – zumindest gefühlt.

Im Block werden Menschen klassenübergreifend zusammengeführt – so war es zumindest einmal. Die Kommerzialisierung drängt die ArbeiterInnenklasse aus den Stadien – Leidenschaft, die mit Fangesängen voller Kraft und Entschlossenheit, gelegentlich auch mit Pyrotechnik ausgelebt wird, wird kriminalisiert und ist heute nicht mehr erwünscht. Ticketpreise steigen, Stehplätze verschwinden und damit verschwindet auch die Leidenschaft und die ArbeiterInnenklasse aus den Stadien. Dies verdeutlicht sich auch, wenn man betrachtet, dass große Teile der Tickets an Sponsoren gegeben werden. Die Ultras, die für die von allen so geliebte Stimmung im Stadion sorgen, werden von den Medien kriminalisiert und diskreditiert. Dabei sind sie diejenigen, die allen voran ihr Leben für ihren Verein aufopfern, oftmals auf eigene Kasse.

Die Gründe für diese Entwicklung sind ökonomisch begründet. Wo Menschen in Massen Interessen entwickeln oder praktisch immer, wenn irgendwas cooles im Kapitalismus entsteht, greifen Marktmechanismen und fangen an, die Profite maximieren zu wollen und den Spaß zur Ware zu machen – so werden Merchandise, Werbung und Pay-TV-Übertragungen auf die Plätze gebracht. Teilhabe für Menschen der ArbeiterInnenklasse erschwert, da ein soziales Ereignis zu einem finanziellen Problem wird. Ähnlich sehen wir diesen Effekt auch bei der Kommerzialisierung von Musik, Kunst, Festivals, der Filmindustrie und Ähnlichem.

Hiermit zeigt sich deutlich, aus welchen Gründen wirklich der Profispielbetrieb nun fortgesetzt wird und dass dies nichts mit sportlichen Interessen zu tun hat. Der Profifußball wird also nur aus Profitinteressen fortgesetzt und damit die Gesundheit von SpielerInnen, BetreuerInnen und aller ArbeiterInnen im Umfeld der Vereine riskiert.

Es gilt nun dafür einzutreten, dass Profisportler_Innen durchschnittliche Arbeiter_Innenlöhne bekommen, Pyrotechnik legalisiert wird und Ticketpreise reduziert werden, um die Teilhabe der ArbeiterInnenklasse an sportlichen Ereignissen sicherzustellen.

Aus diesem Grund müssen wir nun gemeinsam als ArbeiterInnen den Kampf gegen die Kommerzialisierung des Profifußballs und für den Schutz der Gesundheit aller Beteiligten aufnehmen. Hierzu braucht es Streiks aller ArbeiterInnen, die für Fußballvereine arbeiten, gemeinsam mit den SpielerInnen. Dieser Kampf muss gemeinsam mit den Fans geführt werden. Die aktuellen Sportverbände müssen zerschlagen und ihre Vermögen enteignet werden. Der Profisport muss unter demokratische Kontrolle der Beteiligten gestellt werden – gemeinsam in Räten von Sportler_Innen, Fans und anderen UnterstützerInnen.

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