6 Monate nach Hanau: Was brauchen wir, damit Nazis nicht mehr morden?

Das ging am Aktionstag

Am 22.08.2020 sollte in der Stadt Hanau eine bundesweit organisierte Demonstration in Gedenken der Neun Menschen geben, die am 19. Februar 2020 von einem Faschisten kaltblütig ermordet wurden. Faschistische und rassistische Gewalt mit tödlichem Ausgang nehmen in Deutschland, Europa und der ganzen Welt immer weiter zu. Die Terrorakte von Halle und Hanau bildeten dabei in Deutschland nur die blutige Spitze des Eisberges, denn Rassismus und damit auch Angriffe auf Nichtweiße gehören generell zum kapitalistischen System. Diese Entwicklung und die mediale Gleichgültigkeit bis hin zur öffentlichen Hetze gegen Migrant_Innen zeigen uns, wie sehr Rassismus und die Aktivitäten der Faschist_Innen bereits zur Normalität in unserer Gesellschaft geworden sind. Dabei ist das Problem aktueller denn je. Während in Polizeidienststellen Hitlerjugendwappen gefunden werden und rassistische Cops beinahe täglich Migrant_Innen schikanieren und diese verprügeln, in Berlin Neukölln regelmäßig Autos und Geschäfte von Migrant_Innen und Linken brennen und die gesamte faschistische Bewegung sich immer weiter radikalisiert, üben sich die Machthaber_Innen im Nichtstun. Sie bezeichnen diese Fälle als Taten von verwirrten Einzeltäter_Innen und ignorieren faschistische Netzwerke beim Verfassungsschutz, bei tausenden Bullen und Soldat_Innen der Bundeswehr, durch sich die Faschist_Innen weiter ausbilden und bewaffnen können. Damit unterstützen sie diese Entwicklung.

Doch wir nehmen diese Augenwischerei nicht länger hin!

Wir und dutzende andere Organisationen und Gruppen, sowie Teile der Arbeiter_Innenklasse und migrantische Community, haben eine klare Message: Wir lassen nicht weiter zu, wie ihr unsere Freund_Innen, Verwandten, Kolleg_Innen und Familien weiter misshandelt, erniedrigt, verhöhnt, bespuckt und ermordet werden!

Dafür haben wir uns allesamt vorgenommen, am 22. August nach Hanau zu mobilisieren, um zu zeigen, dass wir niemanden vergessen und wir erst recht niemandem vergeben werden. Mit den Angehörigen der Ermordeten wollen wir uns solidarisch zeigen, an ihrer Seite stehen und gemeinsam eine Perspektive aufzeigen. Eine Perspektive in eine Welt, in der niemand mehr Angst vor faschistischen Mörderbanden haben muss und es keine materielle Grundlage mehr für Rassismus gibt.

Aufgrund der derzeitigen Pandemie können Demonstrationen nur mit gut ausgearbeiteten Hygienekonzepten durchgeführt werden, anders lassen die Ordnungsämter die Demonstrationen gar nicht zu.

Die Organisator_Innen haben sich wochenlang mit der Stadt Hanau und dessen Bürgermeister verständigt, um das Demonstrationsgeschehen so sicher wie möglich für alle Teilnehmer_Innen zu gestalten. Bundesweit wurde mit Bussen mobilisiert und ein breites Bündnis wollte zwischen 4000 und 10000 Menschen nach Hanau bringen, um unser gemeinsames Anliegen kraftvoll, laut und kämpferisch auf die Straße tragen zu können.

Doch keine 24 Stunden vor der Demonstration kam dann die Absage. Die Zahl der Coronainfektionen stieg in Südhessen sehr schnell an, sodass sich die Stadt dazu entschlossen hat, die Demonstration zu verbieten und zwar so kurzfristig, dass es fast unmöglich war, damit angemessen umzugehen. Das war ein Schlag ins Gesicht. Ein Schlag ins Gesicht aller, die sich gegen jeden Widerstand des rassistischen Staatsapparates und unter Einsatz ihres Lebens im Kampf gegen faschistische Gruppen immer und immer wieder dem mörderischen Rechtsruck entgegenstellen, der unsere Welt erfasst hat.

Während in Berlin 20.000 Coronaleugner_Innen ohne jede Sicherheitsmaßnahme und Masken unbehelligt laufen dürfen und die Nazis sich überall die Straßen erobern, greifen bei vielen linken Demonstration die Corona-Schutzmaßnahmen und unsere Veranstaltungen werden verboten oder wegen angeblichen Verstößen mit Polizeigewalt zerschlagen. Wir müssen dieses Demoverbot von Seiten der Politik als Angriff verstehen, als ein Manöver im Kampf gegen die Organisierung der Unterdrückten und Ausgebeuteten und es als solches verurteilen und die richtigen Schlüsse daraus ziehen!

Die Reaktion der Organisator_Innen darauf war enttäuschend. Sie fügten sich dem Beschluss und riefen dazu auf, nicht nach Hanau zu kommen, da man ja nicht zu Coronarebellen werden wollte. Stattdessen sollte es nur eine zentrale Kundgebung geben, welche per Livestream bundesweit übertragen wird. Dies ist zwar auch geschehen, ersetzt aber nicht den kollektiven Charakter einer zentralen Großdemonstration, die so vielen verzweifelten Menschen die richtige Message gegeben hätte. „Wir sind viele und geben nicht auf!“ So eine Masse hätte andere motiviert, es den Demonstrierenden gleich zu tun, auf die Straße zu gehen und sich bestenfalls Revolutionär zu organisieren. Denn nur als Massenbewegung können wir den Rechtsruck aufhalten, die faschistische Gefahr beseitigen und den rassistischen Staatsapparat zerschlagen.

Auf die Absage der Demonstration reagierten jedoch viele linke und migrantische Gruppen. Sie organisierten daraufhin Demonstrationen und Kundgebungen, an denen Tausende teilnahmen, um ihre Solidarität auf die Straßen zu tragen und möglichst viele Menschen zu erreichen. Allein in Frankfurt fanden 11 verschiedene Kundgebungen und eine Demonstration statt. Ungefähr 4000 Menschen waren daran beteiligt.

So schön das auch erstmal klingt, spiegelt es doch den Zustand der Bewegung wider, wenn es für einen solchen Tag nicht möglich ist, sich auf eine gemeinsame, zentrale Aktion zu einigen. Anstatt ein Dutzend voneinander abgespaltene, dezentrale Aktionen durchzuführen, welche Uneinigkeit und eine geringe Zahl an Menschen repräsentieren, hätte man sich dazu entschließen sollen, sich die Straßen konsequent zu erobern. Auch wir wollen keine Corona-Rebellen sein und es ist uns schon gar kein Anliegen, die Gefährlichkeit dieser Krankheit herunterzuspielen. Doch es gibt Anlässe, bei denen wir uns über staatliche Beschlüsse hinwegsetzen müssen, bei dem Kampf für Geflüchtete, bei Terroranschlägen, Massenentlassungen oder Gesetze, die unsere Rechte angreifen. Der Protest am Samstag wäre ein solcher Anlass gewesen.

Wenn die Faschist_Innen ohne jede Abstandsregel zu Tausenden marschieren dürfen, dann müssen wir uns dieses Recht erkämpfen und dabei staatlichen Widerstand überwinden und dürfen uns nicht von Verboten oder schwerbewaffneten Bullen aufhalten lassen, ansonsten haben wir keine Chance uns weiter aufzubauen und den Kampf schon so gut wie verloren!

Wir haben uns entschieden die Gedenkveranstaltung in Hanau als solche nicht zu stören und die Entscheidung des Bündnisses kritisch anzunehmen. Entschlossen, organisiert und kämpferisch sind wir aus mehreren Städten nach Frankfurt gefahren und haben uns stattdessen an der Aktion um 15 Uhr vor der Hauptwache beteiligt. Dort konnten wir die Gedenkveranstaltung live miterleben und die Aktivist_Innen von Migrantifa und Young Struggle unterstützen. Anschließend fand auch eine Spontandemo statt, die durch Frankfurt an verschiedenen Kungebungsorten vorbeilief. Auch die Didfjugend und weitere Antifagruppen stießen hinzu. Ein Lautsprecherwagen wurde organisiert, von dem aus Reden gehalten wurden. Die Aktivist_Innen von Migrantifa haben dort super motivierend moderiert, die Blöcke haben viel Stimmung gemacht und so konnte die Demo ihre Anliegen lautstark auf die Straßen tragen.

Das ist auch gut so, denn eine solche Veranstaltung sollte natürlich nicht nur den Charakter einer Trauerveranstaltung haben. Denn wenn wir diese Anlässe nicht nutzen, um aufzuzeigen, wie wir so etwas in Zukunft verhindern können, wird es solche Gedenkveranstaltungen noch öfters geben müssen. Das haben wir getan.

Wir sind auch mit Aktivist_Innen ins Gespräch gekommen und haben uns ausgetauscht über Wege, wie der Kampf weitergehen kann. Zusätzlich verteilten wir Flyer über Rassismus in der Bildung, dem Ursprung in der Klassengesellschaft und dass wir diese überwinden müssen, wenn wir Rassismus für immer beenden wollen.

Wir hoffen, dass wir uns weiter vernetzen und über solche Fragen diskutieren können, damit sich trotz Differenzen in der Programmatik eine große Bewegung aufbaut, die sich gegen Rassismus, Faschismus und dieses unterdrückerische System auflehnt und in der wir Schulter an Schulter kämpfen können.

Wie kann das sein?

Permanent gibt es den Klassenkampf gegen uns, so ist jeder von Faschist_Innen ermordete Mensch, egal ob politisch aktiv oder nicht, ein Betroffener dessen und jede_r von ihnen hat zwei Täter. Der Mörder, der die Waffe zückt und den kapitalistischen, rassistischen Staat, der ihn bewaffnet hat. Um ihrer wirklich in Würde und Ehre zu gedenken, müssen wir jetzt aufstehen und den Kampf aufnehmen! Um diesen zu gewinnen, müssen sich alle antirassistischen, antifaschistischen Kräfte in diesem Land, die es wirklich ernst meinen, vereinen und Widerstand organisieren!

Nur darüber reden „mal wieder etwas tun zu müssen“ reicht nicht. Wir brauchen eine klare Perspektive im Kampf gegen den Terror, den unser Staat und seine Organe über uns gebracht haben und diese Perspektive wollen wir aufzeigen:

Die Herrschaftsverhältnisse in diesem System sind die Ursache der Unterdrückung der Arbeiter_Innenmassen. Die Menschen, die das Eigentum an Produktionsmitteln besitzen, nutzen jede Möglichkeit so viel Mehrwert wie möglich zu erwirtschaften und ihr Kapital zu vermehren. Da passt es ihnen ganz gut, wenn die Menschen, die für sie arbeiten, um sich Wohnung und Essen leisten zu können, sich durch chauvinistische Strukturen wie Rassismus und Sexismus gegenseitig bekämpfen, anstatt eben die Ursache ihrer beschissenen Situation – das Privateigentum – anzugreifen. Zusätzlich können sie diese Spaltungs- und Unterdrückungsstrukturen nutzen, um PoCs, Migrant_Innen und Frauen weniger Lohn zu zahlen und noch mehr Profit zu gewinnen.

Der Staat ist dabei eine Struktur, die den ideellen Gesamtkapitalisten darstellt. Er vermittelt zwischen der ArbeiterInnenklasse und der KapitalistInnenklasse, vertritt jedoch stets die Interessen des Großkapitals, das sehen wir auch, wenn durch Steuergelder Konzerne wie Lufthansa, VW und RWE gerettet werden oder eben an rassistischen Asylgesetzen und die Verstrickung der rechtsextremen Szene bis tief in die Repressionsorgane hinein. Wir sind damit aber nicht allein! Auf der ganzen Welt vertreten die Staaten ihre kapitalistische Klasse und stehen dabei im Konkurrenzkampf. Als unterdrückte Klasse haben wir keinen Staat, der uns wirklich vertritt und haben mehr mit den Arbeiter_Innen in Bangladesh gemein als mit dem Chef der Firma, für die wir arbeiten. Deshalb müssen wir uns als internationale, unterdrückte Klasse zusammenschließen und dieses System bekämpfen. Die Arbeiter_Innen müssen auf nationaler Ebene gegen ihren eigenen Staat mobilisieren und auf internationaler Ebene gemeinsam vereinen mit dem Ziel, eine Gesellschaft aufzubauen, in der die Massen das Sagen haben.

Wie können wir das erreichen?

Wir müssen uns organisieren in der Schule, der Universität und natürlich den Betrieben und Fabriken, um die Herrschenden herauszufordern. Denn die Arbeiter_Innenklasse vereint, ist dazu in der Lage, diesen Staat nicht nur herauszufordern, sondern ihn auch zu stürzen und dafür setzen wir uns ein.

Um uns dafür einzusetzen, ist uns Jugendlichen klar, dass wir uns schon so früh wie möglich organisieren müssen, um uns zu schulen und für den Kampf im Betrieb vorzubereiten, damit wir dann als Erwachsene das Erlernte im Betrieb und auf der Straße einsetzen können. Aber nicht nur als Erwachsene müssen wir kämpfen, als Jugendliche erfahren wir auch eine strukturelle Unterdrückung im System, dagegen müssen wir uns unabhängig organisieren und den Schulterschluss mit den Arbeiter_Innen im Klassenkampf suchen.

Letztendlich kann dieses Regime nämlich nur durch eine Revolution gestürzt werden, damit wir uns zu einer klassenlosen, kommunistischen Gesellschaft weiterentwickeln können, in der es dann wirklich keinen Rassismus oder andere Formen des Chauvinismus mehr geben wird.

Und genau deshalb laden wir alle Jugendlichen, die diesen Kampf zu führen bereit sind, dazu ein, sich uns anzuschließen. Denn gewinnen können wir nur zusammen! 

Wir stellen dabei folgende Forderungen gegen Rassismus auf:

– Kein Vergeben, kein Vergessen, für eine lückenlose Aufklärung der Terrorangriffe von Rechten, für die Aufdeckung rassistischer und faschistischer Netzwerke durch von der unterdrückten Klasse gewählten Strukturen. Dem Staat können wir dabei nicht trauen

– Es gibt kein Recht auf Nazipropaganda! Springer&Co enteignen, Nazis blockieren!

– Wir lassen uns nicht Spalten! Volle Staatsbürger_Innenrechte für alle, wo sie gerade leben! Gleicher Lohn für gleiche Arbeit!

-Weg mit allen rassistischen Asylgesetzen! Weg mit den „Sonderdeals“ zur Abwehr der „Flüchtlingsströme“! Für offene Grenzen und sichere Fluchtrouten!

-Festung Europa zerschlagen! Weg mit Frontex und allen anderen Grenzschutzeinheiten! Für die Vereinigten sozialistischen Staaten Europas!

-Gegen Geflüchtetenlager! Für dezentrale Unterbringung! Enteignung von leerstehendem Wohnraum und massive Investitionen in sozialen Wohnungsbau für Geflüchtete!

-Kein Vertrauen in den Staat! Für das Recht auf Selbstverteidigung gegen rechten und polizeilichen Terror! Für die Organisierung von Selbstverteidigungsstrukturen der Unterdrückten gemeinsam mit den Organisationen der ArbeiterInnenklasse, Migrant_Innen und anderer unterdrückter Gruppen!

— Für den Aufbau einer antikapitalistischen, antifaschistischen, internationalen, multiethnischen Arbeiter_Innenbewegung

Für die sozialistische Revolution!

Hoch die internationale Solidarität!

image_pdfimage_print

Related Posts

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

9 + 1 =

Besuch uns auch auf

Unser Programm

Neueste Zeitung

Zeitung Februar 2024

Archiv