Von Erwin Annecke und Erik Likedeeler, REVOLUTION Zeitung, Dezember 2024
Um Jugendliche anzuwerben veröffentlichte das Verteidigungsministerium im September einen Comic mit dem Titel Ben dient Deutschland. Wer jetzt actiongeladene Kampfszenen erwartet, wird enttäuscht. Angepriesen als Comic über „Militärethik“ soll mit der verbrecherischen Vergangenheit Deutschlands aufgeräumt und die aktuelle Aufrüstung gerechtfertigt werden.
Die titelgebende Hauptfigur ist 19 Jahre alt und frisch raus aus der Schule. Auf einen Schreibtischjob hat er „keinen Bock“, also nichts wie ab zur Bundeswehr.
In der Kaserne angekommen steht für Ben ein 10km Marsch mit über 20kg Gepäck auf der Tagesordnung. Körperliche und psychische Qualen werden mit dem Versprechen von „Glückshormonen“ verklärt. Mitten in der Nacht aus dem Bett gerissen, angeschrien und beleidigt zu werden, wird als effektives Mittel zur Motivation verkauft. Soldat:innen müssen schließlich funktionieren, Nachfragen und Kritik sind unerwünscht: „Hirn aus und Füße an!“
Durchgehend wird eine aggressive, emotional abgestumpfte männliche Performance beschworen: In Bens Gedankenwelt entsteht ein Alter Ego in Form eines Roboters. Der Appell an reaktionäre Geschlechterrollen ist offensichtlich vorhanden, wird jedoch oberflächlich verneint. Im Comic wird die Bundeswehr als diverses Umfeld mit verschiedenen Geschlechtern, Ethnien und Hintergründen präsentiert. Gute Nachricht: Auch Frauen können jetzt Führungskräfte bei der Bundeswehr sein! Sogar eine Rekrutin mit iranischem Vornamen wird als Token aufgeführt, denn gelungene Integration bedeutet anscheinend, für Deutschland in den Krieg zu ziehen.
Als zentrale Aspekte der Wehrausbildung werden Kameradschaft und Freundschaft genannt. Doch diese Illusion scheitert an den Zuständen in den realen Kasernen. Dort sind Gruppenzwang, Mobbingrituale und Übergriffe an der Tagesordnung, Frauen, queere Menschen und People of Color sind Repressalien und Erniedrigungen ausgesetzt. Zudem ist die Bundeswehr als Teil der staatlichen Gewalt direkt daran beteiligt, Minderheiten systematisch zu unterdrücken.
In der Kaserne beginnt die Schießausbildung, und Ben merkt, dass der Umgang mit der Waffe ihn von seinem Umfeld entfernt. Hier wird auf die sogenannten Battlefield Ethics verwiesen: Als „gute“ Armee sei die Bundeswehr daran interessiert, ihren Soldat:innen einen Wertekompass mitzugeben. Dass im Rahmen dieser Werte bei jedem Bundeswehreinsatz ungeheure Verbrechen stattfinden, wird als „notwendiges Übel“ heruntergespielt.
Bei der Erprobung von Befehlskette und Disziplin wird suggeriert: Soldat zu sein gehe nur „mit einer Landkarte im Kopf und einem Kompass im Herzen.“ Dass beides von Vorgesetzten definiert wird, bleibt unerwähnt. Die Ermordung von Zivilist:innen, wie US-Soldaten es in Afghanistan taten, sei zwar ein moralisches Dilemma, aber für jedes Dilemma gebe es eine Lösung: „Am Ende machen wir, was befohlen wird“, wie es im Gespräch zwischen Ben und seiner Kameradin heißt. So wird Bens imaginärer Roboter zu einer willenlosen Kampfmaschine voller demokratischer Werte.
Außerdem muss Ben sich der Kritik seiner kleinen Schwester stellen: Mit Peace-Zeichen auf dem Pulli dient sie zunächst als kritische Stimme. Auf ihre Frage, ob er zum Bund gehe, „um ein richtiger Mann zu sein“, hat Ben zunächst keine schlagfertige Antwort parat. Eine ganze Bandbreite sexistischer Stereotype wird auf sie projiziert: Was wisse sie schon, schließlich „versteht sie nichts von Technik“. Die Fähigkeit, sich eine fundierte Meinung zu bilden, wird ihr abgesprochen.
Beim nächsten Treffen muss sie bereits einsehen, dass ihr Bruder sich einer moralischen Sache verschrieben hat: Auf die Frage nach den Gründen für Kriegsverbrechen verweist er ausweichend darauf, dass Befehle eben „rechtmäßig“ sein müssten. Immer seltener muss er sich vor seiner Schwester verteidigen, da sie auch von den Eltern zum Schweigen gebracht wird. Als zickiges, idealistisches Mädchen wird sie im Verlauf der Geschichte dazu genötigt, die Rolle der braven deutschen Frau einzunehmen, die keine Widerworte einlegt und ihren Bruder an der „Heimatfront“ unterstützt.
Das Perfide an dem Comic ist, dass sich große Mühe gegeben wird, eine vermeintliche Kritik am Militarismus und eine kritische Aufarbeitung der deutschen Geschichte vorzuführen und so einen reflektierten Charakter vorzutäuschen.
Bei der Frage nach Bens Berufswahl ist ein Bezugspunkt entscheidend: Sein Urgroßvater, der sich als Mitglied der Wehrmacht an der Shoah beteiligte. „Fragt sich, was das mit mir zu tun hat“, wundert sich Ben, denn den Faschismus habe die BRD dank vollständiger Demilitarisierung überwunden. Vollkommen ungerechtfertigt sei es, dass eine Mitreisende im Zug sich weigert, neben einem Soldaten in Tarnfleck zu sitzen. Wahrlich niemand hat es so schwer wie die Betroffenen von Bundeswehr-Diskriminierung.
Mag sein, dass einer der Rekruten sich im Verlauf der Handlung nach rechts radikalisiert, aber in der Märchenwelt des Comics stößt dieser auf den Widerstand seiner Kameraden. In der Realität ist die Bundeswehr ein Nährboden für rechtsextreme Kräfte. Diese sind keine Ausnahme, der man mit einem Augenrollen begegnen kann. Im Comic wird durchaus darauf eingegangen, dass Nazi-Floskeln und Sprüche aus dem Kaiserreich in der Kaserne an der Tagesordnung sind; das wird jedoch als lustig gemeinte Hommage normalisiert.
Nur ein Panel später beteiligen sich die Rekruten an einer Kranzniederlegung, um verstorbenen Soldaten der Wehrmacht die Ehre zu erweisen. Um diese Kontinuität zu legitimieren, wird die namenlose Figur eines Rabbis eingefügt. Der Rabbi erzählt Ben von jüdischen Soldaten, die während des Ersten Weltkriegs für das Deutsche Kaiserreich fielen. Sie hätten zeigen wollen, dass „auch sie Patrioten sind“. Der jüdische Glaube erlaube es im Rahmen der Verteidigung, sich „für eine gerechte Sache“ zur Waffe zu melden. Die Figur des „weisen“ Rabbis hat keine andere Funktion, als deutsche Kriegsanstrengungen zu entschuldigen und die Bundeswehr vom Faschismus freizusprechen. Wenn Ben, wie zuvor sein Nazi-Urgroßvater, unter dem Eisernen Kreuz marschiert, sei das in Ordnung. Schließlich seien auch jüdische Menschen patriotisch. Die Intention ist klar: Deutschland darf endlich wieder Krieg.
Die mythische Verklärung des Militärs zu einer Institution des Friedens macht diesen Comic zu einem widerlichen Beispiel für den deutschen Zeitgeist. Die Bundeswehr verteidigt nicht die Bevölkerung oder „unsere Freiheit“. Sie schützt das Kapital und damit die imperialistischen Interessen des deutschen Staates. Wenn die BRD sich um Aufrüstung bemüht und rechtspopulistische Propaganda an Jugendliche vermarktet, stehen die Zeichen auf Krieg. Deshalb müssen wir uns entschieden dagegenstellen, als Kanonenfutter für einen Staat zu dienen, der kein Interesse an uns hat. Die Soldat:innen, die sich in Kriegen gegenüberstehen, haben untereinander mehr Gemeinsamkeiten als ihre Herrscher:innen. Wir dürfen nicht zulassen, dass Arbeiter:innen verschiedener Länder aufeinander gehetzt werden, um die nationale Bourgeoisie zu schützen. Wir müssen uns wehren, wenn Jugendliche wieder einmal als erstes ihr Leben lassen sollen!