Betrachtet: Zwei Halbkolonien

Leila Cheng

Teil 1: Belarus (Stand Mitte September 2020)

Wie sind die Auswirkungen von Pandemie und Wirtschaftskrise?

  • In den letzten Jahren wurden viele arbeiter_Innenfeindliche Maßnahmen und Gesetze beschlossen. Zum Beispiel müssen Arbeitslose Sondersteuern zahlen, unbefristete Verträge in Staatsbetrieben wurden in befristete umgewandelt, Kürzungen in Gesundheits- und Bildungswesen durchgeführt und das Renteneintrittsalter erhöht. So konnten die Kosten der Krise auf die Arbeiter_Innen abgeladen werden.
  • Die diktatorische Einzelherrschaft Lukaschenkows (Präsident) und konsequente Wahlfälschungen stechen Oppositionskanditat_Innen seit jeher aus.
  • Die Coronapandemie wurde von Lukaschenkow als vermeintliche „Psychose“ abgetan. Dabei hatte er selbst Corona und inszenierte sich als Musterpatient für einen unkritischen Krankheitsverlauf.
  • Das Thema spielt aber aufgrund offiziell niedriger Fallzahlen jedoch eine eher untergeordnete Rolle.

Warum ist das so?

  • Nach dem Zerfall der Sowjetunion wurde Belarus im Gegensatz zu vielen anderen ehemaligen Ostblockstaaten nicht neoliberal umgestaltet. Eine Kaste aus ehemaligen Sowjetbürokrat_Innen herrschte deshalb weiter (verwalten jetzt kapitalistische Unternehmen, staatlicher Sektor hat noch 50 Prozent am BiP).
  • Lukaschenkow selbst ist seit 1994 an der Macht und hat schon mehrfach Oppositionelle ermorden lassen.
  • Somit steht Belarus in ständiger Abhängigkeit und in der Konkurrenz zwischen dem russischen und westeuropäischen Imperialismus.
  • Hinzu kommt eine starke Auslandsverschuldung in den letzten Jahren, eine Währungskrise und die Abhängigkeit von russischen Subventionen.

Welche Proteste gibt es?

  • Massendemonstrationen (100.000 Menschen in der Hauptstadt Minsk) im ganzen Land werden gewaltsam unterdrückt. Ebenso fanden große Arbeiter_Innenstreiks z. B. in der Metall -, Autoindustrie sowie in der Metro und in Telekommunikationsunternehmen statt.
  • Hauptforderung ist die Offenlegung der Wahlfälschung. Oppositionskandidatin Swetlana Ziachanouskaja soll die Nachfolge Lukaschenkows antreten. Daneben wird ein Ende der Misshandlung von Gefangenen und der Gewalt gegen friedliche Demonstrant_Innen auf den Straßen gefordert.
  • Lukaschenkow bezeichnet die Bewegung als Farbenrevolution (revolutionäre Bewegung, die von den USA gestützt, finanziert oder sogar unterwandert wird, weil sie deren Interessen dient). Das kann man der Bewegung zwar nicht vorwerfen, jedoch dominieren darin tatsächlich die bürgerlichen, neoliberalen Kräfte die Proteste.
  • Die ins Ausland geflohene Oppositionskandidatin fordert einen nationalen Koordinierungsrat mit allen Kräften der Opposition, um den alten Machtapparat abzulösen

Wie können die Kämpfe erfolgreich sein?

  • Es braucht eine revolutionäre Massenbewegung mit proletarischer Ausrichtung, die nicht auf die Bürgerlichen vertraut. Mit ihnen wird die Bewegung nur zum Ausverkauf des Landes führen. Das wird die Klassengegensätze verschärfen, selbst wenn die Abhängigkeit vom russischen Imperialismus schwindet, wird sich die Halbkolonie dem EU-Imperialismus unterordnen müssen.
  • Doch um das zu erreichen, muss sich die Arbeiter_Innenklasse eine Führung schaffen, die das Mittel des Streiks bis hin zum Generalstreik anwendet, und Massen von Arbeiter_Innen in allen Sektoren organisiert. Diese Führung muss jederzeit von den Arbeiter_Innen wähl- und abwählbar sein und darf keine wirtschaftlichen Privilegien genießen
  • Wichtig ist es dafür, sich in den noch aus der Sowjetunion existierenden Kolchosen (Genossenschaften), den Betrieben und den Arbeiter_Innenvierteln zu organisieren und diese auch gegen Polizei und Militär zu bewaffnen. Diese müssen im Gegenzug entwaffnet und durch demokratische Arbeiter_Innenmilizen ersetzt werden.
  • Darüber hinaus fordern wir alle progressiven Kräfte in den umliegenden Ländern Osteuropas und weltweit dazu auf, ihre Kämpfe miteinander zu verbinden. Gemeinsam mit dem russischen Proletariat kann diese Bewegung gegen den imperialistischen Einfluss Russlands und zugleich auch gegen die neoliberale Restauration kämpfen. Im Sturz des russischen Imperialismus läge die Chance ein sozialistisches System in Belarus und in ganz Osteuropa zu schaffen.

Teil 2 morgen: Bolivien

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