Black Lives Matter – 5 Fragen, 5 Antworten

Leila Cheng, Felix Ruga

In den USA wird an den momentanen Black-Lives-Matter-Protesten sichtbar, dass Polizist_Innen eben nicht unsere Freund_Innen und Helfer_Innen sind. Die Aufgabe der staatlichen Exekutive ist es, die Herrschaftsverhältnisse, also die Herrschaft der Kapitalist_Innen und des Staates, aufrechtzuerhalten und das natürlich auch mit Gewalt. Neben der Unterdrückung von explizitem Widerstand gegen dieses System (z.B. Niederschlagung von Demos oder Streiks) geht von den staatlichen Strukturen auch eine rassistische Gewalt aus. Das ist einerseits ein Resultat der Konkurrenz zwischen den Staaten und andererseits ein Mittel der Herrschenden, die Arbeiter_Innenklasse zu spalten. Hier zeigt sich, was bereits der afro-amerikanische Bürgerrechtsaktivist Malcolm X in den 1960ern sagte: „You can’t have capitalism without racism“ (Es gibt keinen Kapitalismus ohne Rassismus). In dieser Analyse stellen wir uns 5 Fragen zu den antirassistischen Protesten in den USA.

Was ist der Auslöser der Proteste?

25. Mai 2020, Minneapolis, Minnesota, die Vereinigte Staaten von Amerika. Ein weißer Police Officer, Derek Chauvin, greift zusammen mit seinen Kollegen Tou Tha, Thomas Lane und J. Alexander Kueng den 46-jährigen Afroamerikaner George Floyd auf. Ein Ladenbesitzer, bei dem Floyd Zigaretten kaufte, hat wegen angeblicher Verwendung von Falschgeld die Polizei angerufen. Die Polizisten, die sich daraufhin auf den Weg machen, gehen wie gewohnt mit einem Afroamerikaner um. Sie bedrohen ihn mit einer Waffe und nehmen ihn gewaltsam fest, indem er gewürgt und ihm die Luft abgedrückt wird. Das Ganze dauert 9 Minuten an. Später wird ein Krankenwagen gerufen, doch Floyd stirbt, bevor sie das Krankenhaus erreichen. Eine alltägliche Situation in den USA wäre das ganze nur nicht als Video in der ganzen Welt publik geworden.

Eine alltägliche Situation? Ja, dieser Mord ist kein Einzelfall! Man muss sich nur die rassistischen Morde von Polizist_Innen in den letzten Jahren anschauen, denn die Liste Schwarzer Opfer von Polizeigewalt ist lang: 2014 wurde der 18-jährige Schüler Michael Brown von dem Polizisten Darren Wilson in Missouri (USA) erschossen, März 2020 wurde Breonna Taylor in Louisville (USA) oder im Juni 2020, wo der vierfache, afroamerikanische Vater Rayshard Brooks in Atlanta von Polizist_Innen erschossen wurde. 2019 war es in den USA zweieinhalb so wahrscheinlich als Afroamerikaner_In erschossen zu werden als als Weiße_R.

Wie entwickelten sich die Proteste?

Das Video verbreitete sich rasant in den sozialen Medien und die Proteste entzündeten sich schnell und kraftvoll. So mussten die vier beteiligten Polizisten innerhalb kürzester Zeit aus dem Dienst entlassen werden, um die Menschen zu besänftigen. Doch die Proteste wurden über die folgende Woche immer kämpferischer. Diese hatten ihren Höhepunkt in der Nacht vom 28. zum 29. Mai, in der Aktivist_Innen den 3. Polizeibezirk der Stadt niederbrannten. Die Proteste entwickelten sich zu einer Rebellion, die sich mit enormer Geschwindigkeit auf die gesamten USA ausweitete. Momentan ist die Dynamik nicht mehr so umfassend wie anfangs, jedoch gibt es einige Zentren, in denen die Bewegung weiterhin sehr präsent ist und regelmäßig Proteste stattfinden, vor allem Seattle, Portland und Chicago.

Initiiert und angeführt werden die Proteste von Black Lives Matter (BLM), die in den vergangenen Jahren zur Speerspitze des Widerstandes gegen rassistische Polizeigewalt geworden ist. BLM ist selbst heterogen und dezentral, aber weit verbreitet und bringt immer wieder zehntausende Menschen auf die Straße. Dazu beteiligen sich linke und antifaschistische Gruppen, ihr Umfeld, eher unpolitische Menschen und ein großer Teil der Black Community. Aber auch die Demokratische Partei solidarisierte sich mit den Protesten. Das ist aber eigentlich höchst widersprüchlich, hat die Demokratische Partei doch in den vorherigen Jahren selbst rassistischer Polizeigewalt Vorschub geleistet (stop-and-frisk, Broken-Windows-Theorie) und lässt auch in demokratischen Bundesstaaten den größten Teil der Gelder in die Polizei fließen.

Ein wichtiger Faktor beim Gelingen der Bewegung ist die weltweite Solidarität. Nicht nur in den USA, sondern weltweit schlossen sich Millionen von Menschen der Black Lives Matter-Bewegung an. Hierbei spielten für die Mobilisierung auf Demonstrationen und Kundgebungen auch die sozialen Medien eine wichtige Rolle. All diese Proteste haben die Gemeinsamkeit, dass sie sich gegen Rassismus in staatlichen Strukturen und Polizeigewalt richten und diesen Fakt international kritisieren. Denn nicht nur amerikanische Polizist_Innen begehen Morde aus rassistischen Hintergründen. So ereignete es sich 2005 in Deutschland, dass der westafrikanische Einwanderer Oury Jalloh in einer Zelle in Dessau verbrannte, wobei der Polizeibeamte freigesprochen wurde. Im Februar dieses Jahres gab es einen furchtbaren Mord an 9 Nichtweißen durch einen Nazi in Hanau.

Was ist die Situation zwischen den Protesten und dem Staat?

In der Gemengelage der Proteste werden einige Forderungen klarer: Die erste ist die Gerechtigkeit für George Floyd in Form einer Anklage gegen alle beteiligten Polizisten wegen Mordes. Die zweite ist das Ende rassistischer Polizeigewalt und rassistischer Morde in den USA. Weitere Forderungen sind unter anderem: Das Ende der Ungleichbehandlung von Afroamerikaner_Innen im Bildungs-, Gesundheitswesen und Beruf oder öffentliche Gelder von der Polizei in die öffentliche Versorgung zu verschieben (#defundthepolice). Einige Forderung deuten auch auf die sich aktuell anbahnende Wirtschaftskrise hin: Die Anzahl der gemeldeten Arbeitslosen stieg seit Ausbruch von Corona sehr stark an und liegen nach leichter Entspannung jetzt bei um die 25 Millionen Menschen. Arbeitslosenzahlen, die es seit der Weltwirtschaftskrise Anfang der 1930er Jahre nicht mehr gab, vor einem Jahr waren es nur knapp 1,7 Millionen! Bei den momentan durchgeführten Massenentlassungen wurden Afroamerikaner_Innen und andere People of Colour meist zuerst entlassen. Hier zeigt sich auch, weshalb die Solidarität der Arbeiter_Innenklasse mit der Bewegung so wichtig ist. .

Der Staat hingegen reagierte sofort mit massiven Repressionen: Massenhafter Einsatz von Tränengas und Gummigeschossen, Aufmarsch der Nationalgarde plus die Drohung mit der Armee, Einschränkungen von Grundrechten in vielen Städten, Gewalt und Verhaftungen begleitet von Hetze und Diffamierungen durch Präsident Trump und den Republikaner_Innen. Amnesty International sprach in einem Bericht von Anfang August von „schweren Menschenrechtsverletzung“ gerade im Umgang mit friedlichen Protestierenden und Journalist_Innen. So wie die Unterdrückten von der Krise bedroht sind, so ist es in anderer Hinsicht auch die Vormachtstellung der US-amerikanischen Bourgeoisie und das lässt ihr wenig Spielraum für jegliche soziale Reformen und tatsächlichen Abbau von Unfreiheit und Ausbeutung. In der wirtschaftlichen Konkurrenz mit China oder der EU wird die herrschende Klasse nur mit großem Unwillen auf die Massen an extrem billigen Arbeiter_Innen im durchökonomisierten Gefängnissystem und die Vorteile einer Steueroase verzichten wollen. Und da die Krise die Konkurrenz nur verschärft, ist die einzige Möglichkeit der Herrschenden die gewaltsame Zerschlagung der Proteste.

Warum wird es keinen Kapitalismus ohne Rassismus geben?

Es ist unmöglich diese Frage in einem kurzen Absatz zu erklären, aber wir haben sie ausführlicher in unserem Programm und in anderen Texten auf unserer Homepage behandelt. Letztendlich dient Rassismus im Kapitalismus als Rechtfertigung dafür, dass imperialistische Nationen andere Länder unterdrücken und ausbeuten oder dass man nichtweißen Arbeiter_Innen einen schlechteren Lohn zahlt und sie gegen ihre Klassengeschwister ausspielt.

Wie kommt die Bewegung zum Erfolg?

Die Proteste machen auf eine zentrale Form der Unterdrückung aufmerksam und führen gerade in Zeiten wirtschaftlicher Krisen zum öffentlichen Druck auf Staat und Kapital. Sie erreichten, dass die Mörder von Floyd entlassen wurden und dass es eine Anklage gegen Chauvin und die anderen Cops gab, die tatenlos danebenstanden. Auch ist das Thema nun politisch sehr präsent. Aber die Frage ist nun, auf welchem Weg man den Kampf gegen Probleme wie den institutionelle Rassismus zum Erfolg führen kann.

Eine zentrale Frage der Bewegung ist die Gewaltfrage und auch in der deutschen Linken gibt es seit Beginn der Proteste eine Debatte um „sinnlose Gewalt“ auf den US-amerikanischen Straßen. Viele verurteilen diese Gewalt und werben für „friedliche“ Proteste. Wenn man die Proteste genau betrachtet, fällt auf, dass der größte Teil der Gewalt aus den Repressionen durch den US-amerikanischen Staat besteht, auf die ein großer Teil der Gewalt durch Demonstrant_Innen erst eine Reaktion ist. Sowieso stehen kleine Plünderungen oder Vandalismus in keiner Relation zur tagtäglichen Gewalt des Staates und des kapitalistischen Systems und wir sollten es als legitimen Ausdruck von Wut und Verzweiflung nicht moralisch verurteilen. Und nicht jede Gewalt dort ist sinnlos. Beispiele sind die Angriffe auf die Polizeiwache oder koloniale Denkmäler. Wir wollen aber über die individuellen und oftmals ziellosen Aktionen hinaus und stattdessen demokratisch wähl- und abwählbare, bewaffnete (Selbstverteidigungs-)Milizen aus Arbeiter_Innen, Schwarzen und anderen in der bürgerlichen Gesellschaft unterdrückten Gruppen aufbauen, um dabei eine rechenschaftspflichtige und taktische Kraft zu kreieren. Dafür sind die existierenden Ansätze von Selbstverwaltung und massenhafter Militanz gute Möglichkeiten.

Doch um sich effektiv gegen die Gefahr der Zerschlagung durch Staat und faschistische Milizen zu wehren und die oben besprochene kapitalistische Grundlage des Rassismus‘ zu überwinden, braucht es auch eine klare antikapitalistische Perspektive, also auch die klare Ablehnung des bürgerlichen Staates an sich. Stattdessen setzen bislang viele Demonstrant_Innen auf Reformen innerhalb von Polizei und Justiz, die aber zu kritisieren sind. Reformen können erstens immer wieder abgeschafft werden und zweitens greifen sie die objektive Grundlage, den Privatbesitz an den Produktionsmitteln und eine Wirtschaft, die auf Tausch und Leistung beruht (Kapitalismus), nicht an. Die kürzlich vorgebrachten Reformpakete sowohl von den Demokrat_Innen aber erst recht von den Republikaner_Innen sind mehr als unzureichend und sind eher Kaschierung des Problems, indem sie meinen, das Problem sei die Praxis des Würgegriffs an sich und ist sie erstmal eingeschränkt, sei es halb so wild.

Es gibt jedoch auch Teile der Bewegung, die sehr wohl offen die Polizei und den Staat zerschlagen wollen und diese müssen dafür nun ein klares Bild zeichnen, wie das geht: Wir brauchen eine Bewegung, die sich auf weitere Teile der Gesellschaft und damit auch auf weitere Themen ausbreitet, sodass ein Kampf aller Unterdrückten unter Führung der Arbeiter_Innen gegen die Krise und das gesamte System geführt wird. Forderungen wie bedingungsloses Recht auf Wohnraum, Krankenversorgung, Arbeit und kollektiven Selbstschutz müssen aufgestellt werden und größere Organisationen wie Gewerkschaften und progressive Bewegungen offen dazu aufgerufen werden, sich an den Kämpfen zu beteiligen. Darum braucht es auch eine solidarisch und zielstrebig geführte Debatte innerhalb der BLM-Bewegung, die sich in einer demokratischen Konferenz konstituiert und damit wehrhafter und taktischer vorgehen kann und es einen Raum gibt, in dem sich die wirklich radikalen Forderungen beweisen können. Mit einer größeren gesellschaftlichen Basis sind neben Demonstrationen auch weitere massenhaften Widerstandsformen wie der politische Streik oder Betriebsbesetzungen verteidigt durch die demokratischen Selbstverteidungsstruktuen möglich, mit denen man die herrschende Klasse dazu zwingen kann, unsere bitternötigen Forderungen umzusetzen und eben Platz zu machen für eine antirassistische, solidarische und soziale Gesellschaft!

Daher treten wir ein für:

  • Aufbau von demokratisch kontrollierten antirassistischen Milizen aus Arbeiter_Innen, Schwarzen und anderen in der bürgerlichen Gesellschaft unterdrückten Gruppen gegen Rassist_Innen und Faschist_Innen auf der Straße ob mit oder ohne Uniform!
  • Wahl von Volkstribunalen, um kein Vertrauen in bürgerliche Gerichte setzten zu müssen
  • Die Gewerkschaften sollen sich der Bewegung anschließen! Setzt die reformistischen Führungen unter Druck! Gegen die Spaltung von weißen und nichtweißen Arbeiter_Innen, für einen gemeinsamen Mindestlohn!
  • Verankert die Bewegung mit demokratischen Komitees in den Stadtteilen, Betrieben, Universitäten, Schulen, verbindet den Kampf auf den Straßen mit einer sozialistischen Perspektive!
  • Aufbau einer revolutionären Arbeiter_Innenpartei in den USA, die sich international vernetzt, und mit einem klaren revolutionären Programm an die Spitze der Bewegung stellt
  • Internationale Solidarität uns Vernetzung von antirassistischen und antikapitalistischen Massenbewegungen!
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