Die deutsche Geschichte bietet rechtsradikalen Organisationen jedes Jahr aufs Neue zahlreiche Anlässe, Geschichtsrevisionismus zu betreiben und alle anderen Facetten ihres Gedankenguts auf die Straße zu tragen. Vor allem wollen sie jedoch wieder Platz nehmen in der Gesellschaft – wollen sich Akzeptanz verschaffen für ihre Ansichten und den Eindruck erwecken, sie würden lediglich eine andere Meinung repräsentieren.
Doch schnell organisiert sich auch Widerstand dagegen, in unterschiedlichsten Formen. Die Stadtregierungen laden zum friedlichen Bockwurst-Essen für mehr Toleranz ein, während linke Organisationen und Aktivist_innen versuchen die Aufmärsche zu blockieren und Faschist_innen von der Straße zu vertreiben. Es gehört zu unserem Selbstverständnis als kommunistische Jugendorganisation, zu solchen Blockaden zu mobilisieren, um Neonazis militant und massenhaft von den Straßen zu vertreiben. Natürlich sind wir der Meinung, dass faschistischer Terror im Keim erstickt werden muss – mit allen dazu nötigen Mitteln. Straßenfeste und Bürgerversammlung sind eine Möglichkeit, die Anwohner_innen zu informieren, aktiv verhindern können sie faschistische Aufmärsche jedoch nicht. Veranstaltungen wie die „Meile der Demokratie“ verklären außerdem das Prinzip der Toleranz. In Magdeburg wurde diese gemeinsam von CDU, FDP, Linkspartei, SPD und Gewerkschaften organisiert. Konkret bedeutet das, dass Kampforgane der Arbeiterklasse gemeinsam mit Parteien, die für bürgerliches Interesse und damit gegen proletarischen Antifaschismus stehen, traute Einigkeit vortäuschen, wo es keine gibt. Denn während die einen die massive Polizeigewalt per Gesetz beschließen, versucht die Basis der Arbeiterorganisationen ihre Mitglieder gegen faschistischen Terror zu schützen. Die Spitze des politischen Verrats ist der Beschluss der Organisatoren dieser Meile, Demonstrationsteilnehmer_innen den Zugang zu verwehren mit dem Vorwurf, dass potentiell eine Gefahr von ihnen ausginge. Die Gefahr, die von den Nazi-Gruppen ausging, die in der Stadt unterwegs waren, wird dadurch bodenlos verharmlost. Trotz aller Schikanen, waren die antifaschistischen Aktionen im Vergleich zu den letzten Jahren ein Erfolg! Nicht nur die Zahl der Nazis hat sich um ein Drittel verringert, sondern sie mussten auch in einiger Entfernung zum Stadtzentrum, nämlich im Rand- und Industriegebiet um den SKET-Bahnhof, ihren erbärmlichen Marsch abhalten, weil es uns mehrmals gelang, ihren ursprünglichen Versammlungsort zu blockieren. Aber haben wir wirklich das gesamte Potential ausgeschöpft, das in unserer Mobilisierung steckte?
Gerade Demonstrationen und Blockaden sind gemeinsame Aktionen vieler verschiedener linker Gruppen und Einzelaktivist_innen, die unterschiedliche Erfahrungen mitbringen. Anhand der diesjährigen antifaschistischen Demonstration in Magdeburg am 18.01. möchten wir als REVOLUTION Stellung zu einigen Demonstrationstaktiken beziehen, über die wir sehr gerne mit allen AktivistInnen diskutieren möchte, um gemeinsam erfolgreich zu sein.
Als erstes wollen wir klar stellen, dass wir Pazifismus als Strategie ablehnen. Nicht etwa, weil wir der Meinung sind, allein durch Gewalt unsere politische Überzeugung zum Ausdruck bringen zu können. Im Gegenteil, wir möchten demokratische Mitsprache für jede_n ermöglichen und wehren uns gegen sämtliche Formen der Unterdrückung. Jedoch halten wir es für eine Illusion, die herrschende Klasse, die das Gewaltmonopol des Staates in Form von Armee und Polizei kontrolliert, durch moralische Überlegenheit davon zu überzeugen, dass wir ihre Politik für falsch und menschenverachtend halten.
Denn möglich gemacht werden konnte dieser Nazi-Auflauf überhaupt erst durch den massiven Polizeieinsatz in der Landeshauptstadt von Sachsen-Anhalt. Mit dem Einsatz von nach eigenen Angaben 3300 Beamten schirmte die Polizei den ganzen Tag über die Nazi-Route im östlich von der Elbe gelegenen Stadtteil Herrenkrug ab, um den mehreren hundert Nazis den Weg frei zu halten und scheute dabei keine Gewalt. Die Bilanz des Tages: 33 Ingewahrsamnahmen, 15-20 Schwerverletzte durch das Einsetzen von „Zwangsmitteln“, wie die Polizei Sachsen-Anhalt in ihrer eigenen Pressemitteilung schreibt – und 700 laufende Nazis. Ein Polizist zog im Demonstrationsgeschehen am Buckauer Bahnhof sogar seine Dienstwaffe, an anderer Stelle sahen Polizisten bei Angriffen auf Antifaschist_innen durch Nazis tatenlos zu.Um einen politischen Feind siegreich zu bekämpfen, sollte man also seine Macht realistisch einschätzen. Die Bourgeoisie wird sich wahrscheinlich nicht freiwillig enteignen lassen und die militärischen Mittel, über die sie verfügt, sind kein Geheimnis.
Die richtige Einschätzung des Gewaltmonopols gilt auch für Situationen in Tageskämpfen, wie die Verhinderung von Naziaufmärschen. In erster Linie versucht dort die Polizei uns von den Blockadepunkten fernzuhalten und greift die Antifaschist_innen von allen Seiten an. Wir verurteilen geworfene Steine oder Flaschen gegen die Polizist_Innen nicht generell, denn wir kämpfen auch für die Zerschlagung des bürgerlichen Staates. Wenn die Steine jedoch ihr Ziel verfehlen und die eigenen GenossInnen verletzen, ist uns allen nicht geholfen. Wenn wir uns von der Polizei nicht daran hindern lassen wollen, die Nazis zu stoppen, braucht es gut organisierte, militante und gezielte Massenaktion. Sie sind vom Prinzip her auch die Vorraussetzung, dass erfolgreiche Blockaden, wie die auf der Eisenbahnstrecke zwischen Bahnhof Herrenkrug und Bahnhof Neustadt durchgesetzt werden können. Wir wollen politische Ziele erreichen. Deshalb sollte es dabei nicht darum gehen, sich persönlich einen Kick zu verschaffen oder sich in seiner Bezugsgruppe zu profilieren.
Das gleiche gilt für die Errichtung von Straßenbarrikaden. Die Frage, die man sich als erstes stellen sollte ist: Wen wollen wir blockieren? Uns selber oder alle, die unsere Demonstration oder unseren Kiez angreifen wollen? Mülltonnen auf die Straßen zu schieben oder Baustellenabsperrungen zu nutzen, um eine Straße unbefahrbar zu machen, kann sinnvoll sein – in der richtigen Situation. Weniger sinnvoll ist es jedoch, wenn die zweite oder dritte Reihe der Demonstration beginnt, alles auf die Straße zu schleifen, was nicht niet- und nagelfest ist, und alle folgenden Menschen darüber stolpern. Gerade wenn die Polizei hinter der Demonstration läuft, führt das eher zu panischem Stolpern und der Verletzung von GenossInnen. Die Polizei ist technisch versiert genug, um andere Wege für ihre Einsatzwagen zu finden. Wenn man aber sein Ziel erreicht hat, wie zum Beispiel den Bahnhof in Magdeburg, an dem die Nazis ankommen sollten, ist es durchaus sinnvoll, zwischen sich und der Polizei Barrikaden zu errichten, um sich einerseits gegen Angriffe zu wehren, aber auch um direkt gegen die Faschist_innen vorgehen zu können und ihnen nicht den Schutz der Polizei zu gönnen.
Ähnliches gilt unserer Meinung nach für Passant_innen, die mit ihren Autos auf den Straßen unterwegs sind, die wir auch nutzen. Solange keine Faschist_innen in den Autos sitzen und wir diese Straßen nicht unmittelbar blockieren wollen, besteht kein sinnvoller Grund, die Autos kaputt zu machen und die Fahrer_innen anzupöbeln. Wir haben als linke AktivistInnen die Verantwortung, den bisher „unpolitischen“ Menschen verständlich zu machen, dass es auch Ihre Aufgabe ist, gegen jede Form des Faschismus zu protestieren. Wir plädieren dafür, dass linke und revolutionäre Organisationen Flugblätter und Zeitschriften auf Demonstrationen verkaufen, an Passant_innen aushändigen oder auch auf Versammlungen wie der „Meile der Demokratie“ unter Arbeiter_innen und Anwohner_innen verteilen, die sich Blockaden nicht zutrauen oder Illusionen in den Charakter dieser durchaus bürgerlich geführten Versammlungen haben.
Wir erreichen diese Menschen wir aber nicht, in dem wir der alleinerziehenden Mutter, die seit drei Jahren für ein Auto spart um mit ihren Kindern am Wochenende wegfahren zu können, die Spiegel kaputt schlagen. Auf einer großen antifaschistischen Demonstration in Nikea, einem Stadtteil von Athen, wo pakistanische Migrant_innen vor 2 Jahren ihren Bezirk gegen die Angriffe von Neonazis der Goldenen Morgenröte verteidigten, wurde die ganze Demonstration unterbrochen, um Anwohner mit dem Auto durchfahren zu lassen. Sie haben freudig gehupt und sich über die Demonstration gefreut, die auch jetzt noch als eine der erfolgreichsten gilt.
Uns geht es dabei nicht um das Bild, was in den Medien produziert wird, denn der bürgerliche Staat biegt sich sowieso zurecht, was er braucht um unseren Demonstrationen jegliche Berechtigung abzusprechen. Aber wir sollten mit den Menschen, die wir für uns gewinnen wollen und die uns nicht bewusst bekämpfen und sabotieren, solidarisch umgehen.
Solidarisch müssen wir auch und vor allem in den eigenen Reihen sein. Dazu gehört es unserer Meinung nach, überhaupt Reihen, und in Gefahrensituationen Ketten, zu bilden. Eine Demonstration ist kein Sonntagsspaziergang sondern ein Mittel des politischen Kampfes. Zum einen verleihen uns organisierte Reihen nach außen einen ernsthafteren Eindruck, zum anderen geben sie uns allen mehr Sicherheit und Durchsetzungsvermögen.
In Magdeburg kam es zu einigen Situationen, in denen die Polizei mit relativ wenigen Kräften – insgesamt Schätzungsweise 20 Beamte auf einer 50 Meter breiten Straße – versuchte, uns den Weg zum Blockadepunkt abzuschneiden. Nur wenige der insgesamt 3´000 Antifaschist_innen in Magdeburg organisierten sich in zusammenhängenden Reihen, weshalb ein Durchbruch nicht möglich war und wir nicht zur Blockade kamen. Besonders für die Leute in der ersten Reihe ist es extrem demoralisierend zu merken, dass die große Masse an Menschen nicht kampfbereit hinter ihnen steht. Zahlenmäßig waren uns die Bullen weit unterlegen und die Erfahrungen in Dresden haben gezeigt, dass wir in organisierten Reihen vieles erreichen können. Man kann jedoch nicht von der ersten Reihe verlangen, dass sie sich den Knüppeln und dem Pfefferspray aussetzen, um durch die Polizeikette zu brechen, wenn man sie nicht aktiv unterstützt. Sprüche wie „BRD, Bullenstaat, wir haben dich zum kotzen satt“ zu rufen, aber in dem Moment, wo man sich gegen diesen Bullenstaat wehren könnte, einen Rückzieher zu machen, ist feige. Wir verurteilen die Taktik, die von Kadern der autonomen Linken immer wieder aufs Neue die gesamte Bewegung schwächt. Unorganisierten Jugendlichen, die sich dem politischen Protest anschließen wollen, wird dadurch jeglicher Schutz verwehrt und die fetischisierte Freiheit des Individuums gefährdet damit alle. Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass wir uns im mittlerweile sechsten Jahr der Krise befinden und auch in Deutschland, dem Herz der Bestie, die sozialen Proteste zunehmen. Deshalb dürfen wir keine Chance vergeuden, junge Migrant_innen, Proletarier_innen und Arbeitslose in unsere Reihen zu integrieren.
Die Sprüche werden außerdem hauptsächlich von Männern auf Demonstrationen gerufen. Das ist prinzipiell nicht schlecht, und je lauter desto besser, aber für viele Frauen wird es dadurch schwieriger, sich in die linken Gruppen zu integrieren. Sie haben das Gefühl, weniger Fähigkeiten zu haben und nicht so respektiert zu werden, wie die Männer. Deshalb appellieren wir an alle Männer politischer Organisationen, ihr Auftreten auf Demonstrationen in ihren Gruppen zu reflektieren. So gut euer Spruch auch sein mag, überlegt vorher einmal, ob nicht vielleicht die Genossin neben euch gerade eine Parole rufen wollte und bietet ihr das Megafon an. Auch wenn man hört, dass eine Frau einen Slogan ruft, hat sie genau so das Recht, dass er aufgenommen und fortgeführt wird.
Natürlich haben große Bündnismobilisierungen immer das Problem, dass unterschiedliche Akteur_innen unterschiedliche Vorstellungen von taktik und Strategie haben. Und man wird sich nie über diese Fragen zwischen beispielsweise der Linkspartei, den JuSos, einer autonomen Antifa-Gruppe und einer kommunistischen Jugendorganisation vollkommen einigen können. Deshalb kommt es manchmal auch während Aktionen zu Konflikten zwischen Demonstrationsteilnehmer_innen.
Die Organisationen, die wie wir in dem ihnen möglichen Rahmen eine demokratische Organisation, effektive Aktionen und die Absprache zu anderen gewährleisten wollen, empfehlen wir vor jeder Demonstration eine „Einsatzleitung“ zu wählen. Also einen oder mehrere Menschen, die während der Aktion die Verantwortung bekommen, einen Überblick über die Gruppe zu haben und in heiklen Situationen, in denen keine Zeit für ein Plenum ist, Entscheidungen zu treffen. Diese Leitungen sollten wähl- und abwählbar sein und sich jeder Kritik stellen, die vorgebracht wird. Wir bewerten das als sehr demokratische und effektive Methode, schnelle Entscheidungen zu treffen und dadurch unmittelbar handlungsfähig zu sein, aber auch durch die kollektive Wahl der Gefahr zu entgehen, dass sich informelle Leitungen aus den Leuten bilden, die einfach am lautesten schreien. Führer_innen, ob uns das gefällt, wird es solange wir in einer Gesellschaft der Unterdrückung leben immer geben, ob uns das gefällt oder nicht. Die Frage ist, ob die Masse sie kontrolliert oder wie so oft in vielen autonomen oder anarchistischen Gruppen, informelle Führer_innen die Gruppe kontrollieren – und sich somit auch jeder Rechenschaft und einer Veränderung entziehen. Wir schlagen vor, dass es spätestens auf dem letzten Bündnistreffen Diskussionen darüber geben sollte, um die Aktionen erfolgreich verlaufen zu lassen.
Auch in diesem Jahr stehen einige Großdemonstrationen an, wie der erste Mai in Berlin oder die Blockupy-Aktionstage. Natürlich werden wir uns an diesen Mobilisierungen beteiligen und rufen alle dazu auf, unsere Kritik und unsere Vorschläge zu diskutieren!
Ein Artikel von Svenja Spunck, REVOLUTION-Berlin