Sichtweise eines XR-Mitgliedes
Berlin in der Woche vom 07.10-12.10.2019. Ein Ausnahmezustand, etwa 2200 XR-Aktivisten blockieren die Stadt (siehe: Berliner Zeitung). Einige Tage liegen wichtige Verkehrsknotenpunkte, wie der große Stern an der Siegessäule oder der Potsdamer Platz, still.
Extinction Rebellion, die Rebellion gegen das Aussterben, sorgt seit einiger Zeit mit Aktionen zivilen Ungehorsams weltweit für Aufsehen. Dazu gehören Straßenblockaden und Swarmings (7-minütige Blockaden), sowie künstlerische Aktionen (z.B. Die-Ins (Todstellen)), als auch besonders riskante Aktionen, wie die des Festkettens (Log-Ons), mit dem zentralen Ziel für Aufsehen zu sorgen und Verhaftungen zu provozieren. Gegründet wurde die Bewegung in Großbritannien, wo AktivistInnen bereits letztes Jahr die Stadt blockierten und die Regierung zum Ausrufen des Klimanotstandes zwingen konnten. Als Mitglied von Extinction Rebellion möchte ich die positiven Seiten der Bewegung beleuchten, aber auch auf mögliche Wiedersprüche und Probleme eingehen.
Die drei Forderungen von Extinction Rebellion
Die erste Forderung lautet: „Die Wahrheit sagen: Die Regierung muss die Wahrheit über die ökologische Krise offenlegen und die Dringlichkeit eines sofortigen Kurswechsels kommunizieren.“ Dieser Kurwechsel, der hier angesprochen wird, muss eine Abwendung von dem kapitalistischen, gewinnen-orientieren Streben nach immer mehr Wirtschaftswachstum sein. Doch da sich Extinction Rebellion nicht auf eine antikapitalistische Ansicht festlegen möchte, fragt man sich wie dieser Kurswechsel sonst aussehen sollte.
Die zweite Forderung meint: „Jetzt handeln: Die Regierung muss jetzt handeln, um das Artensterben zu stoppen und um die Treibhausgasemission bis zum Jahr 2025 auf Netto-Null zu senken“ Auch dies ist eine sehr wichtige Forderung. Trotzdem wäre es gut konkreter auf die Maßnahmen einzugehen, die die Regierung durchführen soll, um das Ziel zu erreichen.
Doch dies tut XR auch, in ihrer dritten Forderung: „Politik neu leben: Die Regierung muss eine BürgerInnen-Versammlung (mit aus der Bevölkerung gelosten Vertretern) einberufen, die die notwendigen Maßnahmen für Klimagerechtigkeit und gegen die ökologische Katastrophe erarbeitet, und sich verpflichten deren Beschlüsse umzusetzen.“ Dies ist meiner Meinung nach, die wichtigste Forderung, weil sie nicht nur auf das Aufhalten der Klimakatastrophe, sondern auch auf mehr direkte Demokratie anspielt. Daher ist es aber schwierig solch eine wichtige Aufgabe nur gelosten Vertretern aus der Bevölkerung zuzuschreiben, auch wenn man positiv erwähnen muss, dass diese aus unterschiedlichen Regionen und gesellschaftlichen Schichten ausgelost werden sollen. Ein weiteres Problem, was bei XR nochmal zu Sprache kommen sollte, ist wie man sicherstellen will, dass die PolitikerInnen die Beschlüsse der BürgerInnen-Versammlung auch wirklich umsetzten, denn wie man am Pariser Klimaabkommen sieht, hält sich unsere Politik momentan noch nicht einmal an ihre eigenen Ziele.
Die Frage nach mehr sozialer Gerechtigkeit und wie man den Klimawandel sozial gerecht gestalten möchte wird jedoch bei den Forderungen größtenteils offengelassen.
Die positiven Seiten der Bewegung
Als ich neu bei XR war begeisterten mich vor allem die neuen, spannenderen Aktionen,- also die zivilen Ungehorsams-, die zur Beteiligung an den Schulstreiks von Fridays for future hinzukamen. Wichtig ist natürlich aber, dass die Streiks neben den Aktionen zivilen Ungehorsams ihre enorme Wichtigkeit nicht verlieren, denn sie treffen die Großkonzerne, die die Umwelt am meisten ausbeuten, am härtesten.
Auch mit dem Staat in direkte Konfrontation zu treten und dazu noch feste Forderungen zu haben, die die Rebellion bestimmen, fand ich von Anfang an äußerst wichtig. Hierbei ist es vor allem positiv zu erwähnen, dass klarere Forderungen, als zum Beispiel bei Fridays for future, aufgestellt wurden.
Extinction Rebellion hat eine stark wachsende Mitgliedszahl und konnte bereits sehr viele Menschen für die Rebellion gewinnen. So erreichte es die Bewegung weltweit aktive Mitglieder in über 50 Ländern auf sechs Kontinenten mit über 340 Ortsgruppen zu mobilisieren. Nach XR-Deutschland gibt es hier in etwa 5.500 Rebell_Innen in über 100 aktiven Ortsgruppen. (siehe MDR Sachsen, 8.10.2019) Das zeigt wie viele Menschen dieses Konzept auf der ganzen Welt und auch in Deutschland bereits begeistert hat.
Diese Tatsache liegt wahrscheinlich auch an der starken Unterstützung der Rebell_Innen untereinander und durch die OGn (Ortsgruppen). Es war für mich beispielsweise nicht schwer mich auf Aktionen vorzubereiten und ich musste keine Angst davor haben, denn das notwendige Vorwissen und alle Zweifel konnte ich in freiwilligen Aktionstrainings klären. Dort wurde auch das Agieren in der Gruppe und Bezugsgruppen (für Aktionen) geübt, also der Zusammenhalt in der Gruppe gestärkt.
Weiterhin gefiel mir die konsequente Gleichberechtigung aller Mitglieder. Im Gegensatz zu Fridays for future, gibt es nicht ein Gremium, das für die Masse entscheidet. Jedes Mitglied kann sich am Entscheidungsprozess beteiligen. Auch wenn es einzelne Arbeitsgruppen gibt, wird am Ende alles Wichtige im Gesamtplenum abgestimmt und entschieden. So kann man von Anfang an Aktionen mitplanen und Entscheidungen treffen. Das liegt auch daran, dass alle Treffen öffentlich beworben werden (im Gegensatz zu denen von FFF).
Den schon zuvor erwähnten Arbeitsgruppen können Mitglieder frei je nach Können und Bestreben beitreten. Dabei wird nicht nur eine praktische Arbeitsteilung, nach z.B. Aktionsplanung, Medienplanung und Bildung (und weiteren Bereichen) vorgenommen, sondern auch dafür gesorgt, dass man seine Aktivitäten frei wählen kann. Das sorgt für Selbstbestimmtheit und Freiheit innerhalb einer Gruppe in der die Mitglieder gleichberechtigt agieren können.
Ein weiterer Punkt, der nicht außer Acht zu lassen ist, ist die finanzielle Unabhängigkeit von Extinction Rebellion, die dafür sorgt, dass die Bewegung nicht benutzt oder gekauft werden kann. Sie finanziert sich nicht über Mitgliedsbeiträge, sondern allein über Spenden. Das sorgt einerseits dafür, dass Mitglieder mit einem höheren Einkommen mehr zahlen können, ohne einen höheren Einfluss zu erlangen, was auch der Klasse der Lohnabhängigen eine Mitgliedschaft ermöglicht. Andererseits müssen so manche Aktionen von Rebellen aus eigener Tasche bezahlt werden.
Probleme im Aufbau von XR
Mit der Zeit fielen mir jedoch auch einige Probleme der Bewegung auf. Die Grundsätze des Programms beispielsweise wurden nur ein einziges Mal von den Aktivist_Innen in Großbritannien festgelegt. Sie sind nicht wandelbar und wurden nicht von der gesamten internationalen Organisation festgelegt, was vor allem mit der Dezentralität im Aufbau einhergeht. Diese sorgt auch für ein unterschiedliches Verständnis des Programms in den unterschiedlichen Ländern, und sogar Städten. Die Grundsätze werden daher auch nach außen hin unterschiedlich vertreten, was für viele Meinungsverschiedenheiten und die Schwierigkeit als internationale bzw. nationale Bewegung aufzutreten, sorgt. Um dieses Problem zu beheben wären folgende Veränderungen notwendig:
– mehr nationale und internationale Vernetzung der Ortsgruppen
– Erarbeitung allgemeingültiger, internationaler Grundsätze, an der alle Mitglieder teilhaben können
– Wahl von Delegierten, die das Programm/ die Meinung ihrer OG (Ortsgruppe) auf Treffen auf nationaler und internationaler Ebene vertreten
Wiedersprüche in den allgemeinen Grundsätzen von Extinction Rebellion
„Bei uns kann man auch ein bisschen rassistisch und sexistisch sein“, meinte der XR-Gründer Roger Hallams. Ich bin sicher, die meisten Rebell_Innen sehen das anders. So ist die Akzeptanz aller Menschen, unabhängig von Religion, Herkunft, Aussehen, u. s. w., sowie die Vermeidung von Beleidigung und Ausgrenzung in den Grundsätzen festgeschrieben. Gleichzeitig sollen aber alle politischen Richtungen akzeptiert werden, was also auch rechte und fremdenfeindliche Positionen beinhalten kann. Hierbei wird der erste Wiederspruch deutlich.
Ein weiterer Punkt ist die schon zuvor erwähnte Kritik am kapitalistischen System. Diese wird oft bei XR, mit dem Argument: “Wir sind nicht alle antikapitalistisch!“, abgetan. Und bei möglichen Diskussionen wird dann auf den Grundsatz der politisch neutralen Organisation verwiesen. Das ist in einer demokratischen Gruppe, in der der mit Abstand größte Teil antikapitalistisch denkt aber sehr problematisch. Indem man den Mitgliedern verbietet ihre Meinung öffentlich zu äußern, mag es auch sein um von der Presse nicht als linksradikal oder von vornerein negativ abgestempelt zu werden, schränkt man dennoch ihre Meinungsfreiheit ein und das ist ganz und gar undemokratisch. Außerdem ist die Zustimmung zur Profitmaximierung der Großkonzerne alles andere als hilfreich für die Bekämpfung des Klimawandels. Es ist der zentrale Grund für die Klimaerwärmung, denn Umweltverschmutzung und Ausbeutung von Ressourcen werden vor allem dadurch verursacht. Die Kritik an der Politik reicht nicht aus. Es braucht diese Kritik am gesellschaftlichen System, dem Kapitalismus, in welchem die Macht bei den Konzernen liegt. Natürlich gibt es auch Gegenbeispiele, wie XR in Paris (Frankreich), welches mit mehreren hundert Menschen (unter anderem auch Aktivist_Innen der Gelbwestenbewegung) ein Einkaufszentrum, als Zeichen gegen den Kapitalismus, besetzte. Dieses Beispiel zeigt jedoch auch wieder die unterschiedliche Auffassung des Programms in den einzelnen Ländern und Regionen auf.
Mit dem Thema einhergehend ist auch die teilweise vorhandene Ablehnung der Kooperation mit anderen linken Gruppen. Natürlich gibt es dort oft Unterschiede in den Programmen, aber muss dort wirklich jeder Punkt übereinstimmen? Um so viele Menschen wie möglich gegen den Klimawandel zu mobilisieren, bedarf es Kooperation und Kompromissbereitschaft und nicht Ablehnung aufgrund (zum Teil nur kleiner) programmatischer Unterschiede und negativen Reaktionen durch die Presse. Diese Unterschiede kann man ja im gemeinsamen Kampf immer noch diskutieren und dabei vielleicht an der Praxis sehen, welche Konzepte sich als besser herausstellen.
Die grundsätzlichen Forderungen von XR weisen noch ein weiteres Problem auf. Extinction Rebellion möchte sich offiziell nur zu Themen, die den Klimawandel direkt betreffen positionieren. Es kommt also zu einer Nicht-Positionierung zu anderen außenpolitischen und internationalen, sowie teilweise sogar gesellschaftlichen Themen. So solidarisiert sich zum Beispiel XR Dresden nicht offiziell mit den Kurd_Innen in Rojava, weil dies nicht dem Grundthema entspreche. Weiterhin wird als Begründung angebracht, dass man nicht genügend Menschen erreichen und gegen den Klimawandel mobilisieren könne, wenn man sich bei diesen Themen festlege. Das ist ein großer Irrtum. Erstens die Tatsache, dass die Menschen in Rojava abgeschlachtet werden und Solidarisierung gegen einen Völkermord keineswegs den Grundsätzen wiederspricht. Hinzu kommt die Forderung nach mehr direkter Demokratie und der Grundsatz der Gleichberechtigung, die nur mit dem kurdischen System in Nordsyrien vereinbar sein können. Zweitens ergibt die Argumentation auch im Generellen keinen Sinn. Wie kann man politisch aktiv sein und etwas bewegen, wenn man keine klare Meinung zu politischen Themen hat? Eine politische Gruppe kann nicht zu jedem außenpolitischen Thema neutral sein! Abgesehen davon sorgt eine immer abweisende politische Haltung auch für Ablehnung in der Bevölkerung. Lässt sich gut an Fridays for future sehen, die sich mit den Kurd_Innen solidarisieren und trotzdem einen enormen Zulauf haben. (Auch wenn dieser gerade durch die Form des Streiks verstärkt wird.)
Auch die Gewaltfrage weist gewisse Probleme auf. XR lehnt Gewalt prinzipiell ab. Allerdings wird das Wort “Gewalt“ und was es für die Organisation bedeutet, nicht klar definiert. So sehen manche Menschen sogar den zivilen Ungehorsam schon als Gewaltform an und das würde dem Grundsatz wiedersprechen. Auch wenn im Rebellionskontext steht, dass wichtig ist, was die Medien als Gewalt ansehen, ist diese Gewaltfrage nicht geklärt. So herrscht in den Medien doch eine sehr unterschiedliche Auffassung. Außerdem wird eine Rebellion gegen das System, wenn sie größeren Einfluss bekommen sollte, automatisch durch die Medien, geächtet werden. So sind auch nicht alle Rebell_Innen mit dem Gewaltkontext einverstanden, was gut an der Abspaltung der Gruppe zur sogenannten Heathrow-Pause deutlich wird. Dabei schlossen sich einige XR-RebellInnen zusammen um mit Spielzeugdrohnen den Londoner Flughafen Heathrow stillzulegen. (siehe Zeitung: der Freitag)
Nun noch zum Grundsatz des Verhaftens. Dieser ist gerade für benachteiligte Menschen, wie Personen mit unsicherem Aufenthaltsstatus, schwer durchsetzbar. Außerdem kann es auch vereinzelt zu Problemen bei den zukünftigen Jobs für SchülerInnen und Studierende kommen. Daher beteiligen sich bei XR auch viel weniger SchülerInnen, als beispielsweise bei Fridays for Future. Glücklicherweise gibt es allerdings auch immer weniger gefährliche Aktionen, wie die Die-ins, und Aufgaben in der Planung und Bildung.
Mein letzter Punkt ist die Kooperation mit der Polizei. So gaben in London Aktivisten vor der Aktion Daten der Blockierenden an die Polizei weiter, damit diese schneller verhaftet werden konnten. In Berlin applaudierten Rebell_Innen der Polizei nachdem sie weggetragen wurden und bedankten sich herzlich. Und das, obwohl diese Polizei nicht ganz legaler Weise (also ohne Zustimmung des Innenministeriums) in London ein Demonstrationsverbot gegen Extinction Rebellion ausrief und in Hamburg gewalttätige Schmerzgriffe gegen (zum Teil) Minderjährige AktivistInnen anwandte. Eine Gruppe, die mit illegalen Aktionen das System verändern will, kann sich nicht mit der Exekutive dieses Systems solidarisieren und dann darauf hoffen weniger Repressionen zu bekommen!
Daher fordern wir:
– Umformulierung des Programms um sexistische und rassistische Meinungen nicht zu tolerieren
– Mehr Freiheit der Mitglieder in antikapitalistischen Meinungen (denn sie dominieren die – Bewegung = Meinung der Masse)
– Akzeptanz antikapitalistischer Aktionen
– Kooperation mit anderen linken Gruppen (keine Ablehnung dieser aufgrund von kleinen programmatischen Unterschieden)
– Bessere Definition des Gewaltkontextes
– Keine Vergabe der Daten vor Aktionen an die Polizei, Sicherheit der AktivistInnen gewährleisten
– Bessere Einbindung von minderjährigen AktivistInnen und der Klasse der Lohnabhängigen (Arbeiter_Innenklasse) durch z.B. Kooperation mit Gewerkschaften und Organisationen von Streiks neben den Aktionen zivilen Ungehorsams