Atompolitik: Schwarz/gelber Störfall

September 2010
Ausgeschlossen, unwahrscheinlich, auf jeden Fall beherrschbar - mit solchen Beschwichtigungen wird seit Jahrzehnten die Gefährlichkeit der Atomenergie von den Energiekonzernen kleingeredet.
Schützenhilfe bekommt die Atomlobby dabei auch von der schwarz/gelben Bundesregierung. Kanzlerin Merkel und die CDU haben dazu eine neue Argumentationslinie gefunden: Kernkraft als Brückentechnologie hilft gegen den Klimawandel, weil durch die AKW die CO2-Emissionen niedriger ausfallen. So ist der jetzt geplante Schritt zum Ausstieg vom Ausstieg nur eine logische Konsequenz. Unklar ist dabei nur noch, wie man es der Bevölkerung angesichts abnehmender Umfragewerte der Koalition und der Ablehnung längerer Laufzeiten durch 60% Prozent der Bevölkerung verkauft.
Gewinnmaximierung statt Sicherheit
Geplant ist die Einführung einer Brennelementesteuer, die jährlich 2,3 Mrd. Euro in den klammen Bundeshaushalt spülen soll. Damit soll u.a. das marode Atommülllager Asse saniert werden, was eigentlich aber sowieso Aufgabe der Atomkonzerne wäre. An diese Brennelementesteuer ist aber ebenfalls die Verlängerung der Laufzeiten der AKW gekoppelt - die Frage hierbei ist, wie lange und nicht, ob überhaupt.
Nun streitet sich die Koalition darum, um wie viele Jahre die Betriebserlaubnis der AKWs verlängert werden soll. Merkel plädiert aktuell für eine Verlängerung von 10 bis 15 Jahren. Vattenfall-Chef Hatakka meint dazu: „Rein technisch sind 28 Jahre machbar“.
Nicht erst seit heute gelten Deutschlands Meiler als hoffnungslos veraltet, vom neuesten Stand der Technik weit entfernt und das Risiko von Verschleißerscheinungen wird täglich größer. Laut Bundesamt für Strahlenschutz kommt es durchschnittlich alle drei Tage zu einem Zwischenfall. Allein 2009 gab es 120 Störungen in deutschen AKW, davon 91 meldepflichtige, d.h. schwerere, fünf bis acht Meiler wurden wegen Sicherheitsmängeln mehrfach abgeschaltet. Als Neuanlagen wären diese Meiler seit vielen Jahren schon nicht mehr genehmigungsfähig. Bei weiterer Laufzeitverlängerung ist der nächste Super-Gau vorprogrammiert.
Aber auch ohne Störfall ist ein AKW schädlich oder gar tödlich. Schon im Normalbetrieb verseucht es die Umwelt. Die Leukämierate bei Kindern im Umkreis deutscher AKW ist siebenmal so hoch wie im Rest Deutschlands. Noch gefährlicher sind die Wiederaufbereitungsanlagen, wie z.B. La Hague in Frankreich. Sie gibt 40 mal mehr Radioaktivität an die Umwelt ab als alle 439 Atomkraftwerke weltweit zusammen!
Ein großes Problem ist, dass niemand weiß, wo der atomare Abfall bleiben soll. Sichere Endlager gibt es nirgendwo auf der Welt, stattdessen wird der Müll hin- und hergefahren, auf Deponien geschafft oder in diverse Zwischenlager gesteckt, von denen eines unsicherer ist als das andere. Das Atommülllager Asse, das erst seit 1967 genutzt wird, zeigt, dass noch nicht einmal die Endlagerung über vier Jahrzehnte sicher ist. Seit 1988 dringt dort aus unbekannter Quelle täglich Wasser in die mit radioaktivem Müll gefüllten Stollen ein. Die inzwischen radiaktive Lauge droht, das Grundwasser zu verseuchen. Da ist die Aussage von Hatakka schon eher als Drohung zu verstehen.
Ausstieg?
Das jetzige, von der damaligen SPD/Grünen-Regierung 2000 ausgehandelte Gesetz sieht einen „Ausstieg“ bis 2022 vor. Das damals mit denselben Energiekonzernen, die heute Druck dagegen machen, bereits ein Vertrag beschlossen wurde, zeigt, wie sich das Kapital an Verträge hält und welche Bedeutung sie haben, wenn es um die Beschneidung seiner Gewinne geht. Auch dafür, diesen Vertrag zu brechen, bedurfte es der schwarz/gelben Wunschregierung des Kapitals, die nicht wie in diesem Fall die Grünen mit einer Basis konfrontiert sind, die Atomenergie ablehnt.
Als im Bundestag „quer durch alle Parteien“ und selbst in der Merkel-Regierung viele mit dem Zurückweichen vor den Atom-Konzernen nicht einverstanden waren, gingen diese dazu über, offen mit der Abschaltung der Atomkraftwerke zu drohen, oder die Zahlung einer Brennelementesteuer einfach zu verweigern. Ein von Eon, RWE, EnBW und Vattenfall ausgehandelter Deal sieht nun vor, einmalig 30 Mrd. Euro an den Bund zu zahlen - für den Fall, dass die AKW-Laufzeiten um mindestens 12 Jahre verlängert werden und die Regierung auf die geplante Steuer verzichtet.
Bei verlängerten Laufzeiten würden die Energiekonzerne 6,5 Mrd. Euro zusätzlichen Gewinn einfahren - pro Jahr! Bei 12 Jahren macht das 78 Milliarden! Bei solchen Zusatzprofiten kann man schon mal 30 Milliarden locker machen. Klar, dass man sich eine solche atomare Gelddruckmaschine nicht stilllegen lassen will. „Selbstverständlich“ ist für die Konzerne auch, dass die „externen Kosten“ für die Lagerung von Atommüll, Umweltschäden und daraus resultierende Krankheiten auf die Gesellschaft abgewälzt werden.
Da sich die Bundesregierung ziert, ihre Käuflichkeit offen zu zeigen, setzen die Energiekonzerne die Regierung auch mit einer Anzeigenkampagne unter Druck, in der sie diese auffordert, „bis auf weiteres“ an Kohle- und Atomstrom festzuhalten.
Gekaufte Politik
Kein Wunder, haben sich doch die großen vier Energiekonzerne E.on, RWE, EnBW und Vattenfall den deutschen Markt fein säuberlich aufgeteilt, Wettbewerber gibt es kaum. Mit solch einem Oligopol lässt sich bürgerliche Politik bestens korrumpieren und zudem kann man die Preise bestimmen. Durch die traditionell enge Verwobenheit von Politik und Energiekonzernen haben es die Konzerne besonders leicht, ihre Interessen durchzusetzen. Da sitzen Abgeordnete in Aufsichtsräten, Ex-Politiker werden Chefstrategen und Lobbyisten sitzen in den Ministerien. So haben sie beste Kontakte zur Regierung, um Entscheidungen wie die geplante Brennelementesteuer zu beeinflussen, Gesetze zu entschärfen oder gar zu verhindern. War diese Steuer noch fester Bestandteil des „Sparpakets“ von Schwarz-Gelb, beginnt diese nun, zugunsten der einmaligen Abgabe umzufallen. Jetzt verhandelt das Finanzministerium direkt mit den Betreibern darüber. Nach klassischem Muster wurde die Gesetzesvorlage in Form eines Energiewirtschaftsvertrages mit dem Finanzstaatssekretär ausgehandelt.
Auch der unter Rot/Grün beschlossene „Ausstieg“, der jetzt gekippt werden soll, war ein Kniefall vor den Stromgiganten. Der Ausstieg hätte so oder so gar nicht stattgefunden, denn die Vereinbarung mit der Stromwirtschaft vom Juni 2000 war in Wahrheit ein Bestandsschutz für die laufenden Meiler. Diese Beispiele zeigen, dass bürgerliche Parteien oder die Regierung eben nicht die Interessen der WählerInnen vertreten, sondern am Gängelband - und manche auch direkt an den Futtertrögen - der Konzerne hängen.
Ein wirklicher Ausstieg aus der Atomenergie würde daher auf heftigen Widerstand des Kapitals stoßen und kann daher nur gegen den Willen der Herren in den Ämtern und Chefetagen durchgesetzt werden - und auf Kosten ihrer Profite.
Seit Jahrzehnten kassiert die Atomwirtschaft riesige Subventionen. Schätzungen sprechen aktuell von jährlich 17 Milliarden. Trotzdem wälzen die Konzerne jede Steuer, jede Beschränkung ihre Gewinne über den Preis auf die Kunden ab. So erwartet die Regierung lt. des Sprechers des Bundesfinanzministeriums eine Strompreiserhöhung um 1,5 Cent pro Kilowattstunde.
„Grüne“ Alternativen?
Leider fordern auch Umweltschutzorganisationen wie Greenpeace eine Erhöhung 2,5 Cent je Kilowattstunde für Atomstrom. So richtig diese Forderung ist, wenn sie auf die Strompreise für Unternehmen zielt, die sich verstärkt um energiesparende Technologie bemühen müssten, so falsch ist diese Forderung, soweit sie Kleinverbraucher betrifft. Warum? Höhere Strompreise belasten die Lohnabhängigen stärker, d.h. ihre Einkommen dienen noch mehr der Erwirtschaftung der Profite der Konzerne. Hinzu kommt, dass die „Wahlmöglichkeit“ gerade für die ärmeren Schichten der Arbeiterklasse ohnedies eine Fiktion ist. Die MieterInnen in den Großstädten können nicht beliebig über die bizarren Angebote am Strommarkt entscheiden.
Somit treffen Forderungen wie jene von Greenpeace genau jene Teile der Bevölkerung, die die kapitalistische Klimapolitik weder verursachen, noch durch ihr individuelles Verhalten groß beeinflussen können. Selbst der angedachte Effekt des Energiesparens tritt damit durchaus nicht automatisch ein. Schließlich können gerade die privaten Haushalte nicht beliebig einsparen ohne an Lebensqualität noch mehr zu verlieren. Richtig wäre es stattdessen, die Verwendung energiesparender Technik massiv zu fördern.
Bewegung
Die Anti-AKW-Bewegung hat in den letzten Jahrzehnten viel erreicht. Ohne sie ständen hier heute nicht 17 Atommeiler, sondern noch mehr. So konnte z.B. der Bau der geplanten Wiederaufbereitungsanlage Wackersdorf verhindert werden. Der Bau neuer AKWs war wegen des starken Widerstands sehr schwer durchsetzbar. Doch am Grundproblem, dass Konzerne Milliardengewinne mit der Atomenergie machen und dabei die Risiken und negativen Folgen für Mensch und Umwelt vergesellschaften, haben die Proteste nichts geändert.
Ein zentrales Argument vieler AtomkraftgegnerInnen ist, die Vormachtstellung der Großkonzerne (auch über die Stromnetze) zu beenden - zugunsten vieler kleiner regionaler Stromanbieter. Diese Position greift aber zu kurz. Erstens übersieht sie nämlich, dass damit die Konkurrenz am Energiemarkt nicht verschwinden, ja vielleicht sogar zunehmen würde, da natürlich auch kleinere Erzeuger, z.B. Stadtwerke daran verdienen könnten - und unter Konkurrenzbedingungen sogar müssten -, Überkapazitäten weiter zu verkaufen.
Zweitens ist eine grundsätzlicher Umbau des Energiesektors Richtung
 erneuerbare Energie und Energiesparsamkeit an eine gesamtgesellschaftliche, ja internationale Planung gebunden, ohne die ein sinnvoller Mix aus verschiedenen Energieträgern, angepasster Technik und dementsprechenden Netzen unter der Anarchie des Marktes und zahlloser Privateigentümer scheitern muss oder aber nur sehr eingeschränkt möglich wäre. Zudem erfordert eine solche, in der Tat gesamtgesellschaftliche Umorientierung, auch riesige Kapitalmengen, die nur dann zentral zur Verfügung stehen, wenn den Konzernen ihre Pfründe entrissen werden.
Aufgaben der Bewegung
Gegenwärtig steht die Anti-Atom-Bewegung u.a. vor zwei zentralen Problemen.
Es gibt keine Kooperation mit den Beschäftigten in der Energiewirtschft bzw. mit der zuständigen Gewerkschaft IG BCE. Um eine solche herzustellen, muss die Bewegung neben Forderungen zur Verbesserung der Sicherheit der AKW (die natürlich auch direkt im Interesse der dort Beschäftigten liegen) auch Forderungen einbringen nach direkter Kontrolle von AKW, Atomlagern usw. durch AnwohnerInnen, Beschäftigte und ExpertInnen ihres Vertrauens. Die Schließung von Atomanlagen darf nicht zu Lasten der Beschäftigten gehen, d.h. Umschulungen u.a. Maßnahmen müssen geplant und aus den Profiten des Kapitals finanziert werden. Lohneinbußen oder Entlassungen dürfen nicht akzeptiert werden!
Dazu ist es auch notwendig, Forderungen an die Führung IG BCE zu stellen, den Kampf für einen Ausstieg aus der Kernenergie zu unterstützen. Ohne die bornierte Blockade-Politik der reformistischen Gewerkschaftführung zu brechen und Beschäftigten zu gewinnen, wird es sehr schwer sein, nur „von außen“ etwas zu erreichen.
Ein zweites wichtiges Moment im Kampf ist die Verbindung der Anti-Atom-Bewegung mit anderen Sektoren von Widerstand, v.a. der Anti-Krisen-Bewegung. Die Notwendigkeit dieser Verbindung ergibt sich schon aus der Tatsache, dass die Konflikte in beiden Bereichen eine gemeinsame Ursache haben: den Kapitalismus, das Privateigentum und das Profitstreben. Nicht zuletzt könnte die Anti-AKW-Bewegung so ihr Anliegen viel stärker popularisieren und Unterstützung finden.
Energiewende durch Planwirtschaft
Die gegenwärtige Gefahr, die von den heutigen AKW der Stromkonzerne und ihren Profitinteressen ausgeht, macht deutlich, dass ihnen der Betrieb dieser gefährlichen Anlagen nicht mehr überlassen werden darf. Sollen nicht wie bisher die Lohnabhängigen die bereits entstandenen Umwelt- und Gesundheitsschäden, die Castortransporte und die immensen zukünftigen Kosten für die Risiken der Endlagerung auch zukünftig zahlen, muss die gesamte Energiewirtschaft entschädigungslos unter Arbeiterkontrolle enteignet werden!
Das bedeutet auch, dass Schluss ist mit Hinterzimmerverhandlungen und Geheimverträgen. Bilanzen, Forschungsberichte und Gutachten müssen veröffentlicht werden, um die Risiken und Schäden genau abschätzen und bilanzieren zu können und um auch einen sofortigen Ausstieg vorzubereiten!
Solange diese Anlagen noch in Betrieb sind, muss unter Kontrolle von ArbeiterInnen und VerbraucherInnen ein nationaler und internationaler Energieplan erarbeitet werden, um einen möglichst schnellen, planmäßigen Ausstieg vorzubereiten und Überkapazitäten und Verschwendung zu vermeiden. Es wird nicht mehr der Profit über den Einsatz einer Technologie zu Energiegewinnung entscheiden, sondern gewählte Komitees von ProduzentInnen und KonsumentInnen aus Arbeiterklasse und Kleinbürgertum.
Ein solcher Plan zur Umstrukturierung der Energiewirtschaft würde zugleich bedeuten, dass die gesamte Produktion und Konsumtion der Gesellschaft verändert werden müsste. Das heißt u.a.: massive Förderung von Energie sparenden und Umwelt schonenden Technologien, Eliminierung unsinniger Produktionen und Verkehre, die nur aufgrund des Privateigentums und der Konkurrenz nötig sind.
Das ist jedoch nur umsetzbar, wenn die gesamte kapitalistische Gesellschaftsstruktur umgewandelt wird. Auf Dauer stellen regenerative Energieformen den einzigen Weg dar, die Energieversorgung der Menschheit zu sichern, hierzu muss auch die Forschung unter Arbeiterkontrolle gestellt werden, damit Ergebnisse und innovative nichtprofitträchtige Technologien nicht wie gegenwärtig einfach in der Schublade der kapitalistischen Auftraggeber verschwinden. Letztendlich kann die ökologische Krise, in die der Kapitalismus die gesamte Menschheit gerissen hat, nur über dessen Sturz gelöst werden. Die Verwüstung unseres Planeten und damit die Grundlage der menschlichen Reproduktion sind nur durch eine globale sozialistische Planwirtschaft möglich.
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