Geschenke, Glühwein und Geschlechterklischees: Sexismus an Weihnachten

Von Erik Likedeeler, Dezember 2023

In vielen Haushalten gilt Weihnachten als die Zeit des Jahres, in der Freude, Harmonie und Geschenke eine kurze Zeit lang dafür sorgen, dass die Probleme des Alltags im Kreis der Familie vergessen werden können. Was dabei außer Acht gerät ist, dass zahlreiche Glaubenselemente und Weihnachtstraditionen die gewaltvollen und unterdrückerischen Elemente der bürgerlichen Kleinfamilie aufrechterhalten. In diesem Artikel wollen wir uns mit drei Beispielen dafür auseinandersetzen.

1. Care-Arbeit und Geschlechterklischees in der Familie

Dass an Weihnachten die Verwandtschaft besucht wird, die man teilweise das ganze Jahr über nicht gesehen hat, gehört quasi zum guten Ton. Diese Erwartung ist so stark, dass viele von uns die Feiertage mit Menschen verbringen, mit denen wir eigentlich keine Gemeinsamkeiten haben und die vielleicht sogar rassistische, sexistische oder queerfeindliche Ansichten haben. Sich dagegen ausgerechnet an Weihnachten zur Wehr zu setzen, geht natürlich gar nicht: Mit dem Zwang zur Harmonie wird jeder Widerstand als peinliche Störung des Ablaufs betrachtet. Außer Lächeln und Nicken ist gerade von uns Jugendlichen keine Reaktion erwünscht.

Für die meisten Frauen bedeutet die Weihnachtszeit tonnenweise zusätzliche Care-Arbeit: Adventskalender müssen gefüllt werden,  Kekse müssen gebacken und die Wohnung dekoriert werden. Ein einfaches Essen reicht nicht aus, stattdessen werden aufwändig zubereitete Gerichte erwartet. Mütter besorgen Geschenke für die eigene Familie und für die Familie des Ehemannes und bekommen teilweise kein einziges Geschenk zurück. Während die Männer der Familie sich am Tisch mit Glühwein besaufen, wird diese Arbeit den Frauen ganz selbstverständlich zugeschoben, so dass von besinnlichen, freien Tagen keine Rede mehr sein kann.

Die Vorbereitung auf diese stets sanfte, geduldige und fürsorgliche Rolle der Hausfrau und Mutter beginnt schon früh. So bekommen Mädchen zu Weihnachten oft Puppen oder vielleicht eine Spielküche geschenkt, während es für Jungen eher Baustellenfahrzeuge oder eine Ritterburg gibt. Der erzieherische Anspruch von Weihnachtsgeschenken für jüngere Kinder wurde schon häufig kritisiert, aber deutlich seltener wird die fortgeführte Ungleichheit im Jugendalter unter die Lupe genommen:

In zahlreichen Haushalten ist immer noch die Tradition der Aussteuer verbreitet. Während Jungen Geld geschenkt bekommen, z.B. für den Führerschein oder um sich „einen Grundstock aufzubauen“, ist es üblich, Mädchen Haushaltsgegenstände wie Bettwäsche, Besteck oder ein Bügelbrett zu schenken, teilweise schon ab dem Kindesalter.

Von der tendenziell älteren Verwandtschaft wird dabei erwartet, dass diese Gegenstände irgendwann mal „mit in die Ehe“ genommen werden, damit der Mann „direkt sieht, was die Frau zu bieten hat“. Der zukünftige Haushalt soll dank einer gefüllten Aussteuer-Truhe bereits perfekt ausgestattet sein für die lebenslängliche Verpflichtung der Frau zur Care-Arbeit.

Teilweise gibt es von Verwandten sogar aufreizende Unterwäsche geschenkt – ob diese bequem ist oder dem individuellen Geschmack entspricht, ist egal, solange sie ansprechend für den Freund oder Ehemann ist. Sich über derart sexistische Geschenke zu beschweren, geht natürlich gar nicht: Gegenüber der Verwandtschaft muss Dankbarkeit geheuchelt werden, bevor die ungewollte Flut an Handtüchern, Topflappen und Bettwäsche („für das Ehebett“) dann für immer auf dem Dachboden verstaubt.

Also Weihnachten abschaffen?

Um nicht nur die Enttäuschung beim Geschenkeauspacken, sondern auch die dahinterstehende Ausbeutung zu beenden, müssen wir aufhören, die Care-Arbeit in den Privathaushalt zu verschieben. Nur, wenn wir die täglich anfallenden Aufgaben wie Wäschewaschen und Kochen vergesellschaften, können wir Männer effektiv zur Verantwortung ziehen. Auch emotionale Arbeit wie das Vorbereiten von Festen sollte die Aufgabe der Gemeinschaft sein.

Damit Jugendliche nicht länger gezwungen sind, die Feiertage in einem unterdrückerischen Umfeld zu verbringen, brauchen wir für sie die finanzielle Unabhängigkeit von der Familie in Form eines staatlichen Taschengeldes in ausreichender Höhe, unter der Kontrolle der Arbeiter:innen und der Jugendlichen selbst. Nur so können wir den goldenen Käfig der bürgerlichen Kleinfamilie zerbrechen und zu einem wahrhaft besinnlichen Zusammenleben finden.

2. Krampuslaufen: Keine Kindererziehung, sondern rohe Gewalt

Eine Weihnachtstradition, in der die Werte der bürgerlichen Familie besonders deutlich zum Ausdruck kommen, ist das Krampuslaufen. „Wenn du nicht brav warst, dann holt dich der Krampus!“ ist eine Drohung, die vielen Kindern aus Bayern, Österreich, Südtirol und einigen osteuropäischen Ländern bekannt sein dürfte. Beim Krampus handelt es sich um eine Art „Gehilfen“ des Nikolaus. Während der gute Nikolaus die braven Kinder belohnt, bestraft der Krampus die bösen Kinder – die, die sich nicht das ganze Jahr über an die strengen, christlichen Moralvorstellungen gehalten haben. Durch solche fiktiven, urteilenden Instanzen wird der erzieherische Anspruch des weihnachtlichen Schenkens auf die Spitze getrieben.

Im November und Dezember ist das Krampuslaufen in zahlreichen Regionen eine beliebte Tradition. Auch wenn die Krampusfigur teilweise auf vorchristliche, pagane Mythen zurückgeführt wird, funktioniert sie heute als eine alternative Version des christlichen Teufels, die besonders in Österreich als Teil der „abendländischen Kultur“ gilt. In der heutigen Zeit des zunehmenden nationalistischen Bewusstseins steigt auch die Zahl der Krampusläufe, nicht nur auf dem Dorf, sondern auch in Großstädten wie Wien.

Manche dieser Umzüge verlaufen problemlos und bleiben als schöne Veranstaltungen mit in die Menge geworfenen Süßigkeiten in Erinnerung. Immer wieder kommt es im Kontext dieser Umzüge jedoch zu Gewalttaten: Erst vor wenigen Wochen wurde ein zwölfjähriger Junge aus Niederösterreich mit einem Schleudertrauma ins Krankenhaus eingeliefert, nachdem er von einem erwachsenen Mann zu Boden gerissen worden war. Auch Blutergüsse, Platzwunden und Knochenbrüche werden immer wieder dokumentiert – ganz zu schweigen von den Traumata, die bei Kindern zurückbleiben, nachdem sie z.B. verschleppt und in Käfige gesperrt wurden.

Hauptsächlich sind es junge Männer, die sich die furchterregenden Masken mit Hörnern aufsetzen, um Kinder einzuschüchtern. Der Krampus ist eine Verkleidung, die es Männern erlaubt, die Rolle des wilden, ungebändigten und sadistischen Patriarchen zu festigen.  Damit geht einher, dass Männer miteinander mackerhafte Schaukämpfe aufführen, während Frauen festgehalten, mit Reisigbündeln geschlagen und sexuell belästigt werden. Erst vor kurzem wurde eine Frau bei einem Krampuslauf in Tirol zu Boden geworfen und schwer verletzt. Die Rolle der Frau ist in dieser Konstellation nur die des sexuellen Objekts und des Opfers – während die Täter davonkommen, versteckt unter ihren Masken. Das führt so weit, dass manche Frauen und Kinder zu dieser Zeit Angst davor haben, das Haus zu verlassen.

Diese romantisierte Kombination aus einem übermächtigen, gewalttätigen Mann, einer hilflosen Frau und einem hörigen Kind setzt das Ideal der bürgerlichen Kleinfamilie auf brutale Weise durch. Was häufig als „schwarze Pädagogik“ bezeichnet wird, ist in Wirklichkeit ein Mittel, um Frauen und Kinder durch Erniedrigung und Gewalt zur Unterordnung zu zwingen. Von klein auf wird Kindern, vor allem Mädchen, beigebracht, dass sie nicht frech und ungehorsam gegenüber Autoritätspersonen sein dürfen. Doch genau dazu müssen Kinder das Recht haben, wenn sie zu eigenständig denkenden und handelnden Erwachsenen heranwachsen sollen!

Natürlich befürworten wir die Religionsfreiheit und damit auch das Recht auf die Ausübung religiöser Traditionen – aber nur, solange damit keine Unterdrückung einhergeht! Genauso sind wir gegen den Zwang, bei religiösen Veranstaltungen mitmachen zu müssen, und für die strikte Trennung von Kirche und Staat! Religion sollte Privatsache sein, keine „Leitkultur“, die allen aufgezwungen wird, um Rassismus gegenüber Andersgläubigen zu rechtfertigen.

Wenn es um den Umgang mit Tätern  geht, können wir uns allerdings weder auf die Kirche noch auf den Staat verlassen. Auch auf das Individuum dürfen wir die Verantwortung nicht verschieben, da insbesondere Kinder und pflegebedürftige Menschen nicht vollends in der Lage sind, sich vor Übergriffen zu schützen. Was wir brauchen, um die gewalttätigen Eskalationen der Krampus-Macker zu durchkreuzen, sind Selbstverteidigungsstrukturen, mit dem Fokus auf dem gemeinsamen Handeln von Unterdrückten und Arbeiter:innen. Denn in der Weihnachtszeit, in der viele von uns sowieso schon dank des Sonnenuntergangs um 16:00 mit Winter Blues zu kämpfen haben, sollte niemand Angst davor haben müssen, das Haus zu verlassen!

3. Die Jungfrau Maria: Die perfekte Mutter?

Für viele Menschen gehört es in Weihnachten dazu, sich die Weihnachtsgeschichte zu erzählen oder an einem Krippenspiel teilzunehmen. Dabei ist besonders die Figur der Maria wichtig, um das Ideal der bürgerlichen Familie zu verstehen. Maria verkörpert für die katholische Kirche ein heiliges, niemals erreichbares weibliches Idealbild: die liebevolle und sich aufopfernde Mutter, die zugleich rein und ewig „jungfräulich“ bleibt.

Jungfräulichkeit war für Mädchen und Frauen lange der einzige Weg, um Ansehen von Männern zu gewinnen, während sexuell aktive Frauen beschämt und erniedrigt wurden. Auch heute ist es noch das Idealbild, dass Mädchen und Frauen sich für „den Richtigen“ aufsparen sollen – für eine feste monogame Beziehung mit einem Mann, in der sie dann Sex haben und Kinder zur Welt bringen sollen.

In einer festen Partnerschaft oder Ehe angekommen, dürfen Frauen sich nicht mehr negativ über Schwangerschaft, Fortpflanzung und Mutterschaft äußern. Besonders unangenehm wird das beim Weihnachtsessen, wenn die Verwandten sich erkundigen, ob denn eigentlich schon Kinder geplant sind. An dieser Stelle müssen Frauen dann das übliche Programm abspulen und versichern, wie süß und toll Babys doch sind – sonst müssen die damit rechnen, mit vorwurfsvollen Blicken und Kommentaren gestraft zu werden.

Der Bezug zum Christentum ist allerdings nicht die Ursache für die bürgerliche Sexualmoral, sondern eher ein Vorwand zu ihrer Rechtfertigung. Aus der Bibel geht nicht einmal hervor, ob Maria wirklich eine Jungfrau im heutigen Sinne war. Früher wurde dieser Begriff genutzt, um junge, unverheiratete Frauen zu beschreiben, erst später wurde er mit der sexualisierten Bedeutung aufgeladen. Vielmehr geht es bei diesem sexistischen Märchen darum, die Unterdrückung der Frau und damit die geschlechtergetrennte Arbeitsteilung von Produktion und Reproduktion aufrecht zu erhalten. Durch diese können Kapitalist:innen mehr Profit generieren, da sie für diese unbezahlte Arbeit im Privaten nicht zahlen müssen. Eine hohe Geburtenrate garantiert ebenfalls einen Nachschub an zukünftigen Arbeitskräften.

Daher spielt der Glaube an „Jungfräulichkeit“ im Christentum immer noch eine große Rolle, und das hat fatale Auswirkungen: In manchen Ländern hält sich der Glaube daran, dass der Sex mit einer „Jungfrau“ einen Mann vor sexuell übertragbaren Krankheiten heilen könnte – dadurch sollen Vergewaltigungen gerechtfertigt werden. Des Weiteren soll der Glaube an die Jungfräulichkeit es in einigen Ländern legitimieren, das Heiratsalter von Mädchen bis zur Kinderehe herabzusenken. Selbst vor Gericht kommen noch medizinische Gutachten über „intakte Jungfernhäutchen“ zum Einsatz, und in Europa war das Ausbleiben von Blut beim „Ersten Mal“ lange ein gültiger Scheidungsgrund.

Aus der Angst vor Beschämung und Bestrafung hat sich ein profitabler Jungfräulichkeitsmarkt entwickelt, bestehend aus biologischem Unsinn wie „Jungfräulichkeits-Zertifikaten“, künstlichen „Jungfernhäutchen“, die mit Rinderblut gefüllt werden, überteuerten und lebensgefährlichen Operationen, in denen das „Jungfernhäuten“ wieder hergestellt werden soll, und einer beliebten Entjungferungs-Porno-Kategorie.

Da selbst im Medizinstudium falsche Fakten gelehrt werden, setzt sich erst langsam die Erkenntnis durch, dass Jungfräulichkeit ein kultureller Mythos ist und dass es kein „Jungfernhäutchen“ gibt, das beim Sex reißen kann. Im Sexualkundeunterricht wird Jugendlichen immer noch beigebracht, es wäre normal, beim Sex zu bluten und Schmerzen zu haben – ein Mythos, der durch Kinderehen und Zwangsheirat entstanden ist. Wer beim Sex blutet, hat eindeutig eine Verletzung erlitten, und solange das nicht an den Schulen gelehrt wird, werden Jugendliche weiterhin davon abgehalten werden, ihrem Körper zu vertrauen und im richtigen Moment „Stopp“ zu sagen!

Die willkürliche Einteilung in „Heilige“ und „Hure“ ist es, die das Ideal der bürgerlichen Kleinfamilie am Laufen hält. Damit wir alle das Weihnachtsessen ohne Scham und Schuldgefühle genießen können, fordern wir das Ende der Hetero-Norm und des Drucks, Kinder zu bekommen. Wir stehen ein für die freie Entfaltung der romantischen und sexuellen Orientierung, sowie der Geschlechtsidentität und des Lebensentwurfs!

Was wir brauchen, ist kein christlicher Religionsunterricht, der uns Slut Shaming und Rape Culture unter dem Deckmantel der Anatomie lernt, sondern ein Sexualkundeunterricht, der uns das Handeln nach Konsensprinzipien beibringt. Denn die gegenseitige Anerkennung unserer Bedürfnisse ist ein wichtiger Schritt, damit unser Weihnachtswunsch vom Kommunismus endlich in Erfüllung gehen kann.

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