Von Sani Meier, April 2023, REVOLUTION-Zeitung April/Mai 2023
„Lehrjahre sind keine Herrenjahre“ – diesen oder ähnliche Sprüche hast du vielleicht auch schon gehört, ob von Lehrer_Innen, Vorgesetzten oder Eltern. Gemeint ist damit, dass man während seiner Schulzeit, Ausbildung oder Studium trotz großer Mühen wenig Geld zur Verfügung hat und dass das alles ganz normal und völlig in Ordnung sei. Geld verdienen sei was für Erwachsene und wer was anderes erwartet, sei selbst schuld. Aber warum sollten wir uns damit zufriedengeben und wie sieht die Situation von Kindern und Jugendlichen in Deutschland wirklich aus?
In Deutschland ist momentan jedes fünfte Kind von Armut bedroht, besonders in alleinerziehenden und Mehrkindfamilien. Von den jungen Erwachsenen unter 25 sind es ein Viertel. Frauen und migrantisierte Menschen trifft es nochmal stärker. Insgesamt haben junge Erwachsene zwischen 14 und 25 in Deutschland das höchste Armutsrisiko aller Altersgruppen, egal in welchem Bundesland.
Während man noch zur Schule geht, hat man in der Regel kein eigenes Einkommen und wohnt meist bei den Eltern. Diese verwalten das Kindergeld und entscheiden über die Höhe und Häufigkeit des Taschengeldes, das sie zahlen können oder wollen. Wenn die eigenen Eltern selbst gerade so über die Runden kommen oder man kein gutes Verhältnis zu ihnen hat, bleiben zwei Optionen: kein eigenes Geld haben oder sich ab dem 14. Geburtstag einen Minijob suchen. Beides ist belastend für junge Menschen- entweder hat man keinen Zugang zu Essen, Kino und Freibad oder man erfährt schon früh die Doppelbelastung von Schule und Lohnarbeit, was sich negativ auf die schulischen Leistungen auswirken kann. Jetzt noch ein unbezahltes Pflichtpraktikum on top? Im Kapitalismus gar kein Problem.
Hat man diese Zeit hinter sich gebracht, geht das gleiche Spiel in Ausbildung und Studium weiter: Während der gesetzliche Mindestlohn aktuell bei 12€ liegt, bekommen Azubis gerade mal die Hälfte. Viele kommen aktuell gar nicht erst an diesen Punkt: 261.800 junge Menschen, die ein Interesse an einer Berufsausbildung hatten, fanden im Ausbildungsjahr 2018/2019 keine Stelle. Das heißt: Mehr als die Hälfte aller an einer Ausbildung interessierten und bei der Arbeitsagentur gelisteten Jugendlichen ging leer aus. Unter Studierenden sind 38% von Armut betroffen. Lebt man in einer WG oder alleine, sind es 76%. Viele von ihnen sind zusätzlich von Wohnungslosigkeit betroffen, das heißt, sie hangeln sich von Zwischenmiete zu Zwischenmiete, da der aktuelle Wohnungsmarkt keine Angebote mehr für junge, einkommensschwache Menschen bieten kann. Und auch das BAföG reicht nicht aus, um das auszugleichen: Selbst wenn man Anspruch darauf hat, reicht es in der aktuellen Preisentwicklung von Lebensmitteln, Mieten und Energie schon lange nicht mehr aus und muss dringend reformiert werden.
Das alles hat weitreichende Folgen für die Entwicklung junger Menschen: Während der Schule hat man weniger Zugang zu ruhigen Orten wie einem eigenen Zimmer oder einen eigenen Laptop als Kinder aus wohlhabenden Familien. Es ist schwieriger, Hobbies auszuüben, wenn dafür Vereinsbeiträge zu zahlen sind, kann weniger reisen und kaum am gesellschaftlichen Leben teilnehmen. Man gibt weniger Geld für die eigene Gesundheit aus, ist der ständigen Doppelbelastung von Schule/Studium und Arbeit ausgesetzt und stark abhängig von den Eltern, was viele junge Menschen an ihrer freien Entfaltung hindert und sich so auch negativ auf die psychische Verfassung auswirkt. Wenn Politiker wie Frank-Walter Steinmeier jetzt auch noch ein soziales Pflichtjahr für Jugendliche fordern, fragt man sich ernsthaft, wer hier eigentlich den Kontakt zur Gesellschaft verloren hat.
Wir finden das alles andere als normal und sprechen unter anderem deshalb in diesem Kontext von Jugendunterdrückung. Junge Menschen werden massiv ausgebeutet und an ihrer selbstbestimmten Entwicklung gehindert, haben die meiste Zeit ihrer Jugend kein Wahlrecht und sind rechtlich entmündigt. Aus diesem Grund organisieren wir uns in einer unabhängigen Jugendorganisation, die jungen Menschen eine Stimme gibt und von niemandem bevormundet wird. Unsere Unterdrückung ist eng mit dem Kapitalismus verknüpft, da ihre Normalisierung und Verharmlosung eine Überausbeutung unserer Arbeitskraft rechtfertigt. Gemeinsam sagen wir dem kapitalistischen „Normalzustand“ den Kampf an und werfen folgende Forderungen auf: