September 2007
Bei den Protesten gegen den G8-Gipfel 2007 in Heiligendamm wurden viele wichtige Fragen innerhalb der antikapitalistischen Bewegung aufgeworfen. Eine zentrale Frage davon war – wie steht die Bewegung zur Gewalt?
Die Frage kam natürlich sehr stark nach den Ausschreitungen bei der Großdemonstration am 02.06. in Rostock auf. Die Art und Weise, wie mit der Frage umgegangen wird, zeigt jedoch wie wenig der Inhalt dieser Frage verstanden wird. Bei der Frage geht es nämlich keineswegs darum, wer welchen Stein wann und wo geworfen hat, sondern um zentrale politische Grundsatzfragen der antikapitalistischen Bewegung. Die Frage der Gewalt geht zurück auf die Frage, welchen Charakter der Staat im Allgemeinen und der kapitalistische Staat im Speziellen besitzt und wie wir dazu stehen. Die Reformisten von Linkspartei und Attac hatten schon vor Ende der Demo entschieden auf welcher Seite sie stehen – Möchtegernanalysten a lá Peter Wahl, attac („Die Polizei ist nicht unser Feind, sondern ein Instrument“) und direkte Angriffe auf die sich verteidigenden Demonstranten a lá Lutz Brangsch und Michael Brie, Rosa-Luxemburg-Stiftung („In Rostock hat eine kleine Minderheit von gewaltausübenden Gruppen das Anliegen der großen Mehrheit bewusst bekämpft.“) Damit spalteten diese Wortführer den Protest in „Gut & Böse“ und machten direkt das Spiel von Polizei und bürgerlichen Medien mit.
Es gab und gibt nicht wenige Stimmen, die eine komplette Ablehnung von militanten Aktionsformen, in welcher Art auch immer, fordern. Aussagen wie „so erreichen wir gar nichts“ oder „ihr seid genauso wie die“ erfreuen sich nicht selten breiter Zustimmung in den Kreisen der „gemäßigten“ Linken. Über die Bedeutung ihrer Worte sind sich die meisten dieser Leute leider selten bewusst. In der Diskussion über Ausschreitungen bei einer Großdemonstration in Deutschland kommen sie sofort zu dem Schluss, jegliche Gewalt sei generell abzulehnen, ohne sich im Geringsten mit dieser Frage auseinander zu setzen! Gewalt, oder besser gesagt Militanz, bedarf einer sehr weiten Definition. Militante Aktionsformen gegenüber der Staatsgewalt treten in sehr unterschiedlichen Formen und Zusammenhängen auf. Sie reichen von symbolischer Sachbeschädigung, Steine werfen gegen Polizisten, über Straßenkämpfe gegen Privatisierungen (Bolivien), gewaltsamen Kampf gegen die Apartheid (Südafrika) bis hin zu militärischer Organisation als Guerilla (Asien, Lateinamerika, Kurdistan, Palästina). All das sind Formen von Militanz, oder wie der sozialdemokratische Moralapostel sich empört, Gewalt. Interessanterweise sind viele Reformisten aus Linkspartei und attac bei der Beurteilung anderer Länder weitaus radikaler als bei der Betrachtung von Deutschland. Wie viele Reformisten reden mit glänzenden Augen über die kubanische Revolution, oder den Kampf gegen das Apartheidregime in Südafrika, beides hochmilitante Kämpfe, um im nächsten Moment sich über die „Gewaltbereitschaft“ mancher Jugendlicher zu empören? Es reicht ein Blick ins europäische Ausland. Fanden wir es nicht alle toll, dass die französischen Jugendlichen das CPE-Gesetz verhindern konnten?
Zusammenfassend stellen wir fest, dass Militanz in unterschiedlichen Ländern, in unterschiedlichen Situationen unter unterschiedlichen Bedingungen ausgeübt wurde und wird. Diese Frage auf ein simples „Wir sind gegen jede Art von Gewalt!“ zu reduzieren, ist ein sehr voreiliger und kurzsichtiger Schluss.
Um diese Frage zu verstehen, ist es unbedingt notwendig, sich über den Charakter und den Inhalt des kapitalistischen Staates bewusst zu werden. Welche Aufgabe hat der Staat, und wie gehen wir mit ihm um? In den verschiedenen sozialdemokratischen und bürgerlichen Ideologien wird immer wieder der Eindruck vermittelt, der Staat sei neutral, er würde gewissermaßen über der Gesellschaft stehen und für einen Ausgleich sorgen. Besonders das Modell des Sozialstaats in Deutschland hat diese Illusion gefestigt. Und so kommen auch Herren wie Peter Wahl zu der scharfsinnigen Analyse, dass die Polizei doch nicht unser Feind, sondern nur ein Instrument sei. Bleibt die Frage, wessen Instrument, zu welchem Zweck, und wie gehen wir damit um?
Karl Marx und Friedrich Engels haben den Charakter des Staates genauer definiert. Nach ihnen ist der Staat nicht von außen auf die Gesellschaft aufgezwungen, sondern ein Produkt der gesellschaftlichen Entwicklung. Die Notwendigkeit eines Staates ist überhaupt nur gegeben, weil es verschiedene Klassen mit unterschiedlichen Interessen gibt. So ist die Formation eines Staates immer die Herrschaft einer Klasse über eine andere Klasse. Im alten Rom herrschten die Patrizier über die Plebejer, im Mittelalter die Feudalherren über die Handwerker und Bauern, im Kapitalismus die Kapitalisten über die ArbeiterInnen. Egal wie die Ausgestaltung des kapitalistischen Staates auch sein mag, Militärdiktatur, konstitutionelle Monarchie oder „Sozialstaat“, er behält immer seinen Zweck bei: die Sicherstellung der ökonomischen und politischen Macht der Kapitalisten und Bereitstellung der Infrastruktur, um produzieren und Profit erzeugen zu können (d.h. die Arbeiterklasse ausbeuten zu können). Der Staat steht keineswegs außerhalb oder über den gesellschaftlichen Verhältnissen, sondern geht aus diesen hervor und hat den einzigen Zweck, diese zu erhalten.
Was bedeutet diese Analyse für uns, wenn wir die Welt verändern wollen, was wir doch alle wollen? Attac sowie z.B. die Block-G8-Kampagne gingen an die Aktionen zum G8-Gipfel so heran, dass sie mit der Polizei, d.h. mit dem Staat, zusammenarbeiten wollten, um „Ausschreitungen zu verhindern“. Welch Illusionen in den bürgerlichen Staat! Wir wollen die Welt verändern, d.h. die momentanen gesellschaftlichen Verhältnisse verändern, überwinden! Der bürgerliche Staat hat aber die Aufgabe, genau diese Verhältnisse zu erhalten!
Dieses Verhalten von der Attac Führung ist leicht begründbar. In ihren „Theoriezirkeln“ werden Begriffe a´la „Gegenmacht“ und „Multitude“ benannt – so soll um „Hegemonie“ im politischen Diskurs gekämpft werden. Hört sich vielleicht hochtrabend an, ist es aber nicht – Attac möchte Diskurse und Meinungen beeinflussen, will alternative Medien aufbauen oder mal als Regierungsberater für bürgerliche Linksregierungen arbeiten. Attac will die aktuelle Politik des „Neoliberalismus“ bekämpfen, aber nicht Grundlage jeder bürgerlichen Politik – den kapitalistischen Staat selbst!
Sie verbreiten Illusionen vom sozialen Kapitalismus in der antikapitalistischen Bewegung, von gewaltlosem Kampf und gerechter Weltregierung – diese Spitze des illusorischen Reformismus nennen sie „Global Gouvernance“. Dafür will Attac die „Öffentlichkeit“ erobern, gegen einen Staat mit hunderttausenden bewaffneten Polizisten und Soldaten will Attac nicht kämpfen oder Widerstand leisten, sie wollen die herrschende Klasse aufklären und überzeugen! – vielleicht hätten auch die Sklaven früher nur mal mit dem Sklavenhalter reden und ihn von der Ungerechtigkeit seines Tuns überzeugen müssen um in Freiheit zu gelangen – die „Strategien“ von Attac sind pure Heuchelei!
So fällt Attac eher mit „öffentlichkeitswirksamen“ Aktionen auf. So konnten wir in Rostock amüsiert bestaunen, wie eine Gruppe von AktivistInnen den G8 die Weltkugel aus ihren Fängen entrissen. Nur wie man/frau denn in der Praxis die Welt aus den Fängen der G8 befreien soll, wie organisierter Widerstand gegen die Herrschaft der G8 aufgebaut werden kann, darauf haben die Attacies keine Antwort!
„Die globalisierungskritischen Bewegungen kämpfen vor allem um die Wortführerschaft in der Öffentlichkeit, um auf diese Weise die Grundlagen für das Handeln der Herrschenden zu verändern.“, schreiben Lutz Brangsch und Michael Brie in ihren Ausführungen über die Ausschreitungen in Rostock, so hört sich das dann bei den Strategen der Rosa-Luxemburg-Stiftung von der Linkspartei an.
Die Diskussion um Militanz/Gewalt und den Staat dieses Jahr in Rostock haben eine weitere entscheidende Frage der antikapitalistischen Bewegung in den Vordergrund gerückt – nämlich die der politischen Führung!
Wenn Attac Lobbyisten und festbezahlte Parteistrategen den Kurs der Bewegung bestimmen, dann ist es ihr Ziel diesen Widerstand in das bürgerliche System zu integrieren. Die Linkspartei will mitregieren, betreibt als Juniorpartner der SPD in Berlin und vorher schon Mecklenburg-Vorpommern astreine neoliberale Politik und will dies auch auf Bundesebene ab 2009. Andere „Bewegungslinke“ sind die informelle Führung, d.h. von der Basis nicht gewählt, sondern durch Absprachen der beteiligten Organisationen besetzte Gremien.
Diese dominieren in der Sozialforumsbewegung, diese ist unter Kontrolle der linken Gewerkschaftsbürokraten und den Linksparteien – zusammen mit kleinbürgerlichen Gruppen wie Attac und manch „kommunistischer/revolutionärer“ Rückendeckung ehemaliger stalinistischer Parteien bestimmen sie den Kurs der antikapitalistischen Bewegung. Gerade Rostock 2007 hat gezeigt das die kämpferische antikapitalistische Linke gemeinsam den Kampf gegen diese reformistische und pazifistische Führung aufzunehmen.
Was notwendig ist, um die Welt zu verändern, um Hunger, Krieg, Ausbeutung, Rassismus, Umweltzerstörung etc. in die Geschichtsbücher zu verbannen, ist der Sturz der Herrschenden und ihres Systems.
Deshalb muss auch über die Frage der Militanz diskutiert werden. Sich von vorneherein festzulegen, auf gar keinen Fall Gewalt anzuwenden, bedeutet sich geschlagen zu geben, wenn der Staat mit Polizei und Militär seine Ordnung schützt. Die Aufstände in Oaxaca (Mexiko) z.B. in diesem Jahr, haben gezeigt wie der Staat gegen den Widerstand vorgeht – Milizen und Militär töteten und verschleppten Hunderte der Aktivisten,
mit fast allen Mitteln wurde der Widerstand bekämpft.
Also stellen wir fest: um die Welt letztendlich zu ändern, wie es immer so schön heißt, also um den Kapitalismus abzuschaffen, müssen wir letztendlich bereit sein, uns zu verteidigen und die Revolution auch mit Waffen zu erkämpfen. Das abzuweisen, bedeutet leider in letzter Instanz, die Verhältnisse zu akzeptieren, das Elend von Millionen und Milliarden von Menschen. Die Anwendung von Militanz wird in verschiedenen Ländern in verschiedenen Situationen notwendigerweise anders aussehen. Natürlich haben auch die Autonomen den Inhalt der Frage der Gewalt, der Frage des Charakter des Staates, in keinster Weise verstanden, indem sie die Gewalt zum Selbstzweck erheben, zum Inhalt ihrer Politik, Überbringer ihrer Botschaften. Damit werden sie nie die Arbeiterklasse von der Notwendigkeit einer Revolution überzeugen, und ohne die Arbeiterklasse werden sie nie eine Revolution machen.
Die Frage der Militanz, ob und wie sie angewendet wird, ist letztendlich eine Frage der Taktik, die in einer gewissen Situation angewendet werden muss. Sich von vorneherein jegliche Militanz zu verbieten, bedeutet sich die Hände zu binden. Und weiter: sich bei der Frage auf die Seite der Polizei und des Staates zu stellen, bedeutet die Bewegung zu verraten!
Dagegen müssen wir einen breiten kämpferischen Widerstand koordinieren, die aniimperialistischen und revolutionären Gruppen müssen gemeinsam den Kampf um die Führung in der Bewegung beginnen – für neue revolutionäre Parteien, eine neue Jugendinternationale – für den Aufbau der 5.Internationalen der revolutionären Arbeiterbewegung!