Nach Paris: Militarismus, Repression und Imperialismus

von Ben Zimmer


In Paris gab es einen schrecklichen Anschlag des selbsternannten „Islamischen Staates“ (IS), durch den 130 Menschen ihr Leben verloren haben. Darauf folgend gab es einen Ausnahmezustand in Frankreich und Belgien, der in Paris auch heute noch aufrecht erhalten wird. Die Bundeswehr geht wieder vermehrt ins Ausland, um deutsche Interessen zu vertreten. Wie das alles zusammenhängt und welche Interessen dahinterstehen, wollen wir in folgendem Artikel genauer erläutern.


Was ist los in Syrien, dem Irak und Mali?


Syrien, Irak und Mali werden vom Kapital und den Regierungen als „Krisengebiete“ bezeichnet; es sind Gebiete, in denen der Imperialismus eine Menge Chaos anrichtet oder angerichtet hat. Im Moment kämpfen verschiedene Imperialist_Innen in diesen Ländern um geopolitische Interessen und Rohstoffsicherung.
Dabei prallen im Nahen Osten vor allem der amerikanische und der russische Imperialismus aufeinander, während Frankreich und Deutschland auch einen immer größeren Machtanspruch stellen und im Moment einen neu erstarkten, dritten Pol darstellen.


In Mali, einem Land im Nord-Westen Afrikas, kämpft der französische Imperialismus seit Januar 2013 gegen den Terrorismus und will seine Machtinteressen festigen.
Es lässt sich die These aufstellen, dass die deutschen und französischen Imperialismen in Zusammenarbeit und gleichzeitiger Konkurrenz mit den großen und starken ImperialistInnen, also der USA, Russland und China, militärisch und wirtschaftlich offensiver als zuvor agieren und so ihre Interessen durchsetzen wollen.


Einordnung von Paris


Am 13. November wurden in der Hauptstadt Frankreichs über 130 Menschen getötet und über 250 Menschen verletzt. Zu dieser schrecklichen Tat, die vor allem Jugendliche und ArbeiterInnen getroffen hat, hat sich der faschistische „Islamische Staat“ bekannt.
Auch wenn diese Anschläge durch nichts zu entschuldigen sind, waren sie eine reaktionäre Antwort auf die endlose Serie imperialistischer Kriege nach dem 11. September 2001 und die jüngsten Bombenangriffen in Mali seitens Frankreich.
Dieser Anschlag spielt der KapitalistenInnenklasse auf einer gewissen Ebene in die Hände. Sie kann, unter dem Vorwand, sie würde den Terror bekämpfen, die Armee aufrüsten, viele Angriffe gegen die ArbeiterInnenklasse durchbringen und die Klasse rassistisch spalten, indem sie die Grenzen zwischen migrantischen Arbeiter_Innen und islamistischen Terroristen verschwinden lässt.
Dies wurde auch direkt gemacht. Es wurde ein Ausnahmezustand ausgerufen und über Syrien und Mali wurden weitere Bombenangriffe geflogen, denen sich jetzt auch die Bundeswehr angeschlossen hat.


Säbelrasseln


Doch nicht nur Frankreich nutzt den Terror des IS aus, um seine Interessen zu vertreten, auch Deutschland will außenpolitisch wieder aktiver werden. Direkt nach den Anschlägen kündigte Merkel an, dass sie „mit Ihnen [Frankreich, Anm. d. Red.] gemeinsam den Kampf gegen die führen wird, die Ihnen so etwas Unfassbares angetan haben“. Noch im selben Satz, in dem sie ihre Krokodilstränen vergießt, verkündet sie dann, dass es weitere Auslandseinsätze geben wird.


Dem folgen natürlich auch Taten: Bei den Aktionen Frankreichs gegen den „Islamischen Staat“ (IS) soll es „Geleitschutz“ für einen französischen Flugzeugträger, Satellitenaufklärung, sowie vier bis sechs Aufklärungs-„Tornados“ und eine Aufrüstung der Ausbildungsmission im Nordirak geben. Dieser Geleitschutz ist eigentlich militärisch gesehen nicht nötig, da der Flugzeugträger über ein Raketenabwehrsystem verfügt, sich auf dem Wasser gut selbst verteidigen kann und nur durch Mittelstreckenraketen, über die der IS nicht verfügt, zerstört werden kann. Einzig der IS hat momentan ein Interesse daran, diesen Flugzeugträger zu zerstören, ist aber unfähig, dies zu tun. Da kommt zwangsläufig die Frage auf: Wieso gibt der deutsche Imperialismus dem Flugzeugträger symbolischen Geleitschutz? Dies ist ein Ausdruck davon, dass der französische und der deutsche Imperialismus ein Zeichen setzen wollen, dass sie gemeinsam präsent sind und sich nicht dem amerikanischen oder dem russischen Imperialismus „unterwerfen“ wollen, sondern eine eigenständige Macht darstellen, die auch direkt Alleingeltungsanspruch auf das Mittelmeer erhebt.
In dieses Bild passt auch die Ausweitung des Bundeswehr-Auslandseinsatzes in Mali. In das Land im Norden Afrikas sollen bis zu 1200 Soldat_Innen geschickt werden. Hier wird als Begründung von der Kriegsministerin Ursula von der Leyen (CDU) aufgeführt, dass man Frankreich im „Kampf gegen den Terror“ unterstützen wolle, das dort schon seit Januar 2013 angeblich gegen den Terrorismus kämpft.


Für all diese Ziele braucht man natürlich Menschenmaterial. Nach der Abschaffung der Wehrpflicht hat Deutschland einige Probleme, genügend Soldat_Innen für ihren Krieg zu finden. Daher hat sie eine groß angelegte Bundeswehrkampagne gestartet, die erst nur Prävention war, ihr jetzt aber in die Hände spielt. Unter dem Motto „Mach, was wirklich zählt“ wird mit über 30.000 Plakaten, 5.000.000 Postkarten und Riesenpostern in 11 Städten in Deutschland für die Kampagne geworben. Dabei soll mit reaktionären Slogans wie „Nach der Schule liegt dir die Welt zu Füßen, halte sie sicher“ oder „Kriegsherde löschst du nicht mit Abwarten und Tee trinken“ für über 4000 Jobs bei der Bundeswehr geworben werden. Diese 10 Millionen Euro schwere Kampagne ist aus Sicht des Kapitals auch sehr erfolgreich. Während man 2013 noch etwas über 1000 unter 18-Jährigen zum Militärdienst einziehen konnte, rechnet man nun mit bis zu 2700 minderjährigen Soldat_Innen.


Der deutsche und der französische Imperialismus wollen sich zusammenfassend als Machtfaktor im Nahen Osten etablieren und so stärker an der zukünftigen Neuaufteilung des Gebietes beteiligt sein. Um ihr Säbelrasseln zu legitimieren, nutzen sie die Anschläge von Paris. Dadurch, dass die Armeen der Imperialist_Innen in Syrien kämpfen, können sie behaupten, dass sie den IS bekämpfen und etwas in den Herkunftsländern gegen die „Flüchtlingswelle“ machen. Dass ihre Lösung reaktionär ist, zu mehr Geflüchteten führt, letztendlich auch für das Aufkommen des IS verantwortlich ist und es um reine Vertretung von geostrategischen Interessen geht, spielt bei der Legitimation keine Rolle. Man will nur den „demokratischen“ und „friedlichen“ Schein bewahren.


Ausnahmezustand und Repression


Wie oben kurz angerissen, wurde nach dem Attentat in Paris ein Ausnahmezustand ausgerufen. Das ist selbst für eine bürgerliche Demokratie sehr selten. Das bis jetzt einzige Mal war während des Algerienkriegs in den 50er und 60er Jahren. Dabei wurden über 200 Aufständische gegen den imperialistischen Terror von den französischen Bullen, der Gendarmerie, erschossen, gefoltert und hingerichtet. Neben diesem bis jetzt einzigen frankreichweiten Ausnahmezustand wurde dieses Mittel auch schon auf regionaler Ebene, wie zum Beispiel 2005 bei den Jugendaufständen in den Pariser Vorstädten, eingesetzt. Man sieht also, dass die Ausnahmezustände bis jetzt nur ausgerufen wurden, um Aufstände niederzuhalten oder die bürgerliche Demokratie gegen Befreiungskämpfe oder andere Angriffe zu verteidigen.


Ein Ausnahmezustand kann in Frankreich per Dekret, also einem von dem Staatsoberhaupt erlassenen Beschluss, maximal 12 Tage bestehen. Ansonsten muss das Parlament dem Ausnahmezustand per Gesetz zustimmen. Dies ist am 26. November passiert. Der sogenannte Linksblock um die „Parti socialiste“ (Sozialistische Partei), die stalinistische Kommunistische Partei Frankreichs (KPF) und die Linkspartei (PG) haben bis auf drei Ausnahmen dafür gestimmt, den Ausnahmezustand auf drei Monate zu verlängern. Dies stellt einen klaren Burgfrieden mit dem französischen Kapital und einen Verrat an ihrer Mitgliederbasis dar und ist aufs Schärfste zu verurteilen und zu bekämpfen!
Dadurch können massive Angriffe gegen „Systemgegner_Innen“, also Linke gefahren werden. Neben den Tatsachen, dass die Bullen ohne Durchsuchungsbefehl willkürlich jede Wohnung durchsuchen dürfen und systemfeindliche Organisationen und Parteien leicht verboten werden können, gibt es auch massive Angriffe auf die Versammlungsfreiheit: Demonstrationen und Saalversammlungen sind verboten und können geräumt werden – und das mit der Begründung, keine Ziele für Terroristen zu schaffen. Welche Verlogenheit, wenn man die Versammlungsfreiheit massiv einschränkt, aber die öffentlichen Plätze und Geschäfte weiter geöffnet bleiben! Des Weiteren dürfen die Bullen eine Ausgangssperre verhängen, das Betreten von bestimmten Gebieten untersagen und willkürlich Menschen festnehmen. Ein Wunder, dass sie die Freiheit der Presse, wie in den 50ern, noch nicht eingeschränkt haben.


All diese Maßnahmen stellen für die Klasse der Lohnabhängigen keinen Schutz vor dem möglichen Terror durch den IS dar, sondern sind Angriffe auf die Rechte der Arbeiter_Innenklasse! Die Demokratie der Arbeiter_Innen und Jugendlichen kann man nicht anhand von „Freiheiten“ und „Offenheit“ von Parlamenten feststellen, sondern über die Versammlungs-, Organisations- und Pressefreiheit. Durch diese können sich Arbeiter_Innen und Jugendliche erst organisieren und ihre Forderungen auf die Straße tragen. Diese wurde durch den Ausnahmezustand aufgehoben und ist damit ein direkter Angriff auf die Demokratie.


Die Folgen des Ausnahmezustands hat die Arbeiter_Innenklasse schon zu spüren bekommen. In Paris wurde eine recht kleine Demonstration der NPA (Neue antikapitalistische Partei) während des Ausnahmezustandes
gewaltsam aufgelöst und von den Bullen außergewöhnlich repressiv behandelt. Verschlimmert hat sich die Situation an dem Wochenende der Klimakonferenz: Nachdem der Protest gegen eine Klimakonferenz verboten wurde und viele nur bei symbolischen Aktionen blieben, hat sich die NPA richtigerweise dazu entschieden, trotzdem gegen die Konferenz zu demonstrieren. Dabei wurden mehr als die Hälfte der 500 DemonstrantInnen festgenommen und über Nacht in Zellen gesteckt.
Doch nicht nur in Frankreich und Belgien wurden die Anschläge auf Paris als Vorwand für reaktionäre Gesetze und Aktionen benutzt. Neben der oben beschriebenen imperialistischen Invasionen in den Nahen Osten fordern deutsche Bullengewerkschaften die sogenannte Vorratsdatenspeicherung, die eine Totalüberwachung des Internets darstellt, die es in Frankreich bereits gibt (!) und die absolut nichts gegen den IS-Terror genutzt hat.


Auch der EU-Digitalkommissar Günther Oettinger ist der Meinung, dass eine bessere Überwachung notwendig sei und behauptet, dass „gerade wir in Deutschland […] endlich unser Grundmisstrauen gegenüber Geheimdiensten ablegen (sollten)“ und stößt mit anderen bürgerlichen PolitikerInnen ins Horn der Totalüberwachung.


Was tun gegen Krieg und Repression?


All diese Dinge sind schlimm und „scheiße“, aber das heißt nicht, dass sie in Stein gemeißelt sind. Wie in dem Artikel schon ein paar Mal angeschnitten, gibt es Protest und Widerstand. Dies ist unserer Meinung nach die richtige Antwort. Die NPA hat als einzige linke Kraft in Frankreich richtig auf den Ausnahmezustand reagiert und dagegen demonstriert. Auch wenn die Protest wegen der geringen Größe der NPA recht klein geblieben sind, waren sie ein wichtiges Signal.


Auch Demonstrationen gegen Krieg und Militarismus sind wichtig. So haben in Essen bei einer Demonstration der Linkspartei fast 1.000 Menschen gegen den NATO-Kriegsrat, der dort getagt hat, protestiert. Konferenzen, auf denen sich Organisationen und AktivistInnen besprechen, welche Perspektive und welche Praxis gegen den Militarismus und die Repression nötig ist, halten wir für gut und richtig.


Doch es kann nicht bei kleinen, lokalen Aktionen bleiben. Es muss eine breit angelegte, internationale Kampagne aller Organisationen geben, um dem Militarismus und der Repression entgegen zu treten. Diese muss sich auf die Klasse der Lohnabhängigen stützen. Daher müssen wir alle Arbeiter_Innen, die bei den sozialdemokratischen und stalinistischen Parteien organisiert sind, dazu aufrufen, mit deren Politik der „Nationalen Einheit“, d.h. den Zusammenhalt der nationalen Bourgeoisie mit dem „nationalen“ Proletariat, der Sozialpartnerschaft und der direkten oder indirekten Unterstützung imperialistischer Kriege zu brechen. Diese Politik ist nicht in Ihrem Interesse und sie werden von ihrer Führung objektiv verraten. Allerdings sollte man auch nicht den Fehlschluss ziehen, dass alle, die sozialdemokratisch organisiert sind, nicht willkommen sind, weil ihre Partei den Krieg unterstützt. Alle, die gegen Krieg und für Demokratie sind, müssen ihre Gewerkschaften, Parteien und Organisationen vielmehr dazu drängen, mit „Nein“ gegen den Krieg zu stimmen. Diese Einheitsfront könnte auch deutlich besser auf die Bundeswehrkampagne reagieren, als es jetzt der Fall ist, da es nur lokale, sich nicht auf Masse stützende Aktionen gibt.


In die kommenden Mobilisierungen, auch wenn wir uns keine Illusion über deren Größe machen, wollen wir folgende Forderungen hineintragen:


  • Nein zu jeder Intervention in Mali, Syrien und dem Irak durch die Bundeswehr und die französische Armee! Alle ausländischen Truppen und Besatzer_Innen, egal ob USA, Deutschland, Frankreich, Arabische Emirate, Türkei oder Russland raus aus den Ländern!
  • Für eine internationale Solidaritätsbewegung mit den Kurd_Innen und allen fortschrittlichen Kräften, die gegen IS und Besatzung kämpfen! Bedingungslose Hilfe für die Befreiungskämpfe, statt verlogener „Kampf gegen den Terror“!
  • Nein zum Ausnahmezustand! Sofortige Wiedereinführung der Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit in Frankreich und Belgien! Nein zur Aufhebung von demokratischen Rechten! Nein zu allen (neuen) Überwachungs- und Repressionsmaßnahmen, wie z. B. der Vorratsdatenspeicherung!
  • Schluss mit allen Rüstungsexporten der westlichen Imperialist_Innen an die Türkei oder die arabischen Staaten und des russischen Imperialismus an das Assad-Regime!
  • Nein zur rassistischen Spaltung! Der Terroranschlag in Paris darf keine Legitimation für rassistische Spaltung und Terror gegen Refugees sein! Offene Grenzen und Bleiberecht für alle! Für eine Bewegung von Arbeiter_Innen, Linken und Gewerkschaften gegen rassistische Gesetzte und Bewegungen auf der Straße! Für das Recht auf Selbstverteidigung gegen rassistische und faschistische Angriffe!


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