Mexiko: Über 30 Monate Streik

März 2010


Im Norden Mexikos, ca. 50 Km von der Grenze zu den USA entfernt, schwelt ein gewaltiger Arbeitskonflikt. Schon seit Juli 2007 befinden sich die MinenarbeiterInnen der Unternehmensgruppe „Grupo Minero México (GMM)“ in der Stadt Cananea im Streik. Unterstützt werden sie durch KollegInnen in Sombrerete, Zacatecas und Taxco. Das Unternehmen und der mexikanische Staat kannten von Anfang an nur eine Antwort auf die Forderungen der ArbeiterInnen: Repression. Doch trotz aller Einschüchterungen, Drohungen und Verurteilungen kämpfen die ArbeiterInnen weiter – und ein Ende ist nicht in Sicht.

Der Konflikt

Das Unternehmen GMM ist seit langem für seine besonders ausbeuterische und gewerkschaftsfeindliche Praxis bekannt. Die schweizerische NGO „Covalence“, welche die „ethischen Reputationen mulinationaler Unternehmen“ vergleicht, führt GMM in seinem letzten Bericht auf Platz 9 der weltweit skrupellosesten Unternehmen. Die Firma weigert sich, ausgehandelte Löhne zu bezahlen, die Gewerkschaft anzuerkennen und Sicherheitsnormen einzuhalten. Aufgrund der hohen Gesundheitsbelastung bei der Minenarbeit gab es früher eine unternehmensinterne Klinik („clínica obrera“), die den ArbeiterInnen ärztliche Versorgung zur Verfügung stellte. Doch 1999 wurde die Klinik geschlossen.

In den vergangenen Jahren hat GMM vermehrt und systematisch versucht, vorhandene Arbeitsplätze durch niedriger bezahlte, ungeschützte Arbeitsverhältnisse zu ersetzen. In der Mine „Pasta de Conchos“ im Bundesstaat Coahuila fand im Februar 2006 eine Explosion statt, in deren Folge 65 Arbeiter eingeschlossen wurden und umgekommen sind.

Daraufhin gingen die ArbeiterInnen wegen fehlender Krankenversorgung und mangelhaften Arbeitsschutzes auf die Strasse. Inzwischen ist der Konflikt jedoch zu einem nationalen Kräftemessen zwischen Kapital und Staat und Gewerkschaften und Arbeiterklasse geworden.

Der Arbeitskampf wird von der Bergarbeitergewerkschaft „Sindicato Nacional de Trabajadores Mineros, Metalúrgicos y Similares de la República Mexicana (SNTMMSRM)“ geführt. Die Gewerkschaft kämpft seit langem gegen die Machenschaften von GMM und hat eine starke Verankerung bei den MinenarbeiterInnen. Der internationale Gewerkschaftsbund (IGB) schreibt 2009 in seinem Bericht über Mexiko: „Das größte Bergwerksunternehmen des Landes, Grupo México, und die Regierung haben versucht, die mexikanische Bergarbeitergewerkschaft ‚SNTMMSRM‘ zu zerschlagen.“

Es gab eine Anklage und Verurteilung wegen Korruption gegen den Gewerkschaftssekretär Napoleón Gómez Urrutia, der seitdem in Kanada im Exil lebt. Die Anklage basierte laut IGB auf offensichtlich gefälschten Beweisen. Doch wichtiger  als das Exil des Sekretärs ist, dass die Regierung das Urteil zum Anlass nahm, einen Großteil des Geldes der Gewerkschaft zu konfiszieren und weitere GewerkschafterInnen anzuklagen und einzuschüchtern. Als Folge des Konfliktes wurde der Gewerkschafter Reynaldo Hernández González ermordet. Das Unternehmen versuchte mit der Unterstützung des Arbeitsministers, eine neue, ihm genehme Gewerkschaft bei GMM zu gründen und die ArbeiterInnen zu zwingen, ihr beizutreten.

Schon einmal haben die BergarbeiterInnen von Cananea eine bedeutende Rolle in der Geschichte Mexikos gespielt. Der legendäre Streik vom Juni 1906 gilt als Vorbote der mexikanischen Revolution. Damals marschierte das amerikanische Militär in Cananea ein, um den Streik zu beenden.

Die Regierung Calderón

Geschichte ähnelt sich manchmal, wiederholt sich aber bekanntlich nicht. Heute hat der mexikanische Staat eigene Repressionskräfte, um den Streikenden in Cananea zu begegnen. Das zuständige Arbeitsgericht hat ein Urteil gefällt, das den Streik faktisch als illegal erklärt. Zuvor hatten die Streikenden ein Angebot von GMM in einer Versammlung abgelehnt. Der Staat reagierte prompt und die lokale Regierung kündigte an, die Minen von der Polizei räumen zu lassen.

In einer Veröffentlichung der Gewerkschaftssektion heißt es: „Die Multimillionäre, denen die Minen gehören – die auf intensive Art und Weise Tausende von MinenarbeiterInnen des Landes ausgebeutet und unterdrücken – haben die volle Unterstützung der Regierungen von Fox (vorheriger Präsident Mexikos, a.d.R.) und Calderón (jetziger Päsident, a.d.R.), genauso wie von der Unternehmerklasse. Die Arbeitssekretäre (vergleichbar mit Ministern, a.d.R.), die wie Wachhunde der Präsidenten agieren, haben viele Fallen gebaut, durch Kolumnen, Repression und Verfolgung.“

Die Regierung zeigt klar, auf welcher Seite sie steht. Es wäre aber naiv zu glauben, dass lediglich die Person des Präsidenten oder seine Partei PAN den Charakter des Staates bestimmt. Gerade an der Verquickung der lokalen Behörden, der föderalen Regierung und der Arbeitsgerichte zeigt sich, dass der Staat durch und durch kapitalistisch ist und seine Aufgabe darin sieht, die Ausbeutungsverhältnisse  aufrecht zu erhalten.

Eine neue Revolution?

Rund einhundert Jahre nach der mexikanischen Revolution stellt sich die Frage, was von den heroischen Idealen der mexikanischen Arbeiterklasse übrig geblieben ist? Die mexikanische Gesellschaft gleicht heute erneut einem schwelenden Vulkan, dessen kleine Ausbrüche nur Vorboten einer neuen großen Eruption sind.

Der heroische Kampf der MinenarbeiterInnen, die seit über 30 Wochen ohne Lohn dem Kapitalisten und dem Staat trotzen, steht in einer Reihe mit dem indigenen Aufstand der Zapatista-Armee im südlichen Chiapas 1994 und den schweren Unruhen um die „Volksversammlung“ in Oaxaca 2006.

Die ArbeiterInnen in Cananea haben die Minen in eigener Regie übernommen und angekündigt, die Anlage „mit unserem Leben zu verteidigen“. Welch bewundernswerter Schritt, der zugleich die Machtfrage aufwirft: Wer, welche Klasse kontrolliert und bestimmt die Wirtschaft? Doch nun muss sie auch beantwortet werden. Wenn die ArbeiterInnen es nicht tun, wird es der Staat auf seine Weise tun! Die ArbeiterInnen sollten einen Rat bilden, der demokratisch gewählt und kontrolliert wird und die Kontrolle über die Produktion übernimmt. Zugleich muss die Verteidigung des Streiks und der Mine gesichert werden. Dazu muss die Solidarität mit anderen Belegschaften und der Bevölkerung hergestellt werden. Erste Schritte dazu sind bereits getan worden. Andere Streikende werden sich ein Beispiel an Cananea nehmen – das könnte der Startpunkt für die Koordination eines Generalstreiks in Unterstützung der streikenden „mineros“ und der Gründung von Kampforganen und Arbeiterräten in ganz Mexiko sein!

Das gilt umso mehr, als die Arbeiterklasse, die Bauern und die Millionen in den „informellen Sektoren“ auch massiv von der globalen Krise betroffen sind. Allein von Oktober 2008 bis Februar 2009 sind 550.000 Arbeitsplätze verloren gegangen, davon 52% in der verarbeitenden Industrie. Der Peso verlor 2008 fast 40 % seines Wertes gegenüber dem Dollar. Die Grundnahrungsmittel verteuerten sich 2007 um 17 %, im Jahr 2008 noch einmal um 6,25 Prozent. Der Staatshaushalt kommt durch den fallenden Ölpreis zusätzlich massiv unter Druck.

All das sind nur einige Beispiele, die zeigen, dass die gesamte Arbeiterklasse und die Bauernschaft kämpfen müssen, wenn sie nicht für die Krise zahlen wollen.

Daher muss der Kampf der Mineros auch zum Ausgangspunkt für eine landesweite Mobilisierung aller Organisationen der Arbeiterklasse und der Unterdrückten gegen die Krisenkosten genutzt werden. Die Arbeiterklasse muss den Angriffen von Kapital und Regierung ihr eigenes Anti-Krisenprogramm entgegensetzen, das im Kampf für eine Arbeiterregierung gipfelt, die sich auf Räte und Milizen stützt und das imperialistische und mexikanische Großkapital sowie den Großgrundbesitz unter Kontrolle der ArbeiterInnen bzw. der ländlichen Armut enteignet.

2006 schrieben wir über Oaxaca: „Wenn sich die Volksversammlungen von Oaxaca auf ganz Mexiko ausbreiten, dann wird sich der Staat bundesweit mit einer Gegenmacht konfrontiert sehen, der Macht des Volkes! (…) Die Volksversammlung wird [jedoch] nicht von allein zu einer Revolution werden. Es muss eine Partei geben, welche den politischen Weg zur Revolution weist. (…) Eine solche Partei ist das einzige Mittel, die spontane Wut der Massen in eine wirkliche politische, soziale und wirtschaftliche Veränderung umzuwandeln.“

Damals ist das nicht passiert. Heute stellt sich diese Frage erneut. Und sie wird sich immer wieder stellen – so lange, bis der gewaltige Ausbruch des mexikanischen Vulkans nicht mehr verhindert werden kann.

Quellen:

www.socialismorevolucionariomexico.blogspot.com

www.jornada.unam.mx

www.survey09.ituc-csi.org (Mexiko)

www.sindicatomineroseccion65.com.mx

www.onesolutionrevolution.de (International, Lateinamerika)

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