Von Blue, August 2025
Stell dir vor, du bist 16 Jahre alt und stehst kurz vor deinem Abschluss. Die kommenden Jahre hast du schon durchgeplant: Ausbildung, Studium oder Work & Travel, von Zuhause ausziehen, endlich auf eigenen Beinen stehen. Doch plötzlich der Schock: Du bist ungewollt schwanger. Sofort schießen dir tausend Fragen durch den Kopf: Will ich überhaupt ein Kind? Wie soll ich das finanzieren ohne Abschluss? Was wird aus meinen Zukunftsplänen? Was wenn es meine Eltern oder Mitschüler:innen erfahren? Darf ich überhaupt schon abtreiben?
Solche Situationen sind alles andere als Ausnahmen. Laut Forum Sexualaufklärung und Familienplanung sind über 50% der Schwangerschaften unter 20 Jahren ungewollt, und das betrifft jährlich rund 13.000 junge Frauen in Deutschland. Und selbst wenn man nicht unmittelbar betroffen ist, werden die meisten irgendwann mal die Erfahrung machen, ebenso sehr zu verzweifeln, wenn die Periode zu spät kommt. Dieser Artikel gibt einen Überblick über die rechtliche Lage in Deutschland und erklärt, warum unkomplizierte Zugänge zu Abtreibungen überlebenswichtig ist. Und zwar vor allem für Jugendliche!
Darf ich überhaupt abtreiben?
In Deutschland ist ein Schwangerschaftsabbruch nach §218 des Strafgesetzbuches immer noch offiziell eine Straftat. Er bleibt aber unter bestimmten Bedingungen straffrei, wenn …
… vorher eine verpflichtende Beratung bei einer anerkannten Stelle erfolgt ist,
… nach der Beratung eine Wartezeit von mindestens drei Tagen bis zur Entscheidung eingehalten wurde,
… und wenn der Abbruch spätestens bis zur zwölften Schwangerschaftswoche durchgeführt wird.
Die ehemalige Regierung aus SPD, Grünen und FDP hatte angekündigt, §218 grundlegend zu überprüfen und möglicherweise zu streichen. Das würde bedeuten, dass Abtreibungen rechtlich nicht mehr als Straftat behandelt werden. Doch konservative Kräfte – allen voran CDU/CSU – stellen sich entschieden gegen solche Reformen. Jens Spahn, CDU-Fraktionsvorsitzender, sprach sich mehrfach öffentlich gegen liberalere Regelungen aus und wollte sogar Studien in Auftrag geben, die psychische Schäden durch Abtreibungen „beweisen“ sollten – trotzdem zeigt die fünfjährige Turnaway-Studie mit 956 Teilnehmerinnen, dass 95 % der Frauen auch nach Jahren überzeugt sind, die richtige Entscheidung getroffen zu haben.
Der mittlerweile abgeschaffte §219a – das sogenannte „Werbeverbot“ für Ärzt:innen – hat lange verhindert, dass Ärztinnen öffentlich über Abtreibungen informieren durften. Auch wenn das Gesetz gestrichen wurde, herrscht in vielen Praxen weiterhin Unsicherheit. Viele Mediziner:innen haben Angst vor Angriffen oder Rufschädigung und informieren deshalb kaum öffentlich über Schwangerschaftsabbrüche. Für Jugendliche bedeutet das: Sie finden schwer verlässliche Informationen – obwohl sie diese am dringendsten bräuchten.
Was bedeutet das für Jugendliche konkret?
Für Jugendliche ist die Situation besonders belastend, da die Regelungen uneindeutig sind!
Grundsätzlich gilt: Ein Mindestalter für eine Abtreibung gibt es nicht. Auch Minderjährige unter 18 Jahren haben die Möglichkeit, eine Schwangerschaft abbrechen zu lassen. Entscheidend ist dabei die „Einwilligungsfähigkeit“ der Betroffenen. Einwilligungsfähig bedeutet, dass die Reife und notwendige Einsichtsfähigkeit in die körperliche und mögliche psychische Tragweite eines Schwangerschaftsabbruchs gegeben sind. Dabei werden Jugendliche über 16 in der Regel als einwilligungsfähig eingeschätzt, bei unter 16-Jährigen kann es aber sein, dass die Ärzt:innen die Zustimmung der Eltern verlangen.
Das Problem hieran ist, dass diese Einschätzung von Menschen vorgenommen wird, die die Betroffenen nicht wirklich kennen und nur auf Basis eines Gesprächs eine Einschätzung abgeben. Für manche Betroffenen ist es aber keine Option, sich ihren Eltern anzuvertrauen und im schlimmsten Fall geben sie ihre Zustimmung nicht und zwingen ihre Kinder, ungewollt ein Kind zur Welt zu bringen.
Auch Aufklärung in Schulen ist oft ungenügend oder moralisch gefärbt. Jugendliche wissen oft gar nicht, wohin sie sich wenden können – oder schämen sich so sehr, dass sie gar nicht erst Hilfe suchen.
Psychische und physische Belastung
Die Gesellschaft vermittelt Jugendlichen oft ein Gefühl von Scham, Schuld oder sogar Isolation, da frühe Schwangerschaften immer noch verpönt sind: Sowas komme nur in „schlechten Familien“ vor und sowieso sei man ja „selbst schuld“, wenn man schon Sex hat. Noch schlimmer, wenn die eigenen Eltern eigentlich dagegen sind, dass man überhaupt schon Sex hat, was (bezogen auf Mädchen) bei einem Viertel der Eltern in Deutschland der Fall ist. Diese Erfahrungen können Betroffene in schwere psychische und emotionale Krisen stürzen. Scham und emotionaler Druck führt nicht selten dazu, dass eine Schwangerschaft erst viel zu spät erkannt wird und es dann möglicherweise rechtlich zu spät ist, noch eine legale Abtreibung durchzuführen.
Wird der legale Zugriff verwehrt, greifen jährlich schätzungsweise 3 Millionen Mädchen im Alter von 15 – 19 Jahren auf der ganzen Welt zu unsicheren Abtreibungsmöglichkeiten. Ein Beispiel: Manche Jugendliche versuchen eine Selbstabtreibung mit Medikamenten, die sie online bestellen, und zwar dann ohne ärztliche Kontrolle. Andere verwenden gefährliche Gegenstände, um einen Abbruch selbst herbeizuführen. Diese Methoden können durch starke Blutungen, Infektionen oder dauerhafte Schäden lebensbedrohlich sein. Das passiert vor allem dort, wo legale Zugänge fehlen oder junge Menschen glauben, sie hätten keine andere Wahl.
Soziale und wirtschaftliche Folgen
Wer jung ein Kind bekommt, steht vor großen Herausforderungen. Viele junge Schwangere müssen die Schule oder Ausbildung abbrechen, weil Betreuung fehlt. Häufig lehnen Eltern jede Hilfe ab oder setzen ihre Kinder unter Druck, das Kind zu bekommen (oder eben abzutreiben) ganz nach ihren Vorstellungen.
Jugendliche sind fast immer finanziell abhängig. Ohne eigenes Einkommen muss man sich auf der mehr als dürftige staatliche Hilfssystem verlassen. Frühe Elternschaft kann dazu führen, dass Lebenspläne komplett aufgegeben werden müssen. Das Risiko für Arbeitslosigkeit, soziale Ausgrenzung und langfristige Perspektivlosigkeit steigt um ein Vielfaches. Teenagermütter verlassen beispielsweise doppelt so häufig die Schule ohne Abschluss wie ihre Altersgenossinnen. Unter solchen Verhältnissen ist der Weg zu einem einigermaßen selbstbestimmten Weg unvorstellbar.
Unsere Körper gehören uns!
Diese Hürden sind kein Zufall. Sie passen zu einem System, das Frauen in klassische Geschlechterrollen als Mütter und Hausfrauen zwingen will, da sie so Sorgearbeit kostenlos im Rahmen ihrer Familie leisten und diese nicht von den Kapitalist:innen finanziert werden muss. Gleichzeitig sorgen sie damit für einen konstanten Nachschub an zukünftigen Arbeitskräften, die dann von diesen ausgebeutet werden können. Gerade konservative bis offene rechte Kräfte, die im momentanen Rechtsruck immer stärker werden, verbreiten ein solch unterdrückerisches Frauenbild. Es gibt zwar auch liberalere bürgerliche Kräfte, die halbherzig das Recht auf Abtreibung verteidigen, aber nur selten die ökonomische Dimension beachten: Finanzielle Unabhängigkeit von Familie und Partner, ein ausfinanziertes Hilfssystem und kostenlose Gesundheitsversorgung!
Wir fordern also das Recht, selbst über unsere Körper zu entscheiden – unabhängig davon, wie alt wir sind. Schwangerschaftsabbruch darf keine Frage von Geld, Angst oder Zustimmung sein. Es muss ein Recht sein, und zwar für alle!
Deshalb fordern wir:
• Kostenloser Zugang zu Beratung, Verhütung und Abtreibung!
• Keine Zustimmung der Eltern für Abtreibung oder „Pille danach“!
• Ärzt:innen müssen offen informieren dürfen!
• Mehr Hilfsangebote: Mutter-Kind-Häuser, anonyme Beratung, Schutzräume, finanzielle Unterstützung!
• Aufklärung an Schulen, die informiert statt zu verurteilen!
• Abschaffung aller Gesetze, die unsere Selbstbestimmung einschränken!
• Weg mit dem Druck, sich dem Ideal der bürgerlichen Kleinfamilie zu beugen! Für eine Welt ohne unterdrückerische Geschlechterrollen und für die Vergesellschaftung von Haus- und Sorgearbeit!