Proteste in der Türkei – Auf zum Sturz Erdogans!

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Von Jona Everdeen, April 2025

Die Proteste in der Türkei halten trotz Repressionen an! Sie laufen, seitdem der Istanbuler Bürgermeister und aussichtsreichster Widersacher Erdogans, Ekrem Imamoglu von der CHP am 19.März wegen fingierten Vorwürfen inhaftiert wurde, um zu verhindern, dass er in einer eventuell vorgezogenen Wahl gegen Erdogan antreten kann. Die Massenproteste zeigten sich von Anfang an sehr kämpferisch und ignorierten Erdogans viertägiges Versammlungsverbot für Istanbul. Dabei spielten auch viele Kräfte eine Rolle, die über die fadenscheinige Opposition der CHP hinausgehen. Während die CHP zuvor viele von Erdogans diktatorischen Schweinereien, wie die Angriffe gegen die pro-kurdische HDP, mitgetragen hatte, fordern diese Kräfte Erdogans Sturz als Beginn eines grundlegenden Wandelns. Insbesondere Studierende stellen sich, wie in so vielen Bewegungen, an die Spitze der Proteste, und Erdogans Kompromisslosigkeit und der Druck der Massen zwingt auch die CHP zu immer radikaleren Tönen. So verkündete Parteivorsitzender Özgür Özel kürzlich, man werde „bis zum Ende gegen die Regierung kämpfen“. Doch was für ein Ende? Und was braucht es wirklich, um Erdogan zu stürzen?

Erdogans langsamer Griff zu Diktatur

Die „Demokratie“ in der Türkei war schon lange eher eine Farce als irgendetwas anderes. Allerdings offenbarte die Festnahme Imamoglus endgültig den wahren Charakter des bonapartistischen Regimes, in dem Wahlen nur den Zweck verfolgen, Erdogans Macht zu legitimieren. So wurden Repressionen wie die gegen Imamoglu und mehrere Bezirksbürgermeister in Istanbul bereits in der Vergangenheit exzessiv gegen linke und kurdische Kräfte, vor allem der DEM-Partei (Nachfolgerin der HDP) eingesetzt. Die willkürliche Absetzung gewählter Bürgermeister:innen und Inhaftierung führender Politiker:innen auf Basis fingierter Vorwürfe kennt man hier bereits zur Genüge. Dass diese Taktiken, bisher reserviert für die linken und kurdischen „Terrorunterstützer“, nun gegen die Parteispitze der Hauptpartei der bürgerlichen Opposition, nicht gegen den Bürgermeister einer kurdischen Stadt wie Van oder Urfa sondern der 15 Millionen Metropole Istanbul, angewendet wird, zeigt dennoch eine neue Qualität. Es zeigt, dass Erdogan inzwischen, angesichts der Beliebtheit Imamoglus und der Tatsache, dass er gemäß der gültigen Verfassung ab 2028 nicht mehr als Präsident antreten darf, bereit, ist zur Zementierung seiner Macht jegliche demokratischen Reste achtlos über Bord zu werfen und aus einer autoritären Scheindemokratie eine offene Diktatur zu machen. Ein so offener Angriff auf die „Demokratie“ könnte ihm jedoch zum Verhängnis werden, da sie der bisher sehr zahmen bürgerliche Opposition nun vor Augen führen könnte, dass diese, um ihre eigene Existenz zu sichern, zwingend einen energischen Kampf gegen Erdogans Regime führen muss.

Ebenfalls eine Rolle spielt, sowohl bei Erdogans autokratischer Politik als auch der Stärke der Proteste, die seit Jahren schwelende Krise des türkischen Kapitalismus. Dieser sieht sich trotz regelmäßig offen artikulierten Großmachtsambitionen nicht im Stande, seine Wirtschaft unter Kontrolle zu bringen. Die Inflation bleibt hoch und Arbeiter:innen und Jugendliche sind die Leidtragenden, die immer weniger eine Perspektive sehen, wie es besser werden könnte.

Repression und Widerstand

Noch stärker als die CHP selber, die auch nach Ekrem Imamoglus Verhaftung relativ zögerlich begann, offen zu Protesten aufzurufen, mobilisierte an den direkt folgenden Tagen die oppositionelle Basis Massenproteste. Besonders in den ersten Tagen kam es dabei zu massiver Konfrontation mit der Polizei, die in Istanbul, Ankara und Izmir, den drei größten Städten des Landes, zwischenzeitlich ein Demonstrationsverbot durchzusetzen versuchte. Ohne Erfolg, da die Wut der Massen enorm war, und es schnell gängige Praxis wurde, sich durch Polizeiketten durchzukämpfen und auf Wasserwerfer mit Steinen zu antworten. An der Spitze dieser Bewegung stellten sich Studierende der großen Universitäten, die den Kampf auch an ihre Unis trugen, dort selbstorganisierte Veranstaltungen durchführten und über Perspektiven diskutierten, wie es nun weiter gehen muss. Dort war von Anfang klar, dass eine demokratische Zukunft nur ohne Erdogan möglich ist.

Doch die Repression dessen Regimes war enorm, nicht nur durch massive physische Gewalt, in Form von Tränengas und Gummigeschossen, sondern auch von tausenden vorübergehenden Festnahmen und vielen Hundert Anklagen inklusive Haftbefehl gegen Teilnehmer:innen der Proteste. Mehrere Dutzend Menschen wurden festgenommen aufgrund von Social Media Posts. Massenverhaftungen sind schon lange ein Mittel Erdogans, seine Gegner:innen einzuschüchtern und wegzuschaffen. So sind die Knäste der Türkei voll mit politischen Gefangenen, in erster Linie Linke und Kurd:innen.

Allerdings konnte diese Repression die Bewegung nicht brechen, noch immer fluten regelmäßig Tausende die Straßen, vor allem in den Großstädten aber auch an vielen anderen Orten. Auch musste das Repressionsregime kürzlich mehr als 100 gefangene Studierende gegen Kaution und teilweise Auflagen wieder freilassen, da ein Gericht anordnete, dass eine Inhaftierung nicht verhältnismäßig sei.

Wir haben es mit einer Bewegung zu tun, die viel Mut zeigt gegen ein unterdrückerisches System, doch wie kann sie gegen den Tyrannen Erdogan siegen?

Was braucht es für den Sieg? Und wie kann eine befreite Türkei aussehen?

Wieder einmal sind es die Studierenden, die bereits das aufzeigen, was es braucht, um die Regierung Erdogan in die Schranken weisen zu können, den Bonaparten zum Rücktritt zu zwingen: Einen Generalstreik. Diese Perspektive ist durchaus realistisch, so sind neben den Studierenden die allermeisten Teilnehmer:innen der Proteste Arbeiter:innen und auch die Gewerkschaften, die traditionell stark von der CHP beeinflusst werden, spielen eine wichtige Rolle. Allerdings ist der Organisationsgrad in der Türkei sehr schwach, weshalb es nötig ist, durch an der Basis, in den Betrieben, den Universitäten und den Schulen gebildete Komitees diesen Generalstreik zu tragen. Eine Perspektive, die wir ganz generell aufwerfen müssen! Denn auch wenn es momentan richtig ist, Druck auf die CHP auszuüben, sich dem Kampf entschlossen anzuschließen, muss uns doch klar sein, dass diese Partei keine Lösung anzubieten hat. Auch wenn die CHP immer wieder mit sozialdemokratischer Politik kokettiert, ist sie politisch eine bürgerliche Partei, die die Interessen des liberalen Flügels der türkischen Bourgeoisie vertritt. Und auch die DEM-Partei bietet trotz wesentlich linkerem Programm und widerständigerer Politik keine Lösung. Sie ist eine kleinbürgerlich, vor allem vom kurdischen Kleinbürger:innentum dominierte Partei, die zwar als einzige Partei die kurdische Selbstbestimmung fordert und in diesem Sinne eine progressive Rolle spielt, aber dabei keine sinnvolle Strategie besitzt, wie dieser Kampf gewonnen werden kann.

Also braucht es einen unbefristeten und landesweiten Generalstreik, wozu CHP und DEM aufgefordert werden sollten, diesen mit aller Kraft zu unterstützen. Gleichzeitig sollte aber klar gemacht werden, dass keine der Parteien eine Lösung anzubieten hat und ihre Herrschaft lediglich eine demokratischere und humanere Herrschaft der Bourgeoisie wäre. Doch was schlagen wir den Massen der türkischen Arbeiter:innen und Jugendlichen stattdessen vor, was es braucht um Erdogan endlich loszuwerden und gleichzeitig die Wirtschaftskrise zu überwinden, die bereits seit Jahren dazu führt, dass in der Türkei die Massenverarmung immer größere Teile der Gesellschaft erfasst? Was sind Forderungen, die ein Generalstreik in ähnlicher Form stellen muss?

-Für einen sofortigen Rücktritt und dauerhaften Amtsverzicht Erdogans und Neuwahlen, überwacht von Arbeiter:innen und Studierenden, um Wahlfälschung zu verhindern!

-Für die sofortige Freilassung aller politischen Gefangenen, sowohl der jüngsten Proteste als auch generell!

-Für eine verfassungsgebende Versammlung, in der Erdogans Autokratisierung rückgängig gemacht wird, und eine neue demokratische Verfassung beschlossen wird, die die Interessen der Massen abbildet. Geschehen muss dies unter Kontrolle der Arbeiter:innenbewegung!

-Für das Selbstbestimmungsrecht der Kurd:innen! Für volle gleichberechtigte Beteiligung an der Bewegung, auch gegen türkisch-chauvinistische Ressentiments innerhalb dieser, und im Prozess der Neugestaltung des Landes! Dabei haben Kurd:innen auch das Recht auf eine Loslösung ihres Heimatlandes von der Türkei!

-Für die Verstaatlichung aller Schlüsselindustrien unter Kontrolle der Arbeiter:innen, um die Krise des türkischen Kapitalismus zu lösen und die Wirtschaft einem demokratischen Plan zu unterwerfen, der die Bedürfnisse der Bevölkerung erfüllt!

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