Das Bild noch vorgestern: Von der S Bahn Wuhlheide in Berlin führt ein kleiner Trampelpfad an der Straße entlang. Ein Transpi begrüßt Ankommende am Waldweg, der zur angemeldeten Mahnwache führt. Dort gibt es Essen, Menschen machen Pause und unterhalten sich. Etwas weiter hinten steht das Tripod „Vogelnest“, auf dem Menschen in Hängematten schlafen können. Auf einem anderen Weg steht die „Biberburg“, ein zweites Tripod. Auf den Wegen werden Barrikaden gebaut, Plattformen gezimmert und Löcher gebuddelt. Im Wald hängen Baumhäuser, Hängematten und Traversen in Bäumen. Aber, wenn es nach der neuen Berliner Regierung und ihrem Koalitionsvertrag geht, sollen dieser einer Straße weichen. Am Freitag dem 12.5.2023 besetzten Aktivist_Innen darum ein Waldstück in der Wuhlheide. Bis zur gestrigen Räumung befanden sich konstant etwa zwischen 40 und 200 Menschen im Wald und bauten Strukturen auf. Denn von Biesdorf nach Köpenick ist eine 6,4 Kilometer lange Straße geplant.
Verkehrswende oder Straßenbau?
Erste Pläne für diese Tangentiale-Verbindung-Ost (TVO) gab es schon in DDR-Zeiten. Seit 2020, über 60 Jahre später und allen Versprechen von besserer Klima- und Verkehrspolitik zum Trotz, läuft nun ein Planfeststellungsverfahren. Während die Rot-Grün-Rote Regierung, um dem Straßenbau einen grünen Anstrich zu verleihen, außerdem eine Schienenverbindung und eine Radschnellstraße plante, sollen die 16,4 ha Wald (davon 4,2 ha wertvoller Eichenwald) unter SPD und CDU einer vierspurigen Schnellstraße weichen. In Zeiten, die eine Verkehrswende dringend nötig machen, ist das nicht nur verheerend, weil dafür Wald verschwinden soll und auch die Natur in der Umgebung nachhaltig geschädigt werden wird. Straßen, die zur Entlastung anderer Verkehrswege gebaut werden, sorgen erwiesenermaßen für mehr Lärmbelästigung und bis zu 20% mehr Verkehr, weil die Wege einfacher und die Autos attraktiver werden, damit also auch für mehr CO2 Ausstoß. Besonders ironisch: Berlin hatte das Waldstück eigentlich aufgekauft, um damit in Zukunft die Trinkwasserversorgung zu gewährleisten. Eigentlich ist die Wuhli damit durch die Wasserschutzverordnung geschützt. Während also Wasser überall immer knapper wird, soll das Grundwasser unter der Wuhlheide verseucht und versiegelt werden.
Träumen in Bäumen
Die Aktivist_Innen in der „Wuhli“ möchten sich gegen den Straßenbau stellen und die Bäume mit ihren Körpern schützen. Es finden sich vor allem Personen aus dem anarchistischen Spektrum und vereinzelt aus Teilen der Umweltbewegung. Die Besetzung versteht sich als queerfeministisch, Regeln gibt es fast keine. Doch schon zu Beginn der Besetzung war klar: Wahrscheinlich ist das hier vor allem ein Statement und ein Zuwachs an Kosten, der auf den Straßenbau draufkommt. Denn die Waldbesetzung ist kein Streik oder Massenprotest, sie ist darauf angewiesen, dass die Politik sich kooperationswillig zeigt. Unter Beteiligung der CDU, die schon zur Wahl mit einem „Berlin für Autofahrer“ und einer Politik des Hartdurchgreifens geworben hat, ist das erwartungsgemäß aussichtslos, Gespräche kommen nicht zustande. Trotz Eilklage haben die Bullen gestern Morgen schon mal mit der Räumung losgelegt, ohne diese abzuwarten. Räumpanzer rollen über Barrikaden, Aktivist_Innen harren in Bäumen aus und lassen sich von Klettereinheiten abseilen. Immer wieder kommt es zu Polizeigewalt und fahrlässige Gefährdung von Aktivist_Innen. Völlig überzogen wurden Veranstaltungen in der Nähe der Wuhli bis September verboten. Eine Kundgebung am S-Bahnhof mit etwa 80-100 Menschen, darunter ein paar unserer Genoss_Innen, wurde dann doch noch genehmigt. Mittlerweile wurden alle Strukturen zerstört und einige Aktivist_Innen kamen in die GeSa. Wir stehen in voller Solidarität mit allen Betroffenen gegen die brutale Gewalt, die die Polizei gestern wieder einmal an den Tag legt!
Forderungen und politische Perspektiven
Über den unmittelbaren Kampf um den Wald rücken die konkreten Forderungen der Besetzung etwas in den Hintergrund. Dabei sind diese durchaus sinnvoll und unterstützenswert. Die Aktivist_Innen fordern:
Diese Forderungen unterstützen wir, haben aber keinerlei Illusionen, dass der bürgerliche Staat irgendein Interesse daran hätte, sie umzusetzen. Die Besetzung und der darum bestehende, leider vorwiegend auf „die Szene“ beschränkte Protest stellen für die Stadt zwar ein Hindernis dar aber keineswegs ein unüberwindbares, wie der gestrige Tag schmerzhaft beweist.
Dass der Staat nicht vor einer gewaltsamen Räumung zurückschreckt, lässt sich damit erklären, dass er im Interesse des Großkapitals handelt, das sich in Deutschland zu großen Teilen in der Automobilindustrie befindet. Unter den 10 größten Unternehmen Deutschlands finden sich gleich drei Automobilhersteller (Volkswagen Vz., Mercedes-Benz Group und BMW). Das deutsche Kapital und als sein allgemeinter Interessenerhalter, der deutsche Staat, haben also keinerlei Interesse an einer Verkehrswende, schon gar nicht einer sozialen. Von ihnen ist keine reale und ausreichende Unterstützung im Kampf gegen den Klimawandel zu erwarten, ganz im Gegenteil.
Genau darauf ist die Besetzung aber angewiesen. Denn sie genügt nicht dem Anspruch, die Forderungen selbst umzusetzen, die Politik selbst in die Hand zu nehmen, sondern kann nur die bestehende Politik und den Staat etwas unter Druck setzen. Eine wirkliche Verkehrswende kann aber nur unabhängig von Kapitalinteressen, also demokratisch von den Beschäftigten kontrolliert stattfinden. Stell dir vor es ist Schnellstraßenbau und keine_R geht hin: Es braucht flächendeckende, politische Streiks, besonders im Verkehrssektor, um die Zerstörung unseres Planeten aufzuhalten. Für die Klimabewegung bedeutet das, sich Schulter an Schulter mit den Arbeiter_Innen in gemeinsamen Kämpfen zu stellen. Forderungen aufzustellen, die den Arbeiter_Innen die Kontrolle über ihre eigene Arbeit geben und eine Politik zu verfolgen, die Arbeiter_Innen, auch in umweltschädlichen Sektoren, nicht nur eine Zukunftsperspektive bereithält, sondern ihnen die Zukunft in die Hände legt.
Darum möchten wir zu den Forderungen der Besetzung hinzufügen: