aus der REVOLUTION-Zeitung Dezember 2010
Am 30.11, zwei Monate nach den Angriffen der Polizei auf die Protestbewegung im Stuttgarter Schlosspark, folgte der Schlichterspruch von Heiner Geissler.
Zu der entscheidenden Frage, nämlich „oben“ oder „unten“, blieb Geissler bei den Aussagen von Ministerpräsident Mappus und Bahnchef Grube stehen. Es gebe einen gültigen Vertrag mit der Bahn und es sei nicht möglich, diesen zu ändern, so Geissler.
Zuvor hatte er in schillernden Tönen den demokratischen Prozess der Schlichtung gefeiert, den Fernsehsendern für die Liveübertragungen gedankt und das große Engagement aller Beteiligten für die Demokratie gewürdigt. Im nächsten Moment erfuhren wir aber, dass ein Vertrag zwischen Land/Staat und DB mehr Wert hat, als alle demokratischen Prozedere und Beschwörungen.
Fast schon lächerlich mutete die Begründung für die Ablehnung von K21 an. Zwar hätten die Entwickler beweisen können, dass ihr Konzept wirklich eine „Alternative“ zu S21 darstellt und dadurch auch viele Mängel von S21 nachgewiesen wurden, aber leider fehlt nun mal die endgültige Plankostenfeststellung und natürlich die Baugenehmigung für einen veränderten Kopfbahnhof.
Damit ist K21 abgelehnt, weil Landesregierung, Stadt und Bahn nicht den Auftrag gegeben haben und seltsamerweise derzeit keine Baugenehmigung vorliegt – so viel zum Thema Schlichtung, offener Prozess und Demokratie.
Diese Schlichtung war niemals „ergebnisoffen“, die Position der Bahn war von Beginn an die bestimmende Position, schließlich liegt bei ihr ein Milliardenauftrag und dementsprechende Profitversprechen. Und so war die Stimmung bei der DB auch recht ausgelassen nach der Schlichtung, ihr juristischer Vertrag, inklusive Kapitalinteressen, wird politisch von der Schlichtung anerkannt und gestützt.
Der Schlichter gab sein offizielles Ja-Wort für S21 und nahm gleichzeitig viele Änderungsvorschläge aus dem Konzept von K21 an. So soll die Anzahl der Gleise im Tiefbahnhof erhöht werden (von 8 auf 10) und an den ICE/S – Bahn Knoten eine „Zweigleisigkeit“ gewährleistet sein, um mögliche Verspätungen auf dem gemeinsamen Netz von Fern -und Nahverkehr zu organisieren. Die Bahn muss jetzt in sog. „Stresstests“ diese Forderungen simulieren, um zu prüfen ob Änderungen realisierbar sind, wie bei Gleisen und Tunneln von K21 gefordert – prüfen tut´s die Bahn, fern von jeder demokratischen Kontrolle und Transparenz.
Was ist die politische Perspektive?
Dieses Vorgehen von Geissler gibt dem K21 Bündnis (die Grünen, BUND, SÖS…) die Möglichkeit, die Schlichtung auch als eigenen Sieg zu feiern. Schließlich gelang es dem K21 Bündnis zu beweisen, dass S21 nicht „vernünftig“ durchdacht sei (was der Bewegung seit zig Monaten auf der Straße und im Park klar ist) und ebenfalls fordert K21 wieder einen Baustopp. Schließlich müsse nun, nach der Schlichtung noch eine erneute Prüfung stattfinden und bis dahin sollte es einen Baustopp geben. Im Endeffekt ist die Bewegung wieder beim Ausgangspunkt der Verhandlungen angekommen. Die Bahn definiert was Baustopp bedeutet und stellt selbst die Gutachten fertig.
Ein Unterschied gibt es aber im Vergleich zum Start der Verhandlungen. Jetzt stehen nicht zehntausende jede Woche auf der Straße, das K21 Bündnis hat viel Protest einschlafen lassen, die Samstagsdemos abgesagt und die letzten Wochen die Bewegung demobilisiert.
Das ist auch der größte Gewinn für Bahn und CDU/FDP. Die Bewegung hat sich nicht verbreitert in den letzten Wochen und ist geschwächt. Dies ist, neben Geißlers Anerkennung von S21, der wichtigste Sieg für Grube und Mappus. K21 hat „stellvertretend“ die Massenbewegung geschwächt und sich damit zum Handlanger für die Gegenseite profiliert.
Diese reformistischen und kleinbürgerlichen Kräfte haben von Beginn an auf die parlamentarische Demokratie gesetzt. Jetzt hat dieses System gezeigt, was wirklich entscheidet: ein bürgerlicher Vertrag. Die Illusion, am Verhandlungstisch S21 zu stoppen, ist zerplatzt. Das K21 Bündnis schwächte die Massenproteste, das war ihr Beitrag für die „demokratische“ Schlichtung – bei Mappus und Grube reichte es schon aus, dass sie überhaupt an der Schlichtung teilnahmen.
Wie weiter?
Hoffnung gibt, dass auch das Verlesen der Schlichtung von Protestierenden begleitet wurde. Ein lautes „Oben bleiben“, „Mappus weg“ und „Lügenpack“ kam via Phönix durch den Äther.
Allerdings wird es jetzt wichtig, dass die Bewegung überprüft, ob der Begriff „Lügenpack“ nicht auch etwas großzügiger die nächsten Tage und Wochen angewandt werden muss. Die Verhandler haben bewusst die Schlichtung vorgeschlagen (Grüne) und die Bewegung erst mal kaltgestellt, just in dem Moment, in dem die Bewegung einen kämpferischen Massencharakter gewann. Die Kämpfe um den Nordflügel und Schlosspark, die Besetzung des Südflügels (als letztes kämpferisches Signal der Bewegung) – all das darf nicht durch diese Schlichtung verunglimpft werden.
Ebenfalls muss die Bewegung offen die Verhandlungen auswerten und darüber abstimmen, wie es jetzt weitergeht. Teile des Widerstands versuchen sich inzwischen gegen die Parkbewohner_innen zu positionieren. So wurde eine Demo von den Parkschützern sabotiert, weil dort Leute aus dem Park sprechen sollten. So beginnt eine Spaltung einer Bewegung und das gleiche steht bevor, wenn es über Sinn und Zweck dieser Schlichtung geht.
Teile des K21- Bündnis werden versuchen, die Tatsache der Schlichtung und die Anerkennung der Kritik schon als „demokratischen“ Erfolg zu verkaufen, während gleichzeitig weitergehende und kämpferische Aktionen abgelehnt und bekämpft werden.
Für die kämpferischen, aktivistischen und antikapitalistischen Gruppen und Aktivist_innen bietet diese Schlichtung aber auch eine große Chance. Das Konzept von Grünen, SÖS und BUND ist geplatzt, am Ende fehlt K21 eine Baugenehmigung und S21 bleibt Vertragsrecht und wird ausgeführt.
Dadurch können wir aufzeigen, dass Parlamente, Schlichtungen oder andere Schauspiele bürgerlicher Demokratie eben nicht geeignet sind, den Willen der Mehrheit und ihren Protest umzusetzen, sondern allein im Interesse der Konzerne und jeweiligen Regierungen agieren!
Der Protest kann zurückkommen und jetzt ist die Möglichkeit, die offenen Fragen anzugehen. Wie können mehr politische Gruppen für weitere Aktionen und weiteren Widerstand gewonnen werden, wie kann sich die Jugendoffensive an den Schulen ausbreiten, wie können wir den Widerstand in die Gewerkschaften hinein tragen und mit ihnen gemeinsam demonstrieren und streiken gegen S21?
Die nächsten Aktionskonferenzen können die Bewegung wieder in Gang setzen!
Diese Schlichtung muss auf der Straße, im Betrieb und in Schule/Uni bekämpft werden!