E-Learning: Warum der Corona-Online-Unterricht diskriminierend und gefährlich ist.

Katjuscha Forcella

Seit Mitte März diesen Jahres sind auf Grund der Pandemie nun auch in Deutschland alle Schulen geschlossen, aber die Schüler_Innen haben keineswegs „Corona-Ferien“, wie es sich vielleicht so manch eine_r erhofft hatte. Das Pauken muss weitergehen, schließlich dürfen ja keine Wissenslücken entstehen. Wie aber sollen nun die Lerninhalte von den Lehrer_Innen zu uns Schüler_innen und in unsere Köpfe gelangen? Das Zauberwort heißt an dieser Stelle „E-Learning“! Wir Schüler_Innen sollen nun über virtuelle Lernplattformen, Online – Tutorials oder digitale Arbeitsblätter unser Lernpensum von Zuhause aus absolvieren. Klingt erst einmal einleuchtend und simpel? Ist es aber nicht: Wie selbstverständlich wird vorausgesetzt, dass alle Schüler_Innen die nötige Hardware, also einen Computer und Drucker samt Zubehör daheim haben. Auch wenn viele Familien heute technisch gut ausgestattet sind, heißt das immer noch nicht, dass für jedes Kind ein eigenes Gerät zur Verfügung steht. Auch nicht jede_r von uns hat ein eigenes Zimmer oder kann sich mit vielen Geschwistern in einer engen Wohnung gut auf das Arbeiten konzentrieren. Während einige von uns Eltern haben, die selber studiert haben, fließend Deutsch sprechen und ihre Kinder während des Homeoffice gut bei den Aufgaben unterstützen können, haben andere von uns Eltern, die vielleicht eine andere Muttersprache oder eine andere Schulbildung erfahren haben und alleinerziehend sind oder täglich für wenig Geld im Supermarkt oder Krankenhaus arbeiten müssen. Kinder und Jugendliche aus prekär lebenden Familien werden also durch das E-Learning massiv benachteiligt.

Wenn man auf dem Land wohnt, bringen einem genügend Geräte auch nicht viel, wenn die Internetverbindung nicht funktioniert. Denn in Deutschland sind überwiegend private Anbieter_Innen (Telekom, Unitymedia & Co) für die Internetversorgung zuständig und dadurch haben insbesondere ländlichere Regionen ein echtes digitales Versorgungsproblem, denn in dünn besiedelten Regionen machen die Anbieter_Innen weniger Profite und die Netzbelastung ist durch die Maßnahmen deutlich stärker. Für viele Schüler_Innen heißt das konkret, dass ihre Internetverbindung immer wieder zusammenbricht oder zu schwach ist. Und nicht nur für die Schüler_Innen ist die Situation schwierig, sondern auch sind die Lehrer_Innen sind nur unzureichend für das Medium E-Learning fortgebildet. Im Europäischen Vergleich steht Deutschland dies bezüglich laut der Studie des CEPS (2019) auf Platz 27, also ganz unten.

Das E-Learning, wie es momentan umgesetzt wird, stellt vielmehr eine „Beschäftigungstherapie“ dar, als ein pädagogisches Konzept. „Wir müssen täglich so viele Aufgaben bearbeiten und fristgerecht einreichen, dass ich noch weniger Freizeit habe als vor den Schulschließungen.“, sagt L., eine Schülerin des Victor-Klemperer-Kollegs in Berlin. Auch hier zeigt sich, dass es in der Schule, egal ob virtuell oder analog, vor allem darum geht, disziplinierte Menschen für den (digitalisierten) Arbeitsmarkt heranzuziehen, die auch unter hohem Druck gute Leistungen erbringen. Das E-Learning-Format macht es darüber hinaus auch möglich, Aufgaben so zu stellen, dass die Leistungen von uns Schüler_Innen maximal messbar und so auch besser zu vergleichen sind. Dies erhöht den dem Kapitalismus innewohnenden Konkurrenzdruck auf uns Schüler_Innen untereinander. Außerdem lassen sich wirkliche Lerngewinne, die über reines Abfragewissen hinausgehen, auch gar nicht in messbaren Zahlen ausdrücken.

E-Learning = Einbahnstraße

Lernen ist eigentlich ein kollektiver Prozess, in dem sich Schüler_Innen austauschen, gemeinsam Probleme lösen und sich gegenseitig mit ihren unterschiedlichen Stärken und Schwächen unterstützen können. So wie jedoch das virtuelle Lernen momentan umgesetzt wird, pusht es nur die Individualisierung und Vereinzelung – die Schüler_Innen sind mit all ihren Aufgaben auf sich allein gestellt. E-Learning ist kein gemeinsamer Austauschprozess sondern eine autoritäre Einbahnstraße, bei der lediglich Befehle erteilt und diese ausgeführt werden. Dass wir keine Mitsprache bei den Inhalten haben und nie hatten, bremst unsere Neugierde und macht es unter solchen Umständen noch schwieriger, vereinzelt für irgendwas Eigeninitiative zum selbstständigen Arbeiten aufzubringen.

Die Schule als physischer Raum stellt nicht nur den Ort dar, an dem wir uns täglich aufhalten und Inhalte lernen müssen, die wir uns nicht selber ausgesucht haben, sondern es ist auch ein Ort, an dem wir uns untereinander vernetzen können und uns gemeinsam gegen Ungerechtigkeit im Schulalltag organisieren können. Wenn wir aber jede_r in unserem Zimmer vor unseren Computern sitzen und den ganzen Tag damit beschäftigt sind, übermäßig viele Schulaufgaben zu erledigen, macht das ein Zusammenschließen für unsere Rechte und Bedürfnisse nahezu unmöglich.

Wir fordern, dass E-Learning-Aufgaben in Zukunft deutlich mehr auf kooperatives Problemlösen anstatt auf individualistisches Auswendiglernen und Abarbeiten ausgelegt werden. Online-Lehrmittelmaterialien und damit auch Inhalte müssen einer demokratischen Kontrolle unterliegen. Lehrmittel, wie Softwarepakete oder auch technische Grundausstattung wie Computer und Drucker müssen allen Schüler_Innen kostenlos zur Verfügung gestellt werden, um einer strukturellen Benachteiligung im Bildungssystem entgegen zu wirken. Das E-Learning hat dafür gesorgt, dass wir mit sehr unterschiedlichen Startbedingungen weitermachen, sobald der Unterricht wieder normal im Schulgebäude stattfindet. Trotzdem schreiben wir später alle dieselben Prüfungen und Klassenarbeiten. Wir fordern zusätzliche finanzielle Mittel, um mehr Ressourcen wie Lehrpersonal und Sozialarbeiter_Innen bereitzustellen, die den neuen Anforderungen gerecht werden können.

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