November 2009
Am 22. Oktober wurde der größte Hörsaal der Universität Wien – das Audi Max – im Anschluss an seine Studentendemonstration von rund 2000 Studierenden spontan besetzt. Seither haben sich StudentInnen an den Hochschulen in Wien, Graz, Klagenfurt, Innsbruck angeschlossen. Für heute, den 28. Oktober, ist eine Großdemonstration in Wien geplant.
Frage: Wie kam es zur Besetzung in Wien? Was sind die Ursachen dafür?
Antwort: Schon am Mittwoch, den 21. Oktober, wurde die Akademie der bildenden Künste besetzt. Ziel des Protests der Akademie ist es, die geplante Umstellung der Studien entlang der Bologna-Struktur (Bachelor, Master, PhD) zu verhindern. Als Reaktion auf die Besetzung der Akademie bildete sich am Tag darauf eine spontane Demonstration, die ihren vorzeitigen Abschluss im Innenhof der Wiener Universität fand. Dort entschied man sich das Audimax zu besetzen.
Die Ursachen der Proteste sind breit gefächert. Grundlegende Missstände im Bildungssystem, wie die massive soziale Selektion prallten mit ganz konkreten Vorhaben des Ministeriums (Ausweitung von Zugangsbeschränkungen, Wiedereinführung der Studiengebühren) zusammen.
Frage: Welche Forderungen haben die Studierenden?
Antwort: Die Forderungen konzentrieren sich vor allem auf den bildungspolitischen Bereich. Angefangen von Forderungen, die Verschulung der Universitäten zu stoppen, über den Kampf für den freien Hochschulzugang bis zur Frage nach Demokratisierung der Unis werden unterschiedliche Bereiche adressiert. Eine Schwäche der Forderungen ist zurzeit sicherlich die Aussparung von gesellschaftspolitischen Fragen. So findet sich z.B. das Motto der Großdemonstration „Geld für Bildung statt für Banken und Konzerne“ nicht im allgemeinen Forderungskatalog wieder.
Somit ist nicht nur der Forderungskatalog unausreichend, sondern es wurde auch eine zentrale politische Debatte nicht geführt. Jeglicher Protest muss sich selbst über seine gesellschaftliche Rolle bewusst werden, dies umso mehr in Zeiten der historischen Krise des Kapitalismus. Ohne die Probleme des Bildungssystems in einen Kontext mit dem kapitalistischen System zu setzen werden Kritik und Forderungen notwendigerweise immer zu kurz greifen.
In letzter Instanz geht es dabei um die Frage, wie man sich in der zentralen Auseinandersetzung zwischen Arbeit und Kapital positioniert. Wenngleich auch Solidaritätsbekundungen von Seiten der ArbeiterInnen (v.a. KindergärtnerInnen, DruckerInnen, MetallerInnen und Einzelgewerkschaften) positiv aufgenommen wurden, fehlt die Bereitschaft, wirklich auf die Beschäftigten zuzugehen und den Protest als gemeinsamen zu verstehen.
Mit dem Beschluss eines Plenums am Dienstag (27.10.) die Forderungen auch an Finanzminister und Bundeskanzler zu adressieren und Stellungnahmen von deren Seite zu verlangen, wurde diese Debatte jedoch indirekt wieder eröffnet. Denn nun ist auch die Frage des gesamten Regierungsprogramms und der Finanzierbarkeit diverser Forderungen in den Mittelpunkt der Debatte gerückt worden.
Frage: Wie reagieren Regierung und Uni-Leitungen auf die Aktionen?
Antwort: Wissenschaftsminister Johannes Hahn versucht, den Protest auszusitzen. In mehreren Interviews reagierte er mit zynischen Kommentaren, dass das universitäre Budget in den letzten Jahren angeblich gewachsen sei. In Wirklichkeit stimmt dies jedoch nur, wenn man von den Nominalbeiträgen ausgeht, nicht jedoch, wenn das Budget in ein Verhältnis zum BIP-Wachstum gesetzt wird. Real kann somit eine Senkung beobachtet werden.
Hahn selbst wird sehr bald EU-Kommissar in Brüssel und somit durch ein anderes Gesicht ersetzt werden. Politische Klarheit anstatt die Konzentration auf Einzelpersonen ist deshalb umso wichtiger für die Bewegung.
Die Leitung der Uni Wien zeigt sich noch prinzipiell verständnisvoll, hat jedoch über die Medien bereits eine ideologische Kampagne wegen angeblichen Sachschäden von 100.000,- Euro pro Tag eröffnet. Doch auch das ist scheinheilig. Denn der große Teil dieses „Schadens“ fällt durch die Bezahlung von externen Securities an, die am und ums Gelände patrouillieren. Niemand hat um eine solche Bewachung gebeten.
Frage: Wie sind die Proteste organisiert? Wer führt sie an? Welche Rolle spielen die „offiziellen“ Studentenvertretungen der Österreichischen Hochschülerschaft (ÖH)?
Antwort: Die Spontaneität der Proteste führte auch zu einem grundlegenden Diskussionsprozess über die Strukturen die sich die Bewegung geben sollte. Während zu Beginn libertäre Tendenzen dominierten, die überhaupt gegen Abstimmungen auftraten, versteht mittlerweile die große Mehrheit der Bewegung, dass Entscheidungen getroffen werden müssen, um die Besetzung fortführen zu können und sich nicht selbst zu paralysieren.
Zurzeit sind regelmäßige Vollversammlungen (Plena) die höchsten Entscheidungsgremien der Bewegung. Nach anfänglichem Chaos wurde mittlerweile ein System etabliert, wie Diskussionen geführt, Anträge eingebracht und Abstimmungen getroffen werden. Die Teilnahme an den Plena übersteigt dabei mit manchmal über 2.000 StudentInnen oftmals die Kapazitäten des Audimax, die Versammlungen selbst laufen sehr lebendig und mit vielen Diskussionsbeiträgen ab. Bis jetzt gibt es jedoch noch keine legitimierte Führung, wenngleich sie trotzdem inoffizielle Strukturen herausgebildet haben. Eine Wahl eines solchen Streikkomitees wäre ein wichtiger Schritt vorwärts.
Die ÖH konnte trotz anfänglicher Versuche eine hegemoniale Stellung zu erlangen keine Dominanz über die Bewegung etablieren. Politisch versucht sie zu bremsen und die Proteste auf Verhandlungen zu lenken, organisatorisch versucht sie einen Fuß in der Bewegung zu halten, indem sie Infrastruktur (Druckmaterial, etc.) zur Verfügung stellt. Zurzeit gibt es auch noch große Ressentiments gegen die Führung der ÖH, eine absolute Dominanz scheint zurzeit nicht möglich, wenngleich auch einzelne FraktionsvertreterInnen versuchen, die Treffen der inoffiziellen Führung zu dominieren.
Frage: Wie kann der Kampf gewonnen werden? Für welche Perspektive treten LSR und REVOLUTION ein?
Antwort: Eine Ausweitung des Streiks zum Vollstreik muss der erste wichtige Schritt sein, auf den hingearbeitet werden muss. Nur so ist es möglich den Lehrbetrieb wirklich lahmzulegen und somit auch StudentInnen außerhalb des stressigen Uni-Alltags eine breite Teilnahme an den politischen Diskussionen und Aktionen der Bewegung zu ermöglichen.
Genau so wichtig ist jedoch auch eine Ausweitung auf andere gesellschaftliche Schichten, allen voran die Beschäftigten. Die Situation dafür ist günstig: KindergärtnerInnen und DruckerInnen stecken in einem Arbeitskampf um höhere Löhne, die MetallerInnengewerkschaft hat gerade die Kollektivvertragsverhandlungen abgebrochen. Und darin liegt eine wichtige Chance. Denn wenn die Proteste einmal so weit gehen, dass sie sowohl zu einem Problem des Wissenschafts- als auch des Wirtschaftsministers werden, dann können nicht nur Forderungen leichter gewonnen werden, sondern dann kann die Bewegung in ganz anderen Dimensionen denken und in der Tat die Frage nach gesellschaftlichen Alternativen ganz konkret aufwerfen.
LSR und REVOLUTION treten daher für eine Ausweitung und klarere Organisierung der Bewegung ein. Kurz zusammengefasst kämpfen wir für: Vollstreik – Streikrat – Solidarität.
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