Weihnachten: Konsumrausch oder kurzer Einblick in eine bessere Gesellschaft?

Von Leonie Schmidt auf Basis eines Artikels von Simon Hardy, Workers Power, aus dem Jahr 2011

Die Adventszeit neigt sich dem Ende zu, heute ist Heiligabend, der Tag im Jahr, auf den besonders Kinder sehnsüchtig warten. Aber welche Bedeutung hat der ganze Weihnachtstrubel wirklich im Kapitalismus? Jedes Jahr scheint Weihnachten früher zu beginnen. Kaum sind die Halloween-Kostüme aus den Schaufenstern verschwunden, werden sie durch Weihnachtsbäume, Adventskalender, Lebkuchen, Glühwein und Schokoweihnachtsmänner ersetzt. Während Weihnachten eigentlich eine gemütliche, verzauberte Zeit sein sollte, ist es für viele einfach nur unglaublicher Stress, indem man plötzlich zwanghaft seine ganze Familie lieb haben muss, für alle Geschenke auftreiben soll und auf jeder Weihnachtsfeier antanzen muss.

Frauenunterdrückung

Vor allem für Frauen ist der Druck in dieser Zeit besonders hoch. Diese haben sich um die Familie, die Küche und die Gäste zu kümmern, besonders Ende Dezember. Widergespiegelt wird diese Rollenzuschreibung auch in den weihnachtlichen Werbungen, in den Weihnachtsklassikern im Fernsehen und im Traditionssinn der Familie. Wenn Mama und Oma schon immer die Gans gemacht haben, dann soll es auch dieses Jahr so sein. Die Rolle der Frau, die Reproduktionsarbeit zu übernehmen, wird also auch an Weihnachten nicht aufgehoben, sondern sogar verstärkt. Auch – oder besser besonders – in der Weihnachtszeit rückt so die bürgerliche Familie, mit all ihren reaktionären und unterdrückerischen Elementen der bürgerlichen Gesellschaft in den Vordergrund, wenn auch in „romantischer Form“.

Außerdem nehmen Fälle der häuslichen Gewalt gegen Frauen im Rahmen der Weihnachtsfeiertage rasant zu, die Frauenhäuser sind nie so voll wie um die Feiertage. Klar, denn während der Feierlichkeiten gibt es wenig Rückzugsorte vor aggressiven Tyrannen, die Erwartungshaltung, dass man mit der Familie Zeit verbringt ist auch dann da, wenn man gar keine Lust hat und es sogar gefährlich wäre. Der allgemeine Stress spitzt die Lage noch einmal zu.

Vom gemeinschaftlichen Dorffest zu Profit und Kommerzialisierung

Das jährliche Weihnachts-Ritual ist wichtig für den Kapitalismus: es bringt normalerweise viel Profit ein. Die Leute geben viel aus, meist mehr als sie sich eigentlich leisten können, nicht nur für Geschenke, sondern auch für das Festessen und die Reisekosten zu ihrer Familie. Im Weihnachtsgeschäft wird der größte Umsatz im gesamten Jahr gemacht (rund 20% des Jahresumsatzes, je nach Branche auch bis zu 30%). Viele der gekauften Produkte sind jedoch nur auf die Weihnachtszeit ausgelegt, von kurzer Haltbarkeit und geringer Qualität.

Als Kommunist_Innen betrachten wir die Kommerzialisierung dieser Feiertage kritisch. So wurde beispielweise der Weihnachtsmann erst im 16. Jahrhundert zum Leben erweckt und wurde anschließend mit einem anderen Volksmärchen verbunden. Nämlich dem des Sankt Nikolaus, der ein griechischer Bischof war, welcher angeblich Nonnen aussendete, um den Armen Geschenke zu bringen, welche sie ihren Familien geben konnten.

Dabei wird Weihnachten im Sinne der Geburt Jesu schon seit 381 n. Chr. gefeiert. Es wird davon ausgegangen, dass die Austragung in den Wintermonaten von der Kirche geschickt mit dem Fest der Wintersonnenwende (ein heidnisches Fest) kombiniert wurde, damit mehr Leute für das Fest zu gewinnen waren. Aber Weihnachten wie wir es heute kennen wurde natürlich nicht die ganze Zeit schon mit den uns vertrauten Traditionen begangen. Vor der Industrialisierung lag der Fokus eher auf der Dorfgemeinschaft, der Tannenbaum stand im Hof, vor der Kirche gab es (je nach Ort) Buden, also eine Art Weihnachtsmarkt. Man ging zur Andacht und zog dann durch die Straßen und klingelte an Türen, beglückwünschte sich und erhielt im Gegenzug Geschenke, meist kleine Speisen und Schnaps, die dann auch gleich zusammen verzehrt wurden.

Mit der Industrialisierung zog es die Arbeiter_Innen in die Stadt und die Dorfgemeinschaft wurde auseinandergerissen. Weihnachten wurde zum Fest der Familie. Natürlich je nach Klasse in einem anderen Ausmaß. Besonders das Kleinbürger_Innentum wollte sich von der Arbeiter_Innenklasse abgrenzen und so wurden ihre Weihnachtsfeste immer ausgefallener, während die Arbeiter_Innenklasse in Armut leiden musste. Einen interessanten Einblick in diesen Gegensatz finden wir im Märchen „Das kleine Mädchen mit den Schwefelhölzern“ von Hans Christian Andersen. So konnte das Klein – sowie Großbürger_Innentum durch die stilvolle familiäre Weihnachtsfeier sein Klassenbewusstsein festigen, denn die Mehrheit der Bevölkerung hatte im 19. Jahrhundert nicht die Mittel für eine derartige Feier und ihre Requisiten. Somit wurde erst im Biedermeier Weihnachten zu einem einseitigen Geschenkfest für Kinder, in Kombination mit der Markteinführung von neuem, teuren Spielzeug. Natürlich nicht für Kinder der Arbeiter_Innenklasse, die bekamen eher selbstgebasteltes Spielzeug und selbstgenähte Kleidung. Die pompösen, aber friedvollen Weihnachtsfeiern im Kreis der engen Familie wurden auch von Autoren bekannt gemacht, die diese besonders ausschmückten sowie bspw. Charles Dickens. Seine Weihnachtsgeschichte zeigt auch (mal abgesehen von den antisemitischen Tendenzen) klar auf, dass es sich um die Befriedung der Arbeiter_Innenklasse handeln soll: der Kapitalist hat am Ende doch noch ein warmes Herz, er kann also gut werden und anderen helfen. Auch wenn das natürlich völlig seinem Klasseninteresse als Kapitalist widerspricht. Auch wurde das Weihnachtsfest immer wieder für politische Propaganda genutzt, so geschehen im 1. Weltkrieg und der NS-Diktatur.

Heute ist der Weihnachtsmann das Maskottchen der Spielzeugindustrie, der Inbegriff für das Konsumdenken, gekleidet mit der Fühl-dich-gut-Sentimentalität, tief eingebettet in die kulturelle Tradition von Milliarden von Menschen. Wir sollten auch darüber nachdenken warum, wenn der Weihnachtsmann nur Geschenke an die braven Kinder verteilt, die Reichen immer so viele und so tolle Geschenke bekommen.

Kaufen, kaufen, kaufen!

Viele Leute aus der Linken denken kritisch über das, was sie als Konsumkultur bezeichnen. Die Idee, dass wir durch die Massenmedien oder unseren achtlosen Konsum Teil des kapitalistischen Systems geworden sind, ist weit verbreitet. Sie kam bspw. auf durch Daniel Bell und Theodor Adorno in den 1950er und 60er Jahren, die dafür argumentierten, dass das wirtschaftliche Wachstum eine „post-politische“ Gesellschaft hervorbringe, in der Klassengegensätze und -kämpfe abnehmen würden. Es war die Periode von noch nie dagewesenem Wachstum und der Beginn der Idee, jede Generation würde es besser haben als die vorherige.

Aber die Konsumkultur, in der wir heute leben, ist vielmehr ein Produkt der steigenden Löhne nach dem 2. Weltkrieg und den billigen Krediten, die die Bosse in dem Prozess der Globalisierung ausnutzten, um ihrem System einen massiven Aufschwung zu geben. Fallende Preise und billige Kredite ermutigten die Konsument_Innen, Geld auszugeben und erlaubten es Millionen, sich in das System „einzukaufen“ und zu spüren, dass auch sie am Kapitalismus teilhaben können. Heute fallen die Löhne und die Kredite sind uns ein Klotz am Bein. In diesem Sinne ist es falsch, dass fehlende Politisierung ein Resultat von Konsumdenken ist, auch wenn es stimmt, dass die Leute weniger aktiv an sozialistischer Politik beteiligt sind. Die Leute sind nicht weniger politisch aktiv, weil sie mehr konsumiert haben, sondern weil sie nicht daran glauben, dass es eine wirkliche Alternative zum Kapitalismus gibt und ihnen das richtige Klassenbewusstsein fehlt.

Aber der steigende Verbrauch ist nur ein Nebenprodukt dessen, nicht der Grund. Es war der deutsche Marxist Walter Benjamin, der die Rolle des Konsumverhaltens prüfte, und wie die herrschenden Eliten versuchen, unsere Aussichten des Lebens zu formen und zu beeinflussen. Überflutet zu werden mit Konsumgütern stellt ebenfalls ein Problem für die Herrschenden dar, da es uns eine Erfüllung unserer Bedürfnisse verspricht, die wir kaum erreichen können. Somit entsteht die Begierde nach teuren Schuhen oder Plasma-Fernsehern, während Gehälter gekürzt, Arbeiter_Innen entlassen und Sparpakte geschnürt werden.

Diese Enttäuschung, die Lücke zwischen dem, was versprochen wurde und dem, was tatsächlich möglich ist für die Mehrheit, öffnet einen Raum, in welchem die Arbeiter_Innen radikalisiert werden können, wenn er verbunden ist mit einer antikapitalistischen Kritik, anstelle eines Gefühls der Teilnahmslosigkeit an politisch-inhaltlicher Aktion.

Weihnachten nach dem Kapitalismus

Macht man einen Schnitt durch die vom Konsumwahnsinn verfremdete Gesellschaft und dem künstlichen „guten Willen“ in der Weihnachtszeit, stößt man auf das Gefühl, in einer Welt zu leben, in der die alltäglichen Probleme auf der Arbeit oder zwischen den Menschen verflogen sind, wo man getrost Freude und eine tolle Zeit zusammen genießen kann. Es ist nicht nur die christliche Botschaft, die lügt, zunehmend verschleiert und verpackt in Disney-Kitsch, die in uns das Mitgefühl wecken soll. Wir überhäufen uns mit Geschenken und jede_r denkt sich, warum nicht jeden Tag Weihnachten sein kann. Aber warum sollte es denn nicht so sein?

Die Idee von Wohlwollen und Frieden auf der ganzen Erde, die Wohlfühl-Filme, die im Fernsehen laufen, die klassische Weihnachtsgeschichte von Dickens und der Wandlung eines widerwärtigen Kapitalisten hin zu einem netten Kerl sind alle Teil einer ideologischen Botschaft über die menschliche Gesellschaft von Vergebung und Toleranz. Normalerweise würde man obdachlose Leute ignorieren, aber im Dezember ist das ein wenig anders. Vielleicht kann man auf der Arbeit ein bisschen früher gehen, um mehr Zeit mit seiner Familie zu verbringen. Man freut sich darüber und nimmt stillschweigend hin, dass man den Rest des Jahres schrecklich behandelt wird, dass man Opfer eines zunehmend stressigen Arbeitslebens ist, das einen aufreibt. Man sollte sich fragen, warum wir ausgerechnet zu Weihnachten auf einmal nett zueinander sein sollen.

Weihnachten ist die Zeit der gemischten Gefühle, es kann berauschend und frustrierend sein, ein Hoch- oder ein Tiefpunkt im Jahr. Als Teil des Kampfes für die menschliche Befreiung müssen wir kritisch gegenüber dieser kapitalistisch manipulierten Auszeit sein, da sie von den Kapitalisten genutzt wird, um uns zu beschwichtigen, zum Konsum anzuregen und einen bestimmten Lebensstil festzulegen.

Es gibt keine Kristallkugel, in die wir blicken können, um ein Bild vom Leben nach dem Kapitalismus zu erspähen. Aber eine Gesellschaft, die den Kapitalismus ersetzt, wird notwendigerweise eine sein, die sich auf die Abschaffung der Ausbeutung gründet. Eine Gesellschaft, in der es kein Privateigentum gibt, in der die Profitlogik nicht mehr existiert, wodurch die Armut und die Entfremdung am Arbeitsplatz endlich aufhören würden. Es wäre eine Gesellschaft, in der die Produktivkräfte dafür verwendet werden würden, Probleme wie Wohnungsmangel, Bildung und Unterdrückung für Alle zu bekämpfen, nicht um massiven Wohlstand für einzelne Individuen zu fördern. Die Welt wäre gelenkt von Solidarität, Mitgefühl und kollektiver Aktion anstatt von Selbstsüchtigkeit, Individualismus und Gier. Besser als alle Weihnachtsfeste zusammen!

image_pdfimage_print

Related Posts

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

99 − 94 =

Besuch uns auch auf

Unser Programm

Neueste Zeitung

Zeitung Mai 2024

Archiv