Von Lia Malinovski
Weihnachten ist eine besinnliche Zeit, in der wir mit unseren Familien zusammenkommen, in uns kehren und an unsere Mitmenschen denken. So zumindest ist das Bild, das überall verbreitet wird und den meisten von uns bei dem Wort in den Kopf kommt. Der Geruch von Kerzen, Tannen, eventuell Keksen – Naja und Streit, nervige Fragen und vor allem eines: Allerhand Unterdrückung und Diskriminierung gebündelt über mehrere Tage. Denn in der bürgerlichen Familie gibt es auch ansonsten Probleme, aber da diese Zeit mit so vielen Traditionen, Erwartungen und damit Zwängen gefüllt ist, häufen sie sich und werden besonders klar. Wir treffen in dieser Zeit sicherlich alle auf Familienmitglieder, mit denen wir normalerweise niemals was zu tun hätten, gleichzeitig verwehrt uns der Zwang zum Heile-Welt-Gehabe, dass wir damit ehrlich umgehen. Wozu das so führt?
Die meisten weiblichen Personen kennen vermutlich Fragen wie „Na, hast du jetzt endlich mal nen Freund?“, „Wann heiratet ihr endlich mal?“ oder Kommentare über das Aussehen. Für LGBTIA+ ist es nicht gerade besser, wenn mal wieder eine völlig cis- und heteronormative Welt vorausgesetzt, indem man nach heterosexuellen Beziehungen gefragt wird, ohne überhaupt in Erwägung zu ziehen, ob es nicht eventuell auch andere Formen gibt. Für trans* Personen bedeutet Weihnachten misgendern (falsche Pronomen benutzen oder mit dem falschen Geschlecht angesprochen werden), gedeadnamed werden (den falschen, „alten“ Namen benutzen) oder sich zu verstecken und als das biologische Geschlecht zu verkleiden, um Stress oder Kommentare zu vermeiden.
Auch gibt eine Art Hierarchie in den Beziehungsarten: Es ist „normal“, oder gehört sogar zum „guten Ton“, wenn man seine romantische Beziehungsperson mitbringt, würde das aber bei Freund_Innen passieren, wären alle schockiert oder zumindest verwirrt. Romantische Beziehungen werden fast in allen Bereichen über andere Beziehungen gestellt, aber an Weihnachten ist es nochmal ein anderes Level. Vielleicht wollen wir aber auch mal mit unseren Leuten chillen in der Zeit? Das kann für uns Jugendliche die einzige Entlastung von den gesellschaftlichen Zwängen sein. Insgesamt sind wir gezwungen, bei allem mitzumachen, was von der Familie verlangt wird, überallhin mitzugehen, und so weiter. Man will nun mal keinen Stress anfangen und wegen finanzieller Abhängigkeit und dem gesellschaftlichen Bild der Familie ist eine Distanzierung von der Familie oft auch nicht möglich.
All das, was uns im Alltag oft genug begegnet, kommt von allen Seiten an Weihnachten besonders klar und dicht zum Vorschein. Normalerweise hat man aber zumindest den Vorteil, sich innerlich und äußerlich dagegen wehren zu dürfen. Sich dagegen an Weihnachten offen zu wehren, hieße, das „schöne“ Bild des Festes einzureißen und die angebliche Heile Welt zu zerstören. Wenn man es doch mal wagt, etwas gegen die Unterdrückung zu sagen und sich zu wehren, wird einem vorgeworfen, alles zu stören. Hätte man doch bloß nichts gesagt, hätte man einfach nur mitgemacht, dann wäre jetzt wenigstens noch ein heiles Bild geblieben.
Aber auch wenn wir uns innerlich dagegen wehren, passt es nicht zum Ideal. Irgendwie fühlt es sich an wie entkoppelt von der „Besinnlichkeit“ des Festes und am Ende sitzt man teilnahmslos dabei.
In diesem ganzen Ausmaß wird es sicherlich nicht auf alle zutreffen, aber in irgendeiner Form werden sich die allermeisten jedes Jahr in solche Situationen begeben müssen. Mit etwas Glück hat man vielleicht eine entspannte Schwester, den witzigen Cousin oder die aufmerksame Tante, mit denen die Zeit nur noch halb so schlimm ist und die einen bisschen verstehen. Und sind es nicht gerade die eigenen Eltern, auf die man gar keinen Bock hat, könnte mit ihnen ein direktes Gespräch schon dabei helfen, dass die einen auch verstehen, warum man nicht zum Weihnachtsessen mitkommt, wo der AfD-Onkel die eigene Identität in Frage stellt.
Doch letzten Endes soll es ja dennoch nicht so sein. Leider ist es schwer, eine Perspektive aus dieser Spirale der Unterdrückung und des Stresses zu bieten, sind es doch zu viele Baustellen, verknüpft mit viel kollektiver Verdrängung. Vor allem sind wir ja dann doch wieder sehr vereinzelt in der Familie, sodass ein gesellschaftlicher Kampf schwer ist. Wir wollen trotzdem versuchen, eine Perspektive der Veränderung aufzumachen, denn es hängt eigentlich sehr mit den gesellschaftlichen Verhältnissen zusammen!
Wir fordern: