Interview mit der Antifaschistischen Jugend Augsburg über Angriffe von sogenannten Antideutschen, den Rechtsruck und Widerstand dagegen
Revo: Hey AJA, schön, dass ihr Zeit gefunden habt, uns von den Vorfällen in eurer Stadt zu berichten. Vielleicht könnt ihr euch zuerst einmal vorstellen und verraten, wer ihr seid?
AJA: Wir sind eine antifaschistische Jugendgruppe aus Augsburg. Neben dem Kampf gegen Rechts führen wir auch antiimperialistische, antikapitalistische, feministische, internationalistische und antimilitaristische Kämpfe. Wir haben uns vor fast 2 Jahren zu einer Gruppe zusammengeschlossen.
Revo: Und was ist nun genau vorgefallen?
AJA: Es gab schon länger kleine Anfeindungen und Konflikte aufgrund von, zum Beispiel Schmierereien auf der Toilette von Szenekneipen. Irgendwann fing es an, dass uns ein Transpi während eines unserer Kurdistan-Vorträge geklaut wurde, andere „linke“ Gruppen Bilder in ihrer Insta-Story posteten auf welchen sie unsere Sticker überklebten, u.s.w… Den entscheidenden Auslöser den Konflikt offensiv auszutragen sahen die Antideutschen dann in unserem Posting zur Nakba vom 15.5., mit dem wir der Vertreibung von mehreren Hunderttausend Palästinenser_Innen gedachten. Bei dem zugehörigen Text wandten die Antideutschen den sogenannten „3D-Test“ an, der angeblich belegen soll, dass es sich um Antisemitismus handle. Dieser Test beruht jedoch auf keiner wissenschaftlichen Grundlage und wurde von einem rechten israelischen Minister erfunden. In dem Schreiben wurde dazu aufgefordert „nicht mehr mit uns Antisemit_Innen zu kooperieren“. An der Stelle kritisieren wir den bei Antideutschen typischen inflationären Gebrauch des Antisemitismusvorwurfs. Das lenkt davon ab, echten Antisemitismus zu bekämpfen. Ein paar Wochen nach diesem Schreiben des JuFo schickte uns die örtliche F*antifa ein Vorwurfspapier auf dessen Grundlage wir wenig später aus unserem Treffpunkt, dem einzigen Szeneladen in Augsburg „Die Ganze Bäckerei“, ausgeschlossen wurden. Hierfür besuchten die Antideutschen das sonst eher mau besuchte Orgaplenum mit 12 Leuten und drückten eine Abstimmung durch (normalerweise wird dort mit Konsensprinzip entschieden). Die Vorwürfe gegen uns waren angeblich Sexismus, Antisemitismus, autoritär, mackerhaft und Gulagdrohungen. Wir sind gerade noch dabei zu differenzieren, welche der Vorkommnisse, die den Vorwürfen zugeordnet werden, aus der Luft gegriffen sind und mit welchen wir uns selbstkritisch befassen müssen.
Revo: Welche Gruppen und Organisationen verbergen sich hinter den Anfeindungen?
AJA: Vor allem der lokale Ableger der Linksjugend Solid, welcher von antideutschen Student_Innen geführt wird. Das Schreiben in dem dieser 3D-Test angewandt wurde war von der Hochschulgruppe des Jungen Forum der „Deutsch-Israelischen Gesellschaft“ initiiert. Es wurde unter anderem von den Parteijugenden von SPD, Grüne und Linkspartei unterzeichnet. Im Laufe der Zeit gründete sich eine weitere antideutsche Gruppe, die allerdings weniger von Relevanz ist. Zeitgleich gründete sich eine geschlossene F*antifagruppe, welche die treibende Kraft hinter unserem Ausschluss aus dem Szeneladen „Die Ganze Bäckerei“ ist. Insgesamt bestehen zwischen den einzelnen Gruppen teilweise große personelle Überschneidungen.
Revo: Und sind diese Anfeindungen und Kommentare etwas Neues für euch?
AJA: Wie bereits erwähnt gibt es schon länger kleinere Konflikte. Das war nicht immer so. Bei unserer Gründung wurden wir von allen Seiten aus dem linken Spektrum unterstützt und wir wurden natürlich auch dadurch beeinflusst. Die ersten ernst zu nehmenden Anfeindungen kamen dann auf, als wir uns positiv auf den palästinensischen Befreiungskampf bezogen. Bereits früh scheute sich vor allem die Solid nicht, uns öffentlich über ihre Insta-Seite zu diffamieren. Gerade in Augsburg, wo alle sich einig sind, dass linkspolitisch nichts Nennenswertes vorangeht, ist es für uns sehr fraglich, warum sich dann auch noch darauf konzentriert wird uns als aufstrebende linke Jugendgruppe das Leben schwer zu machen, während Identitäre, AFD, Dritter Weg und Co. sich hier pudelwohl fühlen.
Revo: Wie seid ihr damit umgegangen?
AJA: Wir müssen uns natürlich eingestehen, dass jegliche Provokationen immer auf Gegenseitigkeit beruhen. Wir sind keine sündenfreien Heiligen, sondern auch nur Menschen. Allerdings sind wir vor allem, wenn es um öffentliche Anfeindungen oder Versuche sich über uns lustig zu machen ging, nie darauf eingegangen und haben uns nie öffentlich gerächt oder so. Dort, wo wir es für sinnvoll erachten, suchen wir das persönliche Gespräch, ansonsten konzentrieren wir uns auf unsere Arbeit und ignorieren die meist dämlichen Facebook oder Instagram-Posts. Die Vorwürfe, aufgrund derer wir aus der Bäckerei geflogen sind, werden bei uns versucht zu klären und wir reflektieren gemeinsam über mögliches Fehlverhalten, allerdings lassen wir uns auch nicht isolieren oder uns von unseren inhaltlichen Kernpunkten abbringen.
Revo: In unseren Augen sollten wir das Erstarken der Antideutschen nicht getrennt vom Aufkommen eines internationalen Rechtsrucks betrachten. Dieser spielt sich nämlich nicht nur in der AfD und der CDU ab, sondern hat weite Teile der Gesellschaft erfasst und wirkt auch in reformistische Parteien wie die SPD und die Linke. Diese passen sich in ihrer Angst vor Wähler_Innenverlusten immer weiter nach rechts an und verlieren (Überraschung) noch mehr Wähler_Innen. Kein Wunder, dass deren Jugendorganisationen an den Angriffen gegen euch beteiligt waren. Anstatt sich klar zu Klassenkampf, Antirassismus und Antikapitalismus zu bekennen, rücken auch Teile der radikalen Linken dichter an die Positionen der Regierung heran und üben den nationalen Schulterschluss. Antimuslimischer Rassismus, Hass gegen internationalistische Linke und die Unterstützung der deutschen Außenpolitik wurden im Zuge des Rechtsrucks zu neuen Kampffeldern vermeindlicher „Linker“. Wie seht ihr das?
AJA: Wir würden da grundsätzlich erstmal eine Trennlinie ziehen. Kapitalismus, Faschismus und der Staat sind Dinge, die tagtäglich gefährliche Auswirkungen auf Milliarden von Menschen haben und sind dadurch Feinde der Menschen und sind deswegen auch Feinde der linken Bewegung. Das Phänomen der Antideutschen mit seiner unlogischen Ideologie spielt sich erstmal nur in einer Blase ab und hat selten realpolitische Auswirkungen. Insofern könnte man sie einfach ignorieren, allerdings sind sie (leider) oft erfolgreich darin progressive linke Kräfte zu stören, anzufeinden und deren Ruf zu schädigen. So führten sehr ähnliche Umstände zuletzt dazu, dass sich die Offene Antifaschistische Jugendgruppe (OAJ) aus Chemnitz auflösen musste, da die Auseinandersetzung mit solchen Vorwürfen, kombiniert mit kontinuierlicher sinnvoller politischer Arbeit und staatlicher Repression, große psychische Belastungen sein können. Dadurch, dass die Antideutschen uns zu Feind_Innen erklären und gleichzeitig unsere politische Arbeit versuchen zu behindern, machen sie sich auch zu Feind_Innen von uns. Wir sehen den richtigen Umgang darin, innerhalb der linken Bewegung umfassend über dieses Phänomen aufzuklären und vor den Gefahren dieser Ideologie und ihrer spaltenden, sabotierenden und menschenverachtenden Eigenschaft zu warnen. Antideutsche sind keine Linken.
Revo: Wir sind uns einig, dass Antideutsche nichts mit Linken zu haben. Als ehemalige Szenepublizist_Innen sind viele Antideutsche nun im Springer-Verlag, im Bundestag oder als Extremismusexpert_Innen beschäftigt. Keine Überraschung, denn historisch decken sich große Teile ihrer außenpolitischen Positionen mit denen des deutschen Kapitals (Unterstützung des Irakkriegs, Unterstützung des Kosovokriegs, Unterstützung des Afghanistankriegs, bedingungslose Solidarität mit Israel, restriktive Migrationspolitik und der Kampf gegen BDS). Häufig sind sie dort anzutreffen, wo es nur eine schwach organisierte Arbeiter_Innenklasse gibt: Also zum Beispiel im Osten Deutschlands und in Unistädten. Gerade die aktuelle Krise zeigt jedoch, dass die Antideutschen keinerlei Perspektive bieten können, wie wir Wirtschaftskrise, Pandemie und Klimawandel stoppen können. Mit Merkava-Memes und Technopartys wird das leider nichts. Stattdessen müssen wir eine internationale Anti-Krisen-Bewegung aufbauen und eine klassenkämpferische Antwort auf die kommende Krise geben. Das ist die beste Waffe, die wir gegen die Antideutschen und die Angriffe des Kapitals haben. Wie sieht eure zukünftige Arbeit aus?
AJA: Das Schreiben, in dem Gruppen erklären nicht mehr mit uns zu kooperieren, wurde abgesehen von der antideutschen Gruppe, von Jugendorganisationen der Grünen, SPD und der Linken unterzeichnet. Mit den genannten Gruppen hatten wir nie relevante Zusammenarbeit, weswegen wir nicht allzu stark betroffen sind. Doch diese Gruppen sind nicht ehrlich. Wir sind Mitveranstalter des Klimacamps, was seit nunmehr als vier Wochen läuft. Da ist es für die Grüne Jugend z.B. kein Hindernis, doch mit uns zu kooperieren. Wir achten gezielt darauf weiter sinnvolle politische Arbeit zu betreiben und dem Konflikt nicht mehr Raum zu geben, als er verdient. Der Austausch über so etwas wie Vorwurfspapiere nimmt jedoch schon einiges an Zeit in unseren Plena in Anspruch. Für einige Aktivist_Innen entsteht leider auch eine psychische Belastung, wenn so etwas wie Antisemitismusvorwürfe oder das Thema sexuelle Gewalt auf ein lächerliches Niveau verzerrt werden. Das ist einfach nur respektlos gegenüber denen, die tatsächlich solche Erfahrungen erleiden müssen.
Revo: Worin seht ihr die Ursache, dass solche Angriffe sich aktuell häufen?
AJA: Wo gehobelt wird da fallen Späne. Die kontinuierliche Arbeit antiimperialistischer Gruppen in den letzten Jahren zahlt sich aus und die vermehrten Angriffe seitens der Antideutschen sind eine Reaktion darauf. Wir passen nicht in ihr ideologisch verhärtetes, verwirrtes Weltbild und ecken bei ihnen an, sobald wir progressive Arbeit in den Massen machen und versuchen Politik über die linke Szene hinaus zu machen. Indem die Antideutschen sehr viel Zeit darin investieren, zu versuchen linke Gruppen zu behindern, zeigen sie, dass ihr Feind nicht der Kapitalismus und die Kapitalist_Innenklasse ist, sondern dass sie sich oftmals wenig von dieser Unterscheiden. Die antiimperialistische Bewegung versucht das Problem wieder bei der Wurzel zu packen und nimmt klassenkämpferische und revolutionäre Standpunkte ein. Das passt nicht in die Ideologie, welche die arbeiter_Innenfernen Antideutschen sich an ihrer Universität zusammenbasteln.
Revo: Was denkt ihr, wie sich die internationalistische Linke kollektiv dagegen verteidigen kann?
AJA: Unsere Aufgabe als antiimperialistische Linke ist es einheitlich und standhaft zu bleiben und uns nicht von unserem Weg abbringen zu lassen. Wir müssen weiterhin das oberste Ziel vor Augen behalten, uns gemeinsam mit den Massen von Imperialismus, Faschismus und Ausbeutung zu befreien. Ein wichtiges Werkzeug ist dabei wie immer die Solidarität. Sie ist nicht nur ein Werkzeug, sondern eine Waffe. An dieser Stelle möchten wir uns herzlichst bei Allen bedanken, die sich solidarisch mit uns zeigten. Besonders hervorzuheben sind dabei die Genoss_Innen von der Bonner Jugendbewegung, die ein mehrseitiges Solidaritätsschreiben verfassten, welches an die 20 Gruppen aus ganz Deutschland unterzeichneten. Zusätzlich bedanken wir uns für die Solidarität aus Ingolstadt, München, der Schweiz oder von der KO. Es ist unglaublich bestärkend und wichtig für uns zu sehen, dass wir nicht alleine dastehen, sondern dass es unheimlich viele Menschen gibt, die für das gleiche kämpfen und die gleichen Probleme kennen. Solidarität und Zusammenhalt sind der erste Schritt gegen die Angriffe der Antideutschen. Darüber hinaus sehen wir es als sehr wichtig an, weiter kontinuierlich zu arbeiten und gleichzeitig die antideutsche Ideologie zu entlarven. Nebenbei sollte man nie das Gefühl dafür verlieren mit Kritik umzugehen. Unter dem Schwall an hauptsächlich unbegründeter Kritik vergisst man oft auch schnell einzuschätzen an welcher Stelle die Kritik an der eigenen Arbeit vielleicht doch durchaus angebracht wäre. Das heißt nicht, dass die Antideutschen uns etwas zu sagen haben, denn unser Ziel ist es nicht Politik zu machen um Antideutsche zu befriedigen, sondern das, was wir für richtig halten: Politik für die Menschen auf der Straße, die tagtäglich unter dem Kapitalismus leiden. Aber wir müssen einfach auch grundsätzlich darauf achten einen korrekten Umgang mit Kritik beizubehalten, da wir uns als antiimperialistische Bewegung stets weiterentwickeln und Theorie und Praxis verfeinern müssen. Hierbei lässt sich vielleicht ein kleiner Vorteil von diesen Angriffen ausmachen: Sie sind so etwas wie eine erste kleine Zerreißprobe aus der man mit dem richtigen Umgang gefestigter, einheitlicher und stärker hervorgehen kann. Auf unserem Weg zur befreiten Gesellschaft werden uns noch viele Leute Steine in den Weg legen – in der eigenen Szene fängt es an.
Revo: Vielen Dank AJA. Wir wünschen euch viel Erfolg dabei! Vielleicht bieten kommende Mobilisierungen wie in Hanau am 22.8. oder Ende Gelände im September eine Möglichkeit, das in der Praxis gemeinsam auszuprobieren.