Nein zur Kolonisierung Griechenlands! Nein zur Kapitulation von Tsipras!

Mit dem Abkommen von letzter Woche ist Griechenland faktisch zu einem Protektorat der Troika geworden. Alle wichtigen Entscheidungen – von der Kürzung der Renten, über das Arbeitsrecht bis hin zur erzwungenen Veräußerung des verbliebenen öffentlichen Eigentums unter der Aufsicht einer Treuhandanstalt europäischen Zuschnitts – werden nun unter Kontrolle von EU-Institutionen getroffen.

Der deutsche Imperialismus hat sich in allen Fragen durchgesetzt. Merkel und Schäuble hatten von Beginn an ein klares Ziel, das sie mit aller Härte, aller Entschlossenheit durchsetzen wollten – und fürs erste durchgesetzt haben. Mehr als je zuvor hat sich gezeigt, was die Europäische Union ist, wer die Eurozone beherrscht: der deutsche Staat, genauer, die herrschende Kapitalistenklasse, die er vertritt.

An Griechenland wurde und wird ein Exempel statuiert zur Neuordnung Europas. In der EU/Eurozone geht es nicht um einen imaginären „europäischen Geist“, eine „Friedensordnung“ oder gar soziale „Gerechtigkeit“ und „Gleichheit“. Es geht um die Formierung eines neo-liberalen, imperialistischen Projekts, eines von Deutschland geführten Blocks, der beim Kampf um die Neuaufteilung der Welt, um politische und wirtschaftliche Einflusssphären, ganz vorne mitmischen kann.

Zweifellos ist mit Griechenland der Kampf um die Neuordnung Europas lange nicht entschieden – ja er wird wahrscheinlich noch weitaus härter und bitterer werden, weil die wirtschaftlichen Verwerfungen des Kapitalismus zu weiteren krisenhaften Ausbrüchen führen müssen, weil Griechenland letztlich nur ein Vorspiel ist zu den viel größeren Volkswirtschaften Spaniens und Italiens.

Schäuble und Merkel haben die Syriza/ANEL-Regierung zur vollständigen Kapitulation gezwungen und faktisch eine „Regierung der nationalen Einheit“ herbeigeführt – eine Regierung freilich, die selbst in einem kalten Putsch unter imperiale Aufsicht gestellt wurde.

Schäuble und Merkel hätten diese Politik nicht so durchziehen können, wenn die anderen Regierungschefs und Finanzminister der Eurozone (und auch der EU) sich nicht der deutschen Führung gefügt hätten. Taten es die einen geradezu euphorisch, so spielte die französische Regierung die Rolle des „Vermittlers“, der letztlich auch nur zähneknirschend das Diktat weiterleitet und beschönigt.

Diese Politik wäre unmöglich gewesen ohne die willfährige Komplizenschaft der europäischen Sozialdemokratie und der von ihr dominierten Gewerkschaften. Martin Schulz, dieser zum Grußdirektor des europäischen Imperialismus gewordene EU-Parlamentspräsident, verlor kurzzeitig die Contenance, als Tsipras und die griechische Delegation zu einem Volksentscheid über die Troika-Erpressung ausriefen. Jetzt ist Schulz wieder glücklich, habe doch allen Ernstes die „Demokratie“ gesiegt, nachdem das Votum des griechischen Volkes mit Füßen getreten wurde. Siegmar Gabriel versuchte gar, Schäuble und Co. als Hetzer gegen die griechische Regierung rechts zu überholen – was, wie so oft bei diesem politischen Geisterfahrer, in einem Crash auf der Gegenfahrbahn endete.

Die Gewerkschaftsführer Europas verzichteten auf solche real-satirischen Einlagen. Sie sahen ihre „Hände gebunden“. Schließlich hatte der griechische Gewerkschaftsdachverband GSEE bei der Volksabstimmung zum Ja für die Troika-Auflagen aufgerufen – und diesen KollegInnen wollte man nicht „in den Rücken fallen“. So machten die Gewerkschaftsbonzen, was sie bei allen großen politischen Fragen am liebsten machen – nichts – und fielen statt den griechischen Bürokraten den Lohnabhängigen in den Rücken. Allenfalls schicken sie einen Bettelbrief an Schäuble, Merkel oder Juncker oder hoffen auf die Heldentaten eines Hollande.

Die Sozialdemokratie und Gewerkschaftsführungen haben die griechische Bevölkerung nicht nur im Stich gelassen. Sie tragen auch eine politische Hauptverantwortung dafür, dass das Gift des Chauvinismus, der anti-griechischen Hetze in Deutschland und vielen anderen Ländern Europas so greifen konnte.

Schließlich war auch die Griechenlandsolidarität der „Europäischen Linkspartei“ wenig mehr als unkritische Unterstützung der Regierungspolitik von Syriza/ANEL und Parlamentsreden. Mobilisiert hat sie mit angezogener Handbremse. Parteien mit zehntausenden Mitgliedern brachten gerade ein paar Hundert, allenfalls ein paar Tausend ihre GenossInnen auf die Straße.

Wahrlich, Merkel, Schäuble und Co. hatten „Gegenspieler“ in Tsipras und seiner Regierung, die vor allem nicht aus ihrer Mannschaft fliegen wollten. Die deutsche Regierung hingegen verfolgte ihre Interessen konsequent. Der Vorwurf, dass sie „die Europäische Idee“ verraten hätte, dass sie keinen „fairen Kompromiss“ gewollt hätte, trifft letztlich nicht Merkel, sondern alle jene, die dachten (oder sich selbst wider besseres Wissen vormachten und vormachen), dass es sich bei EU und Eurozone um eine demokratische Veranstaltung Gleicher handeln würde. Was diese KritikerInnen Merkel und Schäuble letztlich vorwerfen, ist dass sie als konsequente Sachwalter des deutschen Imperialismus, als entschiedene InteressenvertreterInnen der herrschenden Klasse agieren.

Die Politik der griechischen Regierung

Eine solch konsequente Vertretung ihrer Klasseninteressen hatte und hat im Gegenzug die ArbeiterInnenklasse Griechenlands nicht, ja nie gehabt. Die griechische Regierung unter Tsipras wollte immer schon einen „ehrenhaften Kompromiss“ mit den Gläubigern, der zu „Institutionen“ umgemodelten Troika. Im Februar 2015 unterzeichnete sie ein erstes Abkommen, eine erste Kapitulationsurkunde. Sie signalisierte durch Bildung einer Volksfrontregierung mit der rassistischen, rechten ANEL und die Wahl eines Staatspräsidenten aus den Reihen der ND, dass sie keinen Bruch mit der EU und dem griechischen Kapital anstrebte.

Auch als die Verhandlungen Ende Juni scheiterten und Tsipras ein Referendum über das Diktat der EU und des IWF ausrief, wollte er eigentlich keinen Bruch. Keine praktischen Vorbereitungen wurden von der Regierung unternommen, um das Land im Falle eines erzwungenen Grexit zusammenzuhalten.

So war die vollständige Kapitulation folgerichtig. Nun wird diese von Tsipras, seiner Führungsclique und der europäischen Linkspartei einschießlich etlicher „post-autonomer“ Linker auch noch verklärt. Er hätte, so erklärt Tsipras, noch Schlimmeres verhindert. Um „sein Land“ vor dem Ruin zu retten, wäre letztlich jedes Zugeständnis notwendig gewesen, um es in der Eurozone zu halten. All das sei bitter – aber letztlich alternativlos.

Damit tritt Tsipras das überwältigende Votum des griechischen Volkes, das Oxi vom 5. Juli, mit Füßen, das ein klares NEIN zu den Diktaten der EU und der Troika ausdrückt. Selten hat ein reformistischer politischer Führer in der europäischen ArbeiterInnenbewegung seine selbst proklamierten Ziele und Versprechen innerhalb so kurzer Zeit verraten, ins Gegenteil verkehrt.

Der Verrat ist freilich keine persönliche Angelegenheit. Eine ganze politische Strategie und Doktrin ist an den Interessen des europäischen Imperialismus zerbrochen, gescheitert. Erstens die Illusion, die „europäischen Institutionen“, die imperialistische EU zu einem Instrument sozialer Reform, gradueller Verbesserung zu machen. Zweitens die Vorstellung, dass die Alternative zum Neo-Liberalismus die Rückkehr zu einer keynesianischen Politik, zur Stimulierung der Wirtschaft mittels „Investitionsprogrammen“ und Stützung der Nachfrage der KonsumentInnen sei. Eine solche Strategie ist in der aktuellen Krisenperiode nicht „realistisch“, sondern utopisch. Die Alternative heißt nicht „Neo-Liberalismus oder Reform“, sondern kapitalistisches Krisenregime oder revolutionärer Bruch.

Nun bleibt Tsipras und seinen Parteigängern nichts übrig, als die ArbeiterInnenklasse, die RentnerInnen, die Jugend auf bessere Zeiten zu vertrösten. Derweil wird es weitere Kürzungen, Arbeitslosigkeit, Armut, Ruin geben. Derweil wird die griechische Ökonomie an das deutsche und internationale Finanzkapital verscherbelt. Politisch hat das faktisch zu einer „Regierung der nationalen Einheit“, einer politischen Zusammenarbeit mit ND, PASOK, Potami, also allen offenen „Troika-Parteien“, geführt.

Die einzige Hoffnung, dass Tsipras mit seinen neuen „Partnern“ das Abkommen mit der EU nicht durchsetzen kann, liegt in der Widerstandskraft der griechischen Bevölkerung, der ArbeiterInnenklasse und der Jugend. Mit dem Nein vom 5. Juli haben sie gezeigt, dass sie keine Unterwerfung unter das imperialistische Diktat wollen. Zugleich hat sich auch gezeigt, dass ein Nein an den Wahlurnen nicht ausreicht, sondern dass es auf der Straße und in den Betrieben durch eine Massenbewegung erkämpft werden muss.

Der Generalstreik am 15. Juli kann dazu ein Schritt sein. Aber befristete Streiks sind, wie die Erfahrungen der letzten Jahre zeigen, letztlich nur Formen des symbolischen Protests. Die Regierung wird das aussitzen und am nächsten Tag zur Umsetzung ihres Programms voranschreiten. Notwendig ist ein unbefristeter Generalstreik. Notwendig ist die Organisierung von Massenversammlungen in den Betrieben, an Schulen und Unis, in den Wohnbezirken, in Stadt und Land und die Wahl von Aktionsausschüssen, um eine solche Bewegung zu organisieren, zu lenken und zu leiten.

Unsere Solidarität und Unterstützung gilt allen politischen Kräften der griechischen Linken, die in der aktuellen Lage gegen das Diktat der Troika, gegen die Kapitulation der Syriza-Führung kämpfen und mobilisieren. Eine Einheitsfront der linken Kräfte in Syriza (Linke Plattform usw.), von Antarsya und, wenn möglich, der KKE ist notwendig, um jetzt gemeinsam gegen die Regierung zu mobilisieren. Ein Generalstreik in der aktuellen Lage könnte die Regierung und die Troika-Politik zu Fall
bringen. Zugleich wäre er ein Mittel, um Organe der Selbstorganisation in den Betrieben und Stadtteilen aufzubauen und zu Räten zu entwickeln.

Es würde auch erfordern, Selbstverteidigungsorgane des Streiks gegen Übergriffe von Polizei und Faschisten aufzubauen und Soldatenräte in der Armee zu schaffen, um sich gegen einen möglichen Militärputsch zu wappnen.

Eine solche Zuspitzung würde nicht nur die Frage des Bruchs mit der EU, der sofortigen Streichung der Schulden, der Einführung von Kapitalverkehrskontrollen aufwerfen. Sie würde auch Maßnahmen erfordern, die sich gegen den Kapitalismus richten: die entschädigungslose Enteignung der großen Banken und Konzerne unter  ArbeiterInnenkontrolle, einen Notplan zur Sicherung der Grundbedürfnisse der Massen. Kurzum, sie würde die Frage einer ArbeiterInnenregierung aufwerfen, die sich auf Räte und Selbstverteidigungseinheiten stützt, die herrschende Klasse enteignet und die Wirtschaft auf Basis eines demokratischen Plans reorganisiert.

Zweifellos ist ein solches Programm, eine solche Strategie heute schwer umsetzbar. Die Politik der monatelangen Verhandlungen mit der EU, der EZB, dem IWF, die ständige Vertröstung auf Verbesserungen im Rahmen des bestehenden Systems und die stetige Verschlechterung der Lebensbedingungen haben bei vielen Menschen zu Verzweiflung und Resignation geführt. Diese werden weiter um sich greifen, wenn es nicht rasch zu massenhaftem und entschlossenem Widerstand kommt, der den Menschen eine Perspektive bietet. Diese kann jedoch nur in der revolutionären, sozialistischen Umwälzung und im Kampf für ein sozialistisches Europa liegen. Dies ist schwer, sehr schwer zu machen angesichts der Entwicklung der letzten Jahre – aber sie ist die einzige Alternative zur vollständigen Niederlage.

Um den Widerstand gegen das Diktat der Imperialisten zu führen, ist ein Bruch mit der Regierung Tsipras, ein Bruch mit seiner Fraktion unvermeidlich. Eine „Einheit“ mit den Erfüllungsgehilfen von Merkel und Schäuble wäre selbst nichts anderes als die mehr oder minder kritische Unterordnung unter ebendiese Erfüllungsgehilfen. Natürlich sollte die Linke in Syriza die Partei den Rechten nicht kampflos überlassen, sondern auf einer Notkonferenz den Bruch herbeiführen. Vor allem aber gilt, es die politische Einheit mit der revolutionären und radikalen Linken außerhalb von Syriza – allen voran mit Antarsya – herbeizuführen, um eine neue, anti-kapitalistische, revolutionäre ArbeiterInnenpartei aufzubauen.

Eine Erklärung der NaO Berlin, 15.07.2015

nao-prozess.de

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