Pan y Rosas: Zwischen Reform und Revolution?

Aventina Holzer, Arbeiter*innenstandpunkt, REVOLUTION Österreich, Fight 9, März 2021

Seit Jahren nehmen nicht nur Angriffe auf Frauenrechte zu, sondern stellen sich auch Bewegungen in unterschiedlichen Ländern dieser Realität. Dies hat auch zu einer Wiederbelebung linker Strömungen geführt, die darauf eine Antwort geben wollen. Auf der einen Seite wird versucht, die Bewegungen zu unterstützen und zu analysieren, auf der anderen sie loszutreten, sie zu befeuern und in eine richtige Richtung zu lenken. Was die wenigsten Organisationen und Strömungen aber begreifen, ist die Notwendigkeit, Frauenkämpfe nicht nur abstrakt im Zusammenhang mit dem Kapitalismus zu sehen, sondern auch dementsprechend revolutionäre und klassenspezifische Organisierung zu erreichen. Deshalb halten wir es für zentral, in eine politische Debatte mit jenen Kräften zu treten, die diesen Anspruch an sich selbst und die Bewegung stellen. Schon in früheren Publikationen haben wir uns mit programmatischen Manifesten und Theorien beschäftigt, die selbst einen antikapitalistischen, sozialistischen oder marxistischen Anspruch formulieren. So diskutierten wir in der letzten Ausgabe von Fight! das Manifest Feminismus der 99 %. Im Revolutionären Marxismus 53 beschäftigten wir uns mit Lise Vogels Marxismus und Frauenunterdrückung und der Social Reproduction Theory.

Brot und Rosen

Im Folgenden besprechen wir das 2013 in Argentinien erschienene Buch Brot und Rosen: Geschlecht und Klasse im Kapitalismus (1) von Andrea D’Atri, dessen deutsche Übersetzung 2019 veröffentlicht wurde. Andrea D’Atri ist eine Aktivistin der argentinischen Frauenbewegung und eine Genossin der Frauenorganisation Pan y Rosas (Brot und Rosen) sowie der Partido de los Trabajadores Socialistas (Partei der sozialistischen ArbeiterInnen, PTS). Als eine der Gründerinnen von Brot und Rosen hat sie auch einen beachtlichen theoretischen Beitrag ihrer Organisation geleistet. Im Folgenden werden wir ihr Buch hinsichtlich ihres historischen Verständnisses und ihrer Programmatik untersuchen, aus denen sich maßgeblich ihre Vorstellungen für den anvisierten politischen Kampf ergeben. Im Anschluss werden wir daher auch auf  die programmatischen Grundlagen und Schlussfolgerungen  des Internationalen Manifests von Brot und Rosen eingehen.

Auch wenn Andrea D’Atris Buch nicht das Produkt eines gemeinsamen Beschlusses der gleichnamigen Organisation ist, so kann man es durchaus als die politische Grundlage des Manifests von Brot und Rosen betrachten. Es beginnt mit einer Geschichte von Frauenkämpfen. Mit einer Mischung aus historischem Gesamtblick und einzelnen biographischen Erzählungen sollen aus einer proletarischen Perspektive die Zugänge zum Kampf um Frauenbefreiung und Feminismus erläutert werden. Beginnend mit Getreideaufständen in Europa und gefolgt von der Französischen Revolution, über die Industrialisierung, die Pariser Commune bis hin zum Kampf für die demokratischen Rechte der Frau wird an episodischen Einzelschicksalen die Situation und die Notwendigkeit der Kämpfe verdeutlicht. Danach werden des Weiteren die Kriegssituation und auch die Kämpfe der sozialistischen Frauenbewegung anhand der Organisationen und Debatten der Zweiten Internationale dargestellt. Ein eigenes Kapitel beschäftigt sich mit der Sowjetunion und Frauenrechten. Im weiteren Verlauf wird auch deren stalinistische Degeneration beleuchtet. Schließlich werden die Lage nach dem Zweiten Weltkrieg, der Aufschwung der Linken nach 1968, das damit verbundene Anwachsen und die Radikalisierung des Feminismus betrachtet. Am Ende findet sich eine Kritik des institutionalisierten Feminismus wie des mit Postmodernismus, Dekonstruktivismus und Postmarxismus einhergehenden Vordringens von Individualismus und Skeptizismus.

Dieser Überblick verdeutlicht schon, worum es sich beim Buch handelt – und worum nicht. Brot und Rosen ist sowohl eine geschichtliche Darstellung der Frauenunterdrückung und der Entwicklung des Kampfes dagegen wie der Entwicklung des Feminismus. Oft erscheinen auch die linken Strömungen des Feminismus als synonym mit revolutionärer, marxistischer Politik. Anders als der Untertitel des Buches – Geschlecht und Klasse im Kapitalismus – suggeriert, stellt es keine theoretische Ausarbeitung des Verhältnisses von kapitalistischer Ausbeutung zu systematischer Unterdrückung der Frauen dar. Das Buch betont zwar immer wieder zu Recht, dass der Kampf gegen Frauenunterdrückung nicht vom Klassenkampf getrennt begriffen werden darf, dass die ArbeiterInnenklasse das zentrale Subjekt im Kampf für Sozialismus und die Überwindung aller Unterdrückungsformen darstellt. Es verweist auch immer wieder berechtigter Weise darauf, dass das Kapital von der Fesselung der proletarischen Frau an die Hausarbeit unmittelbar ökonomisch profitiert und die Spaltung der Klasse seine Herrschaft politisch festigt. Auf analytischer Ebene allerdings bleibt die Darstellung im Wesentlichen bei diesen allgemeinen Wahrheiten stehen, die sowohl der Marxismus wie auch Teile des sozialistischen Feminismus anerkennen. Die spannende, für MarxistInnen zu beantwortende Frage wäre allerdings, wie die private Hausarbeit, und damit die spezifische Form der Frauenunterdrückung, mit dem Kapitalverhältnis zusammenhängt, wie das  Lohnarbeitsverhältnisses der Reproduktionsarbeit seinen Stempel aufdrückt. Diese theoretischen Schwächen werden insbesondere dann deutlich, wenn die Konzeptionen verschiedener feministischer Strömungen betrachtet werden. Im Buch wird sich ebenfalls mit der zweiten Welle des Feminismus und weiteren neueren Strömungen beschäftigt. Diese werden auch stärker politisch analysiert und eingeordnet. Hier können wir auf die politische Position der Autorin selbst Rückschlüsse zu ziehen und die Abgrenzung zum bürgerlichen Feminismus besser verstehen. Es werden dabei speziell die Unterschiede zwischen Gleichheitsfeminismus, zu denen D’Atri auch einige Strömungen des sozialistischen Feminismus zählt, und des Differenzfeminismus herausgearbeitet.

Gleichheitsfeminismus und Differenzfeminismus

D’Atri beschreibt in diesem Kontext die feministische Bewegung Ende der 1960er Jahre sehr unkritisch: „Die generelle Perspektive der feministischen Bewegung der 70er Jahre ist anti-institutionell. Deshalb ist sie nur im Rahmen der weltweiten aufständischen Bewegungen zu verstehen […].“  (S. 175) Dies geht für sie – auch mit einem gewissen historischen Recht – mit einer Radikalisierung des Feminismus einer. Der Gleichheitsfeminismus betritt die Bühne. Dieser beschäftigt sich mit Geschlecht als Konstrukt, worauf auch die Unterscheidung in sex und gender, also zwischen biologischem und sozialem Geschlecht, aufbaut. Diesbezüglich schreibt D’Atri:

„Der Gleichheitsfeminismus hat das Verdienst, Geschlecht als soziale Kategorie zu begreifen […]. Er macht sichtbar, dass die Unterdrückung der Frauen einen historischen Charakter hat und keine „natürliche“ Konsequenz aus anatomischen Unterschieden ist. Der Differenzfeminismus wiederum widersteht der Anpassung an ein System, das auf der Unterordnung, Diskriminierung und Unterdrückung all dessen basiert, was vom „universellen“ Modell abweicht, welches unter patriarchaler Herrschaft geschaffen wurde.“ (S. 196)

Die Radikalität der zweiten Welle des Feminismus verortet die Autorin also darin, dass sie an den Versprechen der bürgerlichen Revolution – Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – anknüpfe und diese gegen Patriarchat und Kapitalismus wende. D’Atri entgeht dabei zwar nicht, dass auch der bürgerliche und liberale Feminismus genau daran ansetzen. Sie geht jedoch nicht auf die Grenzen der Methode ein, die Kritik an Ausbeutung und Unterdrückung durch einen Abgleich mit den uneingelösten Freiheitsversprechen zu begründen. Es entgeht ihr damit, dass diese selbst zu einer reformerischen Lösung drängt, wie sie in der Kritik der bürgerlichen Gesellschaft selbst noch in deren Idealen befangen bleibt, statt diese selbst als Ideologie zu begreifen.

Innerhalb des Gleichheitsfeminismus unterscheidet sie drei Formen: Den liberalen, den radikalen und den sozialistischen. Ersterer wolle den Kapitalismus reformieren, um die Lage der Frauen zu verbessern. Zweiterer betrachte das Patriarchat als die grundlegende Gesellschaftsstruktur, die es abzuschaffen gelte. Der Zugang, den die radikalen Feministen wählen, macht den Feminismus zu einer politischen Theorie, die die Gesamtheit des politischen Systems beschreiben soll. Hier werden die Frauen selbst als eigene Klasse betrachtet. Die sozialistischen Feministen konzentrieren sich, so D’Atri, währenddessen auf die Verbindung von marxistischer Gesellschaftsanalyse mit Frauenunterdrückung.

„Er (der sozialistische Feminismus; d. Red.) setzt den Schwerpunkt auf das Konzept des Patriarchats und auf die historische Entwicklung der Art und Weise, wie Familienverhältnisse in den verschiedenen Produktionsweisen organisiert sind. Die sozialistischen Feministinnen verstehen die Ungleichheit als eine ganz und gar gesellschaftliche Frage: Sie beschäftigen sich vor allem mit dem Konzept der gesellschaftlichen Arbeitsteilung – eine Teilung, die für sie die Ursache für die soziale Ungleichheit zwischen den Geschlechtern ist. Sie definieren das Patriarchat als die Gesamtheit der gesellschaftlichen Verhältnisse der menschlichen Reproduktion, die von der männlichen Dominanz über Frauen und Kinder strukturiert sind.“ (S. 180)

Für einige, so D’Atri weiter, stellt das Patriarchat den Fokus und auch den Ausgangspunkt aller anderen Unterdrückung dar, der aus historisch-materialistischer und dialektischer Perspektive aufgearbeitet werden muss. Für andere besteht die Hauptaufgabe darin, Frauenunterdrückung mit der Entstehung der Klassengesellschaft zu begreifen und sie im Hinblick auf Produktion und Reproduktion zu analysieren. Die Autorin belässt es bei dem Verweis, dass sozialistische Feministen das Verhältnis von Patriarchat und kapitalistischer Ausbeutung verschieden fassen. Dabei liegt das Grundproblem des sozialistischen Feminismus gerade darin, dass er eine methodisch-theoretische Versöhnung zwischen radikalem Feminismus und Marxismus versucht, bei ihm Patriarchat und Kapitalverhältnis als mehr oder weniger gut miteinander verbundene, parallele, die gesellschaftliche Dynamik strukturierende Verhältnisse dargestellt werden.

Für den Marxismus stellt allerdings das Kapitalverhältnis den grundlegenden gesellschaftlichen Widerspruch dar, der die spezifischen Formen der modernen Reproduktion und damit auch die Frauenunterdrückung formt (2). Der sozialistische Feminismus vertritt hingegen letztlich eine dualistische Auffassung. Diese muss logisch und politisch-praktisch zu einem unterschiedlichen Begriff des revolutionären Subjekts führen. Für den Marxismus ist dies die ArbeiterInnenklasse, für den sozialistischen Feminismus gibt es hingegen letztlich zwei Befreiungssubjekte, die Lohnabhängigen und die Frauen. Unterschiedliche Strömungen innerhalb des sozialistischen Feminismus legen ein stärkeres Augenmerk auf das eine oder andere Subjekt. Tatsächlich ist dies im Endschluss allerdings eine Negation Zetkins vollkommen korrekter Bemerkung, dass es eine „Frauenfrage für die Frauen des Proletariats, des Mittelbürgertums und der Intelligenz und der oberen Zehntausend

[gibt]

; je nach der Klassenlage dieser Schichten nimmt sie eine andere Gestalt an.“ (Zetkin, Nur mit der proletarischen Frau wird der Sozialismus siegen)

Von dieser grundsätzlichen Problematik des sozialistischen Feminismus findet sich im Buch kein Wort. D’Atri unterstellt vielmehr, dass der sozialistische Feminismus eigentlich auf dem Boden der revolutionären ArbeiterInnenpolitik stehen würde: „die sozialistischen Feministinnen – strategisch und mit verschiedenen Nuancen – [bestehen] auf der Notwendigkeit einer antikapitalistischen Revolution.“ (S. 181) Wir möchten keinesfalls in Frage stellen, dass einige sozialistische FeministInnen durchaus subjektiv revolutionäre Ambitionen hegen. Allerdings verwischen solche Formulierungen die eigentlich fundamentalen Unterschiede zum Marxismus. Anstatt sozialistische FeministInnen für den historisch-dialektischen Marxismus zu gewinnen, werden letztlich gewichtige Positionen des letzteren aufgegeben. Unterschiedliche Theorien, oft auch mit unterschiedlichen praktischen Resultaten, erscheinen als reine Nuancen. Logischerweise wird daher auch der Niedergang des Gleichheits- und die Krise des sozialistischen Feminismus ohne Bezug auf deren eigene, innere Problematik erklärt. Er erscheint einzig als Resultat einer geschichtlichen Epochenwende:

„Während die bürgerliche Restauration voranschreitet, kann weder die Integration in die kapitalistische Demokratie des Gleichheitsfeminismus noch die widerspenstige Gegenkultur des Differenzfeminismus verhindern, dass sich Gewalt und Unterdrückung von Millionen Frauen auf der ganzen Welt fortwährend reproduzieren […].“ (S. 197)

Richtig ist sicherlich die kritische Haltung gegenüber dem institutionalisierten Gleichheits- und zum Differenzfeminismus. Stärker wird außerdem mit der Intersektionalität und Identitätspolitik abgerechnet, obwohl diese nur am Rande erwähnt werden. Die Kritik konzentriert sich darauf, dass eine Individualisierung der Unterdrückung nicht der Weg sein kann, um sie kollektiv zu überwinden. Es sei gefährlich, Ausbeutung auf eine Stufe mit Unterdrückung zu setzen, damit also auch die Ursprünge der Unterdrückung im Kapitalismus unscharf zu machen. Während dies der richtige Ansatzpunkt ist, wundern wir uns, warum diese Erkenntnis nicht auf die eigene Analyse der gesellschaftlichen Rolle von Frauen konsequent angewandt wird. Die Auseinandersetzung mit postmodernen Strömungen ist vor allem auf Judith Butler bezogen und kritisiert im weiteren Verlauf vor allem deren individualistische und idealistische Ansprüche, keine Theorie für die Massen schaffen zu können und zu wollen, daher auch teilweise keinen Anspruch zu hegen, das kapitalistische System zu überwinden. Neben dieser sehr berechtigten Kritik an unterschiedlichen Strömungen des Feminismus stellt sich für die LeserInnen ein bisschen die Frage, was denn nun die eigene Perspektive der Autorin ist. Das ist zwar nicht unbedingt die Fragestellung des Buches, wird aber auch im Manifest nicht ausreichend beantwortet, das am Ende des Buches veröffentlicht ist.

Brot und Rosen als Manifest

Das Internationale Manifest von Brot und Rosen stammt aus dem März 2017. Die Genossinnen dieser Organisation sind zugleich Teil der Trotzkistischen Fraktion für die Vierte Internationale. Ähnlich wie das Buch beginnt das Manifest mit einem kurzen Abriss von Frauenkämpfen, von einzelnen Biografien revolutionärer Frauen und von Kämpfen, die langfristige Veränderungen und Verbesserungen für die ArbeiterInnenbewegung gebracht haben. Es wird damit versucht zu erklären, in welcher Tradition Brot und Rosen sich sieht. Mit diesen historischen Verweisen wird im weiteren Verlauf auch die Notwendigkeit einer Abgrenzung von neoliberalen Lösungsversuchen und vom bürgerlichen Feminismus begründet, die sich auf individuelle statt kollektive Lösungsversuche verlassen. Zeitgleich wird aber auch betont, wie die Kämpfe der Vergangenheit zu einer kompletten Veränderung der Situation von Frauen weltweit führten, speziell was die Frage von demokratischen Rechten angeht. Dies wirft, laut dem Manifest, auch ein besonders schlechtes Licht auf den Stalinismus, der nicht nur eine reaktionäre Rolle in Frauenkämpfen spielte, sondern damit auch die Abkehr vieler Frauen vom Sozialismus zu verantworten hatte.

Die weitere Analyse leitet den Existenzgrund der Gruppierung aus dem speziellen Faktor der Gewalterfahrung aufgrund sexistischer Diskriminierung ab, was mit der Bewegung „Ni una menos“ auch ein wichtiger Ausgangspunkt der Entstehung der Organisation ist. Hierbei geht es in der Analyse speziell um die Ohnmacht, die Frauen fühlen und ihre Rolle als Opfer, wogegen sich Brot und Rosen stark machen möchte. Frauen sollen ihren Subjektstatus wiedererlangen. Zeitgleich wird argumentiert, dass man sich nicht auf den bürgerlichen Staat verlassen könnte, um dieses Problem zu lösen und stattdessen der Hass gegen Unterdrückung und unfaire Behandlung auf den wahren Übeltäter, den Staat, gerichtet werden muss.

Im nächsten Abschnitt werden die ersten Forderungen mit den vorhergehenden Analysen verbunden. Es geht auf der einen Seite um den Kampf um politische Freiheiten und demokratische Rechte. An dieser Stelle wird zu Recht eine ultralinke Politik abgelehnt und argumentiert, dass man durchaus auch im Parlament für Verbesserungen und  Frauenrechte kämpfen kann. Andererseits wird für die breiter gefächerten Forderungen wie „gegen Gewalt an Frauen“ auch konkret vorgeschlagen, Frauenkommissionen in Betrieben, Wohnorten und Ähnlichem zu gründen, die sich selbst organisieren. Was diese Kommissionen dann aber konkret tun müssen, um aktiv gegen Gewalt an Frauen anzukämpfen, wird nicht weiter ausgeführt. Schlussfolgerungen wie Selbstverteidigung und demokratische Kontrolle an und über Arbeitsplätze/n werden nicht erwähnt. Weitere Forderungen beziehen sich auf antiimperialistische Positionen und ein „Ende von Rassismus“, Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper, Ausbau von Kinderbetreuung und Trennung von Staat und Kirche. Auch arbeitsrechtliche Verbesserungen haben ihren Platz im Manifest wie das Ende von prekärer Arbeit und einzelne Übergangsforderungen wie die nach Aufteilung der Arbeit auf alle Hände.

Der Ursprung der Frauenunterdrückung?

Es wird sich zwar immer wieder auf klassenkämpferische Politik bezogen, aber zeitgleich eine Ebene etabliert, auf der sexistische Unterdrückung zusätzlich, daher letztlich auch begriffslogisch unabhängig vom Kapitalverhältnis existiert. Folglich werden also die Fragen von Reproduktionsarbeit und der Vergesellschaftung dieser sowie zur Einbeziehung der gesamten Klasse in gemeinsame politische Kämpfe um diese herum nicht als zentraler programmatischer Ausgangspunkt gesehen – weder im Buch noch im Manifest.

Dieser Mangel führt auch dazu, dass wichtige Teilforderungen nach sozialer und politischer Gleichheit nicht mit der eigentlich strategischen Frage verbunden werden, in welche Richtung denn die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung überwunden werden muss. Eine Reihe von Minimalforderungen aufzustellen, ist zwar gut und richtig, führt aber zu keiner nachhaltigen Überwindung des Systems und entwickelt auch keinen Ansatz dazu, wie nach einer erfolgreichen Revolution Frauenunterdrückung überwunden werden kann.

Der ganze Text wirkt eher wie eine Aneinanderreihung von Ungerechtigkeiten als eine systematische Analyse, aus der sich logisch der gemeinsame Kampf gegen Staat und Kapital ergibt. Am Ende wird anerkannt, dass die revolutionäre Überwindung des Kapitalismus die Aufgabe der ArbeiterInnenklasse ist. Diese Schlussfolgerung wird aber davor kaum argumentiert. Sätze wie: „Denn in der unbezahlten Hausarbeit ruht ein Teil der Profite der Kapitalist_Innen, die so den Arbeiter_Innen nicht die Tätigkeiten entlohnen müssen, die für ihre eigene tägliche Reproduktion als Arbeitskräfte […] nötig sind“ (S. 252) beinhalten auch ein einseitiges Verständnis der Ökonomie der privaten Hausarbeit. Es wird suggeriert, dass diese immer mit einer Senkung des Werts der Ware Arbeitskraft einhergehen würde. Dies ist aber keineswegs immer der Fall. Unter bestimmten Bedingungen können die Akkumulationsbedürfnisse sogar eine begrenzte Sozialisierung der Reproduktionsarbeit erfordern, die ihrerseits mit einer Senkung des Werts der Ware Arbeitskraft einhergeht, wenn z. B. die Kosten für Lebensmittel sinken und Teile der Reproduktionsarbeit staatlich organisiert werden. Die Steigerung des Profits ist in diesem Fall nicht auf  Vermehrung privater Hausarbeit zurückzuführen, ja kann sogar mit deren Abnahme einhergehen.

Ein Übergangsprogramm zur Frauenbefreiung?

Schlussendlich betont das Manifest, dass Klassenunabhängigkeit erreicht werden muss. Die logische Schlussfolgerung ist die Schaffung einer unabhängigen Arbeiter_Innenbewegung, die am Aufbau einer revolutionäre Massenpartei und Internationale beteiligt sein müsse. Das Programm endet mit der Betonung auf einem klaren Bruch mit dem Reformismus und einem Bekenntnis zur ArbeiterInnenbewegung. Damit steht es weit links von den meisten feministischen Strömungen. Die Frage ist freilich, ob das Manifest selbst eine konsequente programmatische Antwort liefert. Brot und Rosen steht in einer trotzkistischen Tradition und vielen Forderungen lässt sich das auch anmerken. Es fehlt aber eine Systematik, die versucht, ein schlüssiges Programm miteinander verbundener Übergangsforderungen zu entwickeln. Letztlich bleibt die Verbindung zwischen den heutigen Kämpfen und der Revolution hölzern. Vielmehr handelt es sich beim Manifest um eine Reihe an Minimal- und Maximalforderungen, die ohne einen roten Faden mit sporadischen Einsprengseln einzelner Übergangsforderungen aufgezählt werden.

Am augenscheinlichsten ist dabei, dass die Frage nach Arbeiter_Innenkontrolle kaum erwähnt wird. Die Forderung aufzuwerfen, dass es „gleichen Lohn für gleiche Arbeit“ braucht oder auch eine Aufteilung der Arbeit auf alle Hände notwendig ist, ist sicher richtig, beantwortet aber nicht, wer das kontrolliert und wie diese Forderungen umgesetzt werden sollen. Die häufiger erwähnten Frauenkommissionen, die an Arbeitsplätzen, Schulen und Wohnorten gegründet werden sollen, bleiben relativ zahnlos. Es wird nicht erklärt, wie sie zu einem Interaktionspunkt einer militanten und von den kapitalistischen Institutionen unabhängigen Frauenbewegung werden können. Hierfür müssten sie sowohl Organe der  Selbstverteidigung einerseits sowie andererseits der Kontrolle am und über den Arbeitsplatz, Wohnort etc. sein. Es müsste außerdem dargestellt werden, in welchem Verhältnis sie zu den bestehenden Massenorganisationen stehen sollten. Es erscheint, als würden Gewerkschaften, reformistische oder links-populistische Parteien sich zu solchen Organen nicht verhalten oder diese gar kontrollieren falls sie morgen geschaffen würden.

Inwiefern sollen und können diese Frauenkommissionen mit dem vorherrschenden Bewusstsein brechen? Unter welchen Umständen können sie Gegeninstitutionen des bürgerlichen Staates verkörpern? Vor allem aber bleibt auch unklar, ob solche Kommission als Organe der proletarischen Einheitsfront oder Organe einer Minderheit der Klasse auftreten sollen.

Richtigerweise wird im Manifest die Notwendigkeit des Bruchs mit dem bürgerlichen Staat, dessen Institutionen und den bürgerlichen Parteien gefordert. Aber dies bleibt abstrakt ohne Bezugnahme auf die sehr reale Bewegung von Arbeiter_Innen, die organisatorisch oft von reformistischen Parteien und bürokratischen Gewerkschaften kontrolliert, ideologisch von unterschiedlichen nicht-revolutionären feministischen Ideologien beeinflusst werden. In solchen Situationen sind Einheit in der Aktion und revolutionäre Kritik von oberster Bedeutung. Eine prinzipienfeste Anwendung der Einheitsfronttaktik kann sogar zeitweilige Bündnisse mit bürgerlichen oder liberalen Feministinnen wie mit Vertreter_Innen des Differenz- oder Queerfeminismus als auch dem Reformismus erlauben. Aber natürlich tragen solche Formationen einen Klassencharakter. Eine Schwäche von Brot und Rosen ist die fehlende theoretische Tiefe, welche wiederum kein breites taktisches Reservoir bietet. Das beinhaltet auch die Gefahr, dass praktischer Kontakt mit z. B. einer bürokratischen Gewerkschaft, die Arbeiter_Innen organisiert, oder liberalen Feminist_Innen, die eine kämpfende kleinbürgerliche Frauenbewegung anführen, impressionistisch bleiben muss.

Dies wird umso deutlicher, wenn wir uns vor Augen halten, dass die subjektiv revolutionären Linke – und dazu gehört auch Brot und Rosen – eine kleine Minderheit innerhalb der Arbeiter_Innenklasse und der Frauenbewegung darstellt. Erfolgreiche Kämpfe sind auch auf dem Gebiet der Verteidigung der Rechte der Frauen nur möglich, wenn es gelingt, die Anhänger_Innen von Massenbewegungen zu gewinnen, wenn wir die Forderung nach Einheit im Kampf sowohl an deren Mitglieder als auch an deren Führungen systematisch stellen. Diese methodische Schwäche bezüglich der Einheitsfront betrifft sicher nicht nur Brot und Rosen alleine, sondern bildet eines der Kernprobleme der zentristischen Politik der Trotzkistischen Fraktion für die Vierte Internationale.

So erscheint das Entstehen einer revolutionären Kraft, der Bruch mit der Bourgeoisie vor allem als deklamatorische Übung. Natürlich kann es einer solchen Politik manchmal gelingen, eine beträchtliche Minderheit von Radikalen zu versammeln. Aber welche Richtung wird diese Minderheit einschlagen, um die Tore der gesamten Klasse zu stürmen? Wir fürchten, dass Brot und Rosen eine theoretische Schwäche innewohnt, die die Gefahr einer scharfen Wendung zum Opportunismus oder einer Fortsetzung des Sektierertums in sich birgt, sobald eine solche Organisation auf die Probe gestellt wird, wenn sie sich tatsächlich in der größeren Arena des Klassenkampfes praktisch verhalten muss. Dies ist verbunden mit einer Konzeption, die leicht als idealistischer Ansatz missverstanden werden kann, der erklärt, dass die Erfahrung der Unterdrückung und des radikalen Bruchs an sich das Potenzial für die revolutionäre Überwindung des Kapitalismus bieten würde.

Revolution, aber wie?

Neben diesen programmatischen Unklarheiten ist auch die Schwerpunktsetzung etwas undurchsichtig. Für ein Programm, das sich selbst auf die Fahne schreibt, für eine Überwindung des Kapitalismus zu stehen, wird über diese letztlich kaum konkret geschrieben. Vielleicht sieht sich Brot und Rosen nicht in der Verantwortung, als Vorfeldorganisation eine eigenständige konsequente, revolutionäre Programmatik vorzuschlagen, sondern überlässt das lieber der Trotzkistischen Fraktion. Nichtsdestotrotz: Für eine Organisation, die sich in Worten so stark auf die Revolutionärin Luxemburg bezieht, wäre  eine Revolutionskonzeption durchaus angebracht. Das Manifest erklärt das Ziel der Schaffung einer Internationalen, aber auch hier erscheint dies vor allem als eine Willensbekundung.

Die Forderungen des Manifests spiegeln weitestgehend den Inhalt des Buches wider. Während wir mit den meisten konkreten Forderungen übereinstimmen, fallen diese jedoch recht knapp aus. Ein wichtiger blinder Punkt ist der Kampf um LGBTQIA+-Rechte, die vor allem in den letzten Jahren ein essenzieller Bezugspunkt für Frauenkämpfe geworden sind. Es wird weder klar, warum diese Kämpfe erneut an Bedeutung gewonnen haben, noch wie diese in der revolutionären Konzeption von Brot und Rosen zusammengeführt werden können.

Wie bereits erwähnt, fehlt ein zentraler programmatischer Punkt: die Vergesellschaftung der Hausarbeit und zentrale damit verbundene Forderungen. Leider fehlt auch eine Positionierung zu den Frauen*streiks, immerhin eine Massenbewegung unserer Zeit, die die Trennung von reproduktiver und produktiver Arbeit in den Vordergrund gestellt hat.

Sowohl Buch als auch Manifest übersehen oder bestreiten, dass der sozialistische Feminismus eine dualistische Interpretation des gesellschaftlichen Grundwiderspruchs darstellt. Zumindest implizit akzeptieren Brot und Rosen die Grundannahme aller feministischen Strömungen, dass es eine spezielle Frauenfrage gibt, die mit den Werkzeugen des historisch-dialektischen Materialismus nicht adäquat erklärt werden kann. Statt den Marxismus weiterzuentwickeln, auch durch kritische Auseinandersetzung mit empirischen, historischen oder theoretischen Konzepten des Feminismus, wird der Marxismus dem sozialistischen Feminismus angepasst.

So erklärt sich die dargestellte Dichotomie zwischen Feminismus und Arbeiter_Innenbewegung, der die Leser_Innen nur schwer entkommen können. Dies mag auch mit der Schwäche des Buches und des Manifests zusammenhängen, unterschiedliche analytische Ebenen zu etablieren: Theoretische Abstraktionen, historische Realitäten und zukünftige Interventionen erscheinen nebeneinander. Während die Auseinandersetzung mit der Historiografie und konkrete persönliche Beispiele das Verständnis und die empathische Beziehung zu einem Thema stärken können, wird es aber problematisch, wenn sich eine solche Methode im Manifest widerspiegelt.

Buch und Manifest schwanken stark zwischen Proklamationen, Geschichtsschreibung, persönlichen Erzählungen, theoretischen Zusammenfassungen, Forderungen und einer Kritik am liberalen Feminismus. Ein konsistentes Programm und zentrale Taktiken unserer Zeit werden jedoch kaum entwickelt. Der implizite Fokus, so scheint es, ist, den Feminismus wieder (?) sozialistisch zu machen. Dies scheint der Weg zu sein, auf dem eine proletarische, eine revolutionäre Frauenbewegung aufgebaut werden kann.

Letztlich ist es daher nicht verwunderlich, dass sowohl eine theoretische als auch eine programmatische Trennung zwischen dem Marxismus und den verschiedenen Spielarten des sozialistischen Feminismus fehlen, wo diese notwendig wären. Dies wird durch eine mangelnde Konzeption für die Intervention der revolutionären Organisationen gegenüber den Massenorganisationen ergänzt. Der Aufbau der proletarischen Frauenbewegung erscheint daher, wenn überhaupt, als ein ambivalenter und diskursiver Prozess des subjektiven sozialistischen Flügels innerhalb des Feminismus, nicht aber als eine theoretisch klärende Intervention des Marxismus gegenüber Strömungen des Feminismus.

Damit soll der wichtige Beitrag in den täglichen Kämpfen der Genossinnen von Brot und Rosen nicht unterschätzt werden. Ganz im Gegenteil. Gerade aufgrund der Impulse, die die Genossinnen gegeben haben, sind wir der Meinung, dass theoretische und programmatische Schwächen diskutiert werden sollten, bevor der gewonnene Fortschritt durch die bevorstehenden größeren praktischen Tests rückgängig gemacht wird. In diesem Sinne hoffen wir, dass diese Kritik auch als eine solidarische verstanden wird. Wir haben unsererseits ein großes Interesse sowohl an einem gemeinsamen Klärungsprozess als auch an einer gemeinsamen Praxis beim Aufbau der heutigen Bewegungen.

Endnoten

(1) Andrea D’Atri, Brot und Rosen. Geschlecht und Klasse im Kapitalismus, Argument Verlag, Hamburg 2019; Zitate aus dieser Ausgabe

(2) Ausführlicher dazu: Bewegung für eine revolutionär-kommunistische Internationale, Keine Frauenbefreiung ohne Sozialismus, kein Sozialismus ohne Frauenbefreiung, in: Revolutionärer Marxismus 42 und Stefan Katzer, Kritik des Feminismus, in: Fight! Revolutionärer Frauenzeitung Nr. 6

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