Q&A: Täterschutz in der radikalen Linken – Was tun, um das zu verhindern?

Von Leonie Schmidt

Ob in Berlin, Leipzig oder Karlsruhe, ob in der kommunistischen Parteijugend, der lokalen roten K-Gruppe oder im Anarcho Freundeskreis, ja selbst in der Linkspartei: Innerhalb der (radikalen) Linken kommt es immer wieder zu patriarchaler Gewalt (psychisch, physisch und sexualisierter Gewalt, zumeist ausgeübt durch cis Männer). Dabei flammen dann auch die Diskussionen über den Umgang damit auf und so wurden wir nun im Q&A gefragt, wie man mit solchen Taten umgehen sollte. Das soll dieser Text etwas konkreter beantworten, auch um einen Debattenbeitrag zu liefern. Denn in den meisten Fällen zeigt sich, dass linksradikale Strukturen keine allgemein festgelegte Vorgehensweise haben, um diese Fälle aufzuarbeiten, nicht transparent mit den eigenen Genoss_Innen darüber kommunizieren, oder die Anschuldigungen gar nicht erst ernst nehmen. Man kann sich einfach nicht vorstellen, dass der stabile Genosse wirklich zum Täter werden kann, vor allem wenn es (vermeintlich) keine Anzeichen dafür gab. Und so bleibt den Betroffenen (meist nach einem gescheiterten Aufarbeitungsversuch) nichts anderes übrig, als die Strukturen zu verlassen und Demos sowie Hotspots der Linken Szene zu meiden, während die Täter unbekümmert weiter Politik machen dürfen und bestenfalls sogar noch auf feministische Demos, wie z.B. den Tag gegen patriarchale Gewalt 2022 in Leipzig, geschleppt werden. Das darf aber nicht so sein, vor allem wenn wir uns als Kommunist_Innen sonst auf die Fahne schreiben, gegen Sexismus in all seinen Ausführungen zu sein. Wir als REVOLUTION haben daher eine Strategie ausgearbeitet, wie wir intern mit Tätervorwürfen umgehen. Diese wollen wir im Folgenden darstellen.

Disclaimer: Unsere jetzige Position haben wir über die letzten Jahre kontinuierlich erarbeitet. Sie ist das Ergebnis von Debatten über Definitionsmacht, sowie praktischen Erfahrungen im Umgang mit sexuellen Grenzüberschreitungen in unserer eigenen Organisation, bei denen sich auch betroffene Genossinnen mit Kritik beteiligt haben. Dabei wollen wir ehrlich sein: Wir haben bei diesen Prozessen auch Fehler gemacht und wir glauben nicht, dass unser Umgang perfekt ist. Unser Ziel ist es gewesen, einen demokratischen Umgang zu finden. Das bedeutet auch, dass wir nicht allen Bedürfnissen aller Betroffenen nachkommen können.

Warum gibt es überhaupt patriarchale Gewalt in linken Strukturen?

Wir sind alle ein Produkt unserer Umwelt. Somit hat das allgemeine gesellschaftliche Bewusstsein, was patriarchal geprägt ist, Auswirkungen auf uns und unser Verhalten, auch wenn wir uns entscheiden, uns politisch zu organisieren. Die gesamtgesellschaftliche Frauenunterdrückung, basierend auf dem Idealbild der bürgerlichen Familie, unbezahlter Reproduktionsarbeit und sexistischer Stereotypen, sorgt dafür, dass Frauen als weniger Wert angesehen werden, während Männer die Starken sein sollen, die sich einfach nehmen, was sie wollen. Sprüche wie „Wenn Frauen nein sagen, meinen sie eigentlich ja“ verstärken das Bild der Frau, die alles über sich ergehen lässt, während der Mann für Grenzüberschreitung sogar noch gesellschaftlich belohnt wird. Dies wird in Filmen und Märchen ständig vermittelt, dass „richtige Männer“ immer ganz genau wissen, was sie wollen und was auch das Gegenüber vermeintlich will. Eine fehlende Auseinandersetzung mit Konsens-Konzepten in Erziehung oder während des Sexualkundeunterrichts tut ihr übriges, denn wenn man nicht lernt, über Konsens zu kommunizieren, ist die Wahrscheinlichkeit, dass es zu Übergriffigkeiten kommt, ziemlich hoch. Kurzum: Die bürgerliche Gesellschaft sozialisiert uns mit unterdrückerischem Verhalten und deswegen ist auch Niemand von uns „frei“ davon.

Prävention ist das A und O

Das führt uns dazu, dass es nicht reicht, erst zu handeln, wenn etwas passiert ist. Daher haben wir als Organisation verschiedenen Ansätze zur Prävention. Diese können zwar Übergriffigkeiten nicht komplett verhindern, aber zumindest dafür sorgen, dass wir uns kollektiv mit unseren Machtpositionen und Verhaltensweisen auseinandersetzen. Die SDAJ hat kürzlich in ihrem „Statement zum Vorwurf des Täterschutzes“ geschrieben, dass jede Person sich mit der eigenen geschlechtlichen Rolle auseinandersetzen muss. Das mag letzten Endes richtig sein, aber es scheint, als wäre es allen selber überlassen, als gäbe es keine Kontrolle oder gemeinsame Diskussion darüber. Wir haben den Ansatz, dass wir mehrmals jährlich für cis Männer verpflichtende Reflexionstreffen anbieten. Natürlich hat dieses Konzept auch seine Grenzen. Reflexion alleine kann keine lebenslang gelernten Verhaltensmuster beenden. Gleichzeitig ist es aber ein Mittel, sich die eigene Sozialisierung und die Auswirkungen dessen ins Bewusstsein zu rufen und mit Anderen in den offenen Austausch zu treten, sowie zu lernen, beispielsweise über das eigene Redeverhalten oder die eigene Sexualität zu reden. Außerdem ist es möglich, dass Frauen, LGBTIA-Personen und anderen gesellschaftlich unterdrückten Gruppen einen Caucus einberufen können, in welchem über Unterdrückungsmechanismen und Vorfälle innerhalb der Organisation diskutiert werden kann. Diese  Caucuse sind nur Personen der jeweiligen sozialen Unterdrückung betretbar. Wir wollen damit unterdrückten Gruppen einen Raum geben, um unter sich zu diskutieren und Missstände zu besprechen. Sie können sowohl organisatorische, politische als auch analytische Vorschläge an die Leitung machen und ihre Anliegen als Kollektiv in die Organisation tragen, während wir alle gemeinsam organisiert sind. Außerdem muss jede Person, die bei uns Mitglied werden möchte, ein Konsensgespräch führen, bei welchem wir unser Konsensprinzip „Nur ja heißt Ja!“ vorstellen und es auch eine Möglichkeit zur Reflexion gibt.

Wir wollen an dieser Stelle nicht so idealistisch sein und annehmen, dass es deswegen nie wieder Vorfälle geben wird oder wir als Organisation unterdrückungsfreie Räume schaffen können. Denn wie bereits erwähnt leben wir in einer Gesellschaft, die stetig unterdrückerisches Verhalten reproduziert. Deswegen ist es jedoch die Aufgabe einer jeden Organisation einen Umgang damit zu finden, Vorfälle aufzuarbeiten und wenn es geht, Personen gar nicht erst zu Tätern werden zu lassen. Das machen wir, während uns gleichzeitig bewusst ist, dass um sexistische und übergriffige Verhaltensweisen hinter uns zu lassen, es nicht nur reicht, an uns selbst zu arbeiten. Wir müssen das Problem bei der Wurzel packen, das gesamte Patriachat mitsamt der Klassengesellschaft zerschlagen.

Konkreter Vorwurf und jetzt?

Zuerst einmal müssen wir jeden Vorwurf und jedes Anzeichen ernst nehmen. Sollte also ein Vorwurf aufkommen, muss sofort gehandelt werden. Es wird eine Kommission gegründet, bestehend aus mehrheitlich gesellschaftlich Unterdrückten. Die Kommission hat dabei das Ziel, den Fall im Interesse der Organisation zu untersuchen und ist ihren Strukturen rechenschaftspflichtig, sowie wähl- und abwählbar. Ihre Aufgabe ist, den Fall zu untersuchen und eine Empfehlung bzgl. des Täters an die demokratisch legitimierte Leitung auszusprechen, welche dann darüber entscheidet. Im Gegensatz zu einer Einzelperson hat das Kollektiv die Möglichkeit, darüber zu diskutieren, wie zu verfahren ist und das Problem wird nicht bei einer Einzelperson abgelegt, wie es in Teilen der radikalen Linken üblich ist. Die Kommission untersucht nicht aufgrund von Misstrauen gegenüber der betroffenen Person den Fall, da wir ihre Aussage auch als Indiz werten. Da es aber manchmal widersprüchliche Aussagen gibt oder auch das Ziel ist, herauszufinden, ob von der beschuldigten Person weiter Gefahr ausgeht, braucht es eine überprüfende Instanz. Dabei hat die betroffene Person viele Rechte. Beispielsweise hat sie die Möglichkeit, eine Sprecherperson für sich zu wählen, damit sie nicht zwangsläufig mit fremden Genoss_Innen darüber sprechen muss oder kann auch wesentlich später eine Aussage machen, falls es ihr nicht gut geht. Ebenso kann sie auch Einspruch einlegen, wenn sie mit dem Ergebnis der Kommission nicht einverstanden ist.

Die beschuldigte Person auf der anderen Seite wird ihrer demokratischen Rechte enthoben, während gleichzeitig ihre Pflichten gegenüber der Organisation bestehen bleiben. Dies ist nicht mit der Schuldsprechung gleichzusetzen, sondern gilt zum Schutz der Organisation. Dieser Zeitraum kann auch unterschiedliche Auflagen mit sich bringen, beispielsweise Kontakteinschränkungen um Gossip und Falschdarstellungen durch den Täter zu unterbinden. Hier ist aber die Mitarbeit am Kommissionsprozess verpflichtend. Der Name von betroffenen Personen wird aus Schutzgründen nicht genannt, während der Täter aus Sicherheitsgründen intern genannt werden muss, um Transparenz vor der Mitgliedschaft zu gewährleisten. Wir möchten an dieser Stelle noch einmal betonen, dass es wichtig ist, diese Prozesse nicht vor der Mitgliedschaft zu verheimlichen! Natürlich dürfen keine Details veröffentlicht werden, von denen Schlüsse gezogen werden können, wer die betroffene Person ist, oder unnötig intime Details der Tat, die niemanden was anzugehen haben. Aber nur die (interne) Transparenz kann helfen, Täterschutz zu unterbinden. Zeigt der Täter keine Einsicht, hält sich mehrmals nicht an die Auflagen oder ist nicht reflexionswillig, so wird er aus der Organisation ausgeschlossen. Hier behalten wir uns vor, die Person an andere linke Strukturen zu outen. Dabei ist es für uns zentral, dass wir klare Aufforderungen machen, wie die Tat aufgearbeitet werden soll, da es uns darum geht, Druck aufzubauen, um die Aufarbeitung in Gang zu setzen, aber auch einen Weg aufzeigen, über den ein Täter wieder zurück in die Organisation finden kann. 

Der Kommissionsprozess dient zur Klärung des Falles, bringt der Betroffenen an sich jedoch wenig, zumal so ein Prozess meist emotional belastend ist. Der Fokus sollte natürlich sein, die Betroffene zu unterstützen und ihr zu helfen, wieder ein selbstbestimmter Teil der Organisation zu sein und an politischen Treffen und Aktionen teilnehmen zu können. Als politische Organisation haben wir nur begrenzt Ressourcen und als in diesem Bereich unausgebildete Jugendliche können wir keine psychologische Aufarbeitung gewährleisten. Daher unterstützen wir Betroffene auch bei der Suche nach Hilfsangeboten. Auf eine andere Art und Weise verfahren wir mit dem Täter, sobald er die Tat glaubhaft eingestanden hat. Hier stellen wir keine Ressourcen für die Aufarbeitung bereit, sondern geben Auflagen vor und überprüfen dessen Stand. Eine Aufarbeitung passiert nicht in ein paar Wochen oder Monaten, je nach Intensität der Tat kann eine (aus unserer Sicht verpflichtende) Therapie nötig sein. Meist fordern wir auch eine politische Auseinandersetzung mit der Tat oder das Vorbereiten von Inputs oder Artikeln zum Thema. So kann die Auseinandersetzung mit der übergriffigen Verhaltensweise überprüft werden und ob dabei wirklich Fortschritte gemacht werden. Wir halten hier den Ansatz des Konzepts der transformative Justice für interessant. Der Täter muss neben dem glaubhaften Eingeständnis auch Anerkennen, welchen Schaden er durch sein bewusstes Handeln angerichtet hat. Er muss die Gründe für sein Handeln nachvollziehen und herausfinden, ob zusätzliche Abhängigkeitsstrukturen durch ihn geschafft wurden. Zentral ist es, Strategien aufzuzeigen, wie er diese Verhaltensweisen zukünftig verhindern sollte. Dahinter steht ein fortschrittliches Menschenbild: Wir glauben daran, dass Menschen sich ändern können! Ansonsten könnte man es mit dem Kommunismus auch insgesamt vergessen.

Reicht das?

Aber ein sehr wichtiger Aspekt dieses Ansatzes ist auch, dass die Community, Szene oder Gruppe in dessen Kontext die Tat geschehen ist, ebenso angesehen wird. Wurden Anzeichen übersehen? Gibt es konkrete Ansätze der Gruppe, die so etwas verstärken können wie zum Beispiel, dass individuelle Gewalt und besonders männlich-dominantes Auftreten als legitime politische Mittel angesehen werden, psychische Gewalt als nicht so schlimm abgetan wird oder es kein genügendes Verständnis davon gibt, was eigentlich schon alles patriarchale Gewalt ist? Gibt es überhaupt Mechanismen, wo man sich präventiv z.B. mit Konsens auseinandersetzen kann? Gibt es Möglichkeiten zur kollektiven Reflexion? Und noch einen sehr anderen wichtigen Punkt vor allem bzgl. Täterschutz, der von vielen vergessen wird: Gibt es sowohl für die Mitgliedschaft als auch für Außenstehende eine nachvollziehbare Ansprechperson, im besten Fall ein Teil der Leitung, um solche Fälle zu melden? Um Täterschutz zu vermeiden und einen Umgang mit Gewalt zu finden, sollten sich Organisationen diese Fragen stellen!

Insgesamt muss uns jedoch bewusst sein: Als politische Organisation haben wir begrenzte Ressourcen für Prävention, zur Unterstützung von Betroffenen oder zur Aufarbeitung mit Tätern. Das ist in jedem Fall – insbesondere für die Betroffenen- ein Problem. Verursacht wird das jedoch nicht durch falsche Schwerpunktsetzung einzelner Organisationen, sondern ist Ergebnis des gesellschaftlichen Missstandes im Umgang mit sexualisierter Gewalt. Das heißt: Der obig beschriebene Umgang mit sexueller Gewalt ist nicht genug. Deswegen muss es die Aufgabe von Kommunist_Innen sein, für gesamtgesellschaftliche Veränderungen einzustehen, auch wenn man den Umgang in der eigenen Organisation oder der Linken insgesamt ändern will. Konkret heißt das: Wir können das Elend der Gesellschaft nicht auffangen, deswegen müssen wir zeitgleich dafür kämpfen, dass eine Bewegung entsteht, die das Problem – den Kapitalismus an der Wurzel packt, während man auch für konkrete Verbesserungen im hier und jetzt kämpft:


  • Nein heißt Nein reicht nicht aus! Für die Pflicht aktiv sexuellen Konsens zu suchen! Verbot einer Befragung, bei der die Betroffene nach Kleidung gefragt wird oder ihr in irgendeiner anderen Weise die Schuld zu gesprochen wird.
  • Anzeigen dürfen keine Hürden sein! Flächendeckende Anlaufstellen zur Meldung von sexueller Gewalt! Sofortige, kostenlose psychologische Betreuung, wenn gewünscht; sowie der Ausbau von Frauen_FLINTA-Häusern! Statt Polizei Untersuchungskommissionen bestehend aus Gewerkschaften & Betroffenenvertretungen, die vollen Zugang zu den Mitteln der Polizei haben!
  • Kostenlose Rechtsberatung und Übernahme der Prozesskosten, sowie längerfristige Hilfeangebote für Betroffene von sexueller Gewalt, finanziert durch den Staat! Für das Recht auf mehr bezahlte Urlaubstage, sowie eine Mindestsicherung angepasst an die Inflation!
  • Weg mit den Berufsrichter_Innen, für rechenschaftspflichtige, demokratisch wähl- und abwählbare Tribunale, die sich aus der Arbeiter_Innenklasse und Menschen mit verschiedenen Unterdrückungserfahrungen zusammensetzen!
  • Für demokratisch gewählte und organisierte Selbstverteidigungskomitees von Frauen und LGBTIA+ in Zusammenschluss mit der Arbeiter_Innenklasse!
  • Für die Einrichtung und Ausbau von Rehabilitationsprogrammen für sexuelle Gewalttäter.




Hier noch 2 weiterführende Texte von uns:

Wohin mit all den Täter?

Kampf gegen sexuelle Gewalt an Frauen: abseits des Staats, gegen ihn oder mit ihm?

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