Unvergessen: Hanau verpflichtet uns zum Widerstand

von Leonie Schmidt und Tina Doller

Warum der Naziterror nur die Spitze des Eisberges ist und wie wir ihn bekämpfen können.

Am Mittwochabend, den 19. Februar 2020, tötete der rechtsextreme Tobias Rathjen neun Menschen in zwei Shishabars und einem Kiosk im hessischen Hanau. Die Opfer dieses Terroranschlags waren alles Menschen mit Migrationshintergrund, sodass die rassistischen Motive des Täters offensichtlich sind.

Der Täter hinterließ ein mehrseitiges Bekennerschreiben und zwei Videobotschaften, in denen er seine Ideologien offenlegte und sich zu den Anschlägen bekannte. Unter anderem sprach er davon, dass „Völker komplett vernichtet werden müssen“. Auch auf Youtube veröffentlichte er schon vor seiner Tat rechtsextreme Videos, die Verschwöhrungstheorien enthalten und klar rassistisch und frauenfeindlich sind. Trotz dieser öffentlich sichtbaren rechtsextremen Ideologie, konnte er auf legale Weise Waffen erwerben und war Mitglied in einem Schützenverein.

Nachdem der Terroranschlag bekannt und in den bürgerlichen Medien die ersten Tage diskutiert wurde, bezogen auch mehrere Politker_Innen Stellung. Doch anstatt die Zusammenhänge rechtsextremen Terrors zu sehen und bekämpfen zu wollen, wurde von einem verwirrten, psychisch kranken Einzeltäter gesprochen. Im Abschlussbericht des BKA wurde das nun auch noch einmal explizit unterstrichen: R. könne ja gar nicht rassistisch motiviert gehandelt haben, da er lange Jahre mit PoCs (People of Color) gemeinsam Fußball spielte, er habe den Rassismus nur genutzt, um mehr Anhänger für seine Verschwörungstheorien zu bekommen.

Doch das ist natürlich völlig lächerlich, denn Tobias R. handelte nicht allein! Er wurde unterstützt von seiner faschistischen Community im Internet, Kollegen aus dem Schützenverein und auch dem deutschen Staat, der den Rechtsruck in großen Teilen der Bevölkerung weiter begünstigt. Während Naziterroristen immer als „verwirrte Einzeltäter“ dargestellt werden, „entdecken“ die bürgerlichen Medien hinter Straftaten, die von Migrant_innen begangen werden, stets die Machenschaften „krimineller Familienclans“. Shishabars, die vielen Leuten als Orte des Austauschs, der Begegnung und der Entspannung dienen, wurden medial zu den Zentren von Kriminalität, Gewalt und Drogenhandel erklärt. Razzien finden deshalb auch hauptsächlich in Shishabars in migrantisch geprägten Stadtteilen statt und nicht in Naziwohnungen oder Schützenvereinen. Der SPD-Politiker Siegmar Gabriel und Ex-Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen haben unmittelbar nach der grausamen Tat versucht, die Aufmerksamkeit auf die Gefahren eines angeblichen Linksterrorismus zu lenken. Statt über strukturellen Rassismus und die Verwicklungen des deutschen Staates darin zu sprechen, sollen lieber linksradikale Organisationen, die antifaschistische Arbeit leisten, diffamiert werden, um vom faschistischen Terror abzulenken und ihn zu relativieren. Für einen SPD-Politiker scheint kein Unterschied zwischen der grausamen Ermordung von Migrant_innen und zerschlagenen Scheiben eines AfD-Parteibüros zu bestehen. Nebenbei liefert man gleich neuen ideologischen Nachschub, für den nächsten Akt des Naziterrors.

Dieser ließ nicht lange auf sich warten: Knapp zwei Monate später, am 7 April 2020 wird ein 15 jähriger Jugendlicher mit jesidischem Familienhintergrund auf offener Straße, scheinbar grundlos erstochen und erliegt seinen Verletzungen. Für bürgerliche Medien ist mal wieder schnell klar: der Täter sei psychisch krank, von einem rassistischen Motiv könne nicht ausgegangen werden. Staatsanwalt Lars Janßen bestätigt das nachträglich. Der Täter hatte verschiedene Social Media Accounts, auf denen er rechte Hetze verbreitete und sich offen auf die Morde von Hanau bezog.

Seit Jahren lesen wir von Skandalen, in denen der deutsche Staat in rechtsextreme Anschläge verwickelt ist. Besonders der Verfassungsschutz scheint ohne jegliche Rechenschaft gegenüber der Öffentlichkeit und auch den anderen Staatsinstanzen handeln zu können. Die NSU-Morde sind nach fast 15 Jahren immer noch nicht flächendeckend aufgedeckt, Morddrohungen gegen eine Anwältin, die Angehörige der Opfer des NSU vertritt, gingen vom sogenannten „NSU 2.0“ aus den Reihen der Frankfurter Polizei aus. Der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke wurde durch einen Neonazi ermordet. Gruppen wie das „Uniter-Netzwerk“ für die „Kontaktpflege der Sicherheitskräfte“, die Teil des rechtsextremen Hannibal-Netzwerks sind, zeigen, dass staatliche Kräfte wie Polizei und Bundeswehr noch nicht einmal versuchen, nach außen das Bild einer neutralen Instanz zu wahren. Statt ihrer vielbeschworenen Funktion „alle Staatsbürger zu schützen“ werden aus ihren Reihen Todeslisten mit linken und migrantischen Menschen erstellt. Der Staat weigert sich konsequent, eine Kontinuität zwischen den NSU-Morden, dem Mord an Walter Lübcke und anderen faschistischen Taten zu sehen, obwohl die Personen im Hintergrund bekannt und es gewisse Überschneidungen unter ihnen gibt.

Dies ist kein Zufall sondern scheint System zu haben: In der Geschichte kam es immer wieder zur Zusammenarbeit zwischen dem bürgerlichen Staat und faschistischen Strukturen. Ein Beispiel sind die Freikorps, die nach dem 1. Weltkrieg, gemeinsam mit den Sozialdemokrat_Innen, gegen revolutionäre Kommunist_Innen vorgingen und dabei auch Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht ermordeten. Es waren dieselben Rechtsextremist_innen, die daraufhin in der Weimarer Republik Spitzenpositionen in Militär, Polizei und Justiz bekleideten und die später in den Reihen der NSDAP Hitler zur Macht verholfen. Nach dem 2. Weltkrieg mussten die ehemaligen KZ-Wärter, Nazi-Richter, Wehrmachtssoldaten und Schreibtischtäter dann zwar die Rhetorik ein wenig verändern, durften aber weitestgehend ungestraft ihre Posten in der neugegründeten Bundesrepublik Deutschland behalten. Der Wehrmachtsoffizier und Kriegsverbrecher Reinhard Gehlen wurde zum Beispiel mit dem Aufbau des neuen Auslandsgeheimdienstes (BND) beauftragt. Nachdem die 68er-Bewebung ordentlich Stimmung gegen die Alt-Nazis gemacht hat, wurden einige bekannte Gesichter ausgetauscht jedoch keine grundlegenden Veränderungen eingeleitet. Die oben genannten Beispiele zeugen davon. Faschistischer Terror war schon immer – mal mehr, mal weniger offen – eine Waffe des bürgerlichen Staates, um die kapitalistische Ordnung gegen emanzipatorische Bewegungen zu verteidigen.

Dass der Terror der Faschist_Innen aktuell zunimmt ist kein Zufall, sondern geschieht im Fahrwasser eines internationalen Rechtsrucks. Dieser zeichnete sich ca. 2014-15 ab und verstärkte sich in den letzten Jahren immer mehr, sodass nicht nur rechte und rechtsradikale Parteien rassistische Vorurteile streuten, sondern auch bürgerliche Parteien, ja sogar die Linkspartei, auf den Zug aufsprangen.

Aber woher kommt der Rechtsruck? Rechte Ideologien und Faschismus sind Produkte der kapitalistischen Produktionsweise und gewinnen häufig nach und während Krisen kräftig an Zulauf. Der Rechtsruck entstand im Zuge der Nachwehen der Weltwirtschaftskrise von 2007/08 und wurde ursprünglich vom Mittelstand, also dem Kleinbürgertum, getragen, welche sich davor fürchten, in die Arbeiter_Innenklasse abzusteigen, da sie in der Krise nicht mehr mit den Großkonzernen mithalten können. Aber auch die desillusionierte und ebenfalls von der Krise geschüttelte Arbeiter_Innenklasse war empfänglich für rechte Propaganda. So war es den rechten Akteuren möglich, ein Feindbild zu schaffen, welches zu begründen versuchte, warum es der Arbeiter_Innenklasse so schlecht geht, obwohl der reale Grund in der Krise selbst und dem Umgang damit lag: Beispielsweise Kürzungen im Sozialbereich, Entlassungen, de Agenda 2010 inkl. Leih- und Zeitarbeit, Privatisierungen, die Schuldenbremse usw.

Aber auch die bürgerliche und radikale Linke hat versagt, denn es wurde versäumt, eigene soziale Antworten auf die Krise zu formulieren und diese mit Antirassismus zu verbinden. Stattdessen sprach bspw. Sahra Wagenknecht von der Linkspartei davon, eine Obergrenze für die Aufnahme von Geflüchteten einzuführen. Eine angebrachtere Forderung wäre hier die nach offenen Grenzen gewesen. Der Rechtsruck in diesem Ausmaß war also nur möglich, weil es keine Massenbewegung aus Teilen der Arbeiter_Innenklasse, der Jugend und den Geflüchteten gab. Die Masse blieb passiv und außer symbolischer Solidarität und Spenden wurde nichts erreicht. Aufgrund dieses Machtverhältnisses konnten sich die Grenzen stark verschieben und Rassismus, Sexismus, Antisemitismus und Homophobie wurden immer salonfähiger.

Der Rechtsterrorismus ist hier also nur die Spitze des Eisbergs. Dieses Verhältnis kann jedoch verändert werden: Was wir jetzt brauchen, ist der Aufbau einer Einheitsfront! Das bedeutet, dass sich im Rahmen eines bestimmten Kampfes die bürgerlichen Arbeiter_Innenparteien, die Gewerkschaften, radikale Linke und Kommunist_Innen (wenn es gut läuft quasi alle Organisationen der Arbeiter_Innenklasse) zusammenschließen und gemeinsam kämpfen. Es geht nicht darum Kompromisse auszuhandeln sondern während einer zeitlichen Begrenzung gemeinsam Aktionen durchzuführen, zum Beispiel Demostationen oder Streiks. Hier kann sich auch auf gemeinsame Forderungen berufen werden. Kern dieser Politik ist, dass die revolutionären Kräfte weiterhin die bürgerlichen Teile dieser Einheitsfront scharf kritisieren und für ihre eigene Position, die Überwindung des Kapitalismus, eintreten. Der gemeinsame Kampf sollte ebenfalls möglichst die in Sozialdemokratie und Gewerkschaften organisierten Teile der Einheitsfront von der kommunistischen Taktik und Theorie überzeugen. So kann neben dem aktiven Kampf gegen Rechtsextremismus auch der Kampf gegen den Kapitalismus vorangetrieben werden. Um den Faschismus und den Rechtsruck zu zerschlagen, reicht es also nicht aus, mit dem Profilbild auf Facebook zu kämpfen. Wir müssen gemeinsam auf die Straße gehen, es muss Massenmobilisierungen geben!

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