China: Auf dem Weg zur Weltherrschaft dank Coronakrise?

Viertgrößte Börse der Welt: Shanghai Stock Exchange

Resa Ludvin

Fast die gesamte Welt steht still, nur in China scheint es eine schrittweise Rückkehr zur Normalität zu geben. Auch die allgemeine Angst vor einer Rezession sucht man in China vergeblich. Ganz im Gegenteil. China inszeniert sich als großer Helfer betroffener Länder, Bezwinger des Virus‘ und scheint schon jetzt Gewinner der Krise zu sein.

Und das trotz der immensen Bevölkerungszahl, Zusammenleben auf engstem Raum und einem Gesundheitssystem, das alles andere als sozial ist. Waren Krankenhäuser einst staatliche Institutionen mit Hauptaugenmerk: Gesundheit der Bevölkerung ohne Wenn und Aber, ist das System heute gerade auf dem Land unterversorgt und Behandlung gibt es nur mit Vorkasse – wer hier zuerst versorgt wird, ist offensichtlich, denn auch im angeblich „kommunistischen“ China hat sich in den letzten Jahrzehnten eine Bourgeoisie herausgebildet.

Genau dieser Ort soll also nicht nur Ausgangspunkt, sondern auch erfolgreicher Bezwinger des Virus sein? Im November 2019 trat das Coronavirus zum ersten Mal bei einem Menschen in China auf. Wurde es da noch totgeschwiegen und jene, die darüber sprechen wollten, mundtot gemacht, erfolgten ab Ende Januar die ersten großflächigen Maßnahmen zur Eindämmung. Für über eine Milliarde Menschen, die in der Volksrepublik leben, bedeutete dies Ausgangssperren, Reisebeschränkungen und Kontaktreduzierungen bis hin zum kompletten Lockdown der am schwersten getroffenen Region, die 60-Millionen-Provinz Hubei mit ihrer Hauptstadt Wuhan. Doch schon ab April 2020 verzeichnet China offiziell keine neuen Fälle, Hubei wurde wieder zur Ein- und Ausreise geöffnet und man überlegt sogar, die Schulen demnächst wieder zu öffnen. Doch ist auch hier nicht alles Gold, was glänzt: So kam es im März 2020 in Wuhan zu spontanen Protesten, die in China aufgrund fehlender Versammlungsfreiheit verboten sind. Grund hierfür war, dass die Lebensmittelversorgung durch Peking nur schlecht funktionierte.

Warum kommt China schneller wieder auf die Beine?

Schauen wir uns an, warum es China leichter fallen könnte, den kapitalistischen Normalbetrieb wiederaufzunehmen: Durch das autoritäre Regime kann berechtigter Widerstand sowie die Interessen der Bevölkerung aus der Entscheidungsfindung herausgehalten werden, was zu einem entschlossenen aber auch rücksichtslosen Vorgehen führt. Doch noch deutlich wichtiger als die politische Sphäre ist die wirtschaftliche: Auch wenn China seit der Öffnung in den 70er Jahren weit von der maoistischen Linie abgewichen ist, so haben sie doch eine spezielle Form der kapitalistischen Wirtschaft. Vergleichen wir das chinesische Wirtschaftssystem mit dem Deutschlands: In Deutschland herrscht bis auf wenige Ausnahmen freie Markt- und Konkurrenzwirtschaft in der unterschiedliche Firmen in erster Linie für ihre eigenen Interessen einstehen, getreu dem Motto „Der Markt regelt sich selbst“. In China gilt dieses Prinzip nur zum Teil, denn dort sind viele Schlüsselindustrien nicht in der „freien Hand des Marktes“, sondern staatlich bzw. teilstaatlich oder zumindest eng mit der Partei verbunden. Insgesamt ist der Einfluss der Regierung auf die Produktion wesentlich höher als in anderen imperialistischen Ländern. Man könnte es also als „Kapitalismus unter der Diktatur einer Partei“ bezeichnen. So sind die nationalen Bestrebungen der Regierung eine der treibende Kräfte der chinesischen Wirtschaft und ihres Aufschwungs. Dies verbindet sich mit den Interessen der Bourgeoisie, die durch die geöffnete Kapitalakkumulation entstanden ist und mit enger Verbindung zum Parteiapparat, neben der Arbeiter_Innenklasse existiert.

Da sich viele jener Schlüsselindustrien in Staatshand befinden, die nicht nur für die Versorgung, sondern vor allem im internationalen Wettbewerb wichtig sind, gab es weniger Blockaden, die Produktion in Zeiten der Coronakrise bedarfsorientiert umzustellen. Ziehen wir hier wieder den Vergleich zu Deutschland, so sehen wir, dass eben jene Schlüsselindustrien einerseits nie in Staatshand waren und andererseits weitere lebenserhaltende Bereiche, die früher staatlich waren, in den letzten Jahrzehnten zunehmend privatisiert oder runtergekürzt wurden, allen voran im Gesundheitssektor. Nur so kann man verstehen, warum sich China schneller erholt. Zusätzlich dazu gab es geplante Interventionen der Regierung wie ein riesiges Krankenhaus, das in Wuhan innerhalb weniger Tage für die Corona-Infizierten entstanden ist. Allerdings ist es für die chinesische Regierung gerade wichtig, dass Hubei schnell wieder einsatzfähig ist, denn dort befinden sich wichtige Standorte der Automobil- und Elektronikbranche.

Nichtsdestotrotz ist auch anzuzweifeln, dass die Zahl der Neuansteckungen wirklich auf 0 gesunken ist und diese Nachricht nicht eher dem Propagandaapparat der Kommunistischen Partei entspringt. Der Verdacht kommt nicht von ungefähr, wenn man bedenkt, dass China schon zu Beginn die Krankheitsfälle verheimlicht hat und es Journalist_Innen in China immer noch schwer haben über die Situation zu berichten. Unabhängige Journalist_Innen waren in den letzten Monaten aus der Krisenregion Wuhan ausgesperrt worden. Laut Reporter Ohne Grenzen verschwand sogar ein chinesischer Journalist spurlos, der in Wuhan recherchierte. Weitere Maßnahmen waren die Zensur der chinesischen Äquivalenten zu Youtube und WhatsApp, indem Inhalte blockiert wurden, die den Virus betreffen. Das Interesse, es nun kleinzureden, läge darin, als erster wieder die Wirtschaft voll anlaufen zu lassen. Alle betroffenen Länder konkurrieren nämlich gerade darum, wer als erstes die Maßnahmen lockern kann und damit die freigewordenen Märkte und Profitmöglichkeiten für sich zu beanspruchen. Dass jetzt China als erstes wieder zur Normalität zurückkehrt, ob legitimerweise oder nur durch Beschönigung der Situation, dürfte dazu führen, dass die chinesische Wirtschaft alle Möglichkeit hat, die Konkurrenz abzuhängen und damit auf der Gewinnerseite der kommenden Krise zu stehen.

Resultat: Verstärkte Abhängigkeit als Kollateralnutzen der Krise

In den letzten Jahren befand sich China auf dem Weg, ihren Einflussbereich zu vergrößern, nicht zuletzt mit Projekten wie der neuen Seidenstraße. Infrastrukturprogramme in Zentralasien, Verlagerung der Produktions- und Umweltkosten in afrikanische Länder und dem Einkaufen von chinesischen Investor_Innen in europäische Firmen dabei unter anderem strategisch nützliche wie der Hafen von Piräus oder Medienbetriebe. Vor allem in Zeiten der Zerstrittenheit der EU, die sich darin ausdrückt, dass sich in puncto Corona-Hilfen über ein lange Zeit jede_R der Nächste war, springt China ein. Warum hatte China es da so einfach? Man könnte meinen, bei einer Krise diesen Ausmaßes helfen in der „Werteunion EU“ die, die können, indem sie Ressourcen in Form von Masken, medizinischer Geräte o.ä. entbehren können. Weit gefehlt. Deutschland hat lange zugeschaut wie in Italien und Spanien die Menschen massenhaft sterben und jetzt kommt verspätet ein kleines Hilfspaket. Doch wir dürfen uns nicht davon und von den Worten Heiko Maas‘ täuschen lassen, dass es „gelebte EU-Solidarität“ sei, während der Corona-Krise „Hilfe ohne Folterwerkzeug, also ohne Troika und harte Sparauflagen“ zu leisten. Denn das bedeutet mit anderen Worten:„Die EU ist gerade zu instabil, um Südeuropa weiterhin dreist ausbluten zu lassen. Machen wir also jetzt erstmal langsam, damit wir sie nicht als Halbkolonien verlieren und das „Folterwerkzeug“ vielleicht zu einem anderen Anlass nochmal zum Einsatz kommen kann!“

Aber auch Chinas Hilfe und Nichthilfe ist politisch motiviert. In den Ländern, in denen sie Hilfe leisten, wollen sie das Narrativ des „Anführers der kleinen Länder“ stärken, was daher kommt, dass sie weiterhin offiziell als Schwellenland gehandelt werden und das ironischerweise für den Ausbau ihrer Weltmachtstellung benutzen. So sollen sich die Hilfen in Europa, Afrika und Zentralasien doch auch irgendwann auszahlen. Hierbei sind besonders einige afrikanische Länder gefährdet, in Abhängigkeit zu fallen, da ohnehin schon der Einfluss Chinas immens ist. Noch deutlicher sieht man die politischen Hintergedanken in den Fällen, in denen China nicht hilft, allen voran den USA: Schon seit geraumer Zeit vor Corona gibt es gewaltige Spannungen zwischen den Weltmächten durch den Handelskrieg, Nordkorea und der allgemeinen Konkurrenz. Nun wird die USA zum neuen Zentrum der weltweiten Krise. Naiverweise könnte man meinen, dass dennoch die Leben der Menschen in den USA vor allem der besonders bedrohten Arbeiter_Innen und Minderheiten gerade mehr zählen als die Worte eines Präsidenten, der China die Schuld an der Pandemie gibt. Dennoch weigert sich Peking, fehlendes Material wie Schutzmasken in die USA zu schicken. Corona mutiert zum Mittel der Erpressung und wieder einmal zeigt sich, dass die wahre Pandemie der Kapitalismus ist.

Reaktionen auf chinesische Maßnahmen

Schaut man sich die Reaktionen in puncto chinesischer Coronamaßnahmen an, so finden sich auch hier die stets wiederholende Erklärungsmuster und gut verinnerlichte Reaktionen gegenüber China wieder. Von Rassist_Innen, die irrationale Ängste und gezielte politische Hetze auf asiatisch aussehende Menschen projizieren bis hin zu China-Verehrer_Innen. Schauen wir uns drei Reaktionen an.

Typ1: „Schaut wie effektiv der Sozialismus sein kann“

Man könnte ganz platt antworten: Wenn das der Sozialismus ist, ist das nicht unser Sozialismus. Jedoch sollte man sich vor Augen führen was China ist: eine aufstrebende kapitalistische Macht mit imperialistischen Interessen, die ihren Ansatz gänzlich aufgegeben hat, auch wenn das Land immer noch von der KP regiert wird. Die wachsende Macht der Bourgeoise, das Halten von Halbkolonien, Diskriminierung von Arbeiter_Innen, Minderheiten, Frauen und die sonstige Liste der Dinge, die nicht mit dem Sozialismus vereinbar sind, ist lang.

Typ2: „Wie effektiv doch Zentralisierung ist“

Ja, gerade in Deutschland zeigt sich in Zeiten der Krise die Schwäche des bürgerlich-„liberalen“ Staates. Lange Abwägungen zwischen der Gefährdung der Bevölkerung und der Gefährdung der Wirtschaft und dadurch verspätete und halbherzige Entscheidungen, die für die Arbeiter_Innenklasse nicht zufriedenstellend sein können. Doch liegt der „zentralstaatsliebende Typ mit Hang zum Autoritarismus“ (denn nichts anderes steckt dahinter) falsch. Es sind eben nicht straffe bürgerliche Staaten mit starker Führung, die „uns“ aus der Krise navigieren, sondern höchstens die eigene Wirtschaft. Auch in China stecken hinter dem entschlossen wirkenden Handeln ständige Überlegungen, wie man die Wirtschaft möglichst schnell wieder zum laufen bringen kann und dabei ist es bloß Glück für uns, dass man dafür gewissermaßen auch Menschenleben retten muss. In einer sozialistischen Gesellschaft hingegen, also jene mit dem höchsten Maß der Demokratie, wären die Voraussetzungen endlich gegeben, wirklich zielstrebig solche Gefahren einzudämmen, da es keinen Druck gibt, weiter Profiten hinterherzujagen, wodurch zum Beispiel alle nicht-lebenswichtigen Arbeiten tatsächlich eingestellt werden könnten. Außerdem kann die Produktion nach Bedarf umgestellt werden. Und das ganz ohne autoritären Zentralstaat, sondern unter der Kontrolle der Arbeiter_Innenklasse.

Typ3: „Ja ok, aber ich will meine Freiheit trotzdem nicht einschränken lassen“

Manchmal müssen für außergewöhnliche Situationen außergewöhnliche Maßnahmen her und dazu gehören auch solche wie jetzt. So könnte es sein, dass einige der Einschränkungen tatsächlich sinnvoll sind. Doch an welchem Punkt der „freiheitsliebende Typ“ sehr wohl Recht hat, ist, ob wir uns „einschränken“ oder uns „einschränken lassen“. Mit anderen Worten: Die Frage sollte nicht sein, inwiefern es Einschränkungen der persönlichen Freiheitsrechte zur Bekämpfung einer Krise in diesem Ausmaß gibt, sondern wer diese, aber auch die Rückkehr zur Normalität kontrolliert und organisiert. Wir haben gesehen, dass es die Regierungen und Kapitalist_Innen der freien Wirtschaft nicht stört, Arbeiter_Innen in nicht-lebenswichtigen Fabriken weiterarbeiten zu lassen wie in Spanien oder selbst dem beschränkten bürgerlichen Staat weitere Freiheitsrechte zu entnehmen wie in Ungarn. Doch wäre es falsch, zu sagen, dass es hier allein um bürgerliche Freiheitsrechte der_des Einzelnen geht, hier geht es um die Systemfrage. Im Kapitalismus ist Freiheit nur ein Trugbild, das auch nur wenige zu Gesicht bekommen.

Stoppt das imperialistische Taktieren – Gesundheit ist keine Druckmittel!

Auch wenn Corona als Virus ungreifbar erscheint, darf man trotzdem bei Corona als Krise weder ihre Wurzeln, die im Kapitalismus selbst liegen, noch ihre Auswirkung auf die Neuaufteilung der Welt, die ebenfalls systembedingt ist, verkennen. China macht sich die finanzielle Schwäche von Ländern zu Nutze, nachdem sie jahrelang große Investitionen vor allem auf dem afrikanischen und asiatischen Kontinent, aber auch in Europa getätigt haben. Unsere Antwort als Sozialist_Innen muss daher sein: Bedingungslose Hilfe über nationale Grenzen hinaus statt zu Nutze machen der Krise für Profitinteressen. Die Krise ist global und trifft vor allem die Arbeiter_Innenklasse hart. Wir fordern daher, Kurzarbeit, sprich Kürzungen der Bezüge und Entlassungen, zu stoppen. Für eine Arbeitszeitverkürzung mit vollem Lohnausgleich – lasst die Kapitalist_Innen zahlen!

Doch in einem System, dass auf internationale Konkurrenz und somit Ausnutzen von Vorteilen basiert, ist das illusorisch. Die Pandemie namens Kapitalismus bleibt. Derzeit sehen wir auf wessen Händen die Gesellschaft tatsächlich steht, wenn im Krankenhaus oder im Einzelhandel Menschen für das Überleben schuften und es dennoch weiterhin Firmen gibt, die die Arbeiter_Innen weiter in der Fabrik arbeiten lassen, weil sie nicht auf ihre Profite verzichten wollen. So kam es in vielen Ländern zu spontanen Streiks wie im März in einem norditalienischen Werk von Fiat-Chrysler. Genau diese Kräfte müssen wir bündeln. Eine Arbeiter_Innenkontrolle muss her, die nach Bedarf und nicht nach Profit produziert – in der jetzigen Situation heißt das bspw. Produktion von Desinfektionsmitteln statt Parfüm, Beatmungsmaschinen statt Autos und die Verstaatlichung des Gesundheitssystems unter Kontrolle der Arbeiter_Innenklasse als notwendige Maßnahme!

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