Artikel anlässlich der EU-Verfassung 2005
Nach dem Irak-Krieg und der neu erstarkten Anti-Kriegsbewegung glaubten und glauben bis heute viele AktivistInnen und auch viele Linke, Europa könnte ein friedlicher und sozialer Gegenpol zu den USA werden. Die scheinbaren Anti-Kriegspositionen von Frankreich und Deutschland haben hierbei viele getäuscht. Die wahren Gründe für die Ablehnung des Krieges von Frankreich und Deutschland waren die Gefährdung ihrer eigenen wirtschaftlichen Interessen im Irak – deutsche und französische Konzerne mussten im Laufe des Krieges bedeutende Investitionen an ihre amerikanischen Konkurennten abgeben. Die EU wird nicht gebildet, um Frieden und soziale Sicherheit zu schaffen, sondern das Gegenteil. 1999 trafen sich die Regierungschef der EU in Lissabon und riefen den sogenannten Lissabon-Prozess ins Leben. Sein ehrgeiziges Ziel: die EU bis 2010 zur stärksten Wirschaftsregion der Welt zu machen. Die neue EU-Kommission hat nun festgestellt, dass die Mitgliedsstaaten bei der Umsetzung des Prozesses zu langsam waren und das Ziel bis 2010 deshalb nicht erreicht werden kann. Der Kurs muss daher noch verstärkt werden: Flachrasur aller sozialstaatlichen Leistungen, radikale Senkung der Sozialausgaben, Abschaffung aller Schutzregelungen zu Gunsten der ArbeiterInnen und beste Bedingungen für Unternehmen weltweit. In der BRD kennen wir das unter dem Namen „Agenda 2010“. Gleichzeitig soll eine weltweit einsetzbaren EU-Armee mit neuester Technik geschaffen werden. Der Kurs der EU ist klar: man will zur imperialistischen Supermacht aufsteigen. Diese Absicht soll nun durch das wichtigste Projekt gestärkt werden: eine gemeinsame Verfassung.
Dieses Europa wird nicht ein friedlicher Gegenpol zur USA werden, sondern der direkte imperialistische Konkurrent! Dieses Europa wird zu der weltweiten Ungerechtigkeit und Ungleichheit beitragen! Dieses Europa wird neue Kriege schüren anstatt sie zu verhindern! Dieses Europa stützt sich auf das Wirtschaftssystem, dass die Probleme dieser Welt verursacht: der Kapitalismus.
Für die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa!!!
Schon vor 90 Jahren, im Laufe des ersten Weltkrieges, schrieb der russische Revolutionär W.I. Lenin: „Vom Standpunkt der ökonomischen Bedingungen des Imperialismus … sind die Vereinigten Staaten von Europa unter kapitalistischen Verhältnissen entweder unmöglich oder reaktionär“
Diese Aussage hat sich als doppelt richtig erwiesen: dass die europäischen Kapitalisten unmöglich Europa vereinigen können, zeigte sich durch zwei Weltkriege, in denen 10 Millionen Menschen gestorben sind, um die konkurrienden Interessen der europäischen Mächte durchzusetzen. Jetzt sehen wir die reaktionäre, kapitalistische Vereinigung Europas. Eine Vereinigung, die die Verschlechterungen für die Massen und Aufrüstung für künftige Kriege beinhaltet.
Diesem Modell des EU-Imperiums setzen wir ein anderes entgegen: die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa. Der Kapitalismus erweist sich als unfähig, Probleme wie Arbeitslosigkeit, Armut, Hunger und Krieg zu lösen. Vielmehr noch: er bringt sie selbst hervor und lebt von ihnen! Der Kapitalismus hat weltweit ein System extremer Ungerechtigkeit geschaffen. Um diese Probleme zu lösen, brauchen wir keinen neuen imperialistischen Block, der diese Probleme noch verschärft, sondern ein anderes Wirtschaftssystem. Deshalb müssen sich die ArbeiterInnen international gegen den Kapitalismus zur Wehr setzen und ihn durch eine sozialistische Revolution stürzen. Wir treten für ein sozialistisches Europa ein, gestützt auf demokratische Arbeiterräte, in dem die ArbeiterInnen selbst bestimmen, was wie und zu welchem Zweck produziert wird. Ein bessere Welt ist nicht nur möglich, sondern auch dringend nötig! Deshalb engagieren wir uns für den Aufbau einer internationalen Jugendorganisation, die sich auf ein revolutionäres Manifest stützt und sich konsequent für den Aufbau einer neuen Gesellschaft einsetzt: WORLD REVOLUTION.
Warum ist die EU-Verfassung so scheisse?
Undemokratisch
Um im globalen Kapitalismus mithalten zu können, muss der Staatsapparat der EU natürlich auch „effizienter“ werden. Dabei steht zu viel Demokratie nur im Weg. Wenn es darum geht, den europäischen Arbeitsmarkt zu liberalisieren, Lohndumping voran zu treiben und Kriege aus wirtschaftlichen Gründen zu führen sind schnelle Entscheidungen notwendig. Deshalb entscheiden in der Union auch Experten, wie der Ex-Binnenmarktkommissar Frits Bolkestein oder Aussenhandelskommissar Pascal Lamy. Das diese Experten meistens standhafte Vertreter von Marktöffnung, Lohndumping und Sozialabbau sind, entspricht „natürlich“ dem Willen des Volkes. Zwar wirft sich die EU-Verfassung am Anfang mit Worten wie Demokratie und Bürgernähe um sich, doch schreibt sie gleichzeitig fest, dass die zentralen Fragen der Europäischen Union entweder nur vom Ministerrat oder von der EU-Kommission entschieden werden dürfen. Diese Gremien werden nicht direkt gewählt, sondern von den nationalen Regierungen bestimmt. Das direkt gewählte Parlament hat die wenigsten Befüngnisse – die Abgeordneten dürfen nicht mal einige Anträge einbringen, sondern beraten lediglich die Anträge von der Kommission oder Ministerrat. Kein Wunder, dass bei den Wahlen zum EU-Parlament nur 40% der Wähler teilnehmen, in manchen Ländern weniger als 20%! Die wichtigen Gremien sind von einem massiven Lobbyapparat der Wirtschaft und Industrie umgeben, der versichert, dass die EU-Politik den Wirtschaftsinteressen entspricht. Der Europäische Runde Tisch ERT und der europäische Arbeitgeberverband UNICE sind die wichtigsten Lobbymaschinen, die in Brüssel ein- und ausgehen. Große Konzerne wie Siemens oder BP geben jährlich Millionen dafür aus, extra Leute nach Brüssel zu schicken, um ihre Interessen durchzusetzen. Das Ergebnis ist klar: das Kapital bestimmt die Politik und der einfache Bürger hat nicht den geringsten Einfluss.
Facts
Die EU, und damit ihre Lobby um Ministerrat und Kommission, bekommt durch die Verfassung weit reichende Macht, z.B. über Sozialpolitik:
Art.14, Absatz 4: „Die Union kann Initiativen zur Koordinierung der Sozialpolitik der Mitgliedsstaaten ergreifen.“
Über Einsätze der EU-Armee entscheidet nicht das Parlament, sondern der Ministerrat:
Art. I-40, Absatz 4: „Beschlüsse zur Durchführung der gemeinsamen Aussen- und Sicherheitspolitik …..werden vom Ministerrat einstimmig auf Vorschlag des Aussenministers der Union oder eines Mitgliedsstaates erlassen.“
Zur Umsetzung des Lissabon-Prozesses gehört auch insbesondere der europaweite Umbau der Mitgliedsstaaten auf neoliberalen Kurs. Das bedeutet: radikale Kürzung der Sozialausgaben und sozialer Leistungen und europaweiter Arbeitsmarkt unter möglichst wenig Sicherheiten der ArbeiterInnen in bezug auf Arbeitszeiten, bezahlten Urlaub, Krankenstand usw.. Es soll nach Kommissionspräsident Barroso ein „möglichst unternehmerfreundliches Klima“ geschaffen werden. Das Kapital verwirklicht damit seine größten Ambitionen: möglichst leichter Zugang zu möglichst vielen, möglichst billigen jedoch gut ausgebildeten Arbeitskräften. Durch den europäischen Binnenmarkt kann das Kapital seine Ausbeutungsrate enorm erhöhen. Auch die Absenkung des Arbeitslosengeldes dient diesem Zweck. Arbeitslose werden gezwungen sein, jede Arbeit zu auch noch so miesen Bedingungen anzunehmen. Dadurch werden die ArbeiterInnen enorm unter Druck gesetzt. Wenn sie nicht billiger und länger arbeiten, werden sie einfach ersetzt. Somit wird europaweit dem Lohndumping Tür und Tor geöffnet. Doch zum Neoliberalismus gehört auch die Öffnung sämtlicher Bereiche, die dem Kapital noch verschlossen sind. Öffentliche Versorgung wie etwa Gesundheit, Bildung oder Wasser sollen für den freien Markt geöffnet werden. Die sogenannte Bolkestein-Richtlinie, ein Papier von Ex-EU-Kommissar Fritz Bolkestein, sieht den europaweiten Markt für Dienstleistungen vor. Dabei soll für jeden Anbieter die Regelung des Herkunftslandes gelten, d.h. die Mitgliedsstaaten konkurrieren direkt um niedrigere Löhne und Sozialstandards.
Z.B. könnte eine deutsche Baufirma eine Filiale in der Slowakei öffnen, alle ArbeiterInnen in Deutschland entlassen und neue zu slowakischen Bedingungen einstellen.
Lohndumping im Dienstleistungsbereich wird durch die Verfassung ermöglicht:
Art. III-29: „Beschränkungen des Dienstleistungsverkehr innerhalb der Union sind verboten.“
Die Verfassung schreibt den Kapitalismus als Wirtschaftssystem fest:
Art. III-69, Absatz 1: „Die Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten und der Union ist dem Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb verpflichtet.“
Die Bildung einer EU-Armee und einer „gemeinsamen Aussen- und Sicherheitspolitik“ spielt in der gesamten EU eine besondere Rolle. Der deutsche Außenminister Fischer betonte deshalb auch bei einer Rede Ende 2003 in den USA, dass Europa unter einer „militärischen Schwäche“ leide, „gewiss modernisierte und gestärkte militärische Fähigkeiten“ bräuchte und sich zu „politischer Entschlossenheit und militärischer Fähigkeit“ verpflichte. Um im Kapitalismus beim Kampf um weltweite Märkte und Ressourcen ganz oben mitzuspielen braucht man auch die militärische Fähigkeit, seine Interessen durchzusetzen. Der Irak-Krieg war sicherlich eines der besten Anschauungsbeispiele in dieser Hinsicht. Die letzten Ecken dieser Erde, die noch nicht durch und durch „vermarktwirtschaftet“ sind, müssen notfalls mit Gewalt geöffnet werden, wenn der politische (UNO) und wirtschaftliche (IWF, WTO, WB) Druck nicht ausreicht. Natürlich spielen Menschenrechte dabei nur eine Nebenrolle, sind aber ein sehr willkommener
medienwirksamer Grund für die Rechtfertigung globaler imperialistischer Gewalt und Aufrüstung. Und „last but not least“ sind Rüstungsausgaben auch ein Dauergarant für Profite. Deshalb dürfte sich die EU-Rüstungsindustrie, z.B. Daimler-Tochter EADS sehr über die EU-Verfassung freuen.
Die Aufrüstung wird in der Verfassung festgeschrieben:
Art. I-40, Absatz 3: „Die Mitgliedsstaaten verpflichten sich, ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern.“
Es wird ein extra Amt auf europäischer Ebene durch die Verfassung festgeschrieben, dass die Aufrüstung überwachen und durchsetzen soll:
Art. I-40, Absatz 3: „Es wird ein europäisches Amt für Rüstung, Forschung und militärische Fähigkeiten eingerichtet.“
Kritik an Entscheidungen der Union wird verfassungswidrig:
Art. I-15, Absatz 2: „Die Mitgliedsstaaten unterstützen die gemeinsame Aussen- und Sicherheitspolitik aktiv und vorbehaltlos im Geiste der Loyalität.“
Die gesamte Politik zur Bildung der EU war von Anfang an ein wirtschaftliches Projekt. Wie die Lissabon-Strategie ja auch schamlos ausspricht, will die EU mit der USA als Supermacht konkurrieren. Um im Kapitalismus Supermacht zu sein, muss man die ArbeiterInnen sowohl im eigenen Territorium als auch außerhalb verstärkt ausbeuten. Dieses Vorhaben bestimmt auch die EU-Aussenpolitik. Bei der Ministerkonferenz der WTO in Cancun, Mexico 2003 machte die EU besonders deutlich, worum es ihr bei der weltweiten Handelspolitik geht. Sie bestand darauf, die sog. „Singapur Issues“ auf jeden Fall in die neue Verhandlungsrunde aufzunehmen. Diese Singapur Issues enthalten besonders imperialistische Forderungen, wie z.B. den Schutz von geistigem Eigentum, also Patentrechte weltweit oder den Schutz ausländischer Investitionen. Damit wollen die Konzerne erzwingen, daß ihr Monopol auf bestimmte Forschungsergebnisse weltweit anerkannt wird und niemand diese Ergebnisse benützen darf (was z.B. in der Medizin katastrophale Folgen hätte). Das diese Forderungen also vor allem dem Weltkapital in Form großer Konzerne nützen, liegt auf der Hand. Die leidtragenden dabei sind die sogenannten 3.Welt-Staaten, genauer gesagt die ArbeiterInnenklasse dieser Halbkolonien. Um diese imperialistische Großmachtpolitik in Zukunft noch entschlossener und tatkräftiger durchsetzen und ausführen zu können, ist eine gemeinsam koordinierte Politik, gemeinsame Gremien und eine Art Statut zur Festsetzung dieser Vorhaben notwendig: die EU-Verfassung. Mit der Verfassung stärkt die EU ihre Position als weltweiter Wirtschaftsstandort. Als imperialistische Großmacht lässt sich bekanntlich besser und verstärkt Druck auf den Rest der Welt ausüben. Die Handels- und Aussenpolitik der EU wird von der verstärkten Ausbeutung der Halbkolonien geprägt sein.
Facts
Über die Handelspolitik entscheidet zukünftig die Union und damit weitgehend der Aussenhandelskommissar:
Art. I-12, Abs.1: „Die Union hat ausschließliche Zuständigkeit ….. über die gemeinsame Handelspolitik.“
Die Verfassung setzt die EU auf eine neoliberale Strategie fest, damit EU-Konzerne noch verstärkt ArbeiterInnen sowie in Europa selbst als auch vor allem in der 3.Welt ausbeuten können:
Art. III-216: „Die Union beabsichtigt zur schrittweisen Beseitigung der Beschränkungen im internationalen Handelsverkehr und bei den ausländischen Direktinvestitionen ….. beizutragen.“