Japan – die Katastrophe und die Folgen

Die Ereignisse in Japan im März hielten die Welt in Atem – ein Erdbeben, eine folgende Tsunami-Welle und dann noch die nukleare Katastrophe. In dem folgenden Artikel wollen wir eine Übersicht über die Ereignisse und eine politische Einschätzung darüber geben. Vor allem die nukleare Katastrophe, die jetzt (Mitte April) immer noch nicht unter Kontrolle ist, hatte Auswirkungen weit über Japan hinaus. In Deutschland verkündet Kanzlerin Merkel mal eben ein Atom-Moratorium für die Laufzeitverlängerung, die sie gerade eben noch mit ihrer Regierung genehmigt hat. Der Energie-Kommisar der EU, Günther Öttinger, sprach davon, dass wir aus der Atomkraft wohl doch früher aussteigen müssten – als Ministerpräsident von Baden-Württemberg war er einer der größten Befürworter der Atomkraft und setzte sich seit langem für die Laufzeitverlängerung ein.

Auf diese Manöver kommen wir weiter unten zu sprechen. Zunächst wollen wir uns dem Thema widmen, das von der Presse schon beinahe vergessen wurde: dem verheerenden Erdbeben und seinen Folgen.


Das Erdbeben und die Welle

atom logo

Die Katastrophe geschah am 11.März 2011. Das stärkste jemals gemessen Erdbeben in Japan – mit einer Stärke von 9,0 (zum Vergleich: in Haiti 2010 hatte das Erdbeben 7.0) – hat die Nordostküste des Landes erschüttert. Durch das Beben wurde auf dem Meeresgrund eine gewaltige Tsunami-Welle mit bis zu 10 Meter Höhe ausgelöst, die wenige Minuten später auf das Festland traf und alles mit sich riss, was ihr in den Weg kam. Ganze Dörfer wurden praktisch dem Erboden gleichgemacht. Häuser, Autos, alles wurde mitgerissen und zerstört.

Die Katastrophe hat viele Opfer gefordert. Die offizielle Zahl der Toten liegt heute (Mitte April), bei 12 608 Toten. Verschiedene Medien schreiben von Schätzungen, die von mittlerweile 30 000 Toten ausgehen. Über die Zahl der noch vermissten herrscht offenbar keine Aussagefähigkeit. Der Nordosten des Landes ist verwüstet. Noch immer suchen die Menschen nach Angehörigen unter den Trümmern der eingestürzten Häuser.

Am 7.4.2011 hat ein Nachbeben den Nordosten erneut erschüttert. Mit einer Stärke von 7.1 war das Beben deutlich schwächer als im April – aber immer noch stärker als 2010 in Haiti! Laut der japanischen Presseagentur Kyodo gab es erneut viele Notrufe wegen Bränden, Gaslecks und Verletzten. Das Energieunternehmen „Tohoku-Electric Power“ erklärte, dass 2,6 Millionen Menschen als Folge des Nachbebens ohne Strom waren.

Auch einen Monat nach der Katastrophe sieht die Lage der betroffenen Japaner_innen fatal aus. Es gibt zwar eine groß angelegte Such- und Rettungsaktion der Armee, der Polizei und der Feuerwehr, aber nach Berichten sterben nach wie vor Menschen an den Folgen des Erdbebens – durch Mangel an Trinkwasser, Nahrungsmitteln und dringend benötigter medizinischer Versorgung. Bei ärmeren Ländern (wie z.B. Haiti) wird meist berichtet, dass das Land nicht über die notwendigen Mittel und die staatliche Infrastruktur verfüge, um der Katastrophe zu begegnen. Von Japan sollte man demnach erwarten, dass das besser funktioniere. Doch auch hier versagt der kapitalistische Staat, die notwendigen Rettungs- und Hilfsmaßnahmen einzuleiten. Premier-Minister Naoto Kan hat verfügt, dass die Regierung alle Hilfsoperationen koordiniert und die Armee sich um die Angelegenheiten kümmert. Dafür wurde eigens eine Militärabteilung geschaffen, die sog. „Self Defense Force“, die laut Regierung 100 000 Tausend Soldat_innen zählt.

Durch einen Bericht eines Arbeiter im öffentlichen Dienst aus der japanischen Stadt Sendai wurde bekannt, wie diese Armee-Einheit in Wirklichkeit operiert. Sie haben betroffene Städte und Gebiete abgeriegelt, und verhindern dass Menschen von außen, auch solche die Angehörige suchen oder helfen wollen, die Gebiete betreten können. Damit haben sie in erster Linie die Medienhoheit sichergestellt und kontrollieren, welche Informationen nach außen gelangen.

Unterdessen hat sich an der Lage der Bevölkerung, die in behelfsmäßigen Hütten untergebracht sind, kaum geändert. Die Eisenbahnergewerkschaft Doro-Chiba schreibt in einer Erklärung vom 25.März:

„Eigentlich gibt es genug Material und es stehen genügend Fahrzeuge zur Verfügung. Aber die beteiligten Firmen bleiben untätig. Sie schrecken vor den Zusatzkosten für die Umwege zurück, die durch zerstörte Straßen verursacht werden. Und die Regierung tut nichts dagegen. Viele Menschen sterben durch die Untätigkeit und Unfähigkeit der Regierung. Hier zeigt sich das wahre Gesicht der Marktwirtschaft.“

Auch im Vorfeld hat die Regierung versagt, sich auf entsprechende Erdbeben vorzubereiten, obwohl es lange bekannt ist, dass Japan in einer erdbebengefährdeten Region liegt und es in regelmäßigen Abständen schwere Beben gegeben hat, die auch Tsunamis zur Folge haben können. Sowohl die jetzige Regierung unter der demokratischen Partei (Democratic Party of Japan, DPJ) als auch die vorherige unter der liberal-demokratischen Partei (Liberal Democratic Party, LDP) hat die Mittel für den Ausbau der schützenden Deichanlagen an Japans Küsten gekürzt. Die blutige und teure Rechnung dieser fahrlässigen Politik zahlen jetzt die Hunderttausenden, die von der Katastrophe betroffen sind.


Die atomare Katastrophe

Bereits kurz nach dem verheerenden Erbeben kam die Schreckensnachricht an die Weltöffentlichkeit: mindestens ein Kernkraftwerk (zunächst war von dem Kraftwerk Fukushima 1 die Rede, später kam Fukushima 2 hinzu) wurde von dem Beben und der Tsunami-Welle empfindlich getroffen und es drohte eine Kernschmelze. Die Woche danach hielt die Welt den Atem an. Ständig kamen neue Nachrichten, was mit dem Atomkraftwerk passierte – doch auch einen Monat später war die Lage dort noch nicht unter Kontrolle. Die Regierung spielte die Ereignisse in Fukushima herunter. Es gehe keine Gefahr für die Bevölkerung aus. Das war natürlich, wie mittlerweile auch klar belegt, eine dreiste, kalkulierte Lüge!

Japan ist das am dichtesten besiedelte Industrieland der Welt. Bei einer vergleichbaren Größe wie Deutschland leben ca. 127 Mio. Menschen in dem Land. Unter diesen Voraussetzungen gibt es in Japan 55 Atomkraftwerke! An weiten Teilen der Küsten Japans stehen Atomkraftwerke Reihe an Reihe – so auch im vom Tsunami betroffenen Nordosten. Nach dem die Kühlung an den Reaktoren 1, 2 und 3 im Kernkraftwerk Fukushima ausgefallen war, versuchte TEPCO und die Armee die Reaktoren mit Wasser zu kühlen. In allen drei Reaktoren fanden Wasserstoffexplosionen statt, die die Außengebäude beschädigten. Bald war nicht mehr zu leugnen, dass bereits große Mengen an radioaktiver Strahlung austraten. Bereits am 19.März wurde bei ersten Lebensmitteln aus der Umgebung eine radioaktive Strahlung nachgewiesen. Kurz danach wurde radioaktive Verseuchung im Trinkwasser von Tokio, ca. 300 km von der Region Fukushima entfernt(!), festgestellt. Nach dem Nachbeben am 7.4.2011 wurde auch im Atomkraftwerk in Onagawa ein Leck entdeckt, aus dem Radioaktivität austritt.

Bereits bei diesen Meldungen wird klar, was für eine Heuchelei es ist, dass für die Bevölkerung keine Gefahr ausgehe. Die Situation ist nicht unter Kontrolle zu halten. Wenn radioaktive Strahlung einmal in die Umwelt ausgetreten ist, ist sie unkontrollierbar, verteilt sich in der Umwelt und verbleibt dort über Jahrzehnte, wenn nicht gar Jahrhunderte. Die Sperrzone um Tschernobyl umfasst heute noch 4300 km², in der kaum Menschen leben (einige wenige sind laut Wikipedia mittlerweile zurückgekehrt).

Sowohl der Unfall an sich als auch der Umgang der Regierung und des Konzerns TEPCO mit der Katastrophe räumen mit dem Mythos auf, dass eine Kernschmelze nur in der „kommunistischen“ Sowjetunion passieren könne, im Kapitalismus aber nicht. Meldungen wie „schwarzer Rauch steigt über dem Reaktor auf“ zeigen, dass die Informationspolitik streng kontrolliert ist. Was das genau bedeutet, was wirklich passiert ist, dringt nicht nach außen.

Als der Unfall in Reaktor 1 passierte, hätten auch sofort die anderen Reaktoren mit Wasser gekühlt werden müssen. Doch TEPCO wartete damit ab, weil sie eine Beschädigung der Reaktoren verhindern wollten. Der Profit ist den kapitalistischen Konzernen selbst in solchen Momenten noch wichtiger als alles andere! Ebenso gibt es mittlerweile Stimmen, die argumentieren, TEPCO hätte sofort die betroffenen Atomkraftwerke mit Beton versiegeln müssen (wurde in Tschernobyl gemacht), um den Austritt radioaktiver Strahlung zu begrenzen. Doch auch das wollte TEPCO auf jeden Fall vermeiden, weil es ein finanzielles Desaster für den Konzern bedeutet hätte – lieber das atomare Desaster, für Jahrzehnte verstrahlte Nahrungsmittel, Wasser und Menschen.

Der Sprecher des japanischen Amtes für Nuklearsicherheit, Hidehiko Nishiyama, räumte Anfang April ein, dass sowohl der japanischen Atomaufsichtsbehörde wie TEPCO die Erdbebengefahr und die mangelnde Sicherheit der AKWs bekannt gewesen seien. Fukushima 1 stand demnach kurz vor der Überprüfung. Doch das Erdbeben und der Tsunami kamen früher. Am 12.April stufte die japanische Atomaufsichtsbehörde den Unfall in Fukushima auf Stufe 7 ein – die höchste Stufe, die bisher nur Tschernobyl erreicht hatte.


Die indirekten Folgen

Die Reaktion des japanischen Kapitals lässt sich an Zynismus und Verlogenheit nicht mehr überbieten. Während einer Pressekonferenz am 16. März lobte Yonekura Hiromasa, Vorsitzender von Nippon-Keidanren (Wirtschaftsverband Japan), die japanischen Atombehörden und sagte: „Japanische
Kernkraftwerke sind so robust, dass sie dem größten Erdbeben der letzten tausend Jahre widerstehen. Es ist wunderbar. Japanische Atombehörden sollten stolz darauf sein.“

Bei solchen Aussagen fehlen einem die Worte. Er und seine Konsorten werden die ersten gewesen sein, die ihre Villen aus dem betroffenen Gebiet mal eben wo anders hingelegt haben, und auf die Lebensmittel und das Leitungswasser werden sie auch nicht angewiesen sein.

Nicht nur die direkten Folgen lassen die Arbeiterklasse und das Kleinbürgertum in Japan bluten, auch die indirekten. Viele Kleinbauern aus der Region haben ihre kompletten Vorräte, viele sogar ihr ganzes Land verloren. Tausende Familien, die dort seit Jahrzehnten leben, haben alles verloren und müssen ihre Existenz verlassen. In Japan fragt sich zusätzlich: wohin eigentlich? Denn viel Platz ist auf der Insel nicht. Die Wirtschaft in Japan ist natürlich auch schwer getroffenen. Vor allem über die Autohersteller wird berichtet, dass viele Zulieferfirmen ausgefallen seien. Das Kapital wird sämtliche Kosten dafür auf die Arbeiterklasse abwälzen. Sie selbst werden von der Regierung subventioniert werden, um „Arbeitsplätze zu sichern“. In Wirklichkeit sind bereits jetzt Tausende von Arbeiter_innen von Arbeitslosigkeit betroffen, viele weitere werden vermutlich folgen. In Japan wird auf längere Sicht nichts so sein wie zuvor.


Und die Bundesregierung?

Zum Schluss möchten wir noch, wie am Anfang des Artikels angekündigt, auf die Folgen für die Atompolitik in Deutschland zu sprechen kommen. Die Geschehnisse in den letzten Monaten ließen die Atomlüge von der „Beherrschbarkeit“ und „Sicherheit“ wie Seifenblasen platzen. Und so fiel auch die Bundesregierung wie ein Kartenhaus in sich zusammen – das Milliardengeschenk für die Energiekonzerne, die Laufzeitverlängerung, wurde ausgesetzt. Und plötzlich sprechen die großen Pro-Atom-Parteien CDU und FDP vom „Ausstieg aus der Risikotechnologie“.

Dass das ganze ein reines Manöver ist, ist wohl allen klar. Wirtschaftsminister Rainer Brüderle verplapperte sich vor seinen Freunden des BDI (Bundesverband der deutschen Industrie) und sicherte ihnen zu, dass es sich um ein reines Wahlkampfmanöver handelte. Die Öffentlichkeit war empört – dabei sollte er für so viel Ehrlichkeit im Gegensatz zu Kanzlerin Merkel gelobt werden!

Grüne und SPD spielen sich als Alternative auf, als ob es ihre Bundesregierung nie gegeben hätte, während dieser in 8 Jahren kein einziges AKW abgeschaltet wurde, sondern im Gegenteil mit der „Atomkompromiss“ der ungestörte, abgesicherte Weiterbetrieb der Zeitbomben zugesichert wurde (und vor allem auch der Anti-AKW-Bewegung in den Rücken gefallen und der Wind aus den Segeln genommen wurde). Die Ereignisse in Japan zeigen nicht, dass eine Rot-Grüne Regierung eine bessere Alternative wäre, sondern das der Kapitalismus als System das Problem ist, ein System das den Profit einiger weniger vor alles weitere stellt.

Und auch einige Lehren über unseren hochgelobten „Rechtsstaat“ stehen wieder bereit. RWE hat bekannterweise bereits Klage gegen das Abschalten seiner AKWs eingelegt. Und es sieht wohl nicht so schlecht aus, dass der Konzern eine hohe Entschädigung einklagen kann. Offensichtlicher kann doch nicht gezeigt werden, dass die Regierung gegenüber dem Großkapital, in Gestalt der großen Konzerne, machtlos ist, selbst wenn sie etwas gegen sie unternehmen wolle. Dieser Staat ist Ausdruck ihrer Herrschaft. Der „Rechtsstaat“ hat die objektive Aufgabe, das Recht des Kapitals zu verwalten und durchzusetzen! Oder können wir auch – nicht nur formell, sondern realistisch – gegen die Laufzeitverlängerung klagen und haben eine Aussicht auf eine Entschädigung in Millionenhöhe, dafür dass unsere Umwelt weitere Jahre radioaktiv verseucht wird und wir in ständiger Gefahr eines radioaktiven Unfalls leben?

Noch heute wirkt die Katastrophe von Tschernobyl nach. Die Propaganda hat den Menschen eingetrichtert, dass die Kernschmelze der beste Beweis dafür gewesen sei, dass der Kapitalismus dem „Kommunismus“ überlegen sei. Ja, Tschernobyl hat vor 24 Jahren gezeigt, dass der Stalinismus seinem Ende entgegen ging. Genauso zeigt uns heute Fukushima, dass es höchste Zeit wird, mit dem Kapitalismus Schluss zu machen!

One Solution – Revolution!

image_pdfimage_print

Related Posts

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

− 3 = 7

Besuch uns auch auf

Unser Programm

Neueste Zeitung

Zeitung Februar 2024

Archiv