Jemen, Bahrain und Syrien – wie entwickelt sich die arabische Revolution?

Derzeit schauen wir gebannt auf die Entwicklung in Libyen, wo sich die Rebellenmilizen einen ungleichen Kampf gegen die Spezialeinheiten Gaddafis liefern. Täglich wechseln die Meldungen aus den Städten Misrata, Berga u.a. über Gewinne und Niederlagen der aufständischen Milizen.
Dabei besteht die Gefahr, sich nicht mehr mit der Situation in anderen Staaten zu befassen – den Staaten, in denen die Revolution weiter fortschreitet. Ebenfalls dürfen wir die Entwicklung in Tunesien und Ägypten nicht aus den Augen verlieren, dort konnten die Massenbewegungen einen ersten Sieg erringen. Nun stellt sich dort die Frage, wie es weitergeht, oder ob die Revolution schon zu Ende ist.

Besonders interessant ist die Entwicklung auf der arabischen Halbinsel. In zwei Staaten, Jemen und Bahrain, sind die Massen auf den Straßen. Im Jemen schon seit den ersten Protesten in Tunesien. Diese Entwicklung ist deswegen von Bedeutung, weil es auch in Saudi Arabien schon erste kleinere Proteste gab, die dann allerdings sofort verboten und niedergeschlagen wurden – besonders für den US Imperialismus ist das saudische Königshaus der wichtigste Verbündete in der Region, aus der ökonomischen Perspektive wahrscheinlich der wichtigste Verbündete weltweit.


Bahrain

In Bahrain leben ca. 750 000 Menschen, inklusive 250 000 Migrant_innen, welche hauptsächlich in der Ölindustrie und im Dienstleistungsbereich tätig sind. Von den 500 000 Bahrainis gehören knapp 70% der Religionsgemeinschaft der Schiiten an und diese werden seit 50 Jahren von einem sunnitischen Königshaus beherrscht. Für die Schiiten in Bahrain bedeutet dies vor allem politische und soziale Unterdrückung. Sie haben weniger Zugang zu den politischen Entscheidungen und werden vom Staatsdienst ausgeschlossen, insgesamt leben sie als „Bürger 2.Klasse“. Bahrain ist das Dienstleistungszentrum auf der arabischen Halbinsel, eine Drehscheibe des Finanzmarktes in der Region und beliebtes Tourismusziel für die reichen Scheichs aus den Nachbarländern. So sind viele Dinge, die in Saudi Arabien verboten sind, wie z.B. Alkohol, in Bahrain erlaubt.

Seit vielen Wochen haben sich immer wieder Zehntausende auf dem Perlenplatz in der Hauptstadt Manama versammelt. Zu den Hauptforderungen der Demonstrationen gehörte die Umwandlung der absoluten Monarchie in eine repräsentative Staatsform, eine neue Verfassung und die Zulassung von Parteien, d.h. eine Einschränkung der absoluten Macht des Monarchen Al-Khalifa. Das Königshaus bestimmt bislang, welche Listen im bedeutungslosen Parlament sein dürfen. Allerdings war es mit das erste Emirat, in dem auch Frauen politische Ämter ausüben durften. Bislang sind die Sicherheitskräfte, die zu großen Teilen aus Migrant_innen bestehen (Inder + Pakistani), sehr brutal gegen den Widerstand vorgegangen, von mehreren Dutzend Toten und vielen Hundert Verletzten ist die Rede. Seit Anfang März sind zudem noch 1000 saudische Soldaten in Bahrain eingerückt. Dies geschah auf Beschluss des „Golf – Kooperationsrates“, welcher unter Kontrolle der USA steht.
Die USA hat ihre 5.Flotte in Bahrain stationiert, inkl. 5000 Soldaten – Bahrain ist ein strategisch wichtiger Knotenpunkt zur Kontrolle des persischen Golfes. Von dieser Insel aus ist es möglich, die saudischen Ölfelder zu überwachen. Ebenso dient Bahrain der USA als Stützpunkt gegen den Iran. Es ist daher nicht verwunderlich, dass die USA in Bahrain nicht für Demokratie, Freiheit und Menschenrechte eintreten, sondern der Gewalt gegen den Widerstand quasi zusehen, bzw. durch ihr Nichtstun gutheißen.


Jemen

Im Jemen gibt es seit dem 27.Januar Proteste gegen das autoritäre Regime des Präsidenten Saleh, welcher seit über 30 Jahren regiert. Dieser war zunächst Präsident des Nordjemen seit 1978 und hat dieses Amt auch nach der Vereinigung mit dem Südjemen im Jahr 1990 inne (der Nordjemen war westlich und der Südjemen stalinistisch orientiert). Einer der Auslöser der Proteste war das Vorhaben von Saleh, sich das Präsidentenamt auf Lebenszeit zu sichern. Ebenfalls wurden vor allem studentische Aktivist_innen von den Protesten in Tunesien motiviert, sich gegen die Diktatur aufzulehnen.

Fast die Hälfte der ca. 20 Millionen Jeminit_innen ist 15 Jahre oder jünger, doch diese Jugend hat keine soziale Perspektive. Schon immer war der Jemen das Armenhaus der arabischen Welt, heute gehen verschiedene Schätzungen davon aus dass 40-60% der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze leben. Besonders auf dem Land sind die Verhältnisse hoffnungslos. Dort leben ca. 80% der armen Jeminit_innen, und diese müssen zwei Drittel bis drei Viertel ihrer finanziellen Mittel für ihre Ernährung ausgeben.

Bildung, Gesundheit und das gesamte Sozialsystem liegen am Boden. Stattdessen ist Jemen Verbündeter der USA und Großbritannien im Kampf gegen den „Terrorismus“. Besonders im Nordjemen gibt es einen permanenten Krieg, dort werden Al-Quaida Zellen gejagt – dafür wird Geld im Jemen ausgeben, bzw. werden Finanzmittel vom Imperialismus zur Verfügung gestellt.
Seit Beginn der Proteste verliert Saleh auch innerhalb der alten Elite zunehmend Rückhalt, so distanzierten sich auch führende Generäle vom Präsidenten, ein Generalmajor versprach, dass seine Truppen die Demonstrant_innen schützen würden.

Am 18.März gab es bislang den blutigen Höhepunkt des Konflikts. An diesem Tag starben 52 Menschen und ca. 300 wurden verletzt. Insgesamt starben bislang wohl mindestens 90 Menschen bei den Protesten. Die Opposition kann man derzeit am besten als eine „Volksfront“ verschiedener Kräfte darstellen, von ehemaligen stalinistischen Gruppierungen (der ehemaligen Staatspartei des Südjemens), islamistischen und arabisch-nationalistischen (nach dem ehemaligen Präsidenten von Ägypten Gamal Abdel Nasser auch als „nasseristisch“ bezeichnet) Kräften, welche jeweils auch bewaffnete Kräfte stellen.

Bis zu den nächsten Wahlen im Herbst wird eine Neuaufstellung innerhalb der jeminitischen Einheitspartei (ehemalige Staatspartei des Nordjemens) erwartet. Immerhin hat der Sohn von Saleh wohl schon auf eine Kandidatur verzichtet. Die USA und Großbritannien werden jedes Regime unterstützen, das ihnen weiterhin das Staatsterritorium zum Kampf überlässt – daher muss die Opposition geeint die imperialistische Kontrolle über das Land bekämpfen.

Sollten im Jemen und in Bahrain die Regime kippen, stellt sich unweigerlich die Frage, wie das saudische Königshaus weiter regieren kann – hier steht und fällt die Vorherrschaft der USA in der Region und auch der letzte Stützpfeiler der wackelnden US – Ökonomie. Eine demokratische Bewegung, welche die Mindestforderungen gegen die Monarchie und zur Gleichstellung der verschiedenen Bevölkerungsgruppen stellt, kann somit zur größten aktuellen Bedrohung des US – Imperialismus werden.

Syrien

In Syrien herrscht der Assad – Clan seit über 40 Jahren. Dort „gelang“ im Jahr 2000 auch der Übergang von Vater Assad zu Sohn Assad, welcher das Regime fortsetzte. Obwohl es manch Hoffnungen in den Sohn Baschar al Assad gab, dass dieser sein Land öffnen würde, hat der junge Assad nur die Politik der alten Elite fortgesetzt. Ähnlich dem System in Libyen und dem Regime von Saddam Hussein im Irak nennt sich Syrien heute „sozialistische Volksrepublik“. Dies ist vergleichbar mit vielen ehemaligen stalinistischen Regimen. Es gibt ein Einparteiensystem, die Baath – Partei und einige gesteuerte „Blockparteien“ (die gabs auch in der DDR) bestimmen das Land. In der Rechtsprechung wird der Religion, der islamischen Scharia vertraut – dies ist ähnlich der libyschen „Volksrepublik“. Die Baath – Parteien waren im Irak und Syrien stalinistische, nationalistische Parteien, welche ideologisch aus dem „Panarabismus“ stammten und ebenso Teile des Stalinismus kooptierten.

In Syrien ist die Herrschaftselite zudem auf die Religionsgruppe der Alawiten beschränkt, welche 10% der insgesamt 20 Millionen Syrer ausmachen. Diese ist dem schiitischen Islam näher, während 75% der Bevölkerung der sunnitischen Glaubensrichtung angehören. Der syrische Staat zeichnet sich durch verschiedene Geheimdienste und Spitzelorgane aus. Auf vielen öffentlichen Plätzen herrscht ein Gefühl der Angst und Beobachtung. Die Folterkeller Syriens werden auch von westlichen Geheimdiensten benutzt, wie dem BND und CIA. Seit knapp 50 Jahren gilt der Ausnahmezustand in Syrien, dies hat auch der junge Assad nie aufgehoben. Zu seinen großen Reformen, die er im Jahr 2000 ankündigte, gehörte die Öffnung des Internets. Seitdem kann „Facebook“ und „Twitter“ genutzt werden. Dies gilt vielen in der Opposition aber nur als weiteres Mittel, die Opposition überwachen zu können – daher werden diese Medien vom syrischen Widerstand auch kaum genutzt. Inzwischen deutet vieles darauf hin, dass Assad eine militärische Lösung vorbereitet. Die Hafenstadt Banjas, Zentrum der ersten Proteste, wurde abgeriegelt.

Ebenfalls gab es Berichte, dass bewaffnete Alawiten sunnitische Demonstrant_innen beschossen und getötet hätten. Mitte April ist die Armee in Banjas eingerückt, von ihr ist das Gleiche zu erwarten.

Der Fortgang der arabischen Revolution

Während sich in den genannten Staaten die Massen erheben und die Regime bedrohen, wird es für die gesamte Entwicklung entscheidend werden, wie sich die Lage in Tunesien und vor allem Ägypten weiter darstellt. Besonders in Ägypten haben die Massen erste Schritte unternommen, die Militärregierung heraus zu fordern. Am 8.April gab es die erste Großdemo mit mehreren Hunderttausenden, die weitere Schritte des Militärs forderten, besonders was die Strafverfolgung des Mubarak – Clans angeht. In der Nacht von Freitag zu Samstag räumte das Militär zunächst den Tahir Platz,
ab 3 Uhr nachts gilt jetzt eine Ausgangssperre. Dabei schossen die Soldaten in die Menge, drei Demonstrant_innen starben, dies waren die ersten Todesopfer seit dem Rückzug von Mubarak. Die Massen glauben noch an eine „Unabhängigkeit“ des Militärs, dass das Militär eine Art politischen „Schiedsrichter“ darstellen könnte, die Vorkommnisse vom 9.April zeigen den wahren Charakter des Militärs.

Für die weitere Entwicklung ist es wichtig, wie sich die Gewerkschaften und die linken Aktivist_innen für die nächsten Monate aufstellen. Wenn es ihnen gelingt, das Militär als das bloßzustellen was es ist – als Helfershelfer des Imperialismus – dann kann die ägyptische Revolution eine neue Stufe erklimmen. Dazu müssen sie die sozialen Forderungen der Revolution erheben und einen Streik durchsetzen, der schon Mubarak aus dem Amt trieb – einen unbefristeten Generalstreik!

In einer solchen Situation wird die Armee nicht mehr „neutral“ oder „unabhängig“ erscheinen. Dann muss sie die Interessen des internationalen Kapitals umsetzen, vor den Augen Millionen Ägypter_innen! Schon beim Sturz Mubaraks hatte die Armee nicht mehr die Kontrolle über die Soldaten. Diese wollten kein Massaker auf dem Tahir Platz veranstalten und solidarisierten sich mit den Massen. Diese Ausgangssituation kann die Macht der Generäle, des Generalrats endgültig brechen. Dann können die Soldaten, die Beschäftigten und die Jugend ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen und erneut eine mächtige Dynamik in der arabischen Welt bewirken.

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