Dezember 2024
Die Tage werden kürzer, die Temperaturen fallen stetig und von überall her hört man Weihnachtsmusik. Der Winter kommt schnell näher und während es in einigen Teilen Deutschlands schon die ersten Schneeballschlachten gab, bedeutet dies für viele Menschen vor allem, dass sie sich einmal mehr dem Überlebenskampf gegen die Kälte stellen müssen. Denn während viele Menschen in den eigenen vier Wänden ausharren, verdrängen wir, dass auch dieser Winter wieder Menschenleben kosten wird.
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In den vergangenen Wintern erfroren mehrere dutzend obdachlose Menschen. Seit des besonders kalten Winters 2020, in dem 23 Menschen ihr Leben verloren, nahm die Zahl der Obdachlosen in Deutschland weiter zu. Die Corona-Pandemie und die sich darauffolgend drastisch verschärfenden Mehrfachkrisen taten ihr Übriges. Das bedeutet, dass sich jedes Jahr mehr Menschen überlegen müssen, wie sie die kalte Jahreszeit überleben können. Allein im letzten Winter erfroren mindestens sechs Menschen. Bei diesen Zahlen muss man immer bedenken: Auf jede Person, die erfriert, kommen nochmal deutlich mehr, die sich durch die Kälte schwere Verletzungen oder Krankheiten zuziehen. Die Zahl, die also an den Folgen der Kälte sterben, liegt demnach deutlich höher.
Der vermeidbare Erfrierungstot ist aber nur die Spitze des Eisbergs. Obdachlose Menschen werden aus dem System ausgestoßen. Sie sind stigmatisiert und werden ihrer Menschlichkeit beraubt. Dabei wird suggeriert, dass man nur auf der Straße landen könne, wenn man „faul“ sei oder Suchtprobleme habe. Anstatt die Probleme im System zu suchen, wird auf die Betroffenen gezeigt. Dabei wird sich immer und immer wieder auf den Mythos der Chancengleichheit im Kapitalismus bezogen. Dass dies nur eine Illusion ist, ist auch statistisch leicht widerlegbar. Weil besonders Menschen mit Behinderung, schweren psychischen Erkrankungen und geflüchtete Menschen von Obdachlosigkeit betroffen sind, zeigt das eindeutig, wer maßgeblich von dieser ominösen Chancengleichheit von Vornherein ausgeschlossen ist.
Wenn man erst einmal auf der Straße landet, ist es schwer aus dieser Lage wieder herauszukommen. Viele Menschen auf der Straße haben keinen gesicherten Aufenthaltsstatus. Oft fehlt es an wichtigen Dokumenten, wie beispielsweise Personalausweisen, Fahrtkarten, Bankkarten und Krankenkassenkarten (sofern die Betroffenen überhaupt krankenversichert sind!) und dergleichen mehr. Somit sind gerade öffentliche Anlaufstellen für Obdachlose oftmals keine sicheren Räume. Wo es nicht an offiziellen Papieren mangelt, fehlen Sprachkenntnisse und Unterstützung beim Durchqueren des deutschen Bürokratie-Jungels. Zudem stellen Ämter oft hohe Anforderungen an Antragstellende und Hilfesuchende, denen man ohne festen Wohnsitz, ohne Internet und den Zugriff auf schwer einzuholende Daten nicht gerecht werden kann. Hinzu kommt, dass das (Über-)Leben auf der Straße immens zeitintensiv ist: Schlafplatz finden, Geld oder Essen besorgen, Hygiene, psychischem Druck Stand halten, Tiere versorgen. Da wird allein das Einhalten von Terminen in Ämtern oder die fristgerechte Bearbeitung persönlicher behördlicher Angelegenheiten nahezu unmöglich.
Auf dem Papier soll es zwar Stellen zur Versorgung Obdachloser geben, doch sind diese für viele von Wohnungslosigkeit betroffene Menschen nicht wirklich eine Option. Die sogenannten „Notunterkünfte“, in denen Obdachlose vermeintlich Schutz suchen können, sind heillos überfordert und stellen Anforderungen, die für viele Menschen auf der Straße nicht zu erfüllen sind. So müssten sie sich von Partner:innen oder Haustieren trennen, nur um dann innerhalb dieser Unterkünfte massiver Gewalt und Elend ausgesetzt zu sein. Auch werden die Hilfesuchenden dazu gezwungen, die Unterkünfte umgehend nach ihrer Übernachtung zu verlassen. Ein Aufenthalt ist tagsüber oftmals nicht vorgesehen. Diese „Alternativen zur Obdachlosigkeit“ sind oftmals nicht wirklich erstrebenswert, zumal sie ohnehin massiv unterfinanziert sind. Immer wieder werden Obdachlose misshandelt oder sogar brutal ermordet. Gerade Frauen und Queers leiden in einem besonderen Maße unter diesen Bedingungen. Insbesondere in Bezug auf patriarchale Gewalt sind Anlaufstellen für Obdachlose noch weniger verfügbar. Obdachlose werden Opfer von gewaltsamen Morden, sie werden totgeschlagen, erstochen oder sogar bei lebendigem Leibe angezündet. Gewalt gegen Obdachlose hat in den vergangenen Jahren statistisch drastisch zugenommen, eine Vielzahl von Vorfällen liegt schätzungsweise noch im Dunkeln.
Es müsste niemand auf der Straße leben. Das Leid ist verhinderbar. Zehntausende Menschen wird aktiv das Recht abgesprochen, ein Dach über dem Kopf oder Zugang zu sanitären Einrichtungen zu haben. Anstatt ihnen jedoch dieses zu gewähren, werden sie von Security und Bullen aus dem öffentlichen Raum verdrängt. Immer wieder hört man Berichte aus Städten, in denen die obdachlose Bevölkerung scheinbar von einen Tag auf den anderen aus dem Stadtbild verschwindet.Ein Beispiel dafür sind die vergangenen Olympischen Sommerspiele in Paris. Man wollte ein „sauberes“ Stadtbild präsentieren. Wo sonst davon gesprochen wird, dass zum Sport die Welt zusammenkommt, werden Obdachlose in einer beispiellosen Großaktion in „Notunterkünfte“ außerhalb der Stadtgrenzen getrieben. Nicht um den Menschen zu helfen, sondern um zu verstecken, wie viel Leid der französische Staat und das kapitalistische Wirtschaftssystem auf den eigenen Straßen produziert.
Doch es ist nicht genug, zu fordern, dass Obdachlose im Stadtbild geduldet werden. Es ist nicht genug zu fordern, dass ihnen Zugang zu kostenlosen Suppenküchen oder sanitären Einrichtungen garantiert wird. Denn Obdachlosigkeit sollte nicht existieren. In Deutschland standen im Jahre 2022 rund 2 Millionen Wohnungen leer. Lebenswerter Wohnraum sollte also eigentlich gesichert sein. Doch anstatt politischer Maßnahmen zur lebenswerten Unterbringung dieser Menschen anzustreben, passiert das Gegenteil:Immer mehr Menschen leben unter der Armutsgrenze, müssen um ihre Wohnung bangen und sind nur einen Schicksalsschlag davon entfernt, auch auf der Straße zu enden. Man könnte meinen, dass die Politik anhand dieser Aussichten ein ernsthaftes Interesse an der Besserung der Lage von Obdachlosen haben müsse.
Doch Obdachlosigkeit ist aus gleich mehreren Gründen unabdingbar für den Kapitalismus. Ein Recht auf Wohnraum kann es im Kapitalismus nicht geben. Ein Recht auf Wohnraum widerspricht dem privatwirtschaftlich organisierten Wohnungsmarkt und steht der Profitpressung des Immobiliensektors grundlegend entgegen. Der Ausbau sozialer Wohnungen bedroht die Profite der Immobilienkonzerne und gerade in der aktuellen Krise der Überakkumulation, flüchten sich Investor:innen besonders in den spekulativen Immobiliensektor. Weil zu viel Kapital angehäuft wurde, um es noch profitabel investieren zu können und die Profitrate dementsprechend sinkt, sind Preise für klassische Spekulationsobjekte wie Wohnraum immer drastischer in die Höhe getrieben worden, um die ausbleibenden Profite aus der Wirtschaft zu kompensieren. Dies Dynamik ist für uns alle durch steigende Mieten und knappen bezahlbaren Wohnraum deutlich spürbar.
Ein allgemeines Recht auf Wohnen würde bedeuten, dass Arbeitslose oder Arbeiter:innen in besonders prekären Berufen automatisch in eine bessere Verhandlungsposition gegenüber ihren potenziellen Arbeitgeber:innen treten könnten und nicht aus der Angst vor Obdachlosigkeit in Mindestlohndrecksjobs gezwungen werden können. Die Gefahr der eigenen Obdachlosigkeit dient als Drohung, Arbeiter:innen in jedes noch so schlechte Arbeitsverhältnis zu zwingen und eine gerechte und menschenwürdige Bezahlung zu verhindern. Obdachlosigkeit fungiert also auch Druckmittel der Kapitalist:nnen, indem Arbeitenden subtil der Verlust ihrer Existenz angedroht wird, sollten sie sich nicht dem Zwang der Ausbeutung unterwerfen.
Obdachlosigkeit existiert nicht nur in der Weihnachtszeit. Wenn Medien und Politiker:innen jetzt zunehmend Appelle um Mitgefühl und mittlere Spendenbeträge vor sich hertragen, dann sind diese zumeist rein symbolischer Natur. Wenn also viele Menschen der Weihnachtszeit mit Begeisterung und Vorfreude entgegenblicken und sich symbolisch an ihre vermeintliche „Nächstenliebe“ klammern, dürfen wir nicht vergessen, dass auf deutschen Straßen eine große Gruppe von Menschen lebt, die von der Gesellschaft ausgeschlossen wird und deren Schicksal dem Kapitalismus schlichtweg egal ist. Wir sitzen letztendlich im selben Boot und unsere Forderungen und Perspektiven sollen dies widerspiegeln.
Ein Ende der Obdachlosigkeit, des Elends auf der Straße, kann der Kapitalismus uns höchstens in ökonomisch komfortablen Zeiten und in den imperialistischen Zentren zugestehen. Wie gesagt, hat Obdachlosigkeit di Funktion einer Drohkulisse und eines Druckmittels. Dem Ende der Obdachlosigkeit würden entweder massive soziale Investitionen oder Enteignungen de Kapitals vorausgehen müssen, wozu der bürgerliche Staat offensichtlich nicht bereit ist, wie wir an der brutalen Sparpolitik der Deutschen Regierung aktuell einmal wieder besonders gut erkennen können. Weil die gegenwärtige Krise immer mehr Arbeits- und damit auch Obdachlose schafft, müssen wir die Krise als Ganzes in den Blick nehmen und bestehende Kämpfe verbinden. Was wir brauchen, sind grundlegende Veränderungen!
Deshalb fordern wir: