CEO-Mord: Luigi Mangione – Held der Klasse?

Häuser im Hintergrund: Patrick Nouhailler's CC BY-SA 3.0 via Wiki Commons Schriftzug United Healthcare: Ian Fogg CC BY-NC-SA 2.0 via Flickr

Von Jona Everdeen, Dezember 2024

Luigi Mangione, dem vorgeworfen wird, am 5.Dezember den CEO von UnitedHealthcare in Manhatten erschossen zu haben, wurde festgenommen. Im Internet wird er von vielen, auch solchen, die mit politischer Organisation wenig zu tun haben, gefeiert. Dass auch wir Kapitalist:innen, die sich mit dem Leid der armen Bevölkerung seit Jahren die Taschen vollgemacht haben, keine Träne nachweinen, ist klar. Gleichzeitig muss uns aber auch bewusst sein, dass individueller Terror nicht die Lösung sein kann.

Lesezeit: 7 Minuten

Das US-Gesundheitssystem oder warum die Wut berechtigt ist

UnitedHealthcare gilt als eine der besonders ausbeuterischen Krankenversicherungen in den USA, die ihren Kund:innen viel Geld aus der Tasche zieht, aber in einem Drittel der Fälle dann nicht bereit ist, anfallende Krankenrechnungen zu bezahlen. Ihr CEO, Brian Thomson, stand somit symbolisch für das US-Gesundheitssystem, in dem Gesundheit nichts und Profit alles zählt. So gibt es dort so gut wie keine gesetzliche Krankenversicherung, wie wir sie aus Deutschland kennen, wobei Trump nun auch mit ObamaCare die noch bestehenden Reste davon einstampfen will. Stattdessen regiert in der Gesundheitsvorsorge der Markt- in Deutschland ist das in Form der Privatversicherung nur ein kleines Nischensegment, das nahezu ausschließlich Besserverdienende nutzen. In den USA ist man aber dazu gezwungen, will man nicht komplett ohne Versicherung dastehen. Dafür zahlt man Unsummen, wobei unklar ist, ob man für diese im Ernstfall dann überhaupt irgendeine Gegenleistung erhält. In den USA müssen sich viele Menschen zweimal überlegen, ob sie wirklich zum Arzt gehen, da die Gefahr besteht, dass man dann für die nächsten zwei Monate kein Geld mehr für Lebensmittel hat. Und wenn man sich in den USA als prekär Beschäftigte den Arm bricht, hofft man lieber darauf, dass er von selber wieder zusammenwächst, als ins Krankenhaus zu gehen und danach einen Berg Schulden haben.

Entsprechend ist es absolut verständlich, dass Arme in den USA, die massiv unter diesem System leiden, sich selber keine adäquate Behandlung leisten können oder Angehörige an behandelbare Krankheiten verloren haben, weil sie deren Behandlung nicht bezahlen konnten, Mangione als einen Helden feiern. Denn Brian Thompson war genau derjenige, der auf Kosten ihrer Gesundheit Berge von Geld für sich und die Aktionär:innen von UnitedHealthcare angehäuft hat.

Doch UnitedHealthcare hat bereits einen neuen CEO bestimmt, der genau so weiter machen wird. Das System der Ausbeutung, das System in dem man sich zwischen Essen und benötigten Medikamenten entscheiden muss, bleibt unberührt. 

Alle Bonzen ersh00ten? Warum individuelle Gewalt keine Lösung ist

Historisch betrachtet ist es überhaupt nichts Neues, dass versucht wird, das System der Ungerechtigkeit dadurch zu überwinden, in einem heroischen und oft selbstaufopferungsvollen Akt dessen Repräsentant:innen zu töten. Bereits in den frühen Phasen der Arbeiter:innenbewegung gab es einen besonders radikalen Flügel, meist aus der anarchistischen Tradition stammend, dessen Praxis aus der Vorbereitung und Durchführung von Anschlägen bestand, auf Kapitalisten, Minister und sogar Kaiser und Zaren. Manche dieser Anschläge glückten, viele scheiterten, doch keiner von ihnen konnte substantiell etwas verändern. Gleichzeitig nutzten die Regime diese Attentate als Legitimation für schärfere Repressionen gegen die Arbeiter:innenbewegung. So führte Otto von Bismarck die Sozialistengesetzte zur Unterdrückung der frühen SPD in Folge eines gescheiterten Attentats auf Kaiser Wilhelm I. ein.

Und auch propagandistisch können Regime diese Taktik häufig nutzen, um die Massen von der Arbeiter:innenbewegung zu entfremden. Das beste Beispiele dafür ist in Deutschland die Rote Armee Fraktion (RAF). Diese führte in den 70er, 80er und frühen 90er Jahren in drei Wellen (Generationen) Anschläge auf Vertreter:innen des deutschen Kapitals sowie des US-Imperialismus aus. Den Höhepunkt dessen stellte der „Deutsche Herbst“ dar, dem auch der Altnazi und damalige Arbeitgeberpräsident (Cheflobbyist des Deutschen Kapitals) zum Opfer fiel.

Zwar fanden die Taten der RAF gerade zu Anfang, in der im Zuge der 68er Revolte stark nach Links gegangenen Gesellschaft, vor allem in der Jugend rege Unterstützung. Jedoch stellte sich ihre Perspektive, durch „Propaganda der Tat“ die Massen zu einem Aufstand gegen das ganze System zu bewegen, als Trugschluss heraus. Stattdessen gelang es der Springerjournaille und der rechtsreformistischen SPD-Regierung unter Helmut Schmidt, die Massen der deutschen Arbeiter:innen davon zu überzeugen, bei der RAF handele es sich um gefährliche Kriminelle.

Gleichzeitig wurde im Zuge dessen auch die Überwachung massiv ausgebaut und die Polizei extrem hochgerüstet und mit neuen Befugnissen ausgestattet, die sie auch heute noch gerne nutzt.

Der Terror der Stadtguerilla RAF erwies sich als strategische Sackgasse, und musste es tun, da der militante Kampf voraussetzt, dass die Massen bereits mit dem System gebrochen haben. Das jedoch widerspricht den Grundsätzen marxistischer Theorie, die klar macht, dass das herrschende Bewusstsein immer das Bewusstsein der Herrschenden sein muss, und sich das erst ändern kann, wenn die Herrschaft selber davor steht, gebrochen zu werden, nicht aber wenn ein paar Leute einige Vertreter:innen der Herrschenden erschießen. Gleichzeitig darf sich die Arbeiter:innenklasse nicht auf derartige Held:innenkulte einlassen, da sie nicht darauf hoffen darf, irgendwann von einzelnen Erlöser:innen befreit zu werden, sondern die Macht in ihren eignen Händen als Klasse liegt. Der Kapitalismus besteht letztendlich nicht aus einer Reihe von CEOs, sondern ist ein System, das sich auf die Klassenverhältnisse stützt und nur durch deren Aufhebung zu Fall gebracht werden kann.

Ähnliches gilt auch für „Individuellen Terror Light“, den Teile der autonomen Linken regelmäßig anwenden. Wenn mal wieder ein Transporter von Vonovia brennt oder bei einem Luxushotel die Scheibe eingeworfen wird, bringt das den Kampf für die Aufhebung des Systems, das Wohnraum zu einer Ware macht, keinen Schritt weiter.

Was braucht es stattdessen?

Anstatt man, im Sinne der „Propaganda der Tat“, selber so radikal wie irgendwie möglich auftritt, Autos anzündet oder gar CEOs erschießt, sollte man sich darauf konzentrieren, eine Macht aufzubauen, die real das Scheißsystem stürzen kann, eine Macht der Arbeiter:innen und aller von diesem Unterdrückten. Und das geht nur wenn man am vorhandenen Bewusstsein der Massen anknüpft, und dabei aufzeigt, warum deren notwendige Bedürfnisse nur erfüllt werden können, wenn dabei das System fällt und durch ein neues gerechteres System ersetzt wird.

So gilt es den US-Arbeiter:innen und Armen aufzuzeigen, dass das Gesundheitssystem der Profitlogik entrissen werden, unter Kontrolle der dort Beschäftigten enteignet werden muss, damit es nur noch dem Zweck dienen kann, Menschen wieder gesund zu machen. Eine Forderung, die viele, die unter der Auspressung von UnitedHealthcare zu leiden haben, sowie auch diejenigen, die einen miesen Lohn für harte Arbeit im Krankenhaus erhalten, sehr gut nachvollziehen werden können. Hieraus kann und muss dann die Logik gezogen werden, dass diese Forderung letztendlich nur dann erfüllbar ist, wenn das ganze System der Ausbeutung unserer Arbeitskraft durch CEOs und Aktionär:innen beendet wird, wenn wir über unsere Betriebe bestimmen und der Zweck der Wirtschaft nicht möglichst viel Profit für Wenige, sondern ein möglichst gutes Leben für Alle ist. Auf Basis solcher und ähnlicher Forderungen, in Kombination mit einer detaillierten Analyse der aktuellen Lage des Kapitalismus und des aus ihm hervorgehenden imperialistischen Weltsystems, können wir ein revolutionäres Programm erstellen. Und auf dessen Basis wiederum eine Organisation, die in der Lage ist, das Scheißsystem tatsächlich zu bezwingen. In diesem Sinne: Töten wir nicht einen CEO – Zerschlagen wir den Kapitalismus!

Freiheit für Luigi Mangione!

Auch wenn wir den individuellen Terror aus strategischen Gründen ablehnen, da wir in ihm keine Perspektive für die Befreiung von Elend und Ausbeutung sehen, sind wir doch solidarisch mit denjenigen, die für diese verkürzte Art des Kampfes gegen Unrecht vom bürgerlichen Staat verfolgt werden. Wir fordern die sofortige Freilassung von Luigi Mangione, denn auch wenn die Tat politisch falsch ist, so hat sie doch dazu geführt, dass das menschenunwürdige Gesundheitssystem der USA in die Kritik gekommen ist und sich ein Kampf darum entwickeln kann! Das ist jedoch kein Automatismus, denn eine individuelle Tat führt noch nicht zur Organisierung der Arbeiter:innenklasse, die es eigentlich braucht!

image_pdfimage_print

Related Posts

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

39 + = 43

Besuch uns auch auf

Unser Programm

Neueste Zeitung

Zeitung Mai 2024

Archiv