REVOLUTION Mai 2008
Wenn jemand im Unterricht fehlt, dann
meist, weil er krank ist. Wenn alle
Schüler fehlen, ist das Bildungssystem
krank. Dass tatsächlich etwas mit dem
Bildungswesen nicht stimmt, ist schon
daran ablesbar, dass es in Berlin derzeit
Vorbereitungen für einen stadtweiten
Schulstreik gibt – es wäre der dritte in
drei Jahren!
Bildungsmisere
Dass die Debatte über die „zentrale
Bedeutung von Bildung,“ die derzeit von
allen Parteien rauf und runtergebetet
wird, oft nur Wahlkampfgeklingel ist und
nicht Anlass für reale Verbesserungen,
ist auch in Berliner Schulen sichtbar.
Auch unter dem Berlinere rot-roten
Senat aus SPD und der LINKEN ist die
Situation an vielen Schulen miserabel.
Zu große Klassen, zu wenig LehrerInnen,
zu viel Ausfall machen Schule für alle
Beteiligten zu einer Frustveranstaltung.
Die Kosten für die Eltern werden immer
höher, die Lehrmittelfreiheit früherer
Jahre ist weitgehend abgeschafft, viele
SchülerInnen aus ärmeren Haushalten –
also auch viele ImmigrantInnen – können
z.B. Klassenfahrten oft nicht mitmachen,
weil das Geld fehlt.
Die Politik verschlimmert die Situation
noch, indem anlässlich der PISA-Studien
der Leistungsdruck in der Schule ständig
erhöht wird. Zusammen mit den schlechten
Lernbedingungen führt das dazu, dass
immer mehr SchülerInnen Nachhilfe
benötigen. Die (kostenpflichtige)
Nachhilfe ist inzwischen zu einem
riesigen Sektor angewachsen, der von
großen privaten Bildungs-Unternehmen
beherrscht wird.
Dieser Zustand erscheint umso absurder,
als der seit Jahren zunehmende
Sozialabbau und die schlechter werdenden
Ausbildungs- und Berufsperspektiven
für Jugendliche die offizielle These „gute
Bildung erhöht die Chancen“ immer mehr
als Märchen entlarvt. Wenn – wie in der
Rütli-Schule – sich die soziale Frustration
der SchülerInnen (und nicht nur bei
ImmigrantInnen-Kindern) Bahn bricht,
dann fällt den „Bildungs-Experten“
oft nichts Besseres ein, als rassistische
Vorurteile zu schüren.
Entgegen den Hoffnungen der 68er-
Generation ist Schule kein Ort der
Selbstverwirklichung und für frohes
Lernen geworden. Im Gegenteil: In der
Zwickmühle von leeren kommunalen
Kassen und den immer dreister
vorgebrachten Interessen des Kapitals
wird der eigentliche Charakter von
Schule und Bildung im Kapitalismus
immer deutlicher: Ausbildung von
Lohnabhängigen einerseits und
Eliten andererseits, Vermittlung von
systemkonformen Lerninhalten und
Disziplinierung; zudem wird Bildung
immer mehr privatisiert (Privatschulen,
Eliteunis) und damit direkt zur Quelle
von Profit.
Die immer offensichtlichere Krise des
Kapitalismus ist letztlich auch die Ursache
dafür, dass die Situation im Bildungswesen
immer schlechter wird. Schlechter meint
hier nicht nur Bildungsabbau, sondern
v.a. die neoliberale Umstrukturierung
von Bildung, ihre noch direktere
Unterordnung unter die kurzfristigen
Verwertungsinteressen des Kapitals.
Angesichts der zunehmenden Probleme
im Bildungswesen erweisen sich
auch alle Formen von Demokratie
und Mitbestimmung von Lehrenden,
Lernenden und Eltern als Farce. Noch
nicht einmal die Wahl eines Schulleiters
ist möglich, von anderen, wesentlicheren
Fragen wie Lehrplan, Schulorganisation
usw. ganz abgesehen.
Deshalb muss es ein wesentliches Ziel des
Schulstreiks sein, dass die Kontrolle über
Schule und Bildung, die in den Händen
der Bildungs-Bürokratie, des Staates und
des hinter ihm stehenden Kapitals liegt,
attackiert wird.
Bundesweite Umfragen haben ergeben,
dass Leistungsdruck und Versagensängste
von SchülerInnen wie Eltern als
Hauptproblem von Schule angesehen
werden.
Gegen die unbefriedigenden Zustände
an Schulen gab es deshalb in den letzten
Jahren in Berlin zwei Schulstreiks
mit mehreren tausend SchülerInnen
– trotz Repression und Strafen gegen
sie! Welches Potential für Protest und
Widerstand darüber hinaus in der
angeblich so unpolitischen Jugend
„schlummert,“ wurde 2003 deutlich, als
ca. 50.000 (in Worten: fünfzigtausend)
SchülerInnen am Alexanderplatz gegen
Bushs Irak-Krieg demonstrierten.
Jetzt geht’s wieder los!
Seit mehreren Wochen laufen nun die
Vorbereitungen für einen erneuten
Berliner Schulstreik im Mai. Der Stand der
Vorbereitungen ist sehr unterschiedlich.
Während es an einigen Schulen bereits
Aktionskomitees gibt, tut sich an anderen
noch gar nichts, ein berlinweites Bündnis
ist aber inzwischen entstanden.
Die kommunistische Jugendorganisation
REVOLUTION ist aktiv dabei, den
Schulstreik zu organisieren. So gelang
es ihren Mitgliedern, an einigen Schulen
solche Komitees zu organisieren. Für
eine breite Mobilisierung sind diese
schulischen Komitees von entscheidender
Bedeutung. Schon die letzten Schulstreiks
haben gezeigt, dass nur eine feste Struktur
an der Schule Aktionen vorbereiten kann,
politische Fragen diskutieren und neue
MitstreiterInnen und Bündnispartner
(Schülersprecher, Elternvertreter, Lehrer
des Vertrauens, Gewerkschaften,
Studierende, linke Gruppen) gewinnen
kann.
Aus VertreterInnen dieser schulischen
Komitees und unterstützenden Organisationen
muss ein stadtweites Bündnishule
gebildet werden, welches die Ziele und
Forderungen formuliert, Plakate, Flyer
usw. herstellt, einen Mobilisierungsplan
erarbeitet und den Streiktag selbst
festlegt.
Hierbei zeigt sich aber auch schon ein
zentrales Problem. Es gibt bisher kaum
Strukturen an den Schulen, auf die sich
eine Mobilisierung stützen kann. Nach
jedem Streik in den letzten Jahren fiel
die Bewegung fast wieder auf Null
zurück. Woran liegt das? Zum einen
daran, dass linke Organisationen und die
Gewerkschaften meist nichts dafür tun,
solche Strukturen aufzubauen. Auch die
stärker im Jugendbereich verankerten
diversen Antifa-Gruppen kümmern
sich meist fast nur um „ihre Probleme“
Antifaschismus/Antirassismus. So wichtig
das ist, so ungenügend ist es aber auch.
Letztlich ist es unmöglich, eine starke
linke, antifaschistische Kraft aufzubauen,
wenn nicht permanent und ernsthaft
versucht wird, Probleme zu beackern, die
alle Jugendlichen direkt betreffen – also
Schule, Bildung, Ausbildung – und nicht
nur „linke“ Jugendliche.
Wenn es in den nächsten Jahren gelingen
soll, eine Bewegung aufzubauen, die nicht
nur ab und zu protestiert, sondern die in
der Lage ist, wirklich Veränderungen im
Bildungsbereich zu erzwingen, so spielen
dabei zwei Faktoren eine entscheidende
Rolle.
Erstens muss eine starke revolutionäre
Jugendorganisation aufgebaut werden, in
der die bewusstesten und engagiertesten
Jugendlichen organisiert sind. Nur so kann
erreicht werden, dass in alle Sektoren
von Protest und Widerstand eingegriffen
werden kann und handlungsfähige Kerne
existieren, die eine breitere Bewegung
initiieren und aufbauen können. Nur eine
politische Jugendorganisation ist bereit
und in der Lage, über das Auf und Ab des
Klassenkampfes hinaus kontinuierlich
politisch zu handeln, die Lehren aus
vergangenen Kämpfen zu ziehen und
kommende vorzubereiten. Das Fehlen
einer solchen starken Jugendorganisation
ist ein wesentlicher Grund dafür, dass auch
ein Schulstreik immer wieder fast bei Null
beginnt.
Die zweite entscheidende Frage ist die
der Zusammenarbeit von SchülerInnen,
Jugendlichen und ihrer Bewegung mit der
Arbeiterbewegung. Es ist klar, dass selbst
eine größere und stärkere Bewegung an
den Schulen (grundsätzlich betrifft das
auch die Unis) nur wirklich erfolgreich
sein kann, wenn sie sich mit den Kämpfen
der Arbeiterklasse verbindet, denn nur die
Arbeiterklasse hat das soziale Gewicht
und kann genügend ökonomischen Druck
erzeugen, um Regierung und Kapital zu
Zugeständnissen zu zwingen und deren
Angriffe zu stoppen. Dafür gibt es im
Moment gute Möglichkeiten. Die Streiks
von ver.di, im Einzelhandel oder bei der
Berliner BVG sollten auch von Jugendlichen
unterstützt werden! Zugleich müssen die
Gewerkschaften – v.a. ver.di und die GEW
-, aber auch die LINKE aufgefordert
werden, den Kampf der SchülerInnen zu
unterstützen!
So notwendig der Kampf gegen diese
Bildungspolitik auch ist – letztlich
sind alle dabei erreichten Erfolge nur
Teilergebnisse, nur Momentaufnahmen
im Klassenkampf. Eine grundsätzliche
Verbesserung von „Bildung“ ist innerhalb
des Kapitalismus nicht möglich – allein
schon deshalb, weil Bildung immer in
die allgemeinen ökonomischen und
Gesellschaftsstrukturen eingebettet
ist. Bildung, die von den Bedingungen
und Zwecken des Kapitalismus und der
Herrschaft der Bourgeoisie unabhängig
oder ihnen gar entgegengesetzt ist, ist in
dieser Gesellschaft unmöglich. Wer eine
grundsätzlich andere Bildung will, muss
auch ein grundsätzlich andere Gesellschaft
wollen.
Das Berliner Schulstreikbündnis www.
schulaction.de hat am 22.Mai in Berlin
zum Schulstreik aufgerufen. Ab 10
Uhr am Potsdamer Platz wird sich die
SchülerInnendemo ihren Weg durch Berlin
bahnen mit Abschlußkundgebung und
Konzert. In vielen deutschen Städten gibt
es Schulbündnisse von unzufriedenen
und aktiven SchülerInnen. Wir von
REVOLUTION wollen dabei helfen die
bundesweiten Bündnisse zu koordinieren
um überall in Deutschland Schulstreiks
gegen die kapitalistische, neoliberale
Bildungspolitik auf die Straße zu bringen.