Die Tarifrunde im öffentlichen Dienst ist vorbei – und wird von Gewerkschaftsspitzen, als auch von Bund und Kommunen als Erfolg gewertet. Warum mehr hätte drin sein müssen und wieso es nichtr zum Streik kam, erklärt Martin Suchanek. Der Artikel wurde aus der „Neuen Internationale“, Monatszeitung der Gruppe Arbeitermacht, übernommen.
Hunde, die bellen, beißen nicht – diesem Motto sind offenkundig die Spitzen der Gewerkschaften bei der Tarifrunde im Öffentlichen Dienst gefolgt.
Am Freitag, dem 29. März, verkündeten Innenminister Friedrich (CSU), Verhandlungsführer des Bundes, und ver.di-Vorsitzender Bsirske, dass eine Einigung erfolgt sei. Dem beugten sich auch der Tarifkommissionen der Gewerkschaften – auch wenn es bei ver.di dazu zweier Abstimmungen bedurfte. Alles andere als eine Zustimmug was angesichts der bürokratisch kontrollierten Auswahl dieses Gremiums allerdings ein Wunder gewesen.
Der Abschluss …
Die Gewerkschaften und die „Arbeitgeber“ einigten sich auf:
• eine Lohnerhöhung von 6,3%, die in drei Stufen über einen Zeitraum von 24 Monaten erfolgen soll. Die erste Erhöhung von 3,5% wird rückwirkend ab 1. März 2012 wirksam. Weitere folgen im Januar und August 2013.
• für die Auszubildenden gibt es im ersten Jahr 50 Euro und 2013 40 Euro mehr und eine Übernahmegarantie für ein Jahr. Sofern er/sie in dieser Zeit keine Abmahnung erhält, wird der Arbeitsvertrag automatisch in einen unbefristeten umgewandelt.
… und was er bedeutet
Wie immer bei Tarifkompromissen stellen beide Seiten das Ergebnis als Erfolg hin. Bund und Kommunen gingen lt. Finanzminister Schäuble wieder einmal „an die Grenzen der Belastbarkeit für die Haushalte von Bund und Kommunen“. Diese siedelte er anscheinend bei 6,3 Milliarden Euro – so viel sollen die zusätzlichen Kosten für die Gehälter betragen – an. Peanuts also verglichen mit den Milliarden, die für die Banken oder Konjunkturprogramme für „unsere“ Wirtschaft während der Krise verbraten wurden.
Doch wer hat auch behauptet, dass die Einkommen von Beschäftigten im Kapitalismus „systemrelevant“ seien?!
Von einem guten Kompromiss spricht natürlich auch Bsirske. Bitter nur, dass die „soziale Komponente“, die Forderung nach einer Mindesterhöhung von 200 Euro, die eine wirklich spürbare Verbesserung für die unteren Lohngruppen gebracht hätte, am Verhandlungstisch unter den Teppich gekehrt wurde.
Die Übernahmeregelung ist sicher ein Teilerfolg. Freilich gibt sie keine Antwort für all jene Jugendlichen, die keinen betrieblichen Ausbildungsplatz haben und daher auch nicht direkt übernommen werden können.
Doch all das ändert – jedenfalls für die Gewerkschaftsbosse – nichts an der frohen Botschaft. Eine solche Lohnerhöhung könne sich sehen lassen, auch wenn der größere Teil davon durch die aktuelle Inflationsrate aufgefressen wird. Da diese die Steigerung der Preise für die grundlegende Konsumgüter der Lohnabhängigen (u.a. Strom, Heizung, Benzin) nicht wirklich widerspiegelt, bleibt von einer realen Einkommensverbesserung nur wenig übrig.
Oder wie es Schäuble zynisch ausdrückt: Die Binnennachfrage werde nicht dramatisch verbessert. Und das, obwohl sogar die Gewerkschaftsbosse und Wirtschafts“experten“ eine deutliche Einkommensverbesserung nicht nur als längst überfällig und tw. als Entschädigung für die Lohnverluste des letzten Jahrzehnts begründeten, sondern auch noch als „Konjunkturprogramm“ für die deutsche Wirtschaft hinstellen wollten.
Wer glaubt, mit solchen Milchmädchenrechnungen dem Staat des Kapitals seine Klasseninteressen abschwatzen zu können, braucht sich nicht zu wundern, wenn er dafür Hohn und Spott erntet.
Interessen der „Öffentlichen Arbeitgeber“
Vom Standpunkt der „Öffentlichen Arbeitgeber“ kann sich der Kompromiss durchaus sehen lassen. Sicherlich wollten sie lieber noch weniger zahlen. Sie wollten auch den Gewerkschaften im Öffentlichen Dienst einen politischen Schlag versetzen. Das ist nicht gelungen.
Aber sie waren in einer ungünstigen Situation.
Die Bundesregierung ist durch die FDP-Krise und deren asozialen Rundumschlag geschwächt. Milliarden für das Finanzkapital, die Verwässerung auch der bescheidensten Besteuerung der Spekulanten, wie jüngst bei der ohnedies schon läppisch geringen Vorschläge einer Transaktionssteuer in der EU, offenbart einen klaren Klassenstandpunkt trotz allem sozialen Getues.
Hinzu kommt die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen. Ein Streik im Öffentlichen Dienst wäre automatisch ein Politikum gewesen, das v.a. die Bundesregierung fürchtete. Nicht weniger schlimm wäre ein Arbeitskampf bei den Bundestagswahlen 2013.
Anders als in der Privatwirtschaft – und anders als bei den kurzsichtigen „Strategen“ der Gewerkschaften, die Politik immer aus der „reinen“ Tarifrunde raus halten wollen – wäre das eine politische Auseinandersetzung.
Die zweijährige Laufzeit hat bei den Beschäftigten von Bund und Kommunen dafür gesorgt, dass für 24 Monate Ruhe und Frieden im Betrieb herrschen.
Diese Faktoren waren den „Öffentlichen Arbeitgebern“ aller partei-politischen Couleur die 6,3% wert. Auch wenn es leichte Reallohnerhöhung gibt, auch wenn sie den Gewerkschaften keine Niederlage beifügen konnten, so können sie mit dem Kompromiss durchaus zufrieden sein.
Es war mehr drin!
Doch warum haben sich die Spitzen von ver.di und den anderen Gewerkschaften darauf eingelassen?
Nicht nur die Regierung befand sich in einer schwierigen Lage. Auch die Warnstreiks waren sehr erfolgreich. Am 26. April waren 20.000 im Streik in Baden-Württemberg, 12.500 auf der zentralen Kundgebung in Stuttgart. Zuvor Tausende in Hannover, Potsdam u.a. Städten. Von Begeisterung zu reden wäre übertrieben, aber es gab eine solide Kampfbereitschaft.
Natürlich wäre ein Streik kein Selbstläufer gewesen. Die traditionellen schweren Bataillone im Öffentlichen Dienst (Müllabfuhr, Öffentlicher Nahverkehr, Wasserwerke, Elektrizität) sind in den letzten Jahren durch die neoliberale Politik oft verkauft und ausgedünnt worden, tw. mit der „partnerschaftlichen“ Mitwirkung der Gewerkschaften, fast immer ohne nennenswerten Widerstand.
Aber das ändert nichts daran, dass sie noch immer Hunderttausende in Bewegung setzen kann. In den letzten Jahren sind außerdem andere Beschäftigtengruppen im Öffentlichen Dienst, v.a. die ErzieherInnen, stärker in Aktion getreten. Ihr Erfolg beruhte oft darauf, dass sie in den letzten Jahren begannen, ihre Arbeitskämpfe unter Einbeziehung ihrer „KlientInnen“, also von Eltern, Kindern, Betreuungspersonen zu führen. Damit konnte nicht nur der unvermeidlichen Spaltungspropaganda von Medien und Politik, dass der Streik doch vor allem der Bevölkerung schade, entgegentreten werden. Die „Betroffenen“ wurde vielmehr als aktive UnterstützerInnen des Kampfes einbezogen.
Ein flächendeckender, unbefristeter Streik im Öffentlichen Dienst hätte nicht nur einen deutlich höheren Lohnzuwachs bringen können. Er hätte, gerade wenn die Festgeldforderungen für die unteren Lohngruppen ernsthaft verfolgt worden wäre, auch ein starkes Signal für eine über den Öffentlichen Dienst hinausgehende Kampagne für einen gesetzlichen Mindestlohn sein können.
Um erfolgreich zu sein, hätte ein solcher Streik von unten getragen werden müssen. Er hätte damit aber auch die Möglichkeit geboten, nicht nur die Gewinnung von Mitgliedern, sondern auch den Wiederaufbau gewerkschaftlicher und betrieblicher Basis- und Kampfstrukturen voran zu bringen.
Das Beispiel der ErzieherInnen hätte Schule machen können, indem UnterstützerInnenkomitees für den Arbeitskampf aufgebaut werden. Diese hätten die Tarifforderungen mit weitergehenden Forderungen nach Arbeitszeitverkürzung, kostenlosem Nahverkehr und einem Erziehungssystem unter Kontrolle der Beschäftigten und lohnabhängigen NutzerInnen verbinden können.
Doch all das hätte eine andere Strategie, eine andere Tarifrunde erfordert, als es der Gewerkschaftsbürokratie bis in die Personal- und Betriebsräte vorschwebte. Es hätte bedeutet, dass der Streik von unten, von den Kämpfenden kontrolliert werden musste, dass tägliche Streikversammlungen alle wesentlichen Entscheidungen treffen, die Streikleitungen und Tarifkommissionen wählen.
Keine “normale” Tarifrunde
Es hätte v.a. bedeutet, dass die Tarifrunde nicht als „normaler“, rein gewerkschaftlicher Kampf hätte geführt werden müssen, sondern als politische, gesellschaftliche Auseinandersetzung.
Das wäre – ob nun von der Spitze gewollt oder nicht – sofort deutlich geworden an der Frage der Finanzierung von Einkommenserhöhungen. Soll diese durch weitere Schulden, Massensteuern, „Umstrukturierung“ oder durch die Besteuerung der Profite und Vermögen gesichert werden?
Zweitens kommt der politische Charakter einer solchen Auseinandersetzung sofort auf die Tagesordnung angesichts der Frage des Streikrechts. Wie schon bei anderen Streiks der letzten Jahre wären bei wirksamen Arbeitsniederlegungen in strategischen Bereichen, nehmen wir nur den Warnstreik an den Flughäfen, rasch die Gerichte eingeschaltet worden. Hier wäre die Frage gestanden, den Kampf durch Solidaritätskämpfe auszuweiten, andere DGB-Gewerkschaften einzubeziehen oder vor den Gesetzen der Kapitalisten zu kapitulieren.
Ein längerer Streik hätte außerdem viele enger mit dem Kampf in der Metall- und Elektroindustrie u.a. laufenden Tarifrunden verbunden werden können und müssen, wie auch mit den Aktionen der Anti-Krisenbündnisse im Mai.
Schließlich hätte ein Massenstreik im Öffentlichen Dienst auch die mehr oder weniger offene Vorbereitung einer Großen Koalition erschwert.
Denn so, wie die Gabriels, Steinmeiers und Steinbrücks auf Bundesebene dem Bündnis mit der CDU durchaus offen gegenüber stehen (und auch im Fall von Rot/Grün eng zusammenarbeiten wollen), so suchen die sozialdemokratischen Gewerkschaftsbürokraten die Sozialpartnerschaft, ihr politisches Lebenselixier.
Streik war nicht gewollt.
Gut mobilisierte Warnstreiks dienen in ihrem Kalkül v.a. dazu, den „Partner“ an die Vorzüge der Partnerschaft für das Kapital zu erinnern. Eine aktive Streikbewegung wollen sie nicht. Diese könnte ja auch zu erfolgreich werden, sprich eigene, selbstbestimmte Strukturen schaffen, das Selbstbewusstsein der KollegInnen über die Maßen stärken und so die Kontrolle der ganzen Bürokratenmeute in Frage stellen.
Die rückwärtsgewandte, bremsende und die Kampfkraft unterminierende Rolle dieser Schicht von Gewerkschaftsbeamten zeigt sich, wie die Tarifrunde 2012 offenbart, nicht nur, wenn eine bittere Niederlage eingefahren wird, sondern ebenso beim faulen Kompromiss und Ausverkauf.
Daraus kann es nur eine Lehre geben: Keine Vertrauen in die Gewerkschaftsführung, kein Vertrauen in die Bürokratie! Aufbau einer klassenkämpferischen Basisbewegung, um die Gewerkschaften der Kontrolle dieser Kaste zu entreißen!