Elend oder Erfolg? – Antirassistischer Widerstand in Deutschland

VON JAQUELINE KATHERINE SINGH


Vor zwei Jahren, in den Anfängen der rassistischen Bewegung, sind mehrere tausende Menschen auf die Straße gegangen, um den diversen Gida-Protesten die Stirn zu bieten. Mensch war auch schockiert, als man die katastrophalen Bilder von der Situation an der griechischen Küste sah. Oder war entsetzt und trauerte um die Toten, wenn wieder ein Schlauchboot unterging. Und nun? Nun sieht es bitter aus.


Die AfD ist bei den Landtagswahlen die klare Gewinnerin. Nach Heidenau und Freital jagt man nun auch in Bautzen Geflüchtete. Die Gegenmobilisierungen sind im Schnitt kleiner geworden, größere antirassistische Aktionen kratzen nicht mal an 10 000 Teilnehmer_Innen und bei den Wahlen haben SPD und DIE LINKE fast überall Stimmen verloren. Das sind Tatsachen, die den Ernst der Lage verdeutlichen sollten. Doch mittlerweile scheinen die Übergriffe auf Geflüchtete und ihre Heime, die Toten im Mittelmeer und an den Außengrenzen zum Alltag zu gehören – genauso wie die Kolleg_Innen oder Mitschüler_Innen, die die AfD gut finden. Schließlich bringe die Partei es mal auf den Punkt und spreche die Auswirkungen der Krise an.


Seit 2014 steigt die Anzahl von Anschlägen auf Geflüchtete und ihre Unterkünfte drastisch. Auch die Zahl von rechten Aufmärschen, ob nun durch besorgte Bürger_Innen, die AfD oder Nazis, ist gestiegen. Als Reaktion von links bildeten sich anfangs lokale kleinere Bündnisse, die den Gidas die Stirn boten. Als die Geflüchteten kamen, gründeten sich auch viele Supporter_Innenstrukturen. Doch ihre lokale Isolation erschwerte eine dauerhafte Arbeit. Es folgten zahlreiche Antifa-Vollversammlungen, Krisenmeetings und letzten Endes bildeten sich nach zwei Jahren bundesweit verschiedene Bündnisse: „Jugend gegen Rassismus“, „Aufstehen gegen Rassismus“, „Nationalismus ist keine Alternative“, „Welcome2Stay“ und „Fluchtursachen bekämpfen“.


Sicherlich, die Bündnisse sind von unterschiedlichen Spektren geprägt. Während die einen Jugendliche mobilisieren wollen, versuchen die anderen, Supporter_Innenstrukturen zu integrieren oder als tolles Mitmach-Bündnis zu fungieren. Eines haben sie aber alle gemeinsam: Bisher haben sie es nicht geschafft, eine größere gesellschaftliche Relevanz zu erreichen!


Antirassistischen Widerstand aufbauen – aber wie?


In der aktuellen Situation befinden wir uns in einer Defensive, die wir durchbrechen müssen. Dazu brauchen wir keine vereinzelten Kleinstaktionen mit wenigen Tausenden, sondern Massenmobilisierungen, die eigene Forderungen aufstellen und sich nicht nur gegen die AfD und Nazis wehren. Es bedarf einer offenen Koordination der bestehenden Bündnisse. Zudem müssen Kämpfe verbunden werden. Der Kampf gegen das Integrationsgesetz betrifft Geflüchtete und Supporter_Innen. Dieser muss durch die arbeitende Bevölkerung und Jugendliche unterstützt werden, sonst kann er nicht erfolgreich enden. Anstatt also die Aktionen gegen Rassismus von Geflüchteten, Jugendlichen, Lohnabhängigen etc. zu trennen, müssen wir uns koordinieren und gemeinsam auf die Straße gehen.


Bis zur Bundestagswahl ist aber noch Zeit?


In dem Artikel „Wie weiter im Kampf gegen Rassismus und die AfD?“, der zudem eine Auswertung der Aktion von „Aufstehen gegen Rassismus“ am 3.9. beinhaltete, schreibt marx21: „Mit etwa 6.000 Menschen nahmen weniger an der Demonstration teil, als ursprünglich erhofft. Vor allem zu wenige, um tatsächlich die Stimmung in der Stadt – zwei Wochen vor den Wahlen – zu beeinflussen.“


Schuld daran sind für sie zwei Faktoren: Einmal die Tatsache, dass die fast sichere Bildung einer rot-rot-grünen neuen Landesregierung Berlin selber wenig aufgerüttelt hätte. Zum anderen der Fakt, dass „die größeren Organisationen verhalten mobilisiert haben“. Was diese konkret für erfolgreiche Mobilisierungen tun müssten, findet man in dem Artikel allerdings nicht. Betriebsversammlungen, die Antirassismus vor Ort auf die Tagesordnung setzen, ein Kampf in den Gewerkschaften, Geflüchtete aufzunehmen, klare antirassistische Positionierungen seitens der Linkspartei in Verbindung mit der sozialen Frage? Fehlanzeige. Darauf geht der Text erst gar nicht ein.
Basismobilisierung heißt nicht, dass „freie“ Individuen sich dazu entscheiden, sich antirassistisch zu betätigen. Viel eher muss die Basis der sich beteiligenden Bündnisorganisationen an den Orten, an denen sie sich tagtäglich vor Ort aufhält, antirassistische Fragen aufwerfen und zu den Aktionen mobilisieren.


Zu anderen Bündnissen verhalten sie sich zudem auch nicht. Sehr leicht kann man vergessen, dass die Aktion von „Jugend gegen Rassismus“ am 27. April mit 8.000 Jugendlichen, die auf die Straße gegangen sind, größer war als die von „Aufstehen gegen Rassismus“, ohne dass größere Jugendorganisationen wie die SDAJ, linksjugend [’solid] oder der SDS flächendeckend daran beteiligt waren oder dazu aufgerufen haben. Auch die Aktion von „Fluchtursachen bekämpfen“ am 29. Oktober in Nürnberg gegen das bayerische Integrationsgesetz findet wenig Beachtung.


Aber nicht nur seitens marx21 herrscht in der sich zuspitzenden Situation eine abwartende Haltung. Auch die Interventionistische Linke, die übrigens in „Welcome2Stay“ und „Aufstehen gegen Rassismus“, also in zweien der fünf Bündnisse agiert, scheint entweder kein Interesse oder kein Konzept zu haben, wie man in der aktuellen Situation sich gegen den zunehmenden Rassismus wehrt.


Was heißt das konkret?


Wenn wir effektiv antirassistischen Widerstand aufbauen wollen, dann dürfen wir uns nicht spalten lassen. Weder vom zunehmenden Rassismus noch vom Sektierertum der Linken oder der fadenscheinigen Überzeugung, dass Geflüchtete, Jugendliche, Parteien und Autonome jeweils ihr eigenes kleines Bündnis brauchen.
Wir brauchen zwischen den Bündnissen und den größeren Organisationen der Arbeiter_Innenklasse eine Koordinierung ihrer geplanten Aktionen, also eine gemeinsame Strategiekonferenz Anfang des Jahres. Dort sollte sich auf gemeinsame Forderungen verständigt werden, die sich gegen die Angriffe auf Geflüchtete seitens der Bundesregierung stellen sowie gegen die Auswirkungen der Sparpolitik der letzten Jahrzehnte richten.


Ein weiterer Hauptpunkt müssen verbindliche Abmachungen sein, bei denen die unterschiedlichen Bündnisse eigenständig zur gleichen Aktion mobilisieren.
Tun wir das nicht und bleiben alleine bei der Aussage, dass Bündnis XZY ja das vielversprechendste sei und dass man sich diesem einfach nur anschließen muss, oder hoffen darauf, dass im Zuge des Wahlkampfes zur Bundestagswahl entweder SPD oder Linkspartei sich darauf besinnen, dass Rassismus ja eigentlich eine ganz dumme Sache ist und „automatisch nach links gehen“, werden die Folgen des Elends des antirassistischen Widerstands in Deutschland zu Tage treten.


Für eine bundesweite Aktionsplattform schlagen wir folgende Forderungen vor:


  • AfD, Pegida, rassistischen und faschistischen Mobilisierungen entgegentreten! Organisierte Selbstverteidigung und Solidarität gegen rassistische Angriffe!
  • Gegen alle Abschiebungen, Rücknahme aller Verschärfungen der Asylgesetze! Nein zum sog. „Integrationsgesetz“, keine rassistischen Sondergesetze wie „Burkaverbot“ oder Einschränkung des Nachzugs von Verwandten! Bereitstellung von sicherer Unterbringung (z. B. in Frauenhäusern) von Frauen und sexuell Unterdrückten! Für offene Grenzen und gleiche Staatsbürger_Innenrechte für alle Geflüchteten und Migrant_Innen! Weg mit der Festung Europa!
  • Recht auf Arbeit für Geflüchtete! Mindestlohn von 12,50 Euro/Stunde für alle statt 80-Cent-Zwangsjobs! Öffentliches Wohnungsbauprogramm, Beschlagnahme von leerstehenden Wohnungen und entschädigungslose Enteignung von Immobilienspekulanten, um Wohnraum für alle zu schaffen! Gewerkschaftliche Organisierung der Geflüchteten!


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