Unsere Klassenfahrt – unsere Regeln!

von Erik Likedeeler, Juli 2024

Klassenfahrt: Für manche weckt dieses Wort Erinnerungen an die aufregendsten Tage ihrer Schulzeit. Für andere beginnt mit der Busreise ins Schullandheim ein Albtraum, von dem sie sich Jahre später noch nicht erholt haben. Wieder andere dürfen gar nicht erst mitfahren. Wie kann das sein, und was muss passieren, damit solche Reisen für uns alle als erfreuliches Ereignis in Erinnerung bleiben?

Klassenfahrt darf kein Luxus sein!

Wie üblich fängt das Problem beim Geld an: Ein Städtetrip mit Hotel und anspruchsvollem Kulturprogramm wird schnell kostspielig. Wenn Rücksicht auf Schüler:innen aus ärmeren Familien genommen wird, läuft es auf Schullandheim und Wandern hinaus. Eine finanzielle Belastung entsteht aber selbst in der heruntergekommenen Unterkunft mit der ekligen Mensa.

Die Finanzierungsmöglichkeiten sind dürftig: Schulvereine, Wohlfahrtsverbände und die Sozialfonds einiger Bundesländer machen hin und wieder etwas Kohle locker. Für Menschen, die Bürger:innengeld beziehen, gibt es Unterstützungsanträge. Aber all diese Optionen sind unsicher und es gibt viele Voraussetzungen, die zu erfüllen sind, um an Ermäßigungen zu kommen.

Die grundlegende soziale Ungleichheit, die das kapitalistische System verursacht, lässt sich sowieso nicht wegbeantragen. Auch während der Klassenfahrt kristallisieren sich Geldprobleme heraus, mehr als im gewöhnlichen Schulalltag. Während einige Schüler:innen sich noch nicht einmal einen Koffer leisten können, gehen andere vor Ort im Restaurant essen und decken sich bei Shopping-Touren mit neuen Klamotten ein. Dass die Bezuschussung das Problem nicht löst, merken wir daran, dass manche Mitschüler:innen dennoch zuhause bleiben müssen.

Statt entwürdigende Bettel-Anträge mit mäßiger Erfolgsaussicht brauchen wir eine unbürokratische, vollumfassende staatliche Kostenübernahme von Klassenfahrten – finanziert aus den Taschen der Reichen und unter Kontrolle der Arbeiter:innen! Dazu gehören müssen natürlich auch eine genießbare Vollverpflegung vor Ort, sowie Geld für Reiseutensilien und ein Taschengeld.

Kein Schulstress unterwegs!

Mitbestimmung über das Reiseziel und die Aktivitäten auf der Klassenfahrt bekommen Schüler:innen selten. Laut Gesetz müssen alle Aktivitäten der Klassenfahrt irgendwie mit dem Unterricht zusammenhängen. Hier zeigt sich der Bildungs-Chauvinismus des Schulsystems, denn natürlich ist es kein Zufall, welcher Ausflug als „sehenswürdige Hochkultur“ gilt und welcher als „nutzloser Touri-Scheiß“.

Der Leistungsdruck des Schulalltags wird bei Klassenfahrten nicht zurückgestellt, sondern sogar ausgeweitet. In Form von benoteten Referaten und Sportprüfungen wird uns allen die Woche gründlich vermiest. In einer sozial überfordernden Umgebung sollen wir dann auch noch 24/7 auf unsere Note achten.

Die Lehrer:innen betonen dabei gern, dass eine Klassenfahrt anstrengend sein darf, weil sie eben kein Urlaub ist. Aber für einige von uns ist die Klassenfahrt die einzige Reise, die wir uns leisten können, da sollte etwas Urlaub schon drin sein!

Außerdem sind schlecht geplante Sportaktivitäten nicht nur anstrengend, sondern auch gefährlich. Bei meiner Klassenfahrt in ein Skigebiet lagen am Ende 4 Mitschüler:innen mit gebrochenen Knochen in einem Krankenhaus im Ausland. Die meisten von uns hatten nicht einmal Lust auf Skifahren gehabt.

Deshalb müssen Schüler:innen in Zukunft Mitspracherecht bei der Planung der Klassenfahrt haben. Über unsere Reise wollen wir gemeinsam mit unseren Lehrer:innen entscheiden, anstatt uns von der Schulleitung oder der Schulbehörde bevormunden zu lassen! Die Kontrolle über die Lehrpläne und die Abschaffung der Schulnoten gehören zu den wichtigsten Stellschrauben für eine Klassenfahrt nach unseren Vorstellungen.

Keine Klassenfahrt ohne Inklusion!

Auf Klassenfahrten sind Schüler:innen ihren Mobber:innen mehrere Tage lang auf engstem Raum ausgeliefert, ohne Möglichkeit, zu entkommen. Angesichts dessen ist es verständlich, die Klassenfahrt nicht genießen zu können und Heimweh zu bekommen – doch das ist nur ein weiterer Anlass, um von Lehrer:innen und Schüler:innen belächelt zu werden.

Im eng getakteten Programm gibt es kaum Momente zum Ankommen, Durchatmen und Entspannen, und keine Möglichkeit, sich einzelnen Aktivitäten zu entziehen. Häufig wird sich bei Klassenfahrten an den Bedürfnissen der Schüler:innen mit der meisten Energie und der höchsten Belastbarkeit orientiert. Alle anderen müssen sich unterordnen und anpassen.

Neurodivergente und psychisch kranke Mitschüler:innen müssen die ganze Zeit über maskieren, denn Überreizung oder soziale Ängste dürfen im schulischen Kontext nicht existieren. Wenn die Situation unerträglich wird, bleibt ihnen keine andere Wahl, als ihre Diagnosen offenzulegen.

Körperlich behinderte Schüler:innen werden im Zuge von ableistischem Mobbing als Klotz am Bein abgestempelt, wenn Ausflugsziele aufgrund zahlreicher Barrieren abgeändert werden.

Bei der Planung von Klassenfahrten müssen Barrierefreiheit und Inklusion zu den wichtigsten Kriterien gehören – es ist Aufgabe des Lehrplans, das nötige Bewusstsein darüber zu vermitteln. Zusätzlich braucht es Schutzmaßnahmen wie Selbstverteidigungskurse und ein Caucusrecht, um sich gegen Unterdrückung zu organisieren.

Vertrauen statt Taschenkontrollen!

„Wenn du dich nicht benimmst, dann darfst du nicht mit auf Klassenfahrt“ ist eine gern gewählte Wichtigtuerei von Lehrkräften, um Jugendliche im Zaum zu halten – in den meisten Fällen übrigens eine leere Drohung.

Vor der Abreise nimmt die Überwachung an Fahrt auf: Lehrkräfte picken sich gern Schüler:innen heraus, deren Taschen und Koffer durchwühlt werden. Hier merken wir schnell, wer die Lieblingsschüler:innen sind und wer als „Problemkind“ identifiziert wurde.

Am Zielort angekommen geht die Entmündigung weiter, mit lächerlichen Bettruhezeiten, Handyverboten oder verpflichtendem Ausziehen am Nordseestrand. Diesen sinnlosen Regeln sollen wir uns nur unterordnen, damit wir von unangepassten Jugendlichen zu braven zukünftigen Arbeiter:innen diszipliniert werden.

Wenn Schüler:innen beim Konsum von Alkohol und Zigaretten erwischt werden, kommt es vor, dass sie direkt nach Hause geschickt werden. Das Rauchverbot auf Klassenfahrt steht einer Realität entgegen, in der viele Schüler:innen seit Jahren rauchen. Der Anstieg der jugendlichen Raucher:innen ist eine bittere Konsequenz aus Krise, Pandemie und Inflation. Die Jugendlichen werden garantiert nicht damit aufhören, nur weil sie gezwungen sind, es heimlich zu tun.

Den Alkoholkonsum aus Angst vor Strafe verheimlichen zu müssen, kann sogar noch schlimmere Folgen haben, wenn sich Schüler:innen in Notlagen dagegen entscheiden, nach Hilfe zu fragen. Wenn zusätzlich die Eltern informiert werden, bedeutet ein Geständnis nur doppelten Ärger.

Deshalb muss Schluss sein mit den entwürdigenden Taschenkontrollen! Wir brauchen eine zeitgemäße, ergebnisoffene Aufklärung zum Thema Drogen, sowie Straffreiheit für den Konsum auf Klassenfahrt! Über die gemeinsamen Regeln des Zusammenlebens soll nicht über unsere Köpfe hinweg entschieden werden, sondern mit uns zusammen.

Sicherheit statt Geschlechtertrennung!

Häufig wird die engmaschige Kontrolle mit „Horrorstorys“ darüber gerechtfertigt, dass Schüler:innen auf Klassenfahrten schwanger werden würden. Natürlich könnte man mit Gelassenheit und neutraler Aufklärung reagieren, wenn Jugendliche sich dafür entscheiden, Sex zu haben.

Stattdessen wird die Vorstellung von unkontrolliert vögelnden Teenagern als Legitimation genutzt, um die Zimmeraufteilung nach Geschlechtern zu rechtfertigen. Eine rechtliche Grundlage gibt es dafür nicht.

Diese billige Scheinlösung ist für alle scheiße, die nicht mit ihren besten Freund:innen ein Zimmer teilen dürfen. Besonders leiden jedoch trans Personen darunter, denen ihr Geschlecht abgesprochen wird und die als Spanner:innen abgestempelt werden.

Das Misstrauen führt jedoch nicht dazu, dass sexualisierte Gewalt bei Klassenfahrten tatsächlich geahndet wird. Solche Vorkommnisse werden eher heruntergespielt und verheimlicht, um Skandale zu vermeiden und das Gesicht der Schule zu wahren. Als ein Schüler aus dem Jahrgang unter mir eine Kamera in der Dusche der Mädchen installierte, musste er als Konsequenz lediglich die Klasse wechseln.

Um sicher vor Übergriffen zu sein, brauchen wir keine Sexfeindlichkeit und moralische Panik, sondern zeitgemäßen Sexualkundeunterricht und kostenlose Verhütungsmittel. Zusätzlich zu einer unabhängigen, von uns kontrollierten Antidiskriminierungsstelle an der Schule brauchen wir auch auf Klassenfahrt unabhängige Ansprechpersonen, um Täter:innen gemeinsam zur Rechenschaft zu ziehen.

Offene Grenzen für unsere Klassenfahrt!

Bei der Auswahl der Reiseziele geht die Ignoranz weiter: Einige Schullandheime stammen noch aus den 1930er Jahren und wurden damals für die Hitlerjugend gebaut, ohne, dass die Schüler:innen heute darüber aufgeklärt werden. Andere Reiseziele lassen als „Kinder-In***ner-Dörfer“ unreflektiert kolonial-rassistische Mythen aufleben.

Manche Klassenfahrten haben sehr rechte Gegenden oder Länder mit queerfeindlichen Gesetzen zum Ziel, wie z.B. Ungarn. Dadurch werden manche Schüler:innen einer noch größeren Gefahr ausgesetzt als ohnehin schon. Erst letztes Jahr musste eine Schulklasse eine Klassenfahrt abbrechen, weil Schüler:innen rassistisch bedroht worden waren. Für solche Fälle braucht es umfassende Sicherheitskonzepte und psychologische Hilfsangebote.

Zusätzlich werden Klassenfahrten für alle Schüler:innen zum Problem, die keinen deutschen oder europäischen Pass haben. Zwar gibt es spezielle Verfahren, die es Schüler:innen ermöglichen, ohne Pass mitzufahren, dennoch ist das mit Risiken bei der Wiedereinreise verbunden. Dazu kommt die Gefahr von Racial Profiling an Grenzübergängen, also rassistischer Gewalt bei Polizeikontrollen. In Lehrer:innen-Foren wird teilweise empfohlen, geflüchtete Schüler:innen nicht mit ins EU-Ausland zu nehmen, z.B. nach Großbritannien.

Im aktuellen Bildungssystem wird solchen Problemen „vorgebeugt“, indem migrantische Schüler:innen in sogenannte „Willkommensklassen“ ausgesondert werden und gar nicht erst mit auf Klassenfahrt dürfen. Statt rassistischer Segregation und Abschiebung fordern wir gemeinsamen Unterricht, offene Grenzen und Staatsbürger:innenrechte für alle unsere Mitschüler:innen!

Religionsfreiheit erkämpfen!

Eine Klassenfahrt, auf der Gebete verboten werden oder keine Zeit dafür eingeplant wird. Ein Schullandheim, in dem ohne Alternativen Schweinefleisch serviert wird. Der obligatorische Besuch in der örtlichen Kirche. Besonders mies kann sich das auf Schüler:innen muslimischen oder jüdischen Glaubens auswirken.

Der Rechtsruck macht vor den Schüler:innen keinen Halt: Erst vor wenigen Wochen gelangte eine deutsche Schulklasse in die Schlagzeilen, nachdem sie bei einer Klassenfahrt zur Gedenkstätte Auschwitz Videos mit Hitlergrüßen veröffentlicht hatte. Nicht selten kommt es vor, dass auch Lehrkräfte im Namen von Zusammenhalt und Klassengemeinschaft über solche „Späße“ hinwegblicken. Wenn man das hört, ist es fast schon ironisch, wenn die Bundeswehr ihre Jugend-Camp mit einer Klassenfahrt vergleicht.

Was wir brauchen ist eine richtige Aufarbeitung des Faschismus und Kolonialismus im Unterricht: Das Erinnern darf nicht als Rückblick auf „abgeschlossene Zeiten“ betrachtet werden. Der Geschichtsunterricht muss uns auch die theoretische Grundlage für die organisierte Bekämpfung des aktuellen Rechtsrucks vermitteln. Dazu gehört auch der Kampf für Religionsfreiheit an unseren Schulen und auf unserer Klassenfahrt!

Hat dieser Artikel unangenehme Erinnerungen hervorgerufen und dich wütend gemacht? Willst du gemeinsam mit uns Wege finden, unsere Forderungen in die Tat umzusetzen? Möchtest du die Klassenfahrt nachholen, die du in der Schule nie haben durftest? Dann melde dich jetzt zu unserem Sommercamp an! Hier kommst du zur Anmeldung!

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