Check your privileges – aber reicht das aus?

Leonie Schmidt, Revolution Deutschland, Fight! Revolutionäre Frauenzeitung Nr. 9

„Check your privileges“/ „Check mal deine Privilegien“: ein Satz, den du bestimmt schon mal irgendwo gehört hast. Gerade im Zuge der BLM- und Antira-Proteste der letzten Jahre kam er vermehrt auf und fordert Menschen, die nicht oder weniger unterdrückt werden, dazu auf, sich ihrer Stellung in der Gesellschaft bewusst zu werden. Dafür gibt es extra Checklisten im Internet oder in Büchern. Zu den Unterdrückungsformen, die hier erforscht und verglichen werden, gehören bspw. Rassismus, Sexismus, Queerfeindlichkeit, Ableismus (bezeichnet die Beurteilung von Menschen anhand ihrer Fähigkeiten und ist behindertenfeindlich) und auch Klassismus (Abwertung aufgrund der Zugehörigkeit zu einer sozialen Klasse, insbesondere Vorurteilen gegenüber Armen, aber ungleich dem Klassenwiderspruch). Viele der Fragen auf den Checklisten beziehen sich auf strukturelle Probleme, die die Unterdrückten alltäglich erleben. Manche beziehen sich natürlich auch auf die Jobsuche und andere wichtige Bereiche wie zum Beispiel das Familienleben.

Erstmals entwickelt wurde der Begriff des „male privilege“ (männliches Privileg) von Feminist_Innen in den 1970er Jahren, wo besonders die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern im Vordergrund stand. Später wurde die Untersuchung aber auch intersektionaler, denn die Feministin Peggy McIntosh begann auch das „white privilege“ mit zu untersuchen. So beschrieb sie diese Privilegien als etwas, was bspw. Männer nicht direkt erkennen, da sie ihre gesellschaftliche Stellung als etwas Persönliches und Individuelles wahrnehmen. Aufgrund ihres eigenen Schicksals erkennen sie gar nicht, dass sie gewisse Privilegien gegenüber anderen Personen genießen oder aber aufgrund des bereits lange andauernden patriarchalen Systems daran gewöhnt sind, weswegen die Vorteile und Rechte als normal angesehen werden. Des Weiteren war ihr auch wichtig, dass nicht alle Männer aktiv und bewusst zur Unterdrückung beitragen, aber alle davon profitieren würden.

Das klingt ja eigentlich ganz plausibel, oder?

Sie mögen ein hilfreiches Werkzeug darstellen, um sich des Ausmaßes von Unterdrückung bewusst zu werden, jedoch zählen diese Checklisten lediglich Symptome auf und helfen uns nicht wirklich, die strukturellen Unterdrückungsmechanismen zu verstehen, und vor allem nicht, wie wir sie letztlich bekämpfen können, denn dazu gibt es keine klaren Aussagen in der „Privilege Theory“ (Privilegientheorie). Wenngleich gerade in Bezug auf „male privilege“ von einem patriarchalen System ausgegangen wird, so wird dieses doch nicht näher in einen Kontext gesetzt und schon gar nicht in den, dass es mit dem Kapitalismus und der Klassengesellschaft zusammenhängt.

Das ist nicht weiter verwunderlich, denn die „Privilege Theory“ wurde ähnlich wie die heute vorherrschenden Formen der Identitätspolitik im Rahmen des Postmarxismus groß und verbreitete sich, nachdem der Marxismus als gescheitert erklärt wurde. Dementsprechend ist sie auch nicht darauf ausgelegt, Unterdrückung im gesellschaftlich-strukturellen Sinne zu erläutern, sondern fokussiert sich stattdessen lieber auf die individuelle Person. Und wenngleich tatsächlich Personen, die kaum oder gar nicht unterdrückt werden, bevorzugt werden in unserer Gesellschaft, müssen wir uns doch fragen, wer am Ende WIRKLICH profitiert.

Und das ist in der Klassengesellschaft nun mal die herrschende Klasse, im Kapitalismus die Bourgeoisie. Einerseits profitieren sie von der Spaltung der Gesellschaft, insbesondere der Arbeiter_Innenklasse, welche durch Unterdrückungsmechanismen verstärkt wird und mit dafür sorgt, dass die Unterdrückten nicht ihre gemeinsame Unterdrückung durch die Ausbeutung der Arbeitskraft erkennen. Andererseits dient die Unterdrückung besonders von Frauen und Queerpersonen der weiteren Aufrechterhaltung des Idealbilds der bürgerlichen Familie. Diese ist im Kapitalismus unter anderem dafür da, dass die Ware Arbeitskraft (also die Arbeiter_Innen) so günstig wie möglich (re)produziert werden. Das mag abstrakt klingen, aber in diesen Bereich fallen vor allem Erziehung, Haus- und Carearbeit, welche im klassischen Rollenbild den Frauen aufgetragen werden. Das lohnt sich für die Kapitalist_Innen insofern, dass sie so wenig wie möglich dafür bezahlen müssen, also einen höheren Profit erwirtschaften können.

Es ist zwar dem Kapital an sich egal, welches Geschlecht die Hausarbeit letztendlich übernimmt. Aber im Kapitalismus wird das nach wie vor den Frauen aufgetragen, nachdem eine schon vorgefundene geschlechtsspezifische Arbeitsteilung fortgeschrieben wird. Faktisch kümmern sich auch heutzutage mehr Frauen um die Hausarbeit. So verrichten im EU-Durchschnitt 79 % der Frauen täglich Hausarbeit, aber nur 34 % der Männer. In vielen halbkolonialen Ländern fällt das noch deutlicher aus – allerdings im Gegensatz zum klassischen Bild der bürgerlichen Familie meist zusätzlich zu der klassischen Lohnarbeit, so entsteht eine doppelte Ausbeutung. Außerdem existiert weiterhin der Gender Pay Gap (geschlechtsspezifischer Lohnunterschied; Frauen verdienen im Durchschnitt 20 % weniger als Männer). Dadurch, dass Männer mehr Lohn erhalten, manifestiert sich auch ihre Macht und das passiert auch in der Arbeiter_Innenklasse. Dadurch helfen die Privilegien auch die Klassengesellschaft zu stützen, denn viele wollen sie nicht einfach aufgeben.

Bewusstsein und Kampf

Aber letztlich ist das nicht nur eine Frage des individuellen Bewusstseins. Was z. B. den Gender Pay Gap betrifft, so lässt sich das auf individueller Ebene auch nicht so leicht bewerkstelligen. Würde sich z. B. eine proletarische Familie dafür entscheiden, dass die Frau mit geringerem Stundenlohn Vollzeit arbeitet und der Mann mit höherem teilzeitbeschäftigt ist, so müssten sie und ihre Kinder unter den bestehenden Verhältnissen signifikante Einkommenseinbußen hinnehmen. Gerade für ärmere ArbeiterInnenfamilien ist das unmöglich, da sie ohnedies schon an der Untergrenze der Reproduktionskosten leben. Um diese Unterdrückung und doppelte Ausbeutung aufzuheben, brauchen wir also kollektive Lösungen, die erkämpft werden müssen wie gleiche Löhne für gleiche Arbeit und  die Vergesellschaftung der Hausarbeit, so dass sie aus dem privaten Rahmen geholt und gesellschaftlich organisiert wird. Solange die Hausarbeit noch nicht vergesellschaftet ist, treten wir auch für die gleichmäßige Verteilung der Hausarbeit auf alle Geschlechter im privaten Bereich ein.

Auch Rassismus ist hilfreich für die herrschende Klasse, denn so kann das imperialistische System weiter aufrechterhalten werden. Er liefert auch eine „Rechtfertigung“, warum bspw. migrantische Menschen in Jobs im Niedriglohnsektor arbeiten müssen. Um Rassismus, Sexismus usw. also gänzlich abzuschaffen, müssen wir ihnen die materielle Voraussetzung nehmen: nämlich die Klassengesellschaft. Erst im Sozialismus wird es möglich sein, effektiv diese Mechanismen abzuschaffen, allerdings sind sie keine „Nebenfrage“, sondern integraler Bestandteil des Klassenkampfes. Im Hier und Jetzt müssen diese Kämpfe miteinander verbunden werden.

Wenngleich Klassismus auch eingebaut ist in der „Privilege Theory“, so wird der Klassenkampf dadurch längst doch nicht zum Dreh- und Angelpunkt der sozialen und politischen Auseinandersetzungen. Die Ungleichheit der Klassen wird nur als ein gleichgeordnetes Unterdrückungsverhältnis angesehen. Des weiteren ist Klassismus in dieser Theorie auch nicht als letztlich nur revolutionär aufhebbarer Klassenwiderspruch verstanden worden, sondern bedeutet lediglich, dass (zumeist) die unteren Schichten mit negativen Vorurteilen und Nachteilen im Bildungssektor und auf dem Arbeitsmarkt zu kämpfen haben. Platt gesagt, soll man, nur weil man aus einer niedrigen Schicht kommt, nicht respektlos behandelt oder für unfähig erklärt werden, intellektuelle Kopfarbeit auszuführen. Das berücksichtigt allerdings keinesfalls die Klassenunterdrückung im Kapitalismus, in welcher die Bourgeoisie das Proletariat ausbeutet. Somit ist dieser Ansatz unzureichend und präsentiert als Lösung bloß, netter zu den unteren Schichten zu sein, weniger Vorurteile zu haben, aber nicht die Klassengesellschaft an sich abzuschaffen.

Ein weiteres Problem besteht darin, dass es, um effektiv seine Privilegien zu „checken“, schon einen gewissen Grad an Bewusstsein braucht, denn man muss ja erkennen, dass es diese Formen von Unterdrückung gibt. Außerdem ist die Einsicht, dass es Privilegien gibt, noch lange keine Garantin dafür, dass Personen ihre auch ablegen wollen. Manche wollen sie im Gegenteil eher verstärken (bspw. Konservative, die Abtreibungen verbieten wollen). Grundsätzlich geht es natürlich beim Begreifen von Ungleichheit und Unterdrückung innerhalb der eigenen Klasse immer auch um Bewusstsein und Bewusstwerdung. Aber diese sind nicht losgelöst von den materiellen Bedingungen. Das gesellschaftliche Sein bestimmt unser Bewusstsein und nicht andersherum. Demnach kann diese gedankliche, kritische Auseinandersetzung nicht alleine zu einer Lösung führen. Des Weiteren verläuft die Bewusstseinsentwicklung nicht linear und stellt auch nicht bloß ein persönliches, sondern vor allem auch ein gesellschaftliches Phänomen dar. Das Massenbewusstsein kann Sprünge machen – und zwar aufgrund gemeinsamer Kämpfe und Erfahrungen. Umgekehrt kann es auch wieder zurückfallen, bspw. durch einen Rechtsruck. Außerdem kann man bspw. in einer Reflektionsrunde viel sagen, solange man nicht auch so handelt, hat das nur wenig Gewicht und dient im schlimmsten Fall lediglich der Selbstbeweihräucherung.

Was tun?

Wir müssen den Chauvinismus und Sexismus in der Klasse bekämpfen, um die Spaltung zu überwinden und die gemeinsame Kampfkraft zu entfalten. Deshalb treten wir bspw. für das Caucusrecht von Unterdrückten in den Organisationen der Arbeiter_Innenklasse ein. Das bedeutet, dass sie das Recht haben, in einem gesonderten Raum, allein unter ihresgleichen, über ihre Unterdrückung zu sprechen, Probleme in der eigenen Organisation kollektiv aufzugreifen und Empfehlungen an das Kollektiv auszusprechen, wie diese überwunden werden können oder welche gemeinsamen Forderungen und Aktionen im Kampf vorangetrieben werden sollen.

Wir treten für den Aufbau einer proletarischen Frauenbewegung ein. In bestimmten Situation kann die Bildung einer kommunistischen Frauenorganisationen sinnvoll sein, sowohl, um den Chauvinismus in der Arbeiter_Innenklasse zu bekämpfen, die Arbeit unter proletarischen Frauen zu systematisieren und so Frauen, die noch nicht der revolutionären Partei (oder ihrer Vorform) beitreten wollen, auf der Basis eines revolutionären Aktionsprogramms gegen Frauenunterdrückung in einer möglichst engen Kampfgemeinschaft näher an diese heranzuführen. Des Weiteren müssen wir auch in den Organisationen dafür kämpfen, dass sich nicht nur die Unterdrückten mit ihrer eigenen Unterdrückung theoretisch auseinandersetzen, sondern auch alle anderen.

Alles in allem dürfen wir uns nicht darauf verlassen, dass wir, wenn wir uns alle nur selber genug reflektieren, die Unterdrückungsmechanismen abschaffen können. Auch die Vereinzelung der Unterdrückungsformen und Unterdrückten sind nicht hilfreich, denn wenn wir wirklich die Klassengesellschaft abschaffen wollen, ist es nötig, dass wir ein revolutionäres Programm mit gemeinsamen Forderungen aufstellen und zusammen für eine sozialistische Zukunft kämpfen, die wir nicht durch Reform des kapitalistischen Systems, sondern nur durch einen revolutionären Umsturz auf Basis einer breiten Massenbewegung unter kommunistischer Führung erreichen!

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