Indigenas in Guatemala

Indigenas in Guatemala

In diesem Bericht moechte ich auf ein fuer ganz Lateinamerika im Allgemeinen und Guatemala im Besonderen sehr wichtiges Thema eingehen, naemlich die Frage der indigenen Bevoelkerung, sprich den Menschen, die direkt von den Ureinwohnern des Landes abstammen. Zur Einleitung moechte ich vorwegnehmen, dass trotz mehrfacher muendlicher Bekenntnisse, gesetzlich garantierter Gleichstellung, Hilfsprogramme, Beobachter der UN und und und dieses Thema in ganz Lateinamerika noch lange nicht vom Tisch ist und von wirklicher Gleichstellung nicht die Rede sein kann. In Guatemala ist das Thema von besonderer Praesanz, weil die Indigenas in der guatemaltekischen Geschichte besonders leiden mussten und einen sehr hohen Bevoelkerungsanteil stellen (50%). Man stoesst hierzulande auf einen sehr hartnaeckigen Rassismus, der mehr als alles andere durch eine kulturelle und gesellschaftliche Trennung reproduziert wird und auf jeden Fall eine naehere Betrachtung Wert ist. Da es bei diesem Bericht speziell um das Problem der Indigenas geht, gehe ich nicht weiter auf die Tatsache ein, dass die eigentliche Trennlinie auch in der guatemaltekischen Gesellschaft nicht durch Rassen sondern Klassen gezogen wird und auch viele Nicht-Indigenas von Ausbeutung und Unterdrueckung betroffen sind.

Rassismus im taeglichen Leben

Indigenas, oder Mayas, wie sie hierzulande auch genannt werden, sind ein fester und nicht weg zu denkender Bestandteil der guatemaltekischen Gesellschaft. In Guatemala schaetzt man, dass ungefaehr die Haelfte aller Einwohner von direckt indianischer Abstammung sind. Die offiziellen Zahlen sind meist etwas niedriger, aber schwanken immer um diesen Bereich. Man sieht Indigenas ueberall in Guatemala, und sie unterscheiden sich von der zweiten grossen Bevoelkerungsgruppe Guatemalas, den Ladinos (Mischlinge zwischen Weissen und Indigenas), durch Kleidung, Gewohnheiten, Verhalten, Sprache und eben durch die gesellschaftliche Stellung. Die ist nicht schwer zu erkennen. Waehrend der Grossteil aller Ladinos um die Hauptstadt Guatemala-City versammelt ist und eher einen relativen Zugang zu Arbeit, Bildung und Infrastruktur geniesst, lebt der Grossteil aller Indigenas nach wie vor auf dem Land und betreibt Landwirtschaft oder arbeiten auf irgendwelchen Fincas oder in den auslaendischen “Maquilas” (Textilfabriken”). Die meisten Indigenas leben von dem was ihnen der Boden gibt, und sie fahren in Scharen in die naechstgelegenen Staedte um auf den dortigen Maerkten ihre Waren zu verkaufen. Ausser landwirtschaftlichen Produkten verkaufen sie auch noch kunstlerische Sachen, also Stoffe, Kleider, Holzschnitzereien, Instrumente, Taschen, Geldbeutel… und alles moegliche. In den touristischen Zonen des Landes gibt es extra Kunstmaerkte mit allerlei wunderschoenen Mayasachen zu kaufen.

Es ist also nicht schwer zu erkennen wo sich die Trennlinie zieht: Ladinos gehen meistens zur Schule, kommen aus geregelten Familienverhaeltnissen, haben nicht selten ganz schoen Geld in der Tasche, gehen spaeter auf die Universitaet und finden meist irgendwelche wenigstens halbwegs geregelten Arbeitsverhaeltnisse (was halt so fuer Guatemala leider ueblich ist). Indigenas hingegen gehen meist nicht auf die Schule, helfen frueh den Eltern beim Arbeiten oder Verkaufen ihrer Produkte, tuemmeln sich auf den Maerkten und versuchen den Touristen und besser betuchten Guatemalteken ein Paar “Centavos” abzuluchsen. Die vielen Bettler die man in Guatemala antrifft sind auch in ueberwaeltigender Mehrheit Indigenas und auch in den richtig ueblen Gegenden von Guatemala-City (und wahrscheinlich auch anderer Stadte) sind die Mehrheit der Leute indianischer Herkunft (wenn nicht direckt dann in jedem Fall in zweiter Generation). Ein etwas aufmerksamer Beobachter merkt in Guatemala schnell dass die Indigenas von dem bescheidenen Fortschritt (ich bezweifle dass man es ueberhaupt so nennen kann) in Guatemala wenig bis ueberhaupt nichts abbekommen und in ihrer Misere und Armut ohne Ausweg feststecken.

Was den hartnaeckigen Rassismus auf Seiten der Ladinos festmacht erfaehrt man natuerlich erst wenn man sich in Guatemala ein Weilchen aufhaelt und vor allem mal ein paar Leute besser kennenlernt. Ich habe bereits im Voraus ueber den unbewussten Rassismus in Guatemala gelesen und war trotzdem mehr als ueberrascht, ja sehr erschrocken, wie selbst gebildete Guatemalteken mit Universitaetsabschluss in ihrem Denken auf die Spur der kulterellen Vorurteile abtrifften und die Indigenas mit einer wirklich haesslchen Geringschaetzung betrachten. In Guatemala ist es nach wie vor ueblich, “Indio” als Schimpfwort (Idiot, Trottel) zu benutzen und Indigenas mit schmutzig, dumm und rueckstaendig gleich zu stellen. Wenn man auf dieses Thema mit Einheimischen stoesst, findet man oft eine der erschreckendsten Seiten der Guatemalteken.

Kulturelle Trennung

Die Ursachen hierfuer liegen besonders in der gesellschaftlichen Trennung, diese fuehrt aber in nicht geringem Masse auf die beachtlichen Unterschiede in der Kultur und die Unfaehigkeit der heutigen Gesellschaft, diese zu integrieren, zurueck. In Gespraechen mit Guatemalteken erkennt man oft, dass die kulturellen Eigenarten der Indigenas und ihre Gewohnheiten ein sehr grosser, vielleicht sogar der wichtigste Grund fuer ihre Geringschaetzung ist.

Indigenas sind in vielen ihrer Lebensgewohnheiten sehr verschieden von dem westlichen Lebensstil und kommen nicht selten seltsam vor. Das liegt zum Teil in kulturellen Eigenarten, in anderen Gewohnheiten, aber sehr oft auch in mangelnder Bildung oder fehlenden Moeglichkeiten bzw. Perspektiven. Waehrend die moderne Ladino-Gesellschaft in Guatemala sich an westlichen Standarts orientiert, leben die Mehrzahl aller Indigenas nach wie vor in ihrer eigenen Welt, mit ihrer eigenen Sprache, ihrer eigenen Kleidung, eigenen kulturellen Eigenarten und fernab des Segens der technischen Errungenschaften (was natuerlich nicht heissen soll dass Indigenas keine Autos oder Fernseher haben, aber insgesamt nutzen sie viel weniger technische Errungenschaften und haben auch vor allem viel weniger Zugang dazu). Deswegen wird das Wort “Indio” auch oft mit rueckstandig gleichgesetzt.

Die Ursachen hierfuer liegen natuerlich in allererster Linie durch die mangelnden Moeglichkeiten der Indigenas, sich aus ihrer Misere zu befreien. Bei einem Analphabetenanteil der indianischen Frauen auf dem Land von 60% ist das auch nicht weiter verwunderlich. Bildung ist das groesste Problem in Guatemala, nicht nur fuer Indigenas, aber besonders. Die meisten Indigenas kommen nie in den Genuss einer ordentlichen Schulausbildung und haben deswegen auch keine Moeglichkeiten eine einigermassen ordentliche Anstellung und einen Beruf zu erlangen. Die wenigen, die in den Staedten Arbeit bei den Textilunternehmen bekommen verdienen einen Hungerlohn und bleiben auch dort ihr Leben lang ungebildet, bis auf dei ganz wenigen, die es schaffen nebenher noch eine Privatausbildung zu finanzieren. So bleiben die Indigenas ihr Leben lang in ihren traditionellen Einkunftsmoeglickeiten gefangen und damit natuerlich auch in ihren alten Gewohnheiten und Lebensweisen.

Die kulturelle Trennung in der guatemaltekischen Gesellschaft ist somit allgegenwaertig und verhindert auch ein Durchbruch des Rassismus. Ladinos bleiben unter sich, und Indigenas auch. Man findet ganz wenig Leute (Ladinos oder Weisse), die von sich behaupten koennen, Indigenas wirklich als Freunde zu haben und/oder Indigenas wirklich gut zu kennen. Die Ursache hierfuer ist sicherlich eine beidseitige Ablehnung, bei den Ladinos eher aus Verachtung und Geringschaetzung, bei den Indigenas aus einer Mischung von Zweifel und vor allem auch Wut und Aerger.

So wird ein Durchschnitts-Guatemalteke mit dem ueblichen Vorurteilen und unbewussten rasisstischen Denkweisen denn auch antworten , dass die Indigenas doch genauso sind, sich doch selber abgrenzen und auch rassistisch ueber Ladinos denken. Dass sie genauso sind wie Ladinos und rassistisch denken ist natuerlich Bloedsinn. Selbst wenn einige Indigenas Vorurteile ueber Ladinos haben sollten muss man bedenken, dass sie ihre Lebensweisheiten meistens von irgendwelchen verbitterten Dorfaeltesten oder Familienmitgliedern haben, waehrend die Ladinos im Gegensatz dazu Zugang zu einer allegemeinen Bildung geniessen, die ihnen ein sehr viel differenzierteres Bild ermoeglicht. Aber dass sie sich oft selber abgrenzen ist nicht ganz falsch. Um das zu verstehen muss man vor allem ihre historischen Erfahrungen der letzten 500 Jahre in Betracht ziehen. Leider bedeudete die Ankunft der Europaer und deren “fortschrittliche” Lebensweisen und Technologien in ganz Amerika fuer die indianischen Ureinwohner kein Glueck, Segen und Verbesserung der Lebensverhaeltnisse, sondern im Gegenteil Leid, Trauer, Versklavung, Vertreibung, Unterwerfung und Unterdrueckung. Viele Indigenas haben heute nach der wenigstens gesetzlich garantierten Gleichstellung wieder einen Stolz fuer ihre Kultur erlangt, der vermischt ist mit einem tiefen Groll und Wut auf die Unterdruecker. Deswegen leben heute nicht wenige Indigenas in ganz Lateinamerika ganz bewusst in ihren eigenen Gemeinden, leben ihre alte Kultur aus und wollen von neumodischen Lebensstilen der “Weissen” nichts wissen.

Wenn man heute mit Indigenas in Lateinamerika arbeiten will, muss man deswegen zuallererst diese historische Tatsache anerkennen und ihre ungeheuere Bedeutung verstehen. Natuerlich waere es viel leichter, wenn man einfach in ein Indigena-Dorf reinspazieren und den Einwohnern die Weisheiten und Segen der modernen Lebensweisse nahelegen koennte. Doch ein Volk, dass von den Menschen gleicher
Herkunft jahrhundertelang brutalst unterdrueckt und versklavt wurde und bis heute noch den Rassismus gegen sie in jeder Ecke spuehrt, reagiert extrem empfindlich auf “Missionierung”. Um so mehr in einem Land wie Guatemala, wo die Indigenas noch bis vor 20 Jahren einen regelrechten Terror von seiten des Staates erleiden mussten.

Indigenas waehrend der Militaerdiktatur in Guatemala

Guatemala erleidete leider waehrend des 20.Jahrhunderts eine der traurigsten und blutigsten Geschichten ganz Lateinamerikas. Vor allem weil es Anfang der 50er Jahre noch eines der hoffnungsvollsten Laender des Kontinents war, weil mit Jacobo Arbenz Guzman ein sehr fortschrittlicher Praesident an die Macht gelangt war, der die verkrustete Gesellschaftsstruktur aufbrechen und die Privilegien der Oligarchie brechen wollte. 1954 wurde die fortschrittliche Regierung weggeputscht und es began ein langer Leidensweg fuer die Guatemalteken unter der starken Hand des Militaers, der offiziell 1984 endete, aber in Wirklichkeit noch heute lange nicht ausgestanden ist. Die verschiedenen Miltaerdiktatoren terrorisierten die eingeschuechterte Bevoelkerung mit unterschiedlich krassen Repressalien, von denen die indigene Bevoelkerung besonders brutal getroffen wurde. Den Hoehepunkt der blutigen und traurigen Geschichte erlebte die guatemaltekische Bevoelkerung und besonders die Indigenas am Ende der (offiziellen) Militaerdiktatur 1978 – 1984 unter den Generaelen Fernando Lucas Garcia und Efrain Rios Montt, waehrend der sogenannten “Politik der verbrannten Erde”. Zu dieser Zeit wurde die guatemaltekische Bevoelkerung mit einem unglaublichen Terror ueberzogen, als naemlich mit dem Vorwand auf der Suche nach der Guerilla zu sein ganze Doerfer ermordet wurden. Heute ist bekannt und offiziell von der UN anerkannt, dass damals etliche Massaker und Verbrechen gegen die Menschheit von unglaublichem Ausmass begangen wurden. In Gegenden, wo die Guerrilla vermutet wurde, wurden systematisch Doerfer auf dem Land aufgesucht und die Einwohner einfach massenhaft getoetet, um “der Gefahr der Guerrilla vorzubeugen”. Und da wir vorher ja schon gelernt haben, wer hauptsaechlich in Doefern auf dem Land schon immer gewohnt hat und immer noch wohnt, wissen wir auch, wer hauptsaechlich die Opfer dieser schrecklichen Verbrechen waren (uebrigens gibt es nicht selten Guatemalteken, die ihre schlechte Bildung armselig in Beweiss stellen, indem sie die Regierungszeit von Rios Montt oder anderen Monstern gutheissen. Aber ist in Deutschland ja auch nicht so unueblich). Noch heute werden Massengraeber aus dieser Zeit ausgegraben und ihre Ausgraeber bedroht und eingeschuechtert. Die Verantwortlichen wurden natuerlich in der Versoehnungsrethorik der 90er Jahre nie zur Verantwortung gezogen. Der Fall Rios Montt schiesst den Vogel ab, als der General hoechstpersoenlich bei der letzten Wahl 2004 als Praesidentsschaftskandidat antrat. Heute ist wie gesagt allgemein bekannt was damals in Guatemala und auch vielen anderen Laendern Lateinamerikas geschehen ist. Und trotzdem wundert sich der unbewusst rassistische Durchschnitts-Guatemalteke (Lateinamerikaner) heute noch, warum die Indigenas eigentlich so verschlossen und vor allem so „rueckstaendig“ sind (!).

Loesungen

Um bei diesem fuer ganz Lateinamerika unglaublich wichtigem Thema nach Loesungen zu suchen, bedarf es natuerlich einer sehr tiefgehenden Kenntniss des Problems und sehr wahrscheinlich auch einer erbrobten praktischen Erfahrung, denn mit derart tief verwurzelten gesellschaftlichen Spannungen umzugehen ist nicht einfach und dauert ausserdem natuerlich seine Zeit. Deswegen will ich mir als Europaer und 100% “Reingschmeckter” mit sehr wenig eigener Erfahrung auch nicht anmassen, hier eine Loesung auf dem Silbertablett zu praesentieren. Aber trotzdem denke ich einige Einschaetzungen wagen zu koennen. Ganz sicher heisst auch hier das Schluesselwort Organisation. Die Indigenas brauchen starke Organisationen, um ihre Rechte zu erkaempfen und zu vertreten. In fast allen Lateinamerikanischen Laendern gibt es mittlerweile Indigena-Organisationen, so z.B. aktuell die Conic (Coordinadora Nacional Indigena y Campesina) in Guatemala. In vielen Laendern Lateinamerikas stellen Indigena-Organisationen mittlerweile einen beeindruckenden Protest auf die Beine, so in letzter Zeit vor allem in Bolivien und Ecuador (wo gerade fast das ganze Land im Protest gegen Freihandel mit den USA lahmgelegt wurde). Aber das ermutigendste Beispiel stellen sicherlich die Zapatisten in Mexiko dar, eine Guerrilla-Organisation, die 1994 einen bewaffneten Aufstand durchfuehrte um Forderungen fuer ein besseres Leben der Indigena-Bevoelkerung durchzusetzen. Dieses Beispiel ist vor allem ermutigend, weil hier einerseits verstanden wurde, ganz spezifische Indigena-Forderungen mit allgemeinen politischen Fragen zu verbinden, und andererseits dass der Staat sich nicht als Dialogpartner darstellt, sondern als Hauptverantwortlicher und –vertreter der bestehenden Probleme.

Sicherlich muss verstanden werden, dass das Indigena-Problem nicht einer besonderen Politik dieser oder jener Partei entspringt, sondern seine Ursachen in der etablierten politischen und oekonomischen Ordnung seit der Conquista hat. Deswegen kann dieses Problem nicht durch Dekrete und Libbenbekenntnisse geloest warden, sondern bedarf einer tiefergreifenden politischen und oekonomischen Aenderung. Doch ueber einige antikapitalistische Frasen kommen auch die Zapatisten nicht hinaus. Das ist auch nicht unbedingt notwendig. Die Indigenas brauchen eigene Organisationen, die ihre spezifischen Probleme ganz speziell behandeln, aber sehr gut verstehen dass die bestehenden Probleme strukturell und politisch sind. Doch ihre Misere entgueltig beenden koennen sie natuerlich nur Hand in Hand mit allen anderen unterdrueckten Menschen Lateinamerikas, und dafuer bedarf es politische Organisationen, die sich dem allgemeinen Problem Lateinamerikas und allen kapitalistischen Gesellschaften annehmen. Mit Sicherheit wird das Problem der Indigenas endgueltig nicht im Rahmen der kapitalistischen Gesellschaftsordnung zu loesen sein, weil es gerade diese ist die die bestehenden Verhaeltnisse entwickelte und reproduziert.

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