Vor-Praktikum für´s Studium – ein Erfahrungsbericht


Vielleicht überlegt ihr gerade, warum wir einen Artikel über ein scheinbar „unwichtiges“ Thema wie Berufspraktika schreiben. Doch jede/r Schüler/in kennt die Situation als Praktikant/in, und viele Student/innen und auch Berufseinsteiger müssen Praktika ableisten, um Erfahrung zu sammeln und einen „Fuß in die Tür“ zu bekommen. Auch ich hatte das Glück, vor meinem Studium ein 3-monatiges Vorpraktikum abzuleisten. Für das Studium Bauingenieurwesen ist, wie für die meisten Ingenieurwissenschaften, ein solches Praktikum vorgesehen, um die Studentin / den Studenten „Kenntnisse“ in dem entsprechenden Fachgebiet zu vermitteln. Man sollte Einblick in die zukünftigen Grundlagen des Berufsbildes bekommen und eine Übersicht, um was es den überhaupt geht. Doch in der Realität sieht die Ausbildungssituation für viele Praktikant/innen anders aus.

Der Alltag der Praktikanten/innen

Ich halte Praktika an sich für eine sinnvolle Sache. Jede/r angehende Akademiker/in sollte vor und während ihres/seines Studium Kontakt zur praktischen Arbeit und der technischen sowie sozialen Realität haben. Zu oft bilden Universitäten abgehobene Quacksalber aus, die von der gesellschaftlichen und sozialen Realität der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung keine Ahnung haben. Und diese „Gelehrten“ sollen dann als „Experten“ über das Schicksal eben derer entscheiden, indem sie die Schlüsselämter in Wirtschaft und Politik. Für Schüler/innen können Praktika eine wichtige Erfahrung sein und bei der Berufswahl eine entscheidende Rolle spielen. Sie können mittels eines Praktikums Eindrücke von der Arbeitswelt allgemein und einem bestimmten Berufsbild im Speziellen gewinnen, die sie bei ihrer zukünftigen Berufswahl orientieren sollten. Damit ist der Sinn von Praktika auch klar: die Praktikant/innen sind als Lernende im Betrieb um möglichst viele Eindrücke und Infos zu bekommen.

Insgesamt habe ich drei Monate (13 Wochen) Praktikum bei einer Baufirma gemacht. Ich musste leider feststellen, dass die Firma keinerlei Struktur besitzt, welche ihr erlauben würde, eine sinnvolle Ausbildung sowohl für Auszubildende als auch für Praktikant/innen zu gewährleisten. Es gab keinen Ansprechpartner, keinen direkt Verantwortlichen und niemand, der meine Arbeit koordiniert hätte. Oft stand ich morgens einfach da und niemand wusste, wo ich denn heute hin sollte. Wenn das drei oder vier Wochen der Fall ist, kann man das eventuell noch verstehen, aber nach acht, neun, zehn Wochen kommt man sich dann doch irgendwann blöd vor. Aber wenn Arbeitskräfte für unqualifizierte Aufgaben gebraucht wurden, wurde ich sofort berücksichtigt. Der offizielle Sinn des Praktikums lautet, „Kenntnisse und Erfahrungen im Baustellenbetrieb“ zu erlangen. Während der drei Monate war ich 60 – 70 % mit Abriss- und Aufräumarbeiten beschäftigt. Ich wurde von Kolonne zu Kolonne verschoben – nicht weil es sinnvoll ist, strukturiert verschiedene Aufgaben- und Arbeitsgebiete abzudecken, sondern weil immer mal wieder hier und da eine Arbeitskraft für Hilfsarbeiten benötigt wurde.

Meine Praktikumsvergütung lag mit 700 Euro pro Monat noch im oberen Spektrum der Praktika. Doch auf der Baustelle verrichtete ich oft Aushilfsarbeiten, bei denen ich nichts lernte und für die normal ein/e „richtige“ Arbeiter/in eingesetzt werden muss. Ich war genauso jeden Tag 8 Stunden auf der Baustelle, habe Steine geschleppt, Schutt ausgeräumt, Beton entfernt, Holzvorrichtungen errichtet wie es viele Arbeitskräfte nicht anders tun. Arbeiter/innen im Baugewerbe dürfen in Deutschland nach dem geltenden Tarifvertrag nicht weniger als 10,40 Euro (alte Bundesländer) und 9 Euro (neue Bundesländer) verdienen. Das ergibt bei einem 8-Stunden-Tag  ca. 1830 Euro (alte Bundesländer) und 1584 (neue Bundesländer) Bruttolohn im Monat. Mit meinen 700 Euro habe ich fast nur ein Drittel dessen bekommen! (Nebenbei sei auf den skandalösen Einkommensunterschied zwischen West- und Ostdeutschland hingewiesen!) Die Arbeit auf dem Bau ist hart, vor allem im Winter. Meine Praktikumsvergütung reichte mit Kindergeld gerade so um meine Kosten für Wohnung, Fahrt und Verpflegung zu decken. Und vielen Praktikant/innen geht es noch schlechter. Oft werden Praktika noch schlechter oder sogar gar nicht bezahlt. Unbezahlte Praktika bis zu sechs Monaten kommen nicht selten vor.

Die Gesamtsituation

Jetzt sollte man natürlich wegen ein oder zwei negativen Erfahrungen nicht gleich den Teufel an die Wand malen. Wie sieht denn die Situation insgesamt für Praktikant/innen in Deutschland aus? Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales und die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin haben eine Studie in Auftrag gegeben, in der Berufseinsteiger/innen zum Thema Praktika (unter anderem) befragt wurden. 1 Die Studie bezieht sich allerdings nur auf Berufseinsteiger/innen, welche bereits eine abgeschlossene Berufsausbildung irgendeiner Art haben. Doch sogar mit abgeschlossener Ausbildung absolviert ein Fünftel der Befragten noch ein Praktikum, weil es immer schwerer wird, eine feste Arbeitsstelle zu bekommen. 51 % der Befragten gaben an, dass ihre Praktika unbezahlt waren, 12 % dass sie unangemessen und 37 % dass sie angemessen bezahlt wurden. Mehr als drei Viertel der Befragten gibt an, während des Praktikums mindestens die Hälfte der Arbeitszeit als „normale“ Arbeitskraft eingesetzt worden zu sein. Arbeitgeber und Politiker argumentieren oft, dass solche Praktika als Einstieg in ein „normales Arbeitsverhältnis“ dienen. Lediglich 22 % der Befragten wurden nach ihrem Praktikum übernommen, gerade einmal 11 % in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis.

Organisieren und für seine Rechte kämpfen!

Mittlerweile hat die Situation vieler Praktikant/innen auch Teile der Öffentlichkeit und der Gewerkschaften erreicht. Die DGB-Jugend initiierte eine Online-Petition an den Bundestag 2 und unterstützte eine Petition an das europäische Parlament 3, um bessere Bedingungen für Praktikant/innen gesetzlich zu regeln. Das ist sicher ein Schritt in die richtige Richtung, aber gleichzeitig zeigt sich die Beschränktheit des DGB, wenn er zum einen seine Forderungen auf 300 Euro Praktikumsvergütung beschränkt, zum anderen die Petition nicht mit wirksamen Druck durch Aktionen und Demonstrationen sowie verstärkter Organisierung der Praktikant/innen und Solidarisierung der übrigen Beschäftigten fördert. Eine Petition im luftleeren Raum beeindruckt die Politiker wenig. Um ihre Situation zu verbessern, müssen sich Praktikant/innen in den Gewerkschaften organisieren, ihre Anliegen deutlich machen und gemeinsam für ihre Rechte beim Arbeitgeber eintreten. Dazu bedarf es massive Unterstützung seitens des Gewerkschaftsapparats, der z.B. dafür Sorgen kann, dass Praktikant/innen im Betrieb aktiv durch die Betriebsräte bzw. die JAV unterstützt werden und in gewerkschaftliche Prozesse eingebunden werden. In Verbindung mit einer solchen Anstrengung, die zum Ziel hat, mehr Praktikant/innen zu organisieren und Proteste auf die Beine zu stellen, hat eine Petition an ein Parlament Sinn.

Wir fordern:

  • Höchstdauer eines Praktikums von 3 Monaten
  • Mindestvergütung von 500 Euro für Schulpraktika, 1000 Euro für sonstige Praktika
  • Verbindliche Ausbildungspläne und verantwortliche Ansprechpartner
  • Verbindliche Übernahme nach einem Praktikum in ein unbefristetes Arbeits- oder Ausbildungsverhältnis

1 Die Studie findet ihr im Internet unter:

www.bmas.de –>  „Jüngere“  –>  „Praktika stärken – Missbrauch verhindern“

2 http://www.dgb-jugend.de –> studium –> meldungen –> kleiner_erfolg_fuer_praktikanten

3 http://www.dgb-jugend.de –> studium –> meldungen –>

europa_soll_praktikantengesetz_bekommen

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